Die endgültige Form der dramatischen Gestaltung erwächst erst im Aufbau der Farbe unmittelbar auf der Leinewand, und das gibt den Gemälden bei aller Klarheit undUnverrückbarkeit des F ormen- aufbaues die Frische und den Reichtum, das völlig Freie und Erst malige ihres Daseins. So neu Noldes graphisches Werk in seiner Gesamtheit und Platte für Platte, Stein für Stein betrachtet gegenüber der ganzen Pro duktion des mit dem Beginn des Jahrhunderts in die Breite ver laufenden Impressionismus ist — auf diesem Gebiet mag man doch manches im Stil, vielleicht auch im Geist verwandtes unter den Schöpfungen der gleichgerichteten Künstlergeneration finden, die ihn umgibt und ihm folgt. In der Farbe aber steht Nolde auf einer ganz einsamen Höhe, und das hebt auch die farbigen Lithographien des glücklichen Alsener Sommers 1913 aus der graphischen Gesamt kunst der Zeit heraus. Sie gaben dem Künstler durch die technische Möglichkeit immer neuer Farbeneinreibungen des gleichen Steines die Mittel an die Hand, die unendliche Reihe der Stimmungsver schiedenheiten zu erproben, deren ein Grundmotiv bei wechselnder Farbe fähig ist. Mit seiner Form der Farbe hat Nolde einen nur ihm eigenen Grad derVergeistigungdesStoffes erreicht. Hier liegtseineentscheidende künstlerische Bedeutung. Edvard Munch darf auch als Vorläufer kaum ernstlich genannt werden. Er hat den Ring des „Jugendstils“, jener merkwürdigen, in die Entfaltung des impressionistischen Stils nicht ganz organisch eingeschalteten Phase eines Vorexpressionismus, dem überall ein Erdenrest literarischer Wirkungsabsicht anhängt, nie ganz frei durchbrochen. Van Gogh hat tief in die sich öffnenden neuen Möglichkeiten hineingeb lickt,als erdiebedeutsamenWorteschrieb: „Farbe sagt etwas durch sich selbst, das darf man nicht übersehen, das muß man ausnutzen“ — aber wie schon diese Fassung, mehr noch die berühmte Schilderung jenes Künstlerporträts, in das er alle Liebe, die er für den Menschen empfand, hineinmalen wollte,