j Lesemöbel Emil Carlebach i s 1 Seit ich die Ausstellung gesehen habe, bin ich auf der Suche nach einem Mö- i beischreiner. Ich will mir einen Zusatz zu meinem Lese- (und Fernseh-)Ses- sel anfertigen lassen, wie ihn Karl Friedrich Schinkel für den König von Preußen vor 150 Jahren konstruiert hat. Es bedarf weder königlicher Reichtü- mer noch supergenialer Fähigkeiten dazu: an die hölzerne Armlehne mei nes Ledersessels muß lediglich ein schwenkbares Lesepult angebracht werden, und schon besitze ich auch, I was der König sein eigen nannte. Dieser Sessel war sicherlich nicht das auffälligste Stück der Ausstellung, aber in seiner Zweckmäßigkeit für mich das beeindruckendste, überhaupt muß ich gestehen, daß mir oft die älteren Pro- 1 dukte besser gefielen als vieles Mo derne. Mag man mich als konservativ bezeichnen, aber ich glaube immer noch, daß es bei einem Möbel darauf ankommt, daß es mir nützt und daß es mir auf Dauer gefällt, nicht aber darauf, daß es im Augenblick als etwas „Noch-nie-Dagewesenes" er- | scheint. I Natürlich gibt es auch bei den histo rischen Lesemöbeln Stücke, die mehr ! verwundern als beeindrucken. Der Le se-Spazierstock zum Beispiel: < nem oberen Ende ist ein Lesep i 38 I i 1 gebracht; ich begebe mich also mit Buch und diesem Wunderstock verse hen in die Natur, verhalte an einem beliebigen Ort, ramme mein mit Eisen spitze bewehrtes Lesemöbel in die Erde (Asphalt wäre ungeeignet), zücke mein Buch, lege es in Augenhöhe auf das Pult, vergesse meine Umgebung i- und vertiefe mich in das Gedruckte, an- Ach nein, doch lieber nicht! 3 Kopfschütteln mußte ich aber auch bei einem Produkt aus dem Jahre 1984, das sich „Frontal" nennt und aus Ko penhagen stammt. Man stelle sich einen nach hinten geneigten Autositz mit Kopfstütze vor; der Lesende soll sich nun bäuchlings darauflegen, die Stirn auf die Kopfstütze, und kann dann durch den Zwischenraum zwi schen Rücken- (nein Bauch-)Lehne und Stirnstütze sein Buch lesen. Lesepulte dagegen hat es seit Jahrhun derten viele, in den verschiedensten Arten und Ausführungen gegeben. Es fällt auf, wie viele davon Stehpulte sind. Ob das damit Zusammenhängen mag, daß in vergangenen Jahrhunderten das Buch noch nicht Massen-Konsum- artikel war, sondern vor allem von Ge lehrten benutzt wurde, die immer wie der genötigt waren, den Inhalt mit an deren Werken zu vergleichen, also nach einem anderen Buch zu greifen, dafür im Normalfall aufstehen zu müs sen? Ich weiß es nicht. Aber meine Vermutung wird erhärtet durch die Tat sache, daß damals viele „Leseräder" konstruiert wurden, handgetriebene „Maschinen", die es ermöglichten, mehrere Bücher in eine rotierende Trommel zu packen und mit einem Handgriff, manchmal durch Zahnrad- Antrieb, das jeweils andere Buch vors 4