02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 03.12.1892
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1892-12-03
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
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- Public Domain Mark 1.0
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- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18921203022
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- LDP: Zeitungen
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- Ausgabe
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
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Obschon die Militairvorlage den Mittelpunct der Erörterung gebildet bat, wissen wir heute ebensowenig wie vor acht Tagen, wie Eentrum und Conservative sich zu dieser Alles beherrschenden Frage stellen werden. In der Een- trumsfraction soll die Angelegenheit noch gar nickt Gegen stand der Berakhung gewesen sein. „Vielleicht schweben Verhand lungen mit auswärts." Der Herr Reichskanzler ist oder zeigt sich nach wie vor optimistisch. Heute hat er, was gleich hier bemerkt sei, für die Militairvorlage das 8uum vuiguo ins Treffen geführt. Der Wahlspruch bezieht sich aber nicht nur auf Rechte, sondern auch auf Pflichten — für Jedermann. Die der deutschen Diplomatie, deren Leiter Gras Eaprivi ist, zngesallene Pflicht ist, durch Umsicht und Geschick dafür zn sorgen, daß die Militairlasten erträglich bleiben. Wenn die Wehr- und Steuerpflichtigen stärker beladen werden müssen, weil die Diplomatie ihre Last nicht tragen kann, so wird nicht snum euignv. Die heutige Berathung hat schon bei einem etwas weniger gut besetzten Hause stattgefunden. Nachdem der Pole von Koszielski dem Marine-Etat „trotz ge wisser Preßstimmen" (polnischer selbstverständlich) eine wohl wollende Prüfung zugesichert, erhob sich der württembergische Demokrat Haußmann, um vor allen Dingen der Person des Grafen Eaprivi und seiner auswärtigen Politik sein Eompliment zu machen. Die erste Verbeugung galt dem Manne, der der Nachfolger dcS Fürsten Bismarck geworden ist — in den Augen des radicalen Particulariften selbstver ständlich die verdienstlichste Thal der neueren deutschen Geschichte. Den zweiten demokratischen Lobsprnch hat sich der Reichskanzler durch seine Eolonialpolitik zuge- zogen. Mit der inneren Politik ist Herr Haußmann nicht einverstanden, die Unzufriedenheit dürfte sich aber mehr auf die Handlungen und Unterlassungen der Regierung beziehen, von den Wirkungen ihrer Thatig- keit must ein Mann seiner Richtung vollbefriedigt sein. Nur läßt sich das natürlich im Reichstag nicht aussprechcn. Wenn Zwei dasselbe thun, so ist es eben nickt dasselbe, und darum ist es tiesbedauerlick, daß cs einem Redner der „Volkspartei" überlassen blieb, die UnvolkSthümlichkeit dcS neuen Eourses sestzustellen. Die Vertheidigung des Deutschsreisinns und Eugen Richter'S, die Herr Haußmann den: Kanzler gegenüber führte, hängt mit süddeutschen Wahlmachcn- schasten zusammen. Wenn er sich dabei so weit verflieg, die Deutschsreisinnigen nnd ihren Führer als den eigentlichen Reichskitt, der das süddeutsche Bürgertbum mit dem norddeutschen verbinde, zu verherrlichen, so ist dieser groteske Ausspruch eben auf augenblickliche partei politische Absichten znrückzuführen. Herr Richter hat aller dings im Süden manchen rednerischen Erfolg zu verzeichnen gehabt, aber der Appell an die particularistischcn Leidenschaften war nicht das letzte Mittel, mit dem er sie errcickle. Er bat viel häufiger als Ferment der Dccomposition, denn als „Kitt" gewirkt. Daß die Freundschaft des Herrn Haußmann zu Richter lange Vorhalten wird, ist übrigens recht zweifel haft. Daß der Demokrat Haußmann im weiteren Verlaufe seiner Rede die Einführung dcS parlamentarischen Negiernngs- systems verlangte, kann nicht überraschen, er wird sie unter allen llmstänte» fordern. Daß er aber mit seinem be gründenden Hinweis auf einen herrschenden Gegensatz zwischen autokratischci» Willen und dem Volkswillen diesmal im Lande vielseitige» Beifall finden wird, das ist ein Verdienst dcS neuen Eurses. Graf Eaprivi ging auf die constitutionellen Betrachtungen Haußmann's nnd die Eventualität der Reichstagsauslösung, die dieser berührt hatte, nicht ein, sondern wandte sich sofort gegen den von Haußmann „in Schutz genommenen" Richter mit der offenherzigen Erklärung, daß er den so viel über militairiscke Dinge redenden und schreibenden Herrn nicht nur wegen des einen, vorgestern vom Kanzler gerügten „Jrr- thums", sondern überhaupt für einen militairischcn Nicht- sachverständigen halte. Diese Aufrichtigkeit mag wenigstens für einen Theil der Hörer herzerfrischend gewesen sein, um so matter erschien die folgende Ausführung. Nnmuth, so behauptete Graf Eaprivi, könne über die Militairvorlage im Lande nur deshalb Kerrschen, weil man dem Volke die Gründe der Regierung vorenthalte. Dieser Unterlassung mag man sich ja aus mancher Seite schuldig gemacht haben. Wo cs aber nicht geschieht, da muß man die Erfahrung macke», daß auf jeden Grund, de» der Kanzler im November 1802 angeführt hat, anS dem Volke heraus mit einem Gegcngrund aus der Rede des Kanzlers vom November 180l erwidert wird. Geradezu bestürzungerregend originell war die Versicherung des Grafen, daß er auch die Militairvorlage als ein Mittel zur Bekämpfung der Socialdemokratic ansehe, da sic (die Milikairvorlage) die Gleichheit vor dem Gesetze vermehre. So wirksam, wie mit dieser Wendung Graf Eaprivi, hat wohl noch kaum ein Demokrat, geschweige denn ein preußischer General, für das — Milizsystem plaidirt. Der dem Kanzler folgende Eentrumsredner v. Schalscha bekannte sich als Mitglied des schwarzen Eartels und erging sich demgemäß in extrem agrarischen Be trachtungen, sagte auch etwelchcs gegen die Goldwährung. Auch der viel weniger Sitze als da« Eenlrum zählende Dentschsreisinn stellte einen zweiten Redner, Herrn Rickert. Derselbe hatte offenbar das Bedürsniß, dem Reichskanzler sehr viel AngeneumeS zu sagen. Er entledigte sich dieses Vorhabens insofern mit Geschick, als er wiederholt auf den Fürsten Bismarck loszog. Herr Rickert findet es schmählich, daß der größte und in der auswärtigen Politik erfahrenste Staatsmann der Welt mit seinem Urtkeil nicht zurück hält, wenn er in der auswärtigen Politik des eigenen Vaterlandes Fehler benierkt — derselbe Herr Rickert, der acht Jahre hindurch unter allen Umständen Opposition ge macht hat, nicht am Seltensten in Dingen, von denen er nichts oder doch jedenfalls weniger versteht, als Fürst Bis marck von der auswärtigen Politik. Ob Rickert eine von der der Wasserstiefel abweichende Stellung der Waden strümpfe znr Regierung markiren wollte, wissen wir nicht, im Allgemeinen redet dieser Abgeordnete sehr oft, ohne etwas zu sagen zu haben. Herrn Richter jcheint der Verdacht einer Unbot mäßigkeil aber aufgestiegen zu sein, denn als Graf Eaprivi die Hoffnung ans Verständigung mit den Dcutschfreisinnigen aussprach, rief der Parteigewaltige dazwischen: „Dazu ge hören noch Andere." Das ist eine furchtbare Wahrbeil, und weil sie eö ist, braucht man vorerst »och kein Gewicht darauf zu legen, daß Rickert sich dem Abg. vr. Buhl gegenüber in entgegenkommender Weise ausgelassen bat. Herr Rickert hat sich übrcgenS heute das Verdienst er worben, dem Reichskanzler Veranlassung zn geben, über die angeblichen Bismarck'schen Hecrcsvergrößernngspläne (jähr liche Mehrkosten 117 Millionen Mark) das Zutreffende zu bemerken. Er sagte: „das Verdh'sche Projccl war zunächst nur eine Skizze, kein ausgebildeter Gesetzentwurf". Dasselbe habe» die „Hamb. Nachr." vor Wochen erklärt, was den Kanzler aber noch am 23. November nicht an der Behauptung hinderte, er bringe einen Bismarck'schen Plan zur Ausführung, nur viel billiger. Ans den Grafen Eaprivi folgte der freihcrrlicke Demokrat v. Münch, dem wenigstens der mildernde Umstand großer Jugend zur Seite steht. Den Beschluß machte, zumeist in soreirt robem Tone, Herr Bebel. Ihm war es darum zu tbun, sich in das mehr und mehr schwindende Vertrauen der Massen wieder bineinzusckimpscn. Ob es ihm gelungen ist, wird ja die socialdemvkratische Presse zeigen. Politische Tagesschau. * Leipzig, 3. Decembcr. Der vom Vorstande des Wahlvereins der Deutsch- conservative» ausgearbeitetc und veröffentlichte Pro gramme ntwurf, den unser Berliner ss-Eorrcspondcnt in der heutigen Morgennummer beleuchtet hat, findet auch in der conscroaliven Presse eine kühle Aufnahme. Der conservative „Reicksbolc" ist ehrlich genug, cinzugestehen, daß die Partei nun eigentlich zwei Programme habe, und sagt: „Wir halten das siir bedenklich, denn das erstere würde hiernach daS allgenieine Hauptprogramin sein und da« letztere würde nur eine Anwendung deS ersteren auf die jetzigen Zeitfragen sein. Wir fürchten, bah das zu einer Quelle von Streitigkeiten werden könnte, denn es dürfte sich dann leicht ergebe», daß ein Theil der Partei, wenn er mit der praktischen Ausführung der in dem zweiten Pro gramm ausgesprochenen Sätze nicht einverstanden wäre, sich aus das erste Programm berufen konnte und die Entscheidung durch die dort ausgestellte» Grundsätze herbcigeführt wissen wollte. Da das neue Programm aber auch ein vollständiges Programm ist und sich nicht bloS aus die speciellen Ausgaben der Gegenwart bezieht, so ist die Beibehaltung des alten Programms überflüssig und um des lieben Friedens willen bedenklich. Deshalb sollte man sich entschlichen, in der Einleitung zu sagen: Nachdem das alte Programm in viele» speciellen Puncten gegenstandslos geworden ist, so wird der Partei vorgeschlagcn, das alte Programm durch folgendes neue zu ersetze», welches die Grundanschauungcn des ersteren beibchält." Man kann schon hieran« entnehmen, daß cs auf dem Parteitage, dem der Entwurf zur Beschlußfassung vor gelegt werden muß. zu einem Streite über die Frage kommen wird, ob das alte Programm, als „gegenstandslos geworden", fallen gelassen und durch das neue ersetzt werden soll oder nicht. Und da die Mehrheit des Vorstandes des Wahlvereins zu einem solchen Fallcnlasscn sich nicht hat ent schließen können, so dürfte auch auf dem Parteitage ein starker Procentsatz gegen dieses Fallcnlasscn sich erklären. Die Einigkeit der Partei wird dadurch nicht wachsen nnd die unterliegende Minderheit dadurch nicht fester an die siegende Mehrheit gebunden werden. Die Hauptprobe auf ihre Festig keit wird die Partei übrigens nicht bei der Berathung des Programms zu bestehen haben, denn Prvgranimpuiicte lassen sich allenfalls so vieldeutig fassen, daß sie auch den Vertretern verschiedener Ansichten genehm werden. Ganz anders wird cs dagegen, wenn es gilt, in concrcten Fällen sich zu ent scheiden und Stellung zu nehmen für oder wider Zu- muthnngen, die von der Regierung oder den anderen Parteien hcrantreten. Und wenn nicht Alles täuscht, rückt eine solche Hauptprobe den Eonservativen immer näher. DaS Centrum wird schon dafür sorgen, daß cS seine platonischen von seinen thatkrästigen und ent schlossenen Freunden unterscheiden lernt. Es wird dem Grasen Eaprivi und dem preußischen Ministerium die O.ual der Wahl nicht erspare», nnd diese Wahl wird zur O.nal auch der Conservative«. Von der Entscheidung, die sie dann treffen, bängt ihre Zukunft, hängt ihr Zusammenhalt und ihr Verhältniß zu den übrigen Parteien ab. In Wien sind die Würfel gefallen. Wie wir bereits in der Morgemnimmer melden konnten, ist in der gestrigen Sitzung des österreichischen Abgeordnetenhauses der Dis positionsfonds mit 167 gegen 116 Stimmen abgelehnt worden. Es war das nach dem Vorausgegangcnen ein einigermaßen überraschendes Ergebnis). Noch eine Stunde vor der Abstimmung glaubte man selbst auf Seiten der Linken, die Annahme des Fonds werde mit fünf oder sechs Stimmen erfolgen. Thatsächlich erfolgte aber die Ablehnung mit einer Mebrbcit von 21 Stimmen. Dieses Ergebniß wurde, wie die „M.Z." meldet, herbeigesührt durch das Fektciiviclerklerikaler Kroaten dcS Hohenwartclubs, während die Linke, die deutsche Nationalpartel und die Iungczechen fast vollzählig gegen den Fonds stimmten. AnS der der Abstimmung vorauSgegan- genen Besprechung ist eine Erklärung des Obmanns des Polenclubs beroorznhcben, daß seine Partei im Drei bund den alleinigen Schutz der Völker Oesterreichs gegen Rußland erblicke. Gegenüber Plen er erklärte ebenso wie Iaworski auch Hohenwart, daß er in der jüngsten Rede des Grasen Taaffe keinen Grund zu einer Unzufriedenheit auf Seilen der Linken erblicken könne und daß die letztere auch keinen Anlaß habe, sich über die Regierung zu beklagen. Gras Taafse verlas seine kurze Erklärung, welche, wie vorauSzuseben war, für die Linke sehr entgegenkommend lautete, aber die erwartete Wirkung nicht hervorbrachte. Pt euer erwiderte, »aß die Erfahrungen der letzten siebenviertel Jahre seiner Partei den ge ringen Werth solcher schön und patriotisch klingenden Worte bewiesen hätten. Die Vagheit des Inhalt« der Regierungserklärung lasse zudem verschiedene Deutungen zu. DaS Vertrauen in solche Erklärungen sei durch ihre große Zahl nnd ihre Nichteinhaltung außerordentlich gesunken. Darum müsse die deutschliberale Partei auf ihrem ablehnenden Votum beharren. Der Antisemit Pattai gab Namens der Ekristlichsocialeii die Erklärung ab, daß diese für den Dispositionsfonds stimmen würden, um die Position der Liberalen nicht ru stärke» und bauptlächlick deshalb, weil die Liberalen in Ungarn jetzt die „Mischehe" einführcn wollten und die österreichischen Liberalen ihnen dies nack- macben würden. Zur Abstimmung ist noch zu bemerken, daß außer der vereinigten Linken die Deutsch nationalen, die I n n g c z e ch e», ferner die wilden Klerikale» Lienbacher und Schieber gegen die Bewilligung stimmten. Als der Antisemit Lueger, bisher einer der schärfsten Gegner der Regierung, mit „Ja" stimmte, wurde ein höbnisches Geniurnlct laut. Lueger rief der Linken erregt zu: „Ja, immer gegen die Juden!" Daraus ertönten Gelackter links und die Ruse: „Sie stimme» ja mit Rabbi Bloch!" Das Ergebniß der Abstimmung rief ans der Ne- giernngsbank und aus der Rechten Bestürzung hervor, da man »ach Gewinnung der Ekrisktich-Socialen sicher auf eine Mcbrbeit gerechnet batte. Graf Kucnburg, der noch bei der Verlesung der Erklärung des Grafen Taaffe auf der Ministerbank saß, batte vor der Abstimmung das Hans ver lassen. — Die Erklärung, welche Graf Taaffe vor der Ab stimmung abgab, lautete wörtlich folgendermaßen: „Gegenüber den iin Lause der Berathung von verschiedenen Seiten abgegebenen Aeußerungen hält die Regierung eS für an- gemessen, ihren Standpunkt neuerdings mit aller Deutlichkeit und Entschiedenheit auszusprechcn. Tie Regierung steht unverrückbar aus dem Boden der bestehenden Verfassung und wird diesen Stand- punct auch seiner in keinem Falle verlassen. Tic Regierung hält rückhaltlos an dem gegenwärtigen gesetzlich geregelten Verhält- nisse zur ungarischen Rcichshälste fest und erachtet die hier- durch geschaffene Organisation der Monarchie für dauernd ab geschlossen, kann es daher nicht für geboten ansehe», bei jedem bc« licbigen Anlasse von Neuem aus diese Organisation zurückzukvimne», must aber mit lebhaftem Tanke begrüßen, daß ihre loyale Haltung, wie immer so auch kürzlich, seitens der ungarischen Regierung offene Anerkennung gefunden bat. Zur gegenwärtigen Situation über gehend, vermag ich nur die Erklärung abzugebcn, daß die Regierung auch jetzt noch an den Grundsätzen der Thronrede vom 1l. April 1801 unentwegt festhält. I» der gemeinsomen Arbeit aller gemäßigten Parteien, welche die Regierung bisher in dankenswercher Weise mit vatriotischcr Zurückstellung ihrer Einzel- wünsche unterstützten, erblickt die Regierung das sicherste Mittel zur Bildung einer festen, auch von ihr gewünschte» und für nothwendig erkannten Mehrheit. Zur Erreichung dieses Zieles wird die Regierung, die nur aus das Wohl dcS Staates bedacht »nd nicht beirrt durch eigene Interessen ist, soviel an ihr liegt, es an Be- mühungen gewiß nicht fehlen lassen. Bon eben diesen Gesinnungen Feuilleton. Dämmerungen. Roman in drei Büchern von Rudolf von Gottschall. 63) Nachdruck verboten. (Fortsetzung.) Sie hatte ja auf ihr Glück verzichtet.. doch was ihr den Entschluß eines heldenhaften Opfermuthes möglich ge macht .. es begann immer schwerer ans ihrer Seele zu lasten. Das Bild des Geliebten schwebte ihr vor im Wachen und Traume .. sie bekreuzigte sich davor, wie vor einem sünd haften Spuk — und doch vermochte sie nicht es zu bannen. Und sonderbar! Je mehr der Bräutigam von seinem Recht zärtlicher nnd leidenschaftlicher Annäherung Gebrauch machte, desto mehr Blut und Leben gewann das Schattenbild, das vor ibrer Seele schwebte. Was für den Grasen sprach, es war die Liebe, aber dir Liebe des Kindes zu den Eltern, es war das Gebot der Pflicht, welches stille Ergebung lehrte; cs waren die Erwägungen de« ruhigen Verstandes, ja es war auch etwas wie die Stimme dcS Mitleids mit dem gewaltigen Manne, der ihr gegenüber so sanft, so liebevoll sein konnte, des Mitleids mit seinem krankhaft wilden Wesen, von dem ihn vielleicht die Liebe heilen konnte, freilich eine menschen freundliche Liebe, die eher im Gewand der Diakonisse tahin- schrciten konnte, als im Brautgewand. Und doch — welche frevelhafte Vertauschung! WaS sie im Innersten durchschauerte, wenn des Grafen Küsse auf ihren Lippen brannten — es war ein Gefühl, das nur En- rico's Küsse Hervorrufen konnten . . sic war wider Willen treulos in hingehender Zärtlichkeit; sie verrictb einen Ehren mann, dem sie ihr Herz geweiht, und dies Doppelspiel der Empfindung, dessen sie nicht Herr werden konnte, zermarterte ihre Seele. Susette batte ibr gesagt, daß Frau Abraham ihr eine Auswahl schöner und seltener Ringe zeigen wolle, und Marie wäre nicht ihres ValcrS Tochter gewesen, wenn sic solcher Lockung widerstanden hätte. Bon Kindheit auf war der Sinn für alles Geschmackvolle und Schöne in Natur und Kunst, vor Allem auch für Erzeugnisse des Kunstgewerbes in ihr geweckt worden; denn der Vater hatte sie oft genug zur Vertrauten seiner Einkäufe gemacht. Frau Abraham erbob sich mit einem dcmütbigen Knix, als das Freifräulein eintrat — diese anmulkige Mädchen haftigkeit, so gänzlich verschieden von der Weiblichkeit, die sich in ihren Salons tummelte, machte großen Eindruck auf sie. DaS war ihr etwas Fremdes — gerade ein solches schlichtes, liebliches Kind der Hcimatl), während sic mit den Grazien aus allen Kronländern gut Bescheid wußte. „Sie wollen mir Ringe zeigen, Frau Abraham", sagte Marie mit gewinnender Freundlichkeit. „Ich weiß, gnädiges Fräulein, daß Sie sich dafür intcr- essiren und dag es Ihnen vielleicht willkommen ist, dem Bräutigam geschmackvolle Ringe empfehlen zn können. Es sind nicht gewöhnliche Ringe, wie sie in den Kästen der Iuwelicrlädcn liegen; cs ist die Sammlung eines langen Lebens — eine Sammlung von Seltcnbcilen. Und ick habe wenig davon verkauft . . die, Preise sind zn hoch für daS gewöhnliche Publicum" „Tie trauen mir große Reicktbümer zn, Frau Abraham, und Sie kennen doch die Verhältnisse meines Vaters." „Nicht an die Tochter des Barons von Sende» wende ich mich, sondern an die Braut des Grafen Febrentbal." Und sie öffnete daS Kästlein mit einem goldenen Schlüssel. Da funkelten die Schmucksteine anS allen Ländern: Sma ragde und Opale, tiefgesärbt und fehlerfrei, Rubinen ans de» Edelstcinwäschereicn Ceylons, Eapdiamantcn, Alles voll lebhaften Feuers, welches die Kunst der Schleiferei nnd Facettirnng den Naturwundern abgelockt. Marie freute sich dieses glänzenden FarbenspielS der Prachtsteine, der unterirdischen Blumen, und Frau Abraham bewunderte ihre genaue Kcnntniß; sie nnterschiev Rubinen, Granate», Diamanten und Topase niit Kennerblick. „Sie verdienen eine reiche Frau zu sein", versetzte Frau Abraham: wer Schätze besitzt, »»iß sie zn würdigen wissen; dock viele reiche Dame» leiden an einer Farbciiblinkbeil, wie ick's nennen möchte, daß sic für den Glan; und Werth ihrer Besitzthümcr gar kein Vcrständniß haben und daß sie farbigen Straß nicht von echten Edelsteinen unterscheiden können." „Doch wie haben Sie diesen Schrein mit so prachtvollen Ringen gefüllt?" „Es ist Alles in Ehren erworben, Manches gekauft zu gutem Preis als günstige Capitalsanlagc; Manches sind Geschenke vornehmer Herren nnd Damen für geleistete Dienste und cs sind auch verfallene Pfänder darunter — man muß sehen, wie man sich durch die Welt schlägt." Frau Abraham nahm nun zuerst die schönen Brillant ringe heraus. „Das ist freilich!" sagte sie, „kein Kohinor und kein Regent, aber immerhin ein stattliches Prachtstück für eine Privatsammlung." Sie ließ den einen Brillanten hin- und hersunkeln mit seinen feurigen Lichtern; dann nahm sie einen himmelblaue» Saphirring heraus. „Den schenkte mir eine ungarische Gräfin, als durch mein Zeugniß ihre Unschuld in einem gegen sie eingelcitetcn Proceß zn Tage getreten war; diesen Smaragdring erhielt ich von einem italienischen Prinzen, dessen unwürdige Geliebte ich entlarvt hatte." Alle diese Ringe bettete Frau Abrabai» wieder vorsichtig in ihren Sammetkisse»; darauf nahm sie einige gleickgiltige Kleinodien von altcrtkümlicher Fassung heraus, mackte ans die Eigenart derselben aufmerksam und bob dann mit lauernden Blicken de» Rubinring heraus, den sie gegen das Licht hielt. „DaS ist daS wcrthvolle Geschenk einer theuren Freundin." Marie nahm den Ring prüfend in die Hand und rief Plötzlich mit Bestürzung: „WaS seh' ich'? Unmöglich! Das ist ja das Wappen des Grasen Fehrenthal?" „Mag wohl sein", versetzte Frau Abraham mit Achsel zucken. „Dock wie kommt der Ring in Ihre Hände?" „Wie ick Ihnc» schon sagte — es ist das Geschenk meiner Freundin, rie ihn jedenfalls, da dies das Fchrciitbal'sche Wappen ist. von dem Grasen selbst erhielt!" „Ich weiß nickt, wer Ihre Freundin war; doch wie käme sic dazu, von dem Grafen einen solchen Ring zn er halten? Vielleicht gab ihr denselben eine dritte Person und diese bat den Ring wobt entwendet?" „Ich muß meine Freundin in Schutz nehmen, da sie selbst nicht mehr sür sich sprechen tan» ... sie lebt nicht mehr; dock ick weiß aus ihrem eigenen Munde, daß der Graf ihr selbst diesen Ring geschenkt bat." Marie erblaßte; sie versank einen Augenblick in dninpscS Schweige»; die Fragen, die ihr auf den Livpen schwebten, drängle sie zurück; wie unedel, Anklagen gegen den Bräu tigam zu hören von den Lippen eines solchen Weibes; eö war ihr wie eine Entweihung vorgekommcn, >i»v dock — wenn diese Fragen unbeantwortet blieben — welche Zweifel, welche Beklemmungen, welch' rettungslos zerstörtes Vertrauen ! Frau Abraham ließ ihre Falkenaugcn aus dem gepeinigten Mädchen rubcn; sie erwartete ihre Fragen, nnd als Marie damit zögerte, sagte sie, mit dem Schnnpstucke sich die Thränen abtrockncnv: „Meine arme Freundin — sie war so sanft und gut. .. wenn ich an ihr trauriges Schicksal denke, treten mir die Thränen in die Angen. Im tiefen Alpcnsec, an dem ihre Wiege stand, liegt sie begraben." )ctzt brach Marie entrüstet ans, indem sie den Ring in den Kasten warf: „Sie weine» mir da einen Roman vor, an dein gewiß kein wahre« Wort ist; ich muß da an irgend eine böse Ab sicht glauben." „Dieser Ring, den ich besitze, sollte mich vor dem Verdacht der Verleumdung schützen", versetzte Frau Abraham mit einer vor Erregung heiseren Stimme. „Und was ist den» weiter? Glauben Sie, daß ein Mann im Alter dcS Grafen Fcbren- tbal eine so lilienweiße Vergangenheit bat wie der Mönch irgend eines heiligen Orden«? Er sollte nie von der Liebe berührt worden sein, bis Baroneß Marie Senden in sein Lebe» trat? Seine Vergangenheit gehört Ibncn nickt; Sie haben kein Reckt daraus, nnd wenn Ibr imschulkiges Herzchen wie ans einem Tanbenscklag inS Leben guckt, so muß Ihnen Ihr Verstaut dock sagen, daß Graf Fehrenthal bisher in einem anderen Horste wohnte — in einem Atlcr- oder Geier- Horst ... gleichviel! die Männer gehen einmal auf Raub
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