J. S. Bach - Orgelsachverständiger unter dem Einfluß Andreas Werckmeisters? Von Peter Williams (Edinburgh) I Carl Philipp Emanuel Bachs Bild seines Vaters als eines Mannes, der weit gehend Autodidakt war, durch fleißiges Beobachten gelernt hatte, praktische wie theoretische Interessen besaß, ohne sich jedoch leeren Spekulationen hin zugeben, und der schöpferische und selbständige Wege ging - dieses Bild ver rät sich besonders deutlich in Bemerkungen über die Kenntnisse seines Vaters im Orgelbau. Auf diesem Gebiet kann C. Ph. E. Bach als unverdächtiger Zeuge gelten, denn hier konnte er kaum ein Interesse daran haben, sein Anrecht auf „apostolische Sukzession in der deutschen Musik“ geltend zu machen. 1 Für ihn gehörten die Kenntnisse seines Vaters auf orgelbautechnischem Gebiet zu des sen organistischen Fähigkeiten wie auch zu dessen tieferem Verständnis für die musikalischen Wissenschaften im allgemeinen. Er verstund . . . die Art die Orgeln zu handhaben, die Stimmen derselben auf das geschick teste mit einander zu vereinigen, und jede Stimme, nach ihrer Eigenschaft hören zu lassen, in der größten Vollkommenheit . . . Niemand konnte besser, als er. Dispositionen zu neuen Orgeln angeben, und beurtheilen. Das Registriren bey den Orgeln wüste niemand so gut, wie er. Oft erschracken die Orga nisten, wenn er auf ihren Orgeln spielen wollte, u. nach seiner Art die Register anzog, in dem sie glaubten es könnte unmöglich so, wie er wollte, gut klingen, hörten aber hernach einen Effect, worüber sie erstaunten. Diese Wißenschaften sind mit ihm abgestorben. ... er kannte auch den Bau der Orgeln aus dem Grunde . . . Aller dieser Orgelwissenschaft ungeachtet, hat es ihm, wie er oftmals zu bedauren pflegte, doch nie so gut werden können, eine recht grosse und recht schöne Orgel zu seinem beständigen Gebrauche gegenwärtig zu haben. Noch nie hat jemand so scharf u. doch dabey aufrichtig Orgelproben übernommen. Den ganzen Orgelbau verstand er im höchsten Grade. Durch die Aufführung sehr vieler starcken Musiken . . . ohne systematisches Studiren der Phonurgie hat er das arrangement des Orchesters kennen gelernt. Diese Erfahrung, nebst einer natürlichen guten Kenntniß der Bauart, in wie ferne sie dem Klange nützlich ist, wozu seine besonderen Einsichten in die guten Anlagen einer Orgel, Eintheilung der Re gister und Placierung derselben ebenfals das Ihrige beygetragen haben, hat er gut zu nut zen gewußt. 2 Verschiedene Themen - die Kunst des Registrierens, der Sinn für praktische Akustik (als ob das etwas Neues für Komponisten vor dem Zeitalter der Auf- 1 lärung gewesen wäre!), die implizierte Einzigartigkeit des Sachverstandes von Joh. Seb. Bach - verdienen eine ausführlichere Behandlung an anderer Stelle, 3 1 Wie beispielsweise im Versuch über die wahre Art das Clavier zn spielen, Teil i, Ber lin 1753, S. 17, sowie im Nekrolog; vgl. Dok III, S. 23 u. 88. 2 Zitate nach dem Nekrolog sowie C. Ph. E. Bachs Brief an J. N. Forkel Ende 1774; vgl. Dok III, S. 88, 284 u. 288 f. 5 In The Organ Music of J. S. Bach, Cambridge 1980 ff., Vol. 3 (in Vorbereitung), hoffe ich darauf zurückzukommen. ?E 5546