— 9 — der Senior der Germanisten, Professor der deutschen Sprache und Lit eratur in Berlin, des verirrten Kindes an. Unter seiner zielbewussten Führung entstand der erste deutsche Verein für Volkskunde, und in seinem Aufträge gab der Gründer selbst die trefflich geleitete Zeit schrift des Vereins heraus. Der Verein sollte „einen Mittelpunkt der deutschen Forscher und Sammler für das Volksleben und dessen Geschichte bilden und in wetteifernder Arbeit mit den gleichen Be strebungen in den anderen Ländern die Erkenntniss der Vorgänge in dem Seelenleben der Völker und das Wissen von den äusseren und inneren Zuständen fördern, welche im Laufe der Zeit entstanden sind.“ Zu gleich waren in den Eingangsworten der Zeitschrift scharf die Grenzen zwischen Sammler und Forscher gezogen und dadurch dem Dilettantismus Thor und Riegel versperrt. Die Zeitschrift bringt umfangreiches Material und vorzügliche Abhandlungen zugleich. Gleichwohl wird sie nicht in die breiteren Schichten des Volkes dringen, wie auch der Verein nie volkstümlich werden wird, denn ein Jahresbeitrag von 12 Mark ist für den Laien auf dem Gebiet der Volkskunde und den gewöhnlichen Mann viel zu hoch. Sie bringt auch nicht ausschliesslich Stoff zur deutschen Volkskunde, sondern auch zu der anderer germanischer und nicht ger manischer Völker. Dennoch wird sie auch nie auf das Volk direkt ein wirken und dies zum Sammeleifer anspornen können. Ausserdem ist Deutschland auch ein Land, das sich nicht leicht unter eine Hut bringen lässt, zumal nicht, wenn es sich um Volkstümliches und die Mundart handelt, die ja in allen Gauen ein Sondergepräge haben. Ein grösser Verein für deutsche Volkskunde würde jederzeit mit unüberwindlichen Schwierigkeiten zu kämpfen haben. Von diesem Gesichtspunkte geleitet sind denn nun in den letzten Jahren Provinzialvereine für Volkskunde in den verschiedensten Gegenden Deutschlands bereits entstanden oder im Entstehen begriffen: sie finden allgemein im Volke nicht nur freudige Aufnahme, sondern es ist auch zu erwarten, dass sie treffliche Resultate erzielen werden, zumal überall Fachleute an ihrer Spitze stehen, die die geschichtliche Entwicklung des deutschen Volkslebens, der deutschen Volksdichtung, der deutschen Sprache genau kennen. Den Reigen er- öffnete Mecklenburg. Hier nahm sich der Verein für mecklenburgische Geschichte und Altertumskunde der Volkskunde an und beschloss schon im Jahre 1890 eine systematische Sammlung, eine Sammlung mecklenburgischer Volksdichtung und Volksreime. Die Seele des ganzen Unternehmens wurde der Gymnasiallehrer R. Wossidlo, der verschiedene Gegenden seines Heimatslandes bereiste, überall anregte, anfragte, seine Fragebogen an den Mann brachte. Er wurde dabei von der Regierung durch Mittel unterstützt, und bald flössen ihm von allen Seiten wichtige Beiträge zu, wie man sie zum teil nicht geahnt hatte. Vor wenigen Wochen ist der erste Band seines Sammeleifers der Öffentlichkeit über geben worden: eine Sammlung von 1000 volkstümlichen Rätseln, wie wir sie in gleichem Umfange von einem so eng begrenzten Gebiete noch nicht besitzen. Bald finden wir in Deutschland, Österreich und der Schweiz ähnliche Bestrebungen. Entweder nehmen sich schon bestehende Vereine der Volkskunde ihrer Heimat an, oder es entstehen neue Ge sellschaften, die ausschliesslich dem Studium des Volkstums ihre Kraft