Photographische Mittheilungen No. 414, Maiheft I, 1890. Verein von Freunden der Photographie zu Braunschweig. Sitzung vom 16. April 1890. Reisecamera’s. — Prof. Müller über gerichtliche Photographie und Micro-Photographie mit Blitzlicht. Vorsitzender: Prof. Dr. Max Müller. Der Vorsitzende eröffnet die Sitzung um S’,2 Uhr und theilt mit, dass die Mitgliederzahl jetzt auf 40 gestiegen sei. Es circuliren sodann die Zeit schriften, welche der Verein vorläufig zu halten beschlossen hat: „Photogr. Mittheilungen“, „Photogr. Correspondenz“ und die „Deutsche Photographen- Zeitung“. Die Mittheilung, dass die „Deutsche Photographen-Zeitung“ dem Vereine vom Eigenthümer kostenlos überlassen wird, begrüsst die Versamm lung dankbar. Es wird beschlossen, die Zeitschriften nicht circuliren zu lassen, der Bücherwart (Herr B. Goritz) aber angewiesen, sie jedem Mit- gliede auf Verlangen leihweise auszuhändigen. Damit aber die Mitglieder möglichst schnell den Inhalt der Zeitschriften erfahren, übernehmen es die Herren Dr. Giesel, Dr. Kaempfer und Prof. Müller an jedem Vereins abend darüber kurz zu referiren. Sodann werden von Herrn Urff verschiedene Reise - Cameras, die sich durch elegante und dauerhafte Ausführung bei geringem Preise auszeichnen, vorgeführt und deren zweckmässige Einrichtung erläutert. Ebenfalls lebhaftes Interesse erregt die Vorführung einer französischen Hand-Moment-Camera, die ein als Gast anwesender Herr mitgebracht und von Herrn Dr. Giesel erläutert wird. Prof. Max Müller sprach sodann Uber die Wichtigkeit der Photographie für die forensische Praxis, speciell über die Möglichkeit, Schriftzüge auf photographischem Wege zu entdecken. Er erwähnt die Arbeiten und über raschenden Resultate des Gerichtschemikers Dr. Jeserich in Berlin, der mit Hilfe der Photographie zahlreiche Urkundenfälschungen, die von den zuge zogenen Schriftverständigen nicht erkannt waren, nachgewiesen hat und demonstrirt sodann einen interessanten Fall dieser Art aus seiner eigenen Praxis: Prof. Müller erhielt seitens des Gerichts einen Brief vorgelegt, der vor 20 Jahren von einem noch jetzt intemirten Sträflinge im Zuchthause zu St. Georgen geschrieben war. Auf der zweiten Seite des Briefes waren, muthmaasslich mit einer farblosen oder schwach gefärbten Flüssigkeit, noch etwa 5 Zeilen geschrieben worden, aber die Schrift war nicht zu entziffern. Das Auge erkannte nur eben das Vorhandensein von Schriftzeichen, wenn man das Briefpapier gegen das directe Sonnenlicht hielt und das Licht in bekannter Weise reflectirt zum Auge gelangen liess. Nach Aussage des Staatsanwalts hatte der Gefangene höchst wahrscheinlich Urin zum Schreiben benutzt. Verschiedene Chemiker, denen der quest. Brief schon früher Vor gelegen, waren nicht im Stande gewesen, die Schrift durch Behandeln mit Chemikalien oder dergleichen hervorzurufen. Prof. Müller machte zuerst Versuche mit Urinschrift und fand, dass derartige Schriftzüge ohne Schwierig keit lesbar zu machen sind, wenn man das mit Urin beschriebene Papier so hoch erhitzt, dass die Papierfaser eben sich zu zersetzen und eine lichtgelbe 3