Notenformen und Nachtraasstimmen 215 III. Auf eine passendere Einordnung der Stimmen scheint BWV 210 hinzu weisen. Wie Abbildung 3 zeigt, lassen die ersten zwei Akkoladen auf S. 13 der Kom binationsstimme la Voce I e I Basso per il Cembalo die Tendenz erkennen, den Hals nicht mehr zur linken Seite, sondern in der Mitte des Notenkopfes an zusetzen. 43 Der Verdacht, es könnte sich dabei um die Vorausnahme einer neuen Entwicklungsphase handeln, erhärtet sich, wenn wir über die bereits besprochenen Handschriften hinaus den Orgelchoral „Allein Gott in der Höh sei Ehr" BWV 664 heranziehen, mit dem Bach die in P 271 niedergeschrie bene Reihe fortsetzte. 44 Wie aus Abbildung 4a ersichtlich wird, entspricht gleich die erste abwärts kaudierte Halbenote ziemlich genau der letzten Halben in Abbildung 1. Eine Konzentration derartiger Notenformen findet sich, wie Abbildung 4b zeigt, in T. 17-29: in T. 57 weist die Halbenote, wenn auch oberhalb des Systems, die gleiche stark gestreckte Gestalt auf wie in T. 6 des ersten Satzes von BWV 68. und in T. 91 nimmt die Ganzenote die spitze Halb mondform an. 45 Auch die letzte Eintragung Bachs in P 271. die Canonischen Veränderungen über „Vom Himmel hoch" BWV 769, weist eine deutliche, wenngleich nicht in jeder Hinsicht ebenso große Ähnlichkeit mit BWV 68 und 76 auf. 46 Eine zeitliche Verbindung zwischen wenigstens BWV 664 und den beiden Kantatenstimmen scheint gegeben. Damit stellt sich die Frage nach der Datierung von BWV 664 und 769. Be züglich BWV 769 kann wohl der Nachweis genügen, daß seit den jüngsten Forschungen von Gregory Butler kein Grund mehr besteht, die Niederschrift 1 Die gleiche Tendenz läßt sich auch an einigen weiteren Stellen, wiewohl weniger stark ausgeprägt, spüren: Satz 7, T. 11, 19 und 21, sowie Satz 10. T. 22, 28 und 34. Es fällt zudem auf. daß die einzige Halbenote im Wohltemperierten Clavier II, die sowohl in der Halsung als auch in der Gestalt des Notenkopfes dem Schriftbefund von BWV 68 und 76 entspricht (BWV 870/1, T. 4; vgl. unten, Fußnote 56), zur spätesten Schicht der Niederschrift gehört. 44 Den Hinweis auf diese Niederschrift, die ich bei der ersten Durchsicht von P 271 übersehen hatte, verdanke ich Peter Wollny, der mir freundlicherweise auch Kopien einiger nicht leicht zugänglicher Quellen zur Verfügung stellte. 4 ' Auch im Schlußtakt zeigen die beiden untersten Ganzenoten eine verwandte Gestalt; in der Oberstimme dieses Takts wie auch in T. 92 f. und 94 sehen die Ganzenoten rund aus. 46 Vgl. etwa Variatio 1 (Zählung nach der Druckfassung; die Handschrift bringt die Variationen in der Reihenfolge 1, 2, 5. 3, 4), T. 8; Variatio 2. T. 5f„ 10f., 13-16 und 20: Variatio 5. T. 7; Variatio 3. Schlußtakt: Variatio 4. T. 5f„ 26-29 und 37. Die einzige zwischen BWV 664 und 769 liegende autographe Niederschrift, die erste Bearbeitung von „Jesus Christus, unser Heiland" (BWV 665), weist nur ovale Ganze- und Halbenoten auf, letztere mit Halsansatz wie ab BWV 212 üblich in der Mitte des Notenkopfes.