98 Hermann Sirp Kantaten ohne jeden Choral oder solche, die das Kirchenlied nur als Schlußchoral in stilo semplice verwenden, seien in folgendem „freie Kantaten" genannt. Davon sind zu unterscheiden die „Choralkantaten", Kantaten, denen ein Choral zugrunde gelegt ist. Je nach ihrem Aufbau haben wir inadrigalische (Anfangschor, Mittel: und Schlußsatz, häufig auch nur Anfang und Schluß der Kantate, sind in Dichtung und Musik ein Choral, die übrigen Sätze haben inadrigalische Dichtung), paraphra- siercndc (in enger Anlehnung an Len Choraltext wird eine neue Dichtung geschaffen, die Musik greift dementsprechend nur bei textlichen Neminis: cenzcn auf die Choralmelodie zurück), strenge (der gesamte Text ist origi: nales Kirchenlied, die Musik ist teils frei, teils Choralmelodie) oder Choral: kantaten per omnes versus (die gesamte Kantate ist in Text und Melodie ein Kirchenlied). Verknüpfung von Kantatensatzen mit freier Motivik. Es ist bekannt, daß in einer Reihe der freien Kantaten Bachs die formale Geschlossenheit in hohem Maße mitbedingt ist durch das Bestehen einer Beziehung zwischen nicht aufeinander folgenden Sätzen, durch eine Art Rahmenbildung. In Kantate 30 „Freue dich, erlöste Schar" (Bd. 5i, S. 323) greift Bach zum Schluß (S. 378) auf den Anfangschor zurück. In Kantate 142 „Uns ist ein Kind geboren" (Bd. 30) haben wir das gleiche Verfahren, die 2. Arie (S. 36) wird auf einen ähnlichen Text nach dem Rezitativ wiederholt (S. 38). In anderen Kantaten werden Teile eines Satzes in einen anderen über nommen. So erscheint z. B. in der Kreuzstabkantate (Nr. 56, Bd. 12^ der Schluß der 1. Arie (S. 96) wieder als Abschluß des letzten Rezita tivs (S. 103). In der Kantate 158 „Der Friede sei mit dir" (Bd. 32) greift das Schluß-Arioso (S. 153) auf die vorhergehende Arie (S. 151) textlich und musikalisch zurück, um jedoch später abzuweichen. Daß Bach auch freie Sätze motivisch miteinander verknüpft, ohne daß ein Choral dabei eine Rolle spielt, mögen einige Beispiele beweisen, die auf Vollständigkeit keinen Anspruch machen. I. B. erscheinen in Kantate 160 „Ich weiß, daß mein Erlöser lebt" (Bd. 32, S. 171) der Anfang von Satz 1: