"Texte zur Music" in Sankt Petersburg : neue Quellen zur Leipziger Musikgeschichte sowie zur Kompositions- und Aufführungstätigkeit Johann Sebastian Bachs
58 Tatjana Schabalina handelt haben, wäre denkbar, daß Bach die „Köthener Stimmen“ genau zu diesem Zweck anfertigen ließ (er hätte dann das Material aus Köthen an Kuhnau geschickt). In diesem Fall wäre zu erwägen, ob auch die am zweiten Pfingsttag dargebotene Franck-Vertonung von Bach vermittelt wurde oder ob es sich vielleicht sogar um eine - heute verschollene - Bach-Kantate aus der Weimarer Zeit handelte. Alternativ ist auch mit der Möglichkeit zu rechnen, daß die Texte von Kuhnau selbst vertont wurden: allerdings ist in seinem heute nachweisbaren Oeuvre kein Werk mit entsprechendem Text zu finden. Ebenfalls nicht zu klären ist die Frage, ob das am Trinitatisfest aufgeführte Symbolum Nicenum eine Komposition Kuhnaus war. Im zweiten Heft stammt der Text für das Himmelfahrtsfest („Gott führet auf mit Jauchzen“) aus Johann Jacob Rambachs Geistlichen Poesien (Halle 1720); das bei Rambach vorgesehene zweite Dictum vor dem Schlußchoral („Wenn ich erhöhet werde“) enthel in der Leipziger Fassung und statt des ursprüng lichen Schlußchorals („Zeuch uns nach dir, so lauffen wir") findet sich die Liedstrophe „Weil du vom Tod erstanden bist“. Der Text der Kantate zum zweiten Pfingsttag, „Sei Herr Jesu, sei gepreist“. ist eine Dichtung von Erd mann Neumeister (Neumeister II, hier zum Sonntag Cantate), allerdings mit einigen tiefgreifenden Änderungen: Es fehlt das Tutti „Der Heilge Geist ist uns gegeben“, stattdessen sind zwei neue Sätze hinzugefügt worden. Der Text zum Trinitatisfest, „Wir sollen selig werden“, stammt wieder von Neumeister (Neu meister IV, Trinitatis), jedoch wurden hier die Sätze „Ich glaube dies“ sowie „Und drei sind“ ausgelassen. Das umfangreiche dritte Heft enthält - soweit derzeit zu bestimmen - weit gehend unbekannte Texte; lediglich zum Sonntag nach Neujahr findet sich eine Dichtung Neumeisters (Neumeister III, 2. Weihnachtstag). 15.8.7.158 Unter dieser Signatur wird der Text zur Passionsaufführung in der Thomas kirche am Karfreitag des Jahres 1756 aufbewahrt. Auf der Rückseite des Titel blattes findet sich der Vermerk: „Die Poesie ist von C. F. E. I Die Musik von J. F. D.“ Offensichtlich handelt es sich hier um eine Komposition von Johann Friedrich Doles (1715-1797). Schüler und zweiter Nachfolger Bachs als Thomaskantor. Doles trat sein Leipziger Amt am 30. Januar 1756 an; seine erste große Musikdarbietung betraf die Passion in der Karfreitagsvesper. Doles hatte hierzu den ambitionierten Plan gefaßt, ein neues großes Oratorium zu komponieren, doch gab es unvermutet Probleme mit dem Librettisten. Johann Friedrich Freiherr von Cronegk (1731-1758), ein junger Dichter und Schüler von Christian Fürchtegott Gellen, den Doles mit der Abfassung des Texts be auftragt hatte, konnte nicht rechtzeitig liefern. 14 Bisher konnte lediglich ver- 34 Ein Brief Gellerts an Cronegk vom 25. Februar 1756. in dem es um die versprochene Passionsmusik geht, ist erhalten geblieben: „Sie haben mir von einer Passion gesagt,