Figuralaufführungen in der Leipziger Johanniskirche zur Zeit Johann Sebastian Bachs « Von Andreas Glöckner (Leipzig) In einer Stellungnahme an den Leipziger Rat bemerkt der Thomasschulvor steher Christian Ludwig Stieglitz, daß der Kantor Johann Sebastian Bach „Zu Bestellung des GottesDienstes was das Singen anbelanget in allen 5. Kirchen 44 Knaben nöthig habe". 1 2 In einer beigefügten eigenhändigen Choraufstellung nennt Bach drei Kantoreien zu jeweils 12 Sängern, die in den Leipziger Stadt kirchen St. Nikolai, St. Thomas und in der Neukirche in den Gottesdiensten an Sonn- und Festtagen zu singen haben. Zu einer vierten Kantorei von lediglich 8 Sängern bemerkt Bach: „Und dieses letztere Chor muß auch die Petri Kirche besorgen etc.“.- Die von Stieglitz erwähnte fünfte Kirche fehlt in Bachs Aufstellung. Sofern dem Thomasschulvorsteher diesbezüglich kein Irrtum unterlief, stellt sich die Frage, welches Gotteshaus gemeint ist. Die Univer sitätskirche St. Pauli kommt nicht in Frage, denn die Thomasschüler durften dort seit November 1710 in den Gottesdiensten an Sonn- und Festtagen nicht mehr singen. Dies war Johann Kuhnau vom Leipziger Rat ausdrücklich unter sagt worden. 3 Nur bei den „Academischen Orationibus“ (den feierlichen Rede akten) konnten die Thomasschüler mit der Aufführung von Motetten auch weiterhin noch mitwirken. Seit der am 3. April 1723 erfolgten Ernennung Johann Gottlieb Gömers zum Akademischen Musikdirektor war der Thomas kantor fortan nur noch für die Figuralmusik im sogenannten „Alten Gottes dienst“, also an den drei hohen Festtagen im Kirchenjahr, am 1. Weihnachts- 1 Stadtarchiv Leipzig. Stift VIII. B. 2d, fol. 516r+v; wiedergegeben in Dok II, Nr. 262. Das Schreiben vom 18. Mai 1729 bezieht sich auf die Neuaufnahme von Alumnen- an wärtem. 2 Dok I. Nr. 180. Der Bürgermeister Georg Winkler hatte Johann Kuhnau sogleich nach dem Refor mationsfest 1710 wissen lassen, „daß E. HochEdler und Hochweiser Rath nicht ge sonnen wäre die Schüler außer zur Music zu denen Academischen Orationibus und andern Solennien ohne vorhergehende Begrüßung folgen zu laßen.“ Kuhnau hatte sich nach eigener Aussage fortan strikt an dieses Verbot gehalten und an Sonn- und Festtagen die Schüler nicht mehr zur Figuralmusik in der Universitätskirche hinzu gezogen. Stadtarchiv Leipzig, Tit. VII. C 24 (Acta die hiesige Paulinerkirche betr.), fol.113r— 115r. Erstmals wiedergegeben bei A. Schering, Ein MemoriaI Job. Kuh- naus, in: Zeitschrift für Musikwissenschaft 4 (1921/22), S. 612-614. Siehe auch A. Glöckner. Johann Sebastian Bach und die Universität Leipzig - Neue Quellen (Teil I). BJ 2008, S. 159-201, speziell S. 170-172.