126 Joshua Rifkin müßen) wenigstens eine 2 Chörigte Motette gesungen werden kan.“ 12 In wieweit ihm die angestrebte Erweiterung tatsächlich gelang, wird uns noch beschäftigen; wie jedoch aus seiner Begründung deutlich wird, ging auch er von einer Einzelbesetzung der Motette aus. 13 Freilich blieben bei der Aufführung einer Motette die Worte „sich dergestalt vor [die Pulte] stellen, damit ein ieder den aufgelegten Text sehen, und keiner den andern im Singen hindern möge“, nicht ganz einsichtig. Vergegenwärtigt man sich, daß die einzelnen Stimmbücher des Florilegium Portense nur eine Größe von 19 x 16 cm haben, so konnte es da, wo zwei oder drei Bände neben einander auf einem Pult lagen, auch bei einer Besetzung mit einem Sänger pro Stimme, eng werden. Was auch immer der Satz aber meint, er bietet keinen Anlaß zu der Annahme, bei einer Kantatenaufführung habe mehr als ein Sänger aus einem Stimmblatt musiziert. Auch zwei weitere Punkte bedürfen des Kommentars. Bei der Vorschrift „Nach geendigtem Gesang mögen zwar der Prcecentor mit denen, welche den Baß und Tenor singen, vornen am Geländer stehen bleiben“, bezieht sich der Begriff „Gesang“ kaum auf die Kantate, sondern vielmehr auf das kurz zuvor erwähnte „Kirchen-Lied“. 14 Eindeutig wird dies im weiteren Verlauf desselben Satzes, wo die Sänger nach der Predigt „wieder zum Gesang an die Pulten treten“. Bezeichnenderweise spricht die lateinische Ordnung von 1634 an entsprechender Stelle von „Germanicam cantionem“; auch in Bachs Notizen zum Gottesdienst steht, „(12) Nach der Predigt, wie gewöhnlich einige Verse aus einem Liede gesungen.“ 15 Aller Wahrscheinlichkeit nach haben also die Schüler, „welche den Baß und Tenor singen“, das Credo - und zwar in einstim migem Choralgesang - vorgetragen, wie es bei Bach unter Nr. 10 steht. Sollte diese Deutung zutreffen, dann würde die Regelung sogar besagen, daß Altisten und Discantisten während der Kantate sitzenblieben. 12 Dok I, S. 60; vgl. auch Siegele (wie Fußnote 1), S. 320f„ sowie J. Rifkin, Bachs Chor - ein vorläufiger Bericht, in: Basler Jahrbuch für historische Musikpraxis 9 (1985), S. 141-155, hier S. 149. 13 Zur Frage, ob Bach mit einer für „noch beßer" (Dok 1, S. 60) gehaltenen Erweite rung auf sechzehn Sänger auch eine Doppelbesetzung der Motette im Sinne gehabt hätte, vgl. Rifkin (wie Fußnote 12), S. 149, sowie ders. (wie Fußnote 1), S. 21 f. 14 Zwar scheint der Leipziger Rat bei der Gewährung des Gnadenhalbjahrs für Anna Magdalena Bach die Wendung „Kirchen-Lieder“ auf Bachs Choralkantaten bezogen zu haben; vgl. Dok II, S. 485 (Nr. 621). Doch einerseits steht nicht fest, daß der Rat bereits genaueres über die so bezeichneten Musikalien wußte, und andererseits dürfte der Ausdruck nichts mehr als eine Art Kürzel für „Kantaten über Kirchen lieder“ darstellen - was die Mehrzahl der Bachschen Kantaten kaum umfaßt. Wei tere Belege für die Verwendung des Begriffs „Kirchenlieder“ im Sinne von Kantaten liegen mir nicht vor. 15 Dok I,S. 248.