"Texte zur Music" in Sankt Petersburg : neue Quellen zur Leipziger Musikgeschichte sowie zur Kompositions- und Aufführungstätigkeit Johann Sebastian Bachs
„Texte zur Music“ in Sankt Petersburg 59 mutet werden, daß Doles notgedrungen auf einen älteren Text oder auf ein früheres Werk zurückgriff. 35 Nähere Einzelheiten waren indes nicht bekannt. Dank des neuaufgefundenen Hefts stellt sich nun heraus, daß Doles für seine Passion von 1756 einen Text des Freiberger Dichters Christian Friedrich Enderlein (ca. 1711-1786) benutzte. 36 Aufgrund der biographischen Kon stellation darf angenommen werden, daß Doles seine Vertonung bereits in Freiberg geschaffen hatte. 37 Dank des neu aufgefundenen Hefts ist nun ge sichert, daß die Passionsmusik „Wer ist der, so von Edom kömmt" nach einer Dichtung von Enderlein das erste von Doles in seinem Amt als Thomaskantor aufgeführte Passionsoratorium war. Angesichts des Verlusts der musikalischen Handschriften stellt der aufgefundene Text eine zentrale Quelle dar. Das For mat des Hefts beträgt 18,5 x 11,5 cm, der Umfang 16 Seiten. Die Incipits der Sätze lauten: Erster Theil. Wer ist der, so von Edom kommt (Jes. 63, 1) Choral: Es ist der HErr Christ, unser GOtt Recit.: Dort zeigt der Heiland sich Arie: Du bist der Quell der Ewigkeit Choral: Ach Sünd, du schädlichs Schlangengift! [Evang.]: Da sprach JEsus zu ihnen: Meine Seele ist betrübt bis in den Tod (Matth. 26. 38. 39) Recit.: So hat bey naher Pein Arioso: Du. HErr. bist aus der Angst gerissen die Sie gemacht. Der Cantor Doles, itziger Cantor an der Thomasschule, ein ge schickter Componist, wie Sie wissen, wünschet eine zu haben, aber bald. Erweisen Sie der Religion die Ehre und schicken Sie Ihr Manuscript, so bald als es möglich ist, an mich oder an ihn" (zitiert nach H. Banning, Johann Friedrich Doles. Leben und Werke. Leipzig 1939, S. 57). Wie jedoch aus der folgenden Korrespondenz ersicht lich ist, konnte Cronegk diesen Text bis zum Karfreitag des Jahres 1756 nicht fertigstellen. 35 Ebenda, S. 56 f. 36 Der blinde Dichter C. F. Enderlein lebte in Freiberg (ebenda, S. 27), wo er mit Doles während dessen dortiger Zeit (1744-1755) gut bekannt war. Enderlein hat auch das italienische Libretto von J. A. Hasses „I Pellegrini al Sepolcro“ für Doles ins Deutsche übersetzt (diese Fassung wurde unter Doles’ Leitung auch in Leipzig aufgeführt; siehe U. Leisinger. Hasses ..I Pellegrini al Sepolcro“ als Leipziger Passionsmusik, in: LBzBF 1. S. 71-85). Anscheinend befanden sich die autographe Partitur und ein vollständiger Stimmen satz des Werks bis gegen Ende des Zweiten Weltkriegs in der Bibliothek der Thomas schule zu Leipzig (Signaturen: A 94 und A 77); siehe Banning (wie Fußnote 34), S. 251. Leider teilt Banning nur den Anfang des ersten Satzes mit; es ist aber sehr wahrscheinlich, daß sich seine Angaben auf das nun zumindest textlich vollständig dokumentierte Werk beziehen.