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Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 21.09.1888
- Erscheinungsdatum
- 1888-09-21
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-188809210
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-18880921
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-18880921
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1888
- Monat1888-09
- Tag1888-09-21
- Monat1888-09
- Jahr1888
- Titel
- Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 21.09.1888
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Zweite Gcilage zum Leipziger Tageblatt und Anzeiger. r«5. Freitag den 21. September 1888. 82. Jahrgang. Der gute Doctor. Erzählung von I. Isenbeck. Nachdrn« ,«rd»r«n. (Fortsetzung.) VII. Lapitel. Als Gronau an einem der nächsten Tage in daS Hau» der Gräfin Wols-eck kam. trat ihm Friedrich mir Thränen in den Auge» entgegen. Da- ganze Aeußere de- weißhaarige» Diener- war verändert; vie sonst taveUose weiße Halsbinde war zerknüllt, dle Knöpfe der LivrSe halten ihren Glanz ver« loren, ver alte Manu, Ver sonst vie Sorgfalt eine- Stutzer» aus feinen Anzug verwendete, schien sein Haar nicht einmal geordnet zu haben. „O, Va- Elend, der Jammer!" klagte der Grei», ohne den Maler in seiner gewöhnlichen, vertraulick höflichen Art zu dearUßen. „Aber ich Hab'- gewußt, daß e- so kommen wlirde!" „Wa- ist denn geschehen?" fragte Gronau. „Ist die Frau Gräfin krank?" „3a, schwer krank! Ich glaube nickt» daß sie e» diesmal übersteht. Du mein blutiger Heiland! Wenn die Gräfin stirbt, da» überlebe ick nicht!" „Ist denn der Arzt geholt? Haben Sie den Toclor Dillen rufen lasten?" „Der Herr Dcclor ist oben bei der Frau Gräfin", er» Widerte Friedrick. „Die Frau Gräfin haben e» zwar immer aus da» Strengste verboten, daß je ein Arzt gerufen werben sollte. Ader in der letzten Nackt habe ich dock gegen den Befehl gehandelt, zum ersten Mal. so lange ick in gräflichen Diensten bin, Herr Gronau. Nock weiß die Gnädige nickl» davon, steif und starr liegt sic noch immer da, wie eine schon Tobte!" „Geben Sie noch nickt alle Hoffnungen auf", tröstete Gronau. „Der Doktor Willen ist ein geschickter Arzt, der schon Wundercure» verrichtet bat. Ick möchte koch hinaus gehen, wenn ick auch zum Arbeiten nickt kommen werde. Viel> leickt kann ick den Doclor aus kurze Zeit sprechen." Friedrich nickte nur und ließ den Maler allein die Treppe hmoussteigen. In dem rothen Salon kam der Doctor seinem Freunde schon entgegen uud schnitt jede Frage Mit einer mahueubea Handbeweaung ab. „Die Gräfin schläft jetzt", flüsterte er. „ES bängt Alle» davon ab. baß sie nickt gestört wird und möglichst lange schläft!" „Also hast Du Aussichten aus Besserung?" fragte Gronau ebenso leise. Der Doctor zuckt« die Achseln. »Der Fall ist ebenso complicirt als interessant. Zweifellos stehen wir vor einer beginnenden gefährlichen Nervenkrankheit!" Willen zog den Maler in eine der Fensternischen und erzählte dort weiter: »Heute Morgen um drei Uhr kam ein Bote und holte mick bierder. Der alte Diener batte seine Herrin odnmächtig im Garten gefunden. Seit gestern Abend gegen zwölf ist die -ranke dort spazieren gegangen. So soll sie " schon seit Wochen die Nächte zugebracht Haben, immer jammernd ober singend. Da haben wir die Aufklärung der Spukgeschichten, die in Maiscld cursireu. — Zum Bewußtsein ist die Gräfin seitdem noch nicht wieder gekommen. Stundenlang hat der Starrkrampf, in den die Ohnmacht überging, angehalten. Run heißt r» abwartcn und für strengste Vermeidung jeder Störung sorgen!" „Still und ruhig ist e« doch hier!" warf Gronau rin. „Ja, ganz wie in einem Trappistenkloster". erwiderte Willen. „Die Gräfin scheint auck ihre ganze Lebensweise «ach den Regel» eines solchen Ordens eingerichtet zu haben. Haarsträubend, sage ich Dir, ist daS, wa» ich gehört und gesehen babe — rein systematisch hat die Frau e» daraus an» gelegt, ihren Körper zu Grunde zu richten, schon seit Jahren hat sie stündlich ein Stück Selbstmord begangen. Kann sie von diesem Wahnsinn nicht geheilt wcrden. so bleibt auch Alles nutzlos. waS ich thue, um die Krankheit zu bekämpfen. Zuerst muß für eine pflegende weibliche Hand gesorgt werden. Die alte Wirthschaftenn mag bei ihren Kochtöpfen ganz gut fein, aber an ein Krankenbett paßt sie nicht, nebenbei muß sie sich selbst noch schonen. Ich warte aus Marie, die kann hier bleiben — durch die Uebung in der Pflege der Wiltwe Müller ist sie geschickt und zuverlässig geworden wie eine Diakonissin!" „Du willst Marie hierher kommen lassen?" fragte Gronau erstaunt. „Hast Du denn ganz vergessen, wie Du Dick früher über die Gräfin in Bezug aus Marie geäußert bast?" „Ach was, jetzt ist die Frau krank! In ganz Maiseld finde ich Niemand als Marie, dem ich die Gräfin anvertrauen kann. Tag und Nacht kann ich dock nicht selbst hier sein. Andere Leute warten auch noch aus mich!" Ohne zu antworten, trat Kronau an die Staffele!. „Du willst malen?" fragte Willen. „Ja", versetzte Gronau, nach Pinsel und Palette greifend „und eine Störung von mir hast Du nicht zu helllichten Ich verhalte mich ruhig bei meiner Arbeit!" Willen hatte den Salon verlassen. Gronau arbeitete eine Weile fleißig an seinem Gemälde, mit unverkennbarer Er Wartung sah er dabei aber immer wieder durch das Hobe weitgevffiiete Fenster in den Garten; eine schmale Lichtunx in dem vollen Baumbestand gestattete ihm eine» Durckbliö bi» aus da» Gitterlhor. Endlich hatte er wohl gesunden, wa- er suchte, denn er eilte au» dem Zimmer hinan» und durch die Reihe von Gemächern in die Vorhalle. „Ick werde die Gartenlhür öffnen", sagte er zu dem alten Diener, dem ein Glockenzeichen schon einen Einlaß Be» gehrenden angekündigt hatte. „DaS Fräulein kommt, welche» der Doctor zur Pflege der Gräsin hat bolen lassen!" „Sie meinen e- doch immer gut mit mir altem Kerl, lieber Herr! Heute bin ick Ihnen recht dankbar, daß Sie mir den Weg abnehmen. Eigentlich schickt e» sich nickt, aber e» geht ja hier doch Alle» drunter und drüber, und meine Beine sind mir wie zerschlagen!" Der Maler hatte diese Antwort kaum abgewartet, schneller als sonst war die hohe Gartenpforte von ihn, er reicht und geöffnet. Als Marie den schwarzbärtigen Mann vor sich sab. zog e» wie ein Schimmer von Freude über ihr ernste» Gesicht, sie begrüßte ihn mit einer fast herzlichen Vertraulichkeit und litt e» auch, daß er ihre Hand in der seinen behielt. ,Jst der Doctor Wilken noch hier?" fragte Marie. .Ja! Er wollte seine Patientin nickt verlasse». ob»e sie in Ihrer Obhut zu wissen. Ader ehe Sie sich der Pflege der tranken Dame widmen, müssen Sie mir einen Augenblit önnen. Für die nächsten Worben wird Ihnen wobl wenig 'eit bleiben, da» Grab Ihrer seligen Mutter zu besuchen "ir wird jede Gelegenheit genommen. Sie zu sehen. Fräulein! Gronau hatte da« junge Mädchen von dem breiten auptwege ab in einen schattigen Seitengang geführt inter einem dichten BoSquet blieb er wieder stehen und fuhr ort: .B>» heute war jeder Tag seit dem Begräbnisse Ihrer Mutter für mich ein Tag voll Hoffnung und Glück. Brockte mich dock jede Stunde dem Abend näher, an dem ich Sie sehen konnte!" „Sollen wir denn in Zukunft mit geschlossenen Augen aneinander vorübergehen?" »ragte Marie lächelnd. „Sie sind doch täglich hier. Oder wollen Sie Ihre Arbeit einstellen. so lang, ich hier bleibe?" „Nu, einen stumme, Gruß werden Ei, für «ich haben", — «ronuu „Noch «nft,^ noch VUt« »^»« Ei, unter einem Dache werden, wo man GrabeSlust zu athmen glaubt. Wenn ich Sie bei der alten steinerne» Bank traf, so erschien mir die ganze Umgebung, die Aussicht aus daS lieblcche Thal, jede Älülbe. jeder Baum al» zu Ihnen ge hörig. und Sie selbst wurden unter dem Zauber der Natur unbefangener, offener. Ich batte gebcfst, baß Sie dort auch für die Stimme meine- Herzen» ein Odr baden würden, daß Sie anbörrn würden, wa» ich Ahnen bisher rocht zu gestehen wagte!" Marie war bei Gronau'S Worten errötbet, unter seinem festen und bock wie bittend auf sie gerichteten Blick senkle sie die Bugen, ihre schlanke Gestalt zitterte. Bitte, Herr Gronau, halte» Sie ein, sprechen Sie nickt o weiter — nie — nie mehr!" kam e» leise über ihre Lippen. Tann aber schien sie ihre Bewegung gewaltsam zu demelstern; die beiden Hänve ineinander verschränkt, den Kopf bock aufgenchtet, obnc ib» jedoch zu Gronau hinzu- wenden, fuhr sie fort: „Ich schäm,: noch jeder Lüge! Eine Lüge würde eS sein, wenn ich mir jetzt den Anschein gäbe, als wüßte ich nicht. waS Sie mit Jbren Worte» sagen wollen. Habe ich Mulh genug. Ihnen zu gestehen, daß eS für mich Stunden gab. in denen ich mir ein Glück ohne Sie nicht denke» konnte, so werden Sie dock Manncsstolz genug besitzen und sich die Demüthigung einer Abweisung, eine» bestimmten Nein ersparen. Eine ondere Antwort darf ich» kann ick Ihnen nie geben, wenn Sie zu mir von Liebe sprechen!" Marie batte fest und bestimmt gesprochen, nun aber vckrirte ibrc Stimme in schmerzlicher Bewegung. „Ich verzichte aus jede» Glück. — für mich giebl e» nur die Pfl ckt — machen Sie mir die Ersüllung nickt schwer!" schloß sic bittend. „Deine Pflicht ist eS. dem Zuge Deines H-rzenS zu olge». Du stolze». Tu herrliche» Weid!" ries Gronau begeistert au». „Ich liebe Dich — ich bete Dick an, wie eine Gottheit — mein ganzes Denken, mein ganze» Sein bist mir Du! DaS bast Tu geahnt, da- hast Tu gewußt, denn Tu und ick, wir sind für einander bestimmt! Ick war e,n Thor, daß ick lange Wochen wie rin schüchterner Knabe in Deine Augen sab, nicht zu sage» wagte, wa» ick fühlte. Hätte ich Dick doch in die Arme genommen und wäre mit Dir sortaegangen bis an da» Ende der Welt, wie rin Adler mit der (Erwählten dem einsamen Horst zufliegt! Jetzt hat ein Anderer, der die Liebe nicht einmal dem Namen nach kennt, seine vermeintlichen Liechte geltend gemacht, und Du glaubst, es sei Deine Pflicht, ihm zu gehorchen!" Marie war einen Schritt zurückgetreten, noch einmal sah sie den Maler voll und groß an. dann ging sie weiter bis zur nächsten Biegung de» WegeS. Dort blieb sie. als wen» sie einen festen Entschluß gesagt hätte, wieder flehen. Grcnau war ihr gefolgt. „Ich werde die Frau des Doctor Wilken", sagte sie Wollen Sie Ihrem Freund« die Treue brechen, wollen Sie das Vertrauen, daS er in Sic und in mick setzt, täuschen? Vergessen Sie mich, wie ich vergessen muß, wa» Sie mir gelhan haben. Lassen Sie uns Beide glauben, wir hätten einen schönen Traum geträumt. Kann eS Ihnen ein Trost sein, so denken Sie meiner wie einer Verstorbenen, die eine kurze Spanne Zeit glücklich war in dem Gedanken, von Ihne» geliebt zu werden und Sie wieder lieben zu dürfen!" „Der Schwur vor dem Altar wird zu einem Meineid werden!" fiel Gronau erregt rin. „Wenn eS einen rächenden Gott qiebk, so kann seine Strafe nicht auSbleiben!" „An Meineid?" fragte Marie stockend und todlenbleich Aber nein! Ick achte, ich verehre den Doctor wie meinen - Vater. Ick will ihm ein treue«, gehorsame« Weib werben, um einen Tbeil meiner Schuld abzutragen. Daß ich meinem Herze» nickt gebieten kann, wird Gott mir in Gnaden ver» zeihen. Und wenn ick Unrecht thue, so leide ich ja auch die Strafe, die schwerste Buße, die ei» Wcib auf sich nehmen kann. Ich " Ein schmerzliche» Stöhnen unterbrach die Sprecherin. AlS Marie und Gronau sich erschrocken und verwundert um wandten, sahen sie Wilken vor sich, der mit dem rolhseidenen Taschentuch seine Augen wischte. „Ich babe für die Gräfin Wols-eck einen Sensteig gerührt, — heule früh schon — ich sagte Tir dock von dem Starr krampf. Fritz, den babe ich ihr aus die Herzgrube gelegt — da muß mir von dem beißenden Zeug etwa» an den Fingern oder an dem Tuch hasten geblieben sein!" Wilken schien eine Antwort zu erwarte», verlegen rieb er mit der Hand seinen Kopf und zupfte dann an feiner weiße» Weste. „Tu hast Marien de» Garten gezeigt", begann er endlich wieder; man merkte dem kleinen Herrn an, welche Anstrengung eS ibni kostete, unbefangen und gefaßt zu scheine». „DaS ist aufmerksam von Dir, Fritz. Nun, die Marie bleibt einige Zeit hier. Du kommst täglich, da wird sich wohl ab und zu ein Stündchen finden, wö Du ihr Gesellschaft leisten kannst, wenn sie die frische Luft genießt!" An Marie sich wendend, sagte er Weiler: „Sei ohne Sorge. Kind, in einem Gesängniß bist Du hier nickt. Komm jetzt nur mit. Ich muß Dir dock sagen, waS Tu in Deinem Samariterblenst zu thun hast. Um de» HanS und die Lene macke Dir keine Gedanken, auch um da» Ucdrige nicht — ich sorge dafür, baß Alle» gut geht!" Mit dem jungen Mädchen wandte sich der Doctor dem Hause zu. Gronau stand noch lange nachsinnend auf dem selben Platz, voll von Zweifeln und Hoffnungen, die er sich selbst nicht zu beuten und zu lösen wußte. Lange Wochen war die Gräfin WolsSeck schwer krank und schwebte zwischen Leben und Sterben; selbst der Doctor Wilken, der sonst den Glauben an eine Genesung seiner Kranke» nicht ausgab, so lange noch ei» Athemzug in ihnen war, verlor die Hoffnung. Aus seine Anordnung lag die alte Dame jetzt in einem bequemen Bette. daS in einem der großen Salon» ausgestellt war, statt aus dem harten, rauhen Lager in der unwohnlichen Kammer. Schwere Weine und stärkende Brüden wurden ihr eingeflößt, um da« schwache Lebe» in dem Körper z»rück;»balte», dem jabrelang nur die allerein. fackstrn Nahrungsmittel geboten waren, der durch die Versagung und Pflege zu zedem Widerstande unfähig ge macht war. Endlich ließen die wilden Fieberphantasicn, in denen die Gräfin so lange gerast batte, nach, die Athemzüge wurden ruhiger und gleichmäßiger, der PulSschlag voller und stärker, die Äugen irrten nickt mehr wie suchend umher, wenn sie sich nach langem tode-äbnlicten Schlaf öffneten. AlS Wilken eine» Tage» in da» Krankenzimmer trat, sah er mit Erstaunen und Befriedigung, daß jede Gesabr vorüber war. Und nickt nur für den Körper schien die Genesung zn beginnen. Die Gräfin dankte Marien durch einen sreundlicken Blick, als diese ihr eine Arznei reichte, lastete, schwach und kraftlos, wie sie immer noch war. nach der Hand de» jungen Mädchen» und hielt dieselbe eine Weile in der ihren. Je mehr dir Besserung sortschritt, um so mehr schien die Zuneigung der alten Dame zu ihrer Pflegerin zu wachse». Geduldig und ohne nur eine Miene zu verziehe», litt sie Alle«, wa« Marie nach de« TockorS Weisungen vornabm. Dabei sprach sie kein Dort, ihre Wünsche beutete sie durch Zeichen an Wie nur mit ibren Gedanken beschäftigt, lag sie gewöhnlich grübelnd und nacksinnend da. Ibre Augen folgten dann ober wieder jeder Bewegung de- jungen Mädchen», deflen Figur, dessen schwebenden and doch sichern Gang sie ebenso geaa, »i« jede« Zog de« Gesichte« prüft» Auch der Tag kam, a» dem die Gräfin mit Marien» ilje zum ersten Mal da» Bett wieder verlassen konnte. Die niesende wurde aus ibren Wunsch in eine» Sessel an daS offene Fenster gesetzt. Mit bei» ganzen Behagen, da» ein nach langer Krankbeit zu neuem Leben Erstandener empfindet, alhmcle sie die würzige, erfrischende Herbstlust und wärmte Ich in de» Strahlen der Mittagssonne. Keiner konnte seine Freude über den glücklichen AuSgang der Krankbeit weniger demcisieru als der alte Friedrich Lackend und kichernd wie ein Kcnd, dabei leise vor fick hin preckend, stieg er treppauf, treppab, ging von einem Zimmer i» daS andere und dann wieder in die Küche, um mit rer Wirtbscbaiterin zu plaudern. Vor langen Iabren, alS diese Wirlhjchajteri» in den» gräflichen Haute vielleicht zum zehnten Mal die Weihnacht-- und Osterkuchen gebacken und die MartinSgänse gebraten batte und dadurch zu beweisen ansing, daß sie eine ordentliche, zuverlässige Person werden könne, da batte Friedrich den Gedanken in Erwägung gezogen, ob diese Köchin eö wohl nickt Werth sei, sein Weib zu werden. Er brachte damals auch nach vielem Ueberiegen seine Werbung bei »br an. und Jungfrau Withetmine Älbertine zeigte sich in Anbetracht seiner guten Vermögenslage und sickern Stellung und ibrer eignen Jahre nickt abgeneigt, ihr Ja zu lispeln. Zui» Verspillch war eS zwischen de» Beiden aber dock nie gekommen, de»,, jedes batte die Entscheidung von einein Tage zu», andern ausgrsckoben; eS bandelte sich dabei ja auch nur um ihre Privatangelegenheiten, die jeder dienst lichen Verrichtung nacksteben mußte». Immer älter wurden die Beiden, von ihren Absichten erfuhr Niemand etwa», aber enger und enger fühlten sie sich von Jahr zu Jahr miteinander verbunden. Fester alS gegenseitige Schwüre und de- Priesters Segen kettete den alten Diener und die alte Wirthschaftenn der gemeinsame Eifer und die Sorge um da» Wohl der Herrschaft aneinander. Spät im Herbst, wenn die Natur sich schon zum Winterschlaf rüstet, bricht wohl noch ein Röslein an einem Strauche aus. von dem man eine Blülbe nimmermchr erwartet; wie ein Nachzügler, der seine Zeit ver paßt hat, mukhet unS eine solche Spätrose an. die halb- träumend ibr kurze» Blumenlcbcn verbringt und nickt mehr zur vollen Entfaltung kommt. So blühte auch in de» Herzen der beide» Alten nach und nach eine L ebe auf. deren sie sich nickt bewußt wurden. Die wohlthuende Wärme, die, durch Theilen von Leid und Freud, durch Erweisen kleiner Dienste und Aufmerksamkeiten, durch einen vertraulichen Blick oder Händedruck genährt, sich mehr und nicbr über ibre Tage ver breitete, fühlten sie wohl; ober sic ahnten nickt, daß ihnen nur noch der Hauch einer Flamme zu theil wurde, die de», Mensche» Himmclsglück geben kann, wenn sie voll empor lodert. Heute in seiner Freude über die Genesung der Herrin zog eS den alten Friedrich stärker denn je zu der Freundin. Als spüre er etwa» wie von JugenLübermiilh i» seinen Ader», so sing er an. mit ihr zu sckakern, und nannte sie sein liebes Mincken — TruHen, und Tinchen — Minchen, bis die Alte verschämt erröthete und ihm zuflüsterte, er solle an seine weißen Haare denken und sich nickl vor den beiten Mägden lächerlich mache». Laut fuhr sie dann fort: »Ganz zur rechten Zeit sind Sie gekommen! DaS Krast- süppchen für die Gnädige ist gerade fertig geworden! Ich muß e» nur noch anrickten!" Eilfertig und behende, wie ein junges Mädchen, setzte die Alte die Schale mit der Suppe und dem Zubehör aus eine silberne Platte; Friedrich wollte zuguterletzt noch seiner Fröh lichkeit Ausdruck geben und kniff sie mit einem Scherzwort in die runzelige Wange. Wohl traf dafür ei» nicht gerade zarter Schlag seine Hand, aber da» iminer »och klare, graue Auge, da» ihn dabei anschaute, zeigte keine Spur von Acrger oder Unniulh. „Nun gehen Sir, Friedrich", mahnte die Mrthscbastcriii. „damit die gnädige Gräsin das Frühstück bekommt! Gott sei Lob und Tank, daß sie wieder waS anders annimmt als Wasser und trockenes Brod. — Gratulircn Sie oben schön stens. und ick lasse auch Glück zur Genesung wünschen — und da. die Blumen, die nehmen Sie auch noch mit hinaus, die schicke ich mit dem andern Weibsvolk auS der Küche Ihro Gnaden zum heutigen frohen Tage!" Die Alte legte einen Strauß der duftigsten, farbenglühendsten Rosen auf die Platle und wandte sich dann wieder ihren Koch- töpse» zu. Mit einem sreundlicken Nicken hatte die Gräsin ihren alten Diener begrüßt, so daß diesen, vor Rührung nnd Freude wieder die Helle» Thränen über daS knochige Gesicht rollten, die so mühsam zusammengelegten Worte, in denen er seinen Glückwunsch auSlprechen wollte, kamen nicht über seine Lippen. Als ihm die Gräfin, die seine Befangenheit und Auf geregtheit bemerkte und den Grund derselbe» richtig deutele, die Hand reichte, da war eS um den Nest seiner Selbst beherrschung geschehen; der greise Mann beugte vor seiner Herrin die Knie und küßte laut weinend die zarte», ab- gemagerte» Finger. Die Gräsin selbst machte der aufregenden Scene ei» Ende. »Er hat wieder viel Last und Sorge mit mir gehabt. Aller!" sagte sie. .Aber nun halte» wir Beide auch noch eine Weile zusammen an», unk mit GotteS Hilfe soll eS für Alle besser werden, als cS in den letzten Iabren war." Friedrick'ö Augen leuchteten auf, so batte er die Gnädigste seit einem Vierteljahihundert nicht mehr sprechen hören; mit erneuter und verdoppelter Freude glaubte er zu bemerken, daß aus der Gräsin Gesicht trotz der Spuren der langen Krank heit ein Schimmer von Zufriedenheit und Lebenslust sich zeige. Mit fast jugendlicher Lebhaftigkeit stand der Alte wieder aus und griff nach den Rosen, um sie seiner Herrin mit jener cercmoniösen und respektvoll galante» Verbeugung zu überreichen, deren Kenntniß ein Vorrecht alter Diener in vorurbmen Häusern ist. Aber die Gräfin „ahm den duftigen Strauß nicht an. Mit einem schmerzlich wehmüthige» Zittern der Stimme, da» nur zu sehr an die Art erinnerte, wie sie früher sprach, fuhr sie fort; .Blume» — Rosen — nein, Alter, die passen nickt für mich — da» mußte Er wissen. Nehme Er seine Blumen nur wieder mit hinan»!* Frau von WolsSeck schien in ein grübelnde« Sinnen zu versinken. Eine tiefe Falte stand wieder zwischen ihren weißen buschiqen Augenbrauen und wurde schärfer und schärfer „Rosen — Rosen —" flüsterte sie vor sich hin. „mich haben nur Dornen blutig geritzt — die Spitze beS Stachels ist »och nickt abgestumpft." — Mit schnellem Entschluß und gewaltsamem Zusammenraffen oller Kräfte fuhr sie kann aber mit der Hand über ihre Stirn, wie um die häßliche, unheilschwangere Falte und alle trüben Erinnerungen zu ver wischen. „Nein, beute will ick Keinem wehlhun, auch Ihm nickt, Alter", sagte sie laut. „Gebe Er mir seine schöne» Blumen. Ich srene mich über diese Rosen, die mich glauben machen könnten, wir lebte» im Juni statt im Herbst!" Eine Weile hielt die Gräfin den Strauß in der Hand, sie schien sich an den Farbe» und an dem Dust der Rosen zu erfreue», dann reichte sie ib» Marien ihn. „Ncmm, Kind! Jugend und Rosen, die gebören zusammen. Leine Jugend soll sonnig und heiter wcrden. dafür will ick sorgen. Ich habe viel wieder gut zu machen bei D>r, mein Kindl" Mari» hatte die Tasse mit der Brühe wieder aus den lippe zitterte, ihr Gesicht nahm einen stolzeren, strengeren Ausdruck an. „Wenn Sie ganz genesen sind, gnädige Frau, so gehe ich wieder. Hier kann ich nur bleibe», solange Sie meiner be- dürscn, dann muß ich andere Pflichten erfüllen. Aus Lohn für nieine geringe Mühe babe ick nickt gerechnet!" DaS junge Mädchen hatte mit herbei», hartem Ton ge sprochen, die Worte hatten rauh, abweisend geklungen. Tie Gräfin sab ihre Pflegerin verwundert und fragend an. aber für eme» Moment nur, bann war eS, als wenn etwa» wie freudige Befriedigung sie erfülle. „Wie eine eckte WolsSeck!" ries sie auS. „Aengstige Dich nickt, Kind, ich will Dick nickt zwingen, hier zu bleiben, damit Du Deine goldene Jugendzeit bei einer grieSgrämischen Allen vertrauerst. Ich bin auck nicht so egoistisch, daß ich Dich ganz für mich behalten, Dick Deiner Mutter ent ziehe» will. Nur eine Stunde am Tage mußt Du sür mich übrig haben!" >. Marie schüttelte den Kopf. / „Also eigensinnig willst Tu sein?" fuhr die Gräfin fort. „Du und Deine Mutter, ihr wollt Euch »un wohl fußfällig von mir ui» Verzeihung bitten lassen, daß ick Euch sortschickle, als ibr damals zu mir kamt? —Gut, ich will Deine Mutter um Verzeihung bitten. Ihr habt feurige Kohlen aus mein Haupt gesammelt. Mick bat da» Unglück, da- Leid hart ge macht, aber ich will kcmüthig werde», wenn ich meine Schuld gegen Euch sükne» kann!" „Frau Giäsin. Sie irren sich — Sie verkennen mich!" siel Marie eoi. „Meine Mutter —" sie hielt schnell inne, der Gedanke, daß die Gräfin fieberhaft aufgeregt sei. die volle Herrschaft über ihre Geisteskräfte noch nickt besitze und durch eine Erklärung, durch ein längeres Gespräch nur noch erregter werden könne, büß sie von jeder Erörterung sür jetzt absehen. „Sie müssen jetzt etwa« genießen, gnädige Frau, und dann eine Weile ruhen!" mahnte Marie. „Sie sind angegriffen und dürfen die erste halbe Stunde nickt mehr sprechen!" D>e alle Dame lächelte und flüsterte ihrer Pflegerin zu: „Ich will eine gehorsame ReconvaleScentin sein, wie ich eine geduldige Kranke war. Um so früher werde ich ja wieder so zu Kräften kommen, baß wir u»S auSplauder» können!" > - Gronau hatte während der Krankheit der Gräfin eifriger und fleißiger denn vorder an seinem Gemälde gearbeitet. Dem Anschein »ach wollte er die Beendigung seine« Werke« nun möglichst schnell herbcisühren. Bei seinem tägliche» Kommen und Gehen vermied er jede» Zusammentreffen mit Marie; die herbstlich sich lichlenden Seitengänge dcS Gartens betrat er überhaupt nicht mehr. Wenn er aber im Hause die halblaute und doch so mctallreiche Stimme deS jungen Mädchens zu hören glaubte, so horchte er gespannt aus, um sich keinen Ton entgehen zu lasse». Sah er von dem Fenster des rothen Salon«, der ihm iminer »och als Atelier biente, daß Marie sich nach deS Doctor« Vorschrift im Freien er ging, so war eS, al» ob eine unwiderstehliche Macht auch ib» hinanSzöge; oft kehrte er wieder um, wen» er die Hand schon erhoben halte, uin die Thür zu öffnen; seine Augen um florten sich, wenn er dann an da» Feilster zurücktrat und die Arme auSbreitete, als wenn er ein fernes, schon ent schwindendes Glück fasse» und halten wollte. Die Abend sonne sah den jungen Maler stets aus der alten Steinbai,t am User deS Flusses, von wo seine Blicke hinllberschweisle» nach dem Kirchhof, dessen Bäume, nun ganz entlaubt, kei» Grab, keinen Denkstein mehr verdeckten. Nock wehniüthigcr wurde sein Gesicht, noch schmerzlicher bewegt seine Züge, wenn er sich dann uinmaiidte und auf die Gruppe von Nuß- bäume» jenseilS de« FlusseS sah. Langsam, aber stetig wuchsen dort die Mauren anS der Erde, die bestimmt waren, deS Doctorö neue Häuslichkeit und ncucS Glück ei»- znschlicßen. Zn verschiedenen Malen schon hatte Gronau seine», Freunde Willen gesagt, daß er abrefie» Müsse, daß wichtige neue Aufträge und »nallsichiebbarc Geschäfte ihn »ach der Residenz zurückriefen. Der Doctor wies dann immer aus die baldigst zu erwartende völlige Genesung der Gräsin hin. die eS dcch mit Nicht unliebsam bemerken würde, wenn de, Maler ihre Krankheit benutzt habe, um zu verschwinden, ohne den übernommenen Auftrag zn vollenden. Gronau ließ sich auch leicht genug überreden. Er wollte aus Maiseld fort, um einem Zusammentreffen mit Marie zn entgehen; er wußte, daß er nicht stark genug sei, um von seiner Liebe zu schweigen, wenn er die Geliebte ncch allein sähe. Entweder wicS sie ihn dann ebenso stolz und hart ab, wie bisher, oder sie zeigte sich auch schwach wie ein liebendes Weib, gab ibni daS Jawort, und er und sie brachen dem vertrauensvollen Freunde die Treue. Und dech wieder hielt eS ihn wie not Bande» und Kelten in Maiseld fest. Der Gedanke, noch ist Marie nicht Erich's Weib, »och kann irgend rin Unverh r- geseheneS den Knote» lösen, der nicht scsi gezogen, nur erst lose geschlungen ist. hielt ihn zurück, hielt ihn aufrecht, gal ihm täglich neue Hoffnung. Gronau'S Absicht, mit Wilken über seine Liebe zu Marie zu sprechen, ihn zu beschwören, daö junge Matchen freizngcben, daS unglücklich wcrden würde, wenn es sich seinem Pflichtgefühl opfere, wurde von dem Dcclor stelS vereitelt. Sobald Ver Maler nur ein Wort änßcrlc, waS als eine Einleitung zu diesem Tbema gellen konnte. so knöpfte Wilken auch schon sein braunes Nöckcheu zu und ging eiligst unter dem Vorwände fort, daß ein Schwer kranker >bn erwarte. Die Gaststube im „Rothen Ster»* suchte Gronau in de-: Abendstunden nur noch selten aus, und wenn er dort eii^rat, so war er schweigsam. still und verschlossen. In sein Glas starrend, saß er dann da, entweder gar nichts trinkend oder aber ungezählte Flaschen leerend. Auch seine Laune wechselte osl so plötzlich, daß er sich einer übermüthigen au-gelassenen Fröhlichkeit bingab, nachdem er soeben noch sür jede Frage nur eine einsilbige Antwort gehabt hatte. (Forlletzung folgt.) Die Laisermanöver. * Ueber die nunmehr zum Abschluß gelangten Kaiser in anövcr deS Garde» und deS III. ArmeecorpS wird noch berichtet: * Müncheberg, IS. September. Bezüglich de» gestrigen ManövertageS, von de,» bereit« berichtet worden, daß es dem 3. Armeecorps gelungen war. das DefilSe bei Dahmsdorf zn behaupten, sei noch bemerkt, daß die Schiedsrichter den A »griff des Ostcorv» gegen den linken Flügel der DestcorpS. welche« bekanntlich Ee. Majestät der Kaiser und König besehligte, al» abgeschlagen erklärten. Für den heutigen letzten Tag der großen Kaisermanüver war folgende Specialidee für da» OstcorvS (GardecorpS) maßgebend: Nachdem am 18. September bei DabmSdorf der zur Umfassung drS feindlichen linken Flügels geführte Offensivstob deS Ostcorps abgr« wiese» worden war, ging bei dem Generalcommando die Nachricht ein. daß von den EinIchließungSlrnvpen »an Aüftrin 6 Vaioillone nnd 3 Ballerten als Berstärkuag deS OstrorpS nach IahaSselde in Marsch gesetzt worden seien und dori in den RachmiktagSstundeu kinlrkssen würden. Mit dieser Benachrichligung sprach der Ober« besedlehaber der Oi'tarmee die Erwartung au», daß eS nunmehr dem Ostcorp; gelingen würde, die Linie dt« Rothen Luche» zn gewinnen. Der commandlrende General beschloß, da» weitere Borgehen ans den IS. zu verschieben, folgte dem Feinve, welcher sich hinter bi- Linie Bnckow-Rolhe- Luch znrückzog, nicht und versicherte sich durch Borpo'ten t» »n Ltni« Münchehofe. Dabmldvrs. ReubodeaurOu. Tisch gesetzt «nd sah di» Gräfin erstaunt an. Ihre Ober- Di« Untervsstcterschule U-isvam marklrt « Bataillon», dl« -ehr.
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