78 Christoph Wolff ursprünglichen Sinngehalts führte 33 . So diente er in der Bach-Zeit fast aus schließlich zur Bezeichnung von besonders streng gehaltenen und kunstvoll polyphon gearbeiteten Fugen. Dies erklärt sich aus der Tradition des Imi- tationsricercars im 16. und 17. Jahrhundert, die mit Namen wie Willaert, Palestrina, Gabrieli, Häßler, Frescobaldi, Froberger und anderen verbun den ist. Die von Eggebrecht 34 in diesem Zusammenhang zitierte, für das Verständnis des 18. Jahrhunderts bezeichnende Definition von Ricercata oder Kunstfuge bei Heinrich Christoph Koch 35 findet sich bereits in präziserer Fassung bei Friedrich Wilhelm Marpurg 36 , dem Herausgeber der zweiten Originalausgabe der Bachschen Kunst der Fuge (1752). Er schreibt im Ver lauf seiner Behandlung der strengen Fuge: Wenn eine solche strenge Fuge weitläufig ausgearbeitet wird, und noch allerhand andere Kunststücke, wozu die vielerlei übrigen Gattungen der Nachahmung, des doppelten Contrapuncts, des Canons und der Tonwechselung Gelegenheit geben, damit vergesell schaftet werden: so nennet man ein solches Stück alsdenn mit einem italienischen Nahmen ein Ricercare oder eine Ricercata, eine Kunstfuge, eine Meisterfuge. Neben dieser vorherrschenden Bedeutung von „Ricercar“ gibt es jedoch im 18. Jahrhundert noch einen anderen Sprachgebrauch dieses Terminus, wie man insbesondere an den damals verbreiteten Lexika von Sebastien de Brossard 37 und Johann Gottfried Walther 38 sehen kann. Man deutete Ricer car als Suchen derHarmonischenGänge oder Entwürjje und knüpfte damit an die ursprüngliche Bedeutung von ,,ricercare= suchen des Tones o. ä.“ an, was dann später auch „suchen der Motive“ bedeuten konnte 39 . Um seiner besonderen Wichtigkeit willen betrachten wir nun in einem nur wenig gekürzten Auszug den betreffenden Artikel aus dem Waltherschen Lexikon, das hinsichtlich der terminologischen Partien das bedeutendste Werk seiner Art in der Bach-Zeit war: Ricercare, pl. Ricercari (ital.) dieses Wort brauchet so wohl Galilei ... als Penna . . . Joh. Krieger . . . und Praetorius ... als ein Substantivum, und diese letztem beyde 33 Diesem Prozeß sind — wie Eggebrechts Untersuchungen nachweisen — sogenannte „Bezeichnungsfragmente“ wie „Ricercar“ (von „ricercare“) in besonderer Weise ausgeliefert. Vgl. Studien %ur musikalischen Terminologie, S. noff. 34 Terminus „Ricercar“, S. 145. 35 Musikalisches, Texikon, Frankfurt a. M. 1802 (Faksimile-Neudruck Flildesheim 1964). 36 Abhandlung von der Fuge, Berlin 1753, S. 19h 37 Dictionnaire de Musique, Paris 1703 (Faksimile-Neudruck Amsterdam 1964). 38 Musicalisches Rexicon. 39 In ähnlicher Weise wie bei Brossard und Walther wird der Terminus „Ricercar“ auch von anderen Autoren gedeutet: M. Mersenne, Harmonie universelle, Band II, Paris 1636; J.-J. Rousseau, Dictionnaire de musique, Paris 1767; J. Stainer-W. A. Barret, Dictionary of Musical Terms, London 1889. Auch in verschiedenen Kompositionen fantasie- oder präludienartigen Charakters aus späterer Zeit kommt die Benennung „Ricercar“ in dieser Bedeutung vor, so etwa bei Georg Christoph Wagenseil (1715—1777). Vgl. H. H. Eggebrecht, Terminus „Ricercar“, S. 145 fr.