62 Detlev Kranemann Dadelsen und Alfred Dürr an. Nach Kobayashi zeigt die seit 1738 sich ver ändernde Handschrift krisenhafte Verschlechterungen. So wird sie „1744-46 steiler und zeigt Spuren eines Zitterkrampfes“. . . in der Spätzeit wird die Schrift immer klobiger und ungelenk“; zwischen August und Oktober 1748 tritt eine rasche Verschlechterung ein, die für eine plötzliche krankheitsbedingte Verschlimmerung sprechen könnte. Ausdrücklich schließt Kobayashi eine Ver schlechterung des Sehvermögens als Ursache aus und begründet diesen Aus schluß glaubhaft. Kobayashi schreibt ferner: . . vielmehr ist die Ursache für die ungelenke Schrift in der Beeinträchtigung der Hand zu suchen, die vermut lich durch eine Krankheit verursacht worden ist“. Er glaubt, daß die Schreib arbeit dem alternden und vermutlich kranken Mann Mühe bereitet habe und denkt an Rheumatismus oder Gicht als eine „für die damalige Zeit vermutlich nicht nennenswerte Alterskrankheit“. Allmählich fortschreitendes Rheuma oder Gicht erklären allerdings nicht die von Kobayashi selbst festgestellten kurzfristigen, gewissermaßen krisenhaft nachweisbaren qualitativen Ver schlechterungen des Schriftniveaus. Gegen chronisches Rheuma oder Gicht spricht auch der von dem Anatomen Wilhelm His mitgeteilte Befund, es seien ,„ . . im Übrigen . . . die sämtlichen Gelenke bis zu den Fingern und Zehen frei und tragen glatte Berührungs flächen“. Wenn also Schriftveränderungen für ein langjähriges Krankheitsbild mit krisen haften Verschlechterungen sprechen, dabei aber Rheumatismus und Gicht nicht in Frage kommen, so drängt sich der Gedanke an eine diabetische Erkrankung geradezu auf, insbesondere, wenn man an die bereits zitierte Darstellung einer ärztlichen Dissertation der Bach-Zeit denkt. Die von Kobayashi beschriebene klobige Schrift, der sich krisenhaft ver schlechternde Schriftduktus sind denkbar bei einem unbehandelten Diabetes als Reaktionen einer Nervenleistungsminderung (Neuropathie) und einer Hirn leistungsveränderung (Encephalose). Sehverschlechterungen als Diabeteskom plikationen fügen sich in dieses Bild ein. Eine vorübergehende Augendruck senkung vor dem finalen, wahrscheinlich zentralen encephalomalacischen In sult (Hirnerweichungsherd) kann eine vorübergehende Sehverbesserung be wirkt haben. Alle diese Vorstellungen sind wie gesagt hypothetisch und kön nen nie sicher bewiesen werden. Es heißt zwar im Lehrbuch der graphologischen Diagnostik von Müller und Enskat, 43 eine Krankheitsdiagnose aus Schriftveränderungen sei nicht möglich, jedoch werden bei Diabetikern Schriftveränderungen beobachtet. Herr Prof. Dr. Bibergeil 44 hat auf schriftliche Anfrage bestätigt, daß solche Schriftveränderungen als Folge vorwiegend wechselnder Unterzuckerung (Hypoglykämie) Vorkommen. Vielleicht liegt hier auch der Schlüssel der unter schiedlichen Schriftbeurteilungen bei Arthur Mendel und Yoshitake Kobayashi: es erscheint denkbar, daß die Schriftschwankungen, die von Kobayashi zu- 43 W. H. Müller und A. Enskat, Graphologische Diagnostik, Berlin und Stuttgart 1973; R. Po- phal, Graphologie und praktischer Arzt, in: Medizinische Klinik 1973, Nr. 39, S. 638. 44 Briefliche Mitteilung von Prof. Dr. H. Bibergeil, Direktor des Diabetikerzentrums Karls- burg.