Schütz’ Madrigale in der zeitgenössischen italienischen Musikkultur Konrad Küster I n der Geschichte des Madrigals nimmt Schütz keine herausragende Stellung ein; auch im Kontext seines CEuvres stehen seine Madrigale eher am Rande. Für die Gattung mag er beinahe wie ein Nachgeborener wirken: Die Sammlung fünfstimmiger Madrigale, die er 1611, gegen Ende seines Unterrichts bei Giovanni Gabrieli, publizierte, scheinen einen zumindest konventionellen, wenn nicht gar anachronistischen Zugriff auf eine Gattung zu zeigen, die aus einem zurückliegenden Jahrhundert stammte 1 ; die polyphone Fünfstimmigkeit dieser Stü cke lässt sich, so scheint es, nur schwer in das italienische Gattungsumfeld einpassen. Ande rerseits ist dies die erste gedruckte Werksammlung eines noch jungen Komponisten, der nicht erst für eine historistische Nachwelt, sondern ebenso schon für seine Umwelt (in Mitteleu ropa) eine Schlüsselposition eingenommen hat, und immer wieder wird die Frage gestellt, wie bzw. weshalb dieses ältere Satzprinzip seine weitere musikalische Entwicklung bestimmt habe. In dieser Spannung wird die Beschäftigung mit diesen Werken primär aus einem Gesamtin teresse an ihrem Komponisten begründet: Weil Schütz sie schrieb, spielen sie sowohl in der Beschäftigung mit seinem Werk als auch in der Erforschung des Madrigals als Gattung eine Rolle. Prinzipiell gilt diese Feststellung auch noch für die meisten der Zugänge, die in der Folge der Leistungen Siegfried Schmalzriedts 2 gewählt worden sind. Mit seiner Edition wurde das Werkkorpus in der Form verfügbar gemacht, die sich seit dem mittleren 20. Jahrhundert für den Umgang mit italienischen Madrigalen als Standard herausgebildet hat, und seine Disser tation war Anstoß für eine verbreiterte Beschäftigung auch mit dem Kontext dieses Madrigal opus: mit der Beziehung zu Giovanni Gabrielis Kompositionspraxis, zu den Madrigalen ande rer Gabrieli-Schüler oder auch im Vergleich mit Einzelkompositionen anderer Musiker. Über weite Strecken wurde diese Diskussion von der Gabrieli- und Schütz-Forschung ausgehend geführt 3 , also sozusagen zentrifugal; für den zentripetalen Zugriff, dass Überlegungen zur Ge schichte des italienischen Madrigals das Schützsche Opus gestreift hätten, blieben die Ansätze 1 Michael Heinemann, Heinrich Schütz und seine Zeit, Laaber 1993, S. 73; oder, als Abschirmung gegen Expe rimentelles ins Positive gewendet, bei Martin Gregor-Dellin, Heinrich Schütz: Sein Heben, sein Werk, seine Zeit, München u. Zürich 1984, S. 70 f. 2 Siegfried Schmalzriedt, Heinrich Schüt'.j und andere zeitgenössische Musiker in der Hehre Giovanni Gabrielis, Neu hausen-Stuttgart 1972 (= Tübinger Beiträge zur Musikwissenschaft 1); ders. (Hrsg.), Heinrich Schütz, Ita lienische Madrigale, ebd. 1984 (= SSA 1). 3 Exemplarisch verwiesen sei auf die Schriften von Denis Arnold (als Zusammenschau: Giovanni Gabrieli and the Music of the Venetian High Renaissance, Oxford u. New York 1979, S. 211—230), auf Paolo Emilio Ca- rapezzas Artikel Schützens Italienische Madrigale: Textwahl und stilistische Beziehungen, in: SJb 1 (1979), S. 44— 62, sowie auf die Beiträge von Carapezza, Schmalzriedt, Wolfram Steinbeck, Heinrich W. Schwab, Hans Eppstein und Jens Peter Jacobsen in: Schütz-Konferenz Kopenhagen 1985, S. 197-267, S. 275-297.