56 Detlev Kranemann Operation und die nach Forkels Angaben plötzlich vorübergehend wieder kehrende Sehfähigkeit erörtert. Aus dem Bach-Porträt Elias Gottlob Hauß- manns gewinnt Ober den Eindruck einer Hochdruckkrankheit und Kurzsich tigkeit, als finale Ursache eine Hirnblutung; als weitere Möglichkeit einen Hirn abszeß mit nachfolgender Sepsis nach der Operation des Auges unter der Vor stellung einer Infektion. Die Frage nach der schmerzhaften Augenkrankheit bleibt für ihn letztlich offen, wenn sie auf die Zeit vor der Operation bezogen wird, wie es bei Forkel heißt: diese Augenschwäche „nahm . . . immer mehr zu, bis endlich eine sehr schmerzhafte Augenkrankheit daraus entstand“. Eine akute Augendruckerhöhung vor der Operation, also ein Glaukom (Grü ner Star), schließt Ober aus; ein solches Ereignis hätte zwar sehr schmerzhaft sein müssen, aber früher zur Blindheit geführt. Dagegen erscheint ihm eine chronische Augendruckerhöhung mit allmählicher Sehminderung möglich, eine solche würde schließlich auch allmählich Schmerzen bereiten. Ober schließt auch nicht eine sogenannte Retinopathie (chronische Netzhauterkran kung) im Zusammenhang mit dem von ihm vermuteten Hochdruck beziehungs weise eine sogenannte Makuladegeneration, also eine Degeneration der Seh sinneszellen an der Stelle ihrer dichtesten Konzentration an der Netzhaut, aus. In diesem Zusammenhang wird eine milde Hirnthrombose 1749 für vage mög lich gehalten. Die bekannte Passage in Taylors Selbstbiographie ,,. . . we found the bottom defective, from a paralytic disorder“ wird von Ober auf die Augen erkrankung Händels bezogen und wäre ein Gegengrund für eine zweite Ope ration gewesen. In seinen „Medizinischen Porträts berühmter Komponisten“ hat Gerhard Böhme 21 alle bisherigen Darlegungen aus dem Umfeld Untersuchungen zur Bachschen Krankheitssymptomatologie zusammengetragen, doch ist auch seine Darstellung in einigen Punkten korrekturbedürftig. So ist die sogenannte Bach- Brille, wie bereits erwähnt, als nicht zur Bach-Zeit gehörig klassifiziert. Zylinder gläser wie bei dieser Brille sind frühestens seit 1813 von dem französischen Optiker Champlant geschliffen worden. Ein Morbus Paget wurde von dem Anatomen His in seinem Bericht an den Rat der Stadt Leipzig nicht benannt. Das Wort Frieselfieber wird im Nekrolog nicht erwähnt, es steht dort wörtlich „hitziges Fieber“ (Frieselfieber ist beispielsweise dem Sterbebericht Mozarts zugeordnet). Nach 27 Jahren ununterbrochener Tätigkeit in Leipzig kann man einen häufigen Arbeitsstellenwechsel nicht als psychosomatisch aktuellen Krankheitsbeitrag zu Bachs hypothetischer Hochdruckkrankheit ansehen. Fer ner erscheint es fraglich, Streitbarkeit als Grundwesenszug von Bachs Charakter anzunehmen. Bachs Auseinandersetzungen mit dem Rat der Stadt Leipzig und dem Rektor Ernesti haben sehr wohl erklärbare sachliche Gründe und sind sicher nicht nur durch den Grundwesenszug einer Streitbarkeit ausgelöst, wel che für sich genommen aus heutiger medizinischer Sicht allein auch keinen Hochdruck erzeugt - schließlich ist die Hochdruckdiagnose selbst hypothetisch. Die Ikonographie dürfte als Grundlage für Krankheitsdiagnosen fragwürdig sein, zumal die Deutungen Besselers längst nicht mehr unbestritten sind. In 21 Bd. 2, Kassel etc. 1987.