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01-Frühausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 31.01.1898
- Titel
- 01-Frühausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1898-01-31
- Sprache
- German
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18980131019
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1898013101
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1898013101
- Sammlungen
- Saxonica
- Zeitungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1898
- Monat1898-01
- Tag1898-01-31
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Auzeigerr-Preis die 6 gespaltene Petitzeile LO Pf-, Reclamen unter dem Redactionsstrich (4a<* fpattea) 50^, vor d«» Familteuaachrichten (S gespalten) 40^- Gröbere Schriften laut uns««« Preis- verzeichniß. reb«llarisch,r uad Ziffernsatz nach höherem Tarif. Extra-Beilagen (gefalzt), aar mit der Morgen-Ausgabe, ohne Postbrförderuag 60.—, mit Pvstbesörderuag 70 Druck uad Verlag von L. Polz la Leipzig. Avuadmeschluß fiie Anzeigen: Abend-AuSgabe: vormittags 10 Uhr. Morgen- Ausgabe: Nachmittags 4 Uhr. vei den Filialen und Annahmestellea je eine halb« Stunde früher. Anzeigen sind stet» an di« Expedition zu richten. Leipziger Volksetymologien. Was man unter Volksetymologie versteht, weiß Wohl heute so ziemlich jeder Gebildete. Wie die Etymologie die Wissen schaft von der wirklichen, eigentlichen, ursprünglichen Be deutung der Wörter ist (das griechische Wort etzmon be deutet das Wahre, da? Echte, den Kern der Sache), so be zeichnet man mit Volksetymologie die Spracherscheinung, daß ein Wort, weil es in seinem eigentlichen Sinne vom Volke nicht oder nicht mehr verstanden wird, irrthümlich mit anderen, gleich oder ähnlich klingenden Wörtern, mit denen es nichts zu lhun hat, in Zusammenhang gebracht, darnach umzedeutct und dabei meist auch in seiner Form verändert wird. Auf Volks etymologie beruht z. B. das Wort Bockbier. ES ist genannt nach der Stadt Eim deck (früher auch Eimböck geschrieben); als man sich aber unter Eimböckbier nichts mehr denken konnte, deutete man es um zu Ein Bockbier, und so wurde schließlich Bockbier daraus, wobei heute Jedermann im Volke, wie zahlreiche Bilder beweisen, an den Ziegenbock denkt, mit dessen Sprüngen und Stößen die Wirkung des starken Bieres verglichen wird. Solche Volksetymologien giebt eS in Menge in allen gebildeten Sprachen, nicht blos im Deutschen. Namentlich sind eS die Fremdwörter, die in allen Sprachen Mißverständnissen und Umdeutungen aus gesetzt sind, ost aber auch ältere Wörter der eigenen Sprache. So sind, um nur an einige der bekanntesten Beispiele zu erinnern, Sündfluth, Friedhof, Maulwurf, Schlittschuh, wetterleuchten mißverständlich auS älterem sinllut (große Flut), vritkok (geschützter, eingebegter Hof), moltuoik (Erbwerfer), 8eürittelsctinoclr (Schlittschuh), rveterloicü (Wettererscheinung) umgedeutet; mit Sünde, Frieden, Maul,Schlitten, leuchten haben sie ursprüng lich nichts zu lhun. Und von solchen Mißverständnissen bringt jeder Tag neue hervor. Erst gestern hörte ich aus dem Munde eines älteren Mannes den Satz: „Er schimpfte wie ein rot her Sperling." Der gute Mann hatte einmal vom Rohrsperling gehört, kann sich aber nichts dabei denken, und so macht er sich nun einen rotkrn Sperling daraus — eine funkelnagelneue Volksetymologie,die denn auch in dem präcktigen Buche von K G-Andresen: Ueber deutsche Volksetymologie, worin viele Hundert lehrreiche und belustigende Beispiele dieser Sprachersweinnng gesammelt und besprochen sind, fehlt. Um auch an einige der bekanntesten aus Fremdwörtern um- gedeutelen (hier also umgedeutschten) Wörter zu erinnern, nenne ich nur Armbrust (entstanden aus dem griechisch lateinischen arcuballistL), Felleisen (aus dem lateinischen valisia), Rundtheil (aus romlslle), Blankscheit (aus plavclretttz) u. s. w. Auch von solchen Umdeulschungen ist der Volksmund voll, uud es sind höchst drollige darunter, wie öluminiren (für illuminiren, wobei natürlich an Oellämpchen gedacht wird), irretiren (wobei irre machen vorschwebr, während irritnr! reizen, erzürnen be deutet), einjal (für egal) u. a. Oft äußert sich dabei daS volksetymologische Mißverständniß gar nicht in einer Umformung des Wortes, und doch ist es vor Montag den 3!. Januar 1898. 92. Jahrgang. banden und im Stillen wirksam. So denken sicherlich viele, die einmal Lateinisch gelernt haben, bei Equipage an equus, und doch hat eS nichts damit zu thun; denn equlper ist aus dem deutschen Schiff entstanden. Einen reichen Beitrag zu den Volksetymologien liefern die Eigennamen, und zwar sowohl die Personennamen wie die Ortsnamen. Welche Wandlungen hat in Personen namen die Silbe-o l t (von walten) durckgemacht! In hold, Wald, Gold, Holz ist sie umgewandelt worden; man denke nur an Reinhold, Bärwalb, Weigold, Helm Holz. Christian ist so lange durch Mittelformen wie Kristan, Kirstan, Kirsten, Kirstein hindurch gepreßt worden, bis endlich gar Kirschstein daraus wurde. Von Ortsnamen ist bekanntlich Mailand auS 2-lsäiolünum entstanden, Klagenfurt aus 6Iauüii tornm, Braun schweig auS öruuonis vicus, Küßnacht aus enssiumeum u. s. w. Von vielen nmgedeuteten Ortsnamen, besonders Dorf namen, Straßen- und Gassennamen, Wassernamen, dringt aber in weitere Entfernung gar keine Kunde; Kenntniß und Verständniß davon bleiben auf den Umkreis und die Bewohnerkreise des OrteS beschränkt. An solchen hat eS in alter und neuer Zeit auch in Leipzig nicht gefehlt, und ich will hier einige davon zusammenstellen. DaS älteste Beispiel dieser Art ist die Hainstraße, die schon Ende des 15. Jahrhunderts und noch öfter im 16. in Heustraße umgedeutet und auch so geschrieben wurde. Zu Ende des 15. Jahrhunderts kommt es gelegentlich vor, daß in ein und derselben Urkunde beide Formen stehen, nur durch wenige Zeilen von einander getrennt. Da sich auf der Hain straße die älteste Leipziger Druckerei befand, die von Cun; Kachelofen, die bann an seinen Schwiegersohn Melchior Lotter überging, so wird die Straße oft auch in den lateinischen Schlußschriften der aus dieser Druckerei hervvrgegangenen Bücher genannt; da heißt es aber stets: iu regione koeni. Es kann also kein Zweifel sein, daß man bei Heustraße wirklich an daS Heu dachte, denn koenuw heißt eben auf Deutsch Heu. In einer Zeit, wo eS in der Stadl noch viel landwirth- schaftlichen Betrieb und große GulShöf: mit Scheunen und Ställen gab, mag wohl im Sommer von den ausgedehnten Wiesen vor dem Ranstädter Thore viel Heu durch die Haia straße in die Stadt herein gefahren worden sein, und so lag die Umdeutung nahe. Der wirkliche Name der Straße aber war unzweifelhaft Hainstraße. Sie war genannt nach dem Hain, d. h. nach dem Rosenthal, daS in früherer Zeit noch viel näher an die. Stadt heranreichte als heute (bis an die Rosenthalbrücke), wie daS ganze Stadtviertel, zu dem sie gehörte, im 15. und auch noch im 16. Jahrhundert, nicht das Rannische oder Ranstädter, sondern das Hainische Viertel hieß. Das Harnischbuch von 1466, daS Türkensteuerbuch von 1481, die Landsteuerbücher von 1499, 1502 uad 1506 und daS Türkensteuerbuch von 1529, die sämmtlich in dem ersten Bande der „Quellen zur Geschichte der Stadl Leipzig" veröffentlicht sind, kennen keine anderen Formen als Hainstraße und HainischeS Viertel. Freilich sollte man dann auch Hainviertel erwarten, aber die Analogie von Grimmisch und Höllisch verführte Wohl zu Hainisch. als ob auch dieses Viertel nach einer benachbarten Stadt Hain genannt gewesen wäre. Ein Beispiel eines volksetymologisch umgedeuleten Gafsen- namenS aus späterer Zeit ist die Hintergasse: der Volks mund verwandelte sie in Hühner gasse, und daS geschah auf folgendem Wege. Das Huhn oder die Henne hieß im Volksmunde in Sachsen die Hinne. Bekannt ist das Ge- schichtchcn, wie der Pfarrer in die Dorfschule kommt, um einmal dem Unterricht beizuwohnen, und dabei auch selbst eine Reihe von Fragen an die Kinder stellt. Während er so mit den Kindern spricht, fliegt eine Henne an daS offene Fenster der Schulstube, und der Pfarrer fragt ein kleines Märchen: „Was ist denn daS für ein Tbier, mein Kind ?" — Antwort: „Enne Hinne". Der Pfarrer fragt die nächste: „Kannst du mirs besser sagen?" — Antwort: „Enne Hinne". Der Pfarrer fragt noch ein paar Mädchen, sie bleiben aber alle bei der „Hinne". Da wendet er sich denn endlich mit einem fragenden Blick an den Lehrer. Der aber bestätigt mit größter Seelenruhe: ,,S' iS merklich enne Hinne, Herr Basier!" Bon einer solchen Hinne nun hieß im Volksmunde die Mehrzahl Hinder; die Mutter sagte zu ihrem Jungen: „Jech e mal de Hinder auS'n Garten!" So gemein durfte man sich natür lich in Schrift und Druck nicht ausbrücken, und so ver schönerte man die vermeintliche Hindergasse zu einer Hühnergasse. In Wahrheit hieß sie die Hintergasse, und sie führte nach dem Hin tert hör. 1839 wurde sie in Schützenstraßc umgelauft, nachdem die Schützen 1834 ihr neues Schiitzenhaus am Hinterlhor bezogen halten. Zeitweilig ist auch der Name des Naschmarkts einer volksetymologifchen Umdeutung unterworfen gewesen; im 17. Jahrhundert gab es Leute, die ihn richtiger Aschmarkt zu nennen glaubten. Auch hier lag der Uebergang nabe; am häufigsten hörte man gewiß: „aufn Nasch - markt", und LaS konnte auch verstanden werden „aufn Asch markt". Dabei sollte natürlich an Töpferwaare, au Blumentische und d-rgl. gedacht werden, die wohl zeitweilig dort auch mit zum Verkauf ausgestellt waren. Aber die ältere Zeit weiß nichts davon. Der Naschmarkt ist erst 1556 mit dem Neubau des Rathhauses entstanden, nach dem das alte RathhauS mit seinen Anbauten, die zum Theil auf dem Areal beö heutigen NaschmarktS standen, abgebrochen war. Die früheste Erwähnung findet sich 1587 in der Stadl beschreibung von Ulrich Gros (Quellen zur Geschichte Leipzigs Bd. I, S. 16); dort heißt eS: „Hinter dem Rathhause ist der Fisch-, Fleisch- und Naschmarkt". In den UnlersuchungS- acten über den Aufstand gegen die Calvinisten von 1593, bei dem Weinhausens HauS am Naschmarkt geplündert worden war, wird er nur „der kleine Markt" genannt. Von einzelnen Gebäuden, deren Name umgedeutet worden ist, ist vor allen der Burgkeller zu nennen. Dieser wurde von Leuten, die platt sprachen, Borgkeller genannt (ebenso wie die Burgstraße Borgstraße), und darunter meinten nun Andere, die hochdeutsch redeten, nichts anderes verstehen zu können, als einen Keller, wo geborgt würde, sie lehnten sich dagegen auf und behaupteten, dieser Keller sei kein Borg keller, sondern ein Barkeller, und daS sollte kein bloßer Wortwitz sein, sondern der Burgkeller wird wirklich im 17. Jahrhundert bisweilen so geschrieben. (Beiläufig sei er wähnt, daß die Bezeichnung „RathSburakeller", die der jetzige Pächter auf seinen Speisekarten führt, weder geschichtliche noch sprachliche Berechtigung hat. Was wir in Leipzig Burgkeller nennen, heißt in andern Städten Rathskeller, in andern Stadtkeller (vgl. RathhauS und Stadthaus). Burg bedeutet hier dasselbe wie Stadt, und wenn der Rath dafür eintritt, so ist daS nur ein anderer Gesickuspuuct. Mit „Ratbsburgkeller" ist also zwei mal dasselbe gesagt; man könnte ebenso gut von der „Raths- burgaue" oder vom „RathSbürgermeister" oder von der „Raihsstadtbibliothek" reden). Auf dem Brühl liegt ein HauS (Nr. 35), daS schon seit alter Zeit den Namen Heilbrunnen führt. Wie kommt daS HauS zu diesem Namen? Ist in alter Zeit einmal ein Quell oder ein Brunnen in seinem Hofe gewesen, dem man Heilkraft zuschrieb? Nein, eS ist lediglich durch die Volks etymologie dazu gekommen. DaS HauS war von 1567 bis 1617 im Besitz einer Familie Helleborn (von 1567 bis 1603 besaß eS Simon Helleborn, von 1603 bi- 1617 besten Sobn Augustin Helleborn). Nun war es ja nichts Ungewöhnliches, daß der Name des Besitzer- eines Grundstückes im Volksmunde einfach auf daS Grundstück überging, besonders wenn das durch die Form oder Be deutung des Namens begünstigt wurde. So hieß z. B. das Eckhaus der PeterSstraße und des ThomaSgäßchens (jetzt Steckner) um 1700 die „grüne Planke"; früher hatte eS aber nur „die Planke" geheißen, denn eS war von 1597 bis 1671 im Besitz der Familie Planke. Ebenso ist „der Blumen berg" zu seinem Namen gekommen; daS Grundstück gehörte von 1525 bis 1572 der Familie Blumenberg, erst Tiburtius Blumenberg, dann dessen Sohne Caspar Blumenberg. Auch Waldparzellen haben auf diese Weise ihren Namen erhalten; so ist z. B. „der Apitz" oder „Apitzscb" bei Connewitz einfach nach einem ehemaligen Besitzer genannt, ebenso „die Scheibe" oder „das Scheibenbolz" (eigentlich: „der Scheiben Holz", d. h. bas Gehölz der Familie Scheibe, wie man auch „der Nonnen Holz", daS Gehölz de- Nonnenklosters, kurzweg zur „Nonne" gemacht bat). So ging man auch im 16. Jahr hundert „zum Hellrborn", d. h. in Helleborn's HauS, und daraus wurde später „zum Heilborn" und „zum Heil- brunneu". Im Jabre 1793 errichete der Leipziger Kaffeewirth Richter, noch ehe er sein berühmtes Kaffeehaus auf dem Brühl ge schlossen hatte (1794), an der Pleiße dem Barfußpförtcheu gegenüber eine Gastwirthschaft, in der namentlich geschloffene Gesellschaften verkehrten und in der es (nach einer Schilderung von 1799) ziemlich leichtfertig hergegangen zu sein scheint. DasDing mußte natürlich einen schönen französischen Namen erhalten, anders ging eS damals nicht (heute würde - »ME», ,Av88i Li-Ms". Humoreske von Koloman Miksrath. Aus dem Ungarischen von E. Vilmar. Nachdruck »rrdoten. Vor einem Jahre ungefähr kam der junge Pariser, der meine Werke ins Französische übersetzt, hierher und machte mir einen Besuch. Als er erfuhr, daß ich des Französischen nicht mächtig sei, war er außer sich vor Staunen, er schlug die Hände zusammen und die Augen rollten ihm fast aus den Höhlen. Nachdem wir mit Hilfe eines Wörterbuches eine etwas holperige Unterhaltung geführt hatten, nahmen wir Abschied voneinander. Doch hatte meine Unwissenheit so beschämend auf mich gewirkt, daß ich sofort beschloß, meinen Kindern unverzüglich französische Stunden geben zu lassen. Eigentlich hätte ich nach diesem be schämenden Vorfall ebenso gut sagen können: „Nun werde ich mich mal Hals über Kopf ins Französische stürzen" — aber man liebt seine Kinder eben mehr als sich selbst und denkt lieber an ihre Zukunft. Ueberdies ist cs bequemer, einen Anderen lernen zu lassen, al» es selbst zu thun. So ist's nun einmal. Doch als ich meinen Jungen die wichtige Neuigkeit meldete, waren sie keineswegs entzückt, sondern begannen zu opponiren. „Warum?" „Weil es sehr hübsch ist, wenn man Französisch kann." „Aber was ist denn daran hübsch?" „Dann könnt Ihr mit Cousine Jlka's französischer Gou- dernante reden." „Aber wir wollen lieber gar nicht mit ihr reden." „Na, dann könnt Ihr miteinander französisch sprechen." „Aber wir sprechen viel lieber ungarisch miteinander." „Nun, — dann könnt Ihr Euch mit den Franzosen unter halten." „Wo sind die denn?" „Daheim, in ihrem Vaterlande." „Na, dort reise ich lieber nicht hin. Laß Laczi eS lernen." „Nein, ich reise auch nicht hin", brummte Laczi. Ich sah ein, daß ich meine Zuflucht zur List nehmen mußte, um meinen Willen durchzusetzen. „Na, hört, es müßte doch sehr nett sein, so'ne aparte Sprache zu kennen, wenn Ihr ein Geheimniß zu bereden habt. Dann würde keiner Eurer Freunde Euch verstehen können, weder Gregor noch Max noch Paul . . . Potz Blitz, was würden die Jungen neidisch sein! .... Ja, sogar Mama und ich würden Euch nicht verstehen können." „Na, meinetwegen Vater", meinte Laczi nach einigem lieber legen. „Und Du, Berzci?" Er hatte auch nichts dagegen. Die erste Schwierigkeit war somit gehoben, und drei Tage später erschien auch dir lebendig« Grammatik, da» Töchterchen eines französischen Sprachlehrers, auf der Bildfläche, ein aller liebstes kleines Mädel, ungefähr in dem Alter, wo die Knospe sich bereits zu entfalten beginnt und die Mädchen theils noch mit ihren Pupppen, theils schon mit dem Spiegel spielen; kurzum, Cora war ein nettes Backfischchen, das auch noch mit den Jungen spielen und herumtoben konnte. Und das war ein wahrer Treffer. Die erste Conversationsstunde war gekommen. Die drei Kinder hatten sich um den großen Tisch niedergelassen. Die Jungen grinsten einander an und maßen die Miniaturlehrerin, die ihnen bis über die Ohren erröthend gegenüber saß und ihr lebhaftes Kindergesichtchen wie ein kleines Großmütterchen in ernsthafte Falten zog, mit feindlichen Blicken. Armes Kind, sie fühlte sich noch weit unbehaglicher als ihre beiden Schüler: ihr Herzchen klopfte gewiß hörbar unter der schneeweißen Blouse, als sie hier zum ersten Mal in Function treten sollte. Armes, kleines Mademoisellchen, — du weißt natürlich Alles und sollst nun alle Weisheit auskramen, die deine Mama dir aus ihrer dreißigjährigen Gouvernantenpraxis eingetrichtert hat. Vielleicht hast du dich daheim noch einmal sorgfältig präparirt für diese erste Stunde, — aber du hast nicht mit den Ränken eines solchen Schülerpaares gerechnet, das vom Hundertsten in's Tausendste kommt, aus Neugier allerhand Kreuz- und Quer fragen thut und Alles lediglich als Spatz betrachtet, selbst deine eindruckerweckende, ergötzliche Ernsthaftigkeit. Das Aufzählen der französischen Benennungen für alle im Zimmer befindlichen Gegenstände ist bald erledigt. Mit dem Tische, den Stühlen, der Lampe, dem Buch — kurzum, mit Allem haben sie auf französisch Bekanntschaft gemacht, ober die Jungen weigern sich, die Worte nachzusprechen, weil sie ihnen zu häßlich klingen, sie beginnen vielmehr selbst Fragen zu stellen. „Ach waS", fallt Berzci der kleinen Mademoiselle brüsk in die Rede, „sagen Sie uns lieber, wie heißt Schaf auf fran zösisch?" „Lredis." .Irvdis! bredis! — Wie dnmm! Wirklich bredis?" „Wenn ich es sage —" erklärt die kleine Lehrerin mit sehr viel Würde. „Und wie heißt Lamm?" Cora wird etwas verlegen, doch länger zögern darf sie nicht. ,Aus8i bredis", sagt sie, „das heißt: auch dredis." Da erhebt sich ein johlendes Gelächter. Die kleinen Racker springen von ihren Stühlen auf und kommen mit triumphirenden Gesichtern in mein Zimmer gerannt. „DaS Fräulein kann kein Französisch. Sie weiß nichts, rein gar nichts. Wirklich, Papa —" „Huje!" brüllt der Jüngste, „sie versteht gar nichts davon." „Was Kuckuck! — was ist das für ein Unsinn? — Wo ist das spanische Rohr? Wie kommt Ihr darauf, daß sie kein Französisch kann?" Laczi setzte sich in Positur. „Wenn ich e» sage, dann ist r» so. Du weißt ja, Papa, daß ich niemals lüge. Sie kann wirklich kein Französisch. Wir haben sie gefragt, wa» Schaf auf Französisch heißt, und da sagt sie: ,Prodis". Und dann haben wir gefragt, was Lamm heißt, und da sagt sie: ..^ussi Kredit, — auch „bredis". Nu sag' mal selbst, kann es wohl so'n dämliches Land geben, wo Schaf und Lamm ganz gleich heißt? Wie sollte Kathi (die Köchin) dann wohl beim Fleischer ein Pfund Schaffleisch oder ein Pfund Lammfleisch fordern?" Die Kinder hatten ganz recht und die Sachlage war mir sofort klar. Wahrscheinlich war die kleine Cora nie im Leben auf dem Lande gewesen, hatte niemals ein lebendiges Schaf oder Lamm gesehen, sondern die Familie „Schaf" höchstens in gebratenem Zustande kennen gelernt, während die Thatsache, daß es Mutter schafe, Widder und Lämmer giebt, ihr vollkommen unbekannt geblieben. Doch unmöglich konnte ich ihre Unwissenheit dem Muthwillen meiner Buben preisgeben — dann war es schon noch besser, ganz Frankreich seines Schafgeschlechts zu berauben. „Ihr seid Dummköpfe!" sagte ich in strengem Ton. „Ihr müßt doch wissen, daß es in Frankreich keine Schafe giebt. E freut mich, daß das Fräulein so viel davon weiß. Nicht wahr, von Thieren, die garnicht existiren, wißt Ihr die Namen doch auch nicht?" Sie sahen mich zweifelnd an. „Aber warum giebt's denn dort keine Schafe?" „Nun, — weil Sie dort nichts zu fressen haben. Dort wird alles Land zu Bauland gebraucht." Kurzum, mit der größesten Mühe rettete ich diesmal die jugendliche Lehrerin, doch nannten die Jungen sie seither nur noch ,.^u88i brsdis". Den ganzen Tag hörte man nichts alS: ,,^U8si dredis hat dies oder das gesagt, — ^ussi bredis macht den Mund so auf, — ^nssi drsbis hat solch einen Kamm im Haar, — ^ussi dredis hat einen Knopf an ihrer Blouse ver loren...." Und so etwas wirkt so ansteckend, daß auch meine Frau und ich allmählich zu dieser Benennung übergingen. Am Abend jenes ersten LehrtageS hörte ich die Jungen beim Auskleiden mit einander schwatzen. „Glaub' mir blos, Laczi, ^.ussi brsdis kann doch nicht Fran zösisch." „DaS sag' ich auch." „Gut, wollen wir nicht bei ihr lernen." Am folgenden Tage kam Xusri drodis wieder. Meine Frau hatte die größte Mühe, die jungen Rebellen zum Gehorsam zu bewegen und — abermals ließen sie die kleine Mademoiselle hereinfallen. Sie fragten sie nach der französischen Bezeichnung für „Pferd". „Odsval.'' „Und Füllen?" „kotit ckevat." „Hurrah! Hurrah!" Und wieder stürmten sie mit wahrem Triumphgeheul zum Zimmer hinaus. „Hurrah! Hurrah! Sie versteht nichts davon!" Was war da zu machen? Da half nicht- Andere», al» auch noch die Pferde den Franzosen zu confiSciren. „O, Ihr kleinen Affen! Natürlich existirt ein Unterschied zwischen einem Pferd, einem kleinen Pferd und einem Füllen, aber in Frankreich giebt'» gar kein« Pferd». S» ist aber schön, daß ^.ussi dredis auch davon etwas weiß, — es ist ein recht kluges Mädchen." „Aber, wo sind die französischen Pferde denn geblieben?" „Na seht, in Frankreich hat schon Jeder eines von den Fahr zeugen, die von selbst gehen, wie Ihr kürzlich eins gesehen habt." Nachdenklich schauten sie einander an. Ja, das konnte schon wahr sein. Schließlich ersuchten sie mich, ihnen sogleich ein ungarisch-französisches Wörterbuch zu kaufen. „Was wollt Ihr denn damit?" fragte ich. „Wir wollen ^nssi drsbis hereinfallen lassen; denn wir wissen bestimmt, daß es mit ihrem Französisch nicht weit her ist. Und darum wollen wir erst ein Fuder Wörter im Dictionnaire auf suchen und sie ihr dann abfragen; denn wenn wir kein Wörterbuch haben, kann sie natürlich Alle» sagen, was sie will." Das Wörterbuch wurde angeschafft. „Aber nun müßt Ihr auch Euer Möglichstes thun, um ^U8si bredis zu fangen; hört Ihr?" War daS jetzt rin Eifer mit dem Wörterbuch! In ihren Freistunden kam eS kaum noch aus ihrer Hand, sie blätterten und schnüffelten darin, suchten die sonderbarsten Worte aus und bestürmten die arme ^.nssi bredis mit einem Kreuzfeuer von Fragen, aus dem sie sich indeß glücklich zu retten wußte. „Nun, lme steht es mit ^ussi bredis ?" fragte ich wiederholt. „Zweimal haben wir sie beinahe gefangen, aber sie wußte sich immer wieder auszureden. Aber viel weiß sie ganz gewiß nicht." „Na, Ihr müßt sie zu fangen suchen." „Was kriegen wir dann?" „Dann werd« ich ihr Haue geben." „Und dann?" „Dann braucht Ihr nicht mehr zu lernen." „Gut." Und mit erhöhtem Eifer wurde die Jagd fortgesetzt. Schließ lich mußten sie aber einsehen, daß die kleine äussi dreai» sehr viel Worte kannte. Sie spielte auch häufig mit ihnen und infolge dessen begannen die Jungen, sie gern zu haben. Berczi streichelte mich eine» TageS und bat: „Du mußt sie aber nicht hauen, Papa." „Na, meintewegen soll e» also abgemacht sein, daß sie keine Haue bekommt. Aber dennoch glaube ich bestimmt, daß sie zu fangen ist, und wenn auch nicht mit Wörtern, dann doch ganz gewiß mit Regeln und Conjugationen. Wer sie hereinfallen läßt, bekommt ein Rad." Nun versicheiten sie olle Beide, daß sie sie fangen würden, aber dann müßten sie erst eine Grammatik haben, um sich gut vorzubereiten. Ich kaufte ihnen nun eine dicke, in SchweinSleder gebundene Grammatik, und sie haben so lange ihr Möglichst«» gethan, ^vssi dredis zu fangen, bi» die ganze Grammatik au» dem Leim gegangen ist, und nach Verlauf von zehn Monaten war es schwer zu entscheiden, wer am besten Französisch sprach, Xumi drsdis oder meine beiden Rangen.
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