01-Frühausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 21.05.1897
- Titel
- 01-Frühausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1897-05-21
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18970521011
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1897052101
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1897052101
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1897
- Monat1897-05
- Tag1897-05-21
- Monat1897-05
- Jahr1897
-
-
-
3808
-
3809
-
3810
-
3811
-
3812
-
3813
-
3814
-
3815
-
3816
-
3817
-
3818
-
3819
-
3820
-
3821
-
3822
- Links
-
Downloads
- Einzelseite als Bild herunterladen (JPG)
-
Volltext Seite (XML)
Tie Morgen-AuSgabt erscheint um '/«7 Uhr, die Abrnd-Ausgabe Wochentags um 5 Uhr^ Nedaction und LrveLition: IohanncSgaffe 8. Die Expedition ist Wochentags ununterbrochen geöffnet von früh 8 bis Abends 7 Uhr. Filialen: vtt» tklemm'S Sorlim. (Alfred Hahn), Universitätsstraße 3 (Paulinum), Louis Lösche, Katharinenstr. 14, Part, und Königsplatz 7. Bezugs-Preis Kl der Hauptexpedition oder den im Stadt bezirk und den Vororten errichteten Aus gabestellen ab geholt: vierteljährlich >14.50, bei zweimaliger täglicher Zustellung ins Haus X 5.50. Durch die Post bezogen für Deutschland und Oesterreich: viertestährlich ^l S.—. Direkte tägliche Kreuzbandsendung in- Ausland: monatlich 7.50. Morgen-Ausgabe. Anzeiger. Amts blatt des Äöuiglicheu Land- und Änrtsgerichtes Leipzig, des Aatljes und Polizei-Amtes der Ltadt Leipzig. Nuzeigen-PreiS die 6 gespaltene Petitzeile 20 Pfg. Neclamen unter dem Redactionsstrich (4g» spalten) 50^Z, vor Len Familiennachrichtee (6 gespalten) 40/H. Größere Schriften laut unserem Preis- verzeichniß. Tabellarischer und Ziffernsatz nach höherem Tarif. Extra-Beilagen (gefalzt), nur mit btt Morgen-Ausgabe, ohne Postbesörderung 00.—, mit Postbesörderung X 70.—. Ännalimeschluß für Änzeigen: Abend-Ausgabe: Vormittags 10 Uhr. Morgen-Ausgabe: Nachmittags 4Uhr. Lei den Filialen und Annahmestellen je eine halbe Stunde früher. Anzeigen sind stets an die Expedition zu richten. Druck und Verlag von E. Polz in Leipzig. 256. Freitag den 21. Mai 1897. 91. Jahrgang. Der internationale Schülerbriefwechsel. Von geschätzter Seite wird unS geschrieben: „Die in den Spalten des Leipz. Tagebl. kürzlich mehrfach erwähnte Einrichtung des sog. internationalen Schülerbrief wechsels scheint sich mehr und mehr einzubürgern, und so dürsten einige nähere Angaben darüber nicht unangebracht sein. Vereinzelt hat ein solcher Briefwechsel schon seit einigen Jahren hier und da bestanden, erst seit ganz kurzem aber ist er in größerem Maßstabe organisirt worden, und erst dadurch wird er zu einem bedeutsamen Factor des höheren Unterrichts. Von Frankreich ist er, in Folge der verdienst vollen Anregung, die Prof. Mieille in Draguignan gegeben hat, durch die ,, Revue Universitaire" organisirt worden, und zwar zunächst mit England, von Deutsch land aus durch den im vergangenen Jahre gegründeten Sächsischen Neuphilologen - Verband, der schon im März dieses JahreS eine Centralstelle gründete, noch ehe die französische Organisation auf Deutschland ausgedehnt worden war. An der hier in Leipzig, am der- nialigen Sitze des Verbandes befindlichen Centralstelle (Schriftführer des Verbandes Prof. M. Hartmann, Goblis, Wiessnslr. 2), sind bis jetzt schon weit über 700 deutsche Schüler für den Briefwechsel angemeldet und zum größeren Theile mit Adressen versehen worden. Anmeldungen*) werden natürlich nur dann berücksichtigt, wenn sie durch die Lehrer der in Frage kommenden Schüler erfolgen, denn selbstverständlich kann man der Schule das Neckt nicht bestreiten, von der Einrichtung unmittelbare Kennlniß zu nehmen. Die meisten bis jetzt an den Briefwechsel bethei- ligten Schüler gehören zu sächsischen Lehranstalten, und zwar wird das stärkte Contingent von den Gymnasien gestellt, während die Realschulen sich zur Zeit nock etwas zurückhaltend zeigen. Auch von auswärts ist die Theilnahme augenblicklich schon sehr lebhaft, namentlich sind bereits zahlreiche Anmeldungen von höheren Schulen in Altenburg, Weimar, Magdeburg, Braunschweig, Hannover und Berlin eingelaufen, so daß jetzt schon HunderZe von Briesen zwischen deutschen und französischen Schülern hin- und hergehen. Auch Anmeldungen von Schülerinnen haben bereits begonnen, aus Frankreich wie auS Deutsch land, und man darf annehmen, daß auch dieser Brief wechsel bis zu den großen Ferien in weitem Umfange organisirt sein wird. Was Frankreich anlangt, so sind mebr oder weniger alle Landestheile an der Einrichtung betbeiligt, namentlich der Süden, aber auch der Norden, Westen und Osten mit stattlichen Ziffern, ja selbst Algier und Tunis haben Correspondenten gestellt. Gerade die Verschiedenheit des Ursprungs der an die deutschen Schüler gelangenden Briese macht die Einrichtung sehr lehrreich und werthvoll; denn da die Schüler einer Classe die eingelaufenen Briefe ihren Kameraden natürlich gern zeigen, — es sind ja keine persönlichen Geheimnisse darin enthalten — so werden auf diesem Wege eine Menge aus *) Verbandsmitglieder erhalten die Adressen unentgeltlich nach- gewiesen, Nichtmitglieder haben zur Deckung der Kosten den Betrag von 20 zu entrichte». Die Anmeldung hat Namen, Vornamen, Alter, Schule und Classe der betr. Schüler zu enthalten. erster Quelle geschöpfter Begriffe über Land und Leute ge wonnen und verbreitet. Auch für den Lehrer, der als Ver trauensmann der Schüler an dem Briefwechsel mit Tbeil nimmt, ist die Lectüre der ans Frankreich eingegangenen Briefe vom völker-psychologischen Standpuncte aus eine Quelle nickt versiegenden Interesses, die er sich sonst kaum zugänglich machen könnte. Daß so mancher Brief auch einen sehr geeigneten Stoff zur Behandlung in der Unterrichtsstunde bietet, sei nur nebenbei mit erwähnt. In erster Linie kommt die Einrichtung natürlich dem neusprachlichen Unterrichte zu statten, denn die Schüler schreiben abwechselnd in der eigenen und in der fremden Sprache und schicken sich die fremdsprachlichen Briefe corrigirt gegenseitig wieder zurück. Bei regelmäßiger Pflege der Einrichtung darf man als sicher annehmen, daß der Stand der neusprachlichen Kenntnisse in einigen Jahren wesentliche Fortschritte gemacht haben wird, in Deutschland wie in Frankreich, denn es versteht sich wohl von selbst, daß Originaltexte in Gestalt von persönlich adressirten Briefen für die Schüler ein ganz besonderes Interesse baben, und das Interesse ist von jeher ein mächtiger Ansporn zum Lernen gewesen. Hierzu kommt noch der andere Ansporn, baß hier Angehörige zweier verschiedener Völker gewisser maßen in eine Art geistigen Wettkampf edelster Art mit einander eintreten, bei dem natürlich keiner von beiden Theilen allzusehr zurückstchen möchte. Je früher der Schüler an dem Briefwechsel tkeilnehmen kann, um so mehr Nutzen wird er natürlich bei regelmäßigem Betriebe daraus ziehen. Auch für einen Primaner wird die Betheiligunz werthvoll sein, aber wer bereits als Tertianer daran theilnimmt und den Brief wechsel bis in die oberste Classe herauf weiter pflegen kann, der darf natürlich auf einen besonders hohen Ertrag rechnen. So kann man cS z. B. nur billigen, wenn von einer sächsi schen Realschule aus eine größere Anzahl Schüler der 3. und 4. Classe angemeldet worden sind. Dies ist die sprachliche Seite der Sache. Daneben aber hat die Einrichtung natürlich auch noch eine andere Bedeutung, die sich mit der steigenden Ver breitung mehr und mehr geltend machen muß und die wohl Niemandem entgehen dürfte. Man kann ohne Uebertreibung sagen, daß die Beziehungen von Volk zu Volk nur gebessert werden können, wenn die Elite der Jugend des einen Volkes geistige Fühlung mit der des anderen ge winnt. Die Quellen des Chauvinismus werden am wirk samsten verstopft, wenn man sich gegenseitig näher kennen lernt. Chauvinismus entspringt oft nur aus Unkenntniß deS fremden Volkes. Hinter jedem einzelnen Correspondenten steht eine Familie, die an dem Briefwechsel in gewissem Sinne mit theilnimmt, und eine Menge unsichtbarer FriedenS- fäden werden so von Land zu Land gewebt. Die sehr starke Nachfrage nach deutschen Schüleradressen, die jetzt in Frankreich auftritt, ist ein schlagender Beweis dafür, daß der angebliche Deutschenhaß, der nach der Darstellung eines ge wissen TheileS der Presse in Frankreich herrschen soll, im Grunde nur ein aus Phantasie und Druckerschwärze ge mischtes Sckeinbild ist. Wer Frankreich aus eigener An schauung kennt, weiß daS ja schon, aber das Aufkommen des Schülerbriefwechsels ist ein neuer, handgreiflicher Beweis dafür. Er wäre ganz undenkbar, er könnte ganz unmöglich mit Zustimmung der Eltern, der blnterrichtsbehörden und der öffentlichen Meinung organisirt worden sein, wie es that- sächlich der Fall ist, wenn die Stimmung in Frankreich wirk lich so wäre, wie eS von phantasiebegabten Chauvinisten dargestellt wird." So die Zuschrift, deren Verfasser sich zweifellos auf daS Entschiedenste gegen die etwaige Annahme verwahren würde, er wolle durch die Verweisung des Deutschenhasses der Franzosen in daS Gebiet der Fabel die Notbwendigkeit unausgesetzter Wachsamkeit und Waffenbcreitschaft Deutschlands bestreiten. Gewissen Optimisten gegenüber halten wir cs jedoch für angezeigt, ausdrücklich zu betonen, daß das politische Verbältniß Frankreichs zu Deutschland nicht von der Gesinnung französischer Privatpersonen, sondern von der Haltung und den Maßregeln der Negierung und der Kammern abbängt. So lange diese kein Opfer scheuen, um uns an militairische» Machtmitteln zu übertreffen, so lange bleibt uns nichts übrig, als das Gleiche zu tbun. Um so erfreulicher ist die Aussicht, daß das Heranwachsende Frankreich über Deutschlands Absichten besser unterrichtet wird als das alternde, und nm so mehr ist zu wünschen, daß der Briefwechsel zwischen deutschen und französischen Schülern auf jede Weise gefördert wird. Für die Gegenwart von hohem sprachlichen Werthe, verspricht er für die Zukunft auch einen politischen zu gewinnen. Deutsches Reich. X. Berlin, 20. Mai. Es ist Wohl nur der am Dienstag stattgehabten Derathnng des Antrages Rickert zuzuschreiben, daß am Mittwoch der Reichstag die sehr respectable Besetzung mit 290 Mitgliedern aufwies und daß dadurch nach manchen mißglückten Versuchen das Auswanderungsgesetz und das Margarinegesetz endgiltig unter Dach und Fach gebracht werden konnten. Es ist erfreulich, daß mit dem AuSwanderungsgesetze, um dessen Gestaltung und Zustande kommen besonders der Abg. Or. Hasse sich verdient gemacht hat, zugleich die Resolution deS Abg. Förster angenommen wurde, die auf die Errichtung einer Auswanderungs auskunftei vou Reichs wegen hindrängt, und daß von Setten der Regierung dieser Resolution zugestimmt wurde. So ist zu hoffen, es werde sich in nicht zu ferner Zeit ermöglichen lassen, daß die einzelnen AuSwanderungS- lustigen sowohl hinsichtlich des für die Auswanderung im Allgemeinen geeigneten Landes, wie hinsichtlich der Frage, ob die Auswanderung nach dem bestimmten Lande sich gerade für den Beruf des betreffenden Auswanderes empfiehlt, von Reichs wegen erschöpfende Auskunft erhalten werden. Damit wird der praktische Werth des AuSwanderunzsgesetzeS aus jeden Fall erheblich gesteigert werden. Wird späterhin auch noch für die Auswanderer nach ihrer Ankunft in dem Be- stimmungslande in entsprechender Weise Fürsorge getroffen — die die Anstellung zahlreicherer Consuln im Auslande befürwortende Resolution zeigt ja den rechten Weg —, und wird für den Zusammenhalt unter den Deutschen in den einzelnen Staaten nach Möglichkeit gesorgt, so ist zu hoffen, daß die Auswanderer für das deutsche Reich und das Deutschthum in Zukunft werthvoller sein werden als bisher. — Durch die Annahme des Margarine gesetzes in der 3. Lesung ist nun auch die Frage der Trennung der Verkaufsräume in Orten über 5000 Einwohner endgiltig entschieden, da an der Zustimmung des BunLesratkes zu dieser Bestimmung diesmal kaum gezweifelt werden kann. Schon bei der Durchführung der Maßregel werden sich die erheblichen praktischen Schwierigkeiten, die ikr entgcgenstehen, deutlich Herausstellen, und der hinkende Bote, der den Landwirthen den ihnen auS der Trennung der Verkaufsräume erwachsenden Nachtbeil verkündet, wird bald genug nachfolgen. 2^ Berlin, 20. Mai. Nachdem in letzter Zeit noch ein antisemitischer Canditat im Wahlkreise Wiesbaden und ein nationallibcraler Candidat im Wahlkreise Königs berg aufgestellt worden sind, haben die Wähler nun glücklich die Auswahl zwischen fünf Candidaten in jedem dieser Wahlkreise. In jedem von beiden stehen vier Candidaten der bürgerlichen Parteien dem socialistiscken Be werber gegenüber. Dadurch werden die Aussichten, den Socialistcn zu schlage», natürlich nickt gesteigert. Trotz dem wird man die Aufstellung des Lanttagsabgeordneten I)r. Krause in Königsberg als einen glücklichen Griff be zeichnen können, besonders falls eö gelingt, die frei sinnige Vereinigung zur Zurückziehung der Candidatur Brömel zu bewegen. Krause ist Landtagsabgeordneter für Königsberg, war dort früher thätig und ist in der Stadt sehr beliebt. Dazu kommt, daß die energische Rede, die ec gegen die Vereinsnovelle im Abgeordnetenhause gehalten bat, lbm die Zuneigung auch solcher Kreise erworben haben dürste, die in manchen Fragen mehr links stehen. Auf der anderen Seite werden sich aber auch die Conservativen eher entschließen können, für Krause zu stimmen, als für Brömel. Daß trotz alledem in Königsberg ter Sieg des Social demokraten, wenn nickt in der Hanptwahl, so doch in der Stichwahl leider höchst wahrscheinlich ist, haben wir schon hervorgehoben. In Wiesbaden dürste die Ausstellung eines Antisemiten vielleicht dem Centrum in die Stichwahl ver helfen. * Berlin, 20. Mai. Nach einer allgemeinen Anweisung des Ministers der Medicinalangelegenheiten und des Innern ist in Preußen in Zukunft für die öffent lichen Impfungen im Allgemeinen ausschließlich thierischer Impfstoff auö den Landesanstalten zu verwenden. Nach Errichtung einer ausreichenden Zahl von staatlichen Anstalten zur Gewinnung thierischen Impfstoffes kann der Bedarf an tbierischem Impfstoff jeder Zeit leicht und in genügender Menge gedeckt werden. Sollte in einem einzigen Falle sich die Benutzung von Menschenlymphe noib- wendig erweisen, so ist diese Abweichung von dem Impf arzte besonders zu begründen. Weiterhin bestimmen die Minister, daß zur Vermeidung der Ueberfüllung der Impf - Räume und zur Sicherung einer raschen und ungestörten Ausführung der Impfungen die Vor bedingungen an der Hand der Erfahrung so zu gestalten sind, daß bei den Erstimpflingen die Zahl fünfzig, bei Wiederimpflingen die Zahl 80 im einzelnen Impftermine voraussichtlich nicht überschritten wird. Außerdem sollen die Jmpfärzte angewiesen werden, Fälle von abnormem Verlaufe der Impfung ohne Verzug der Behörde zu melden. Gemeldet werden sollen auch solche Fälle, von denen zu vermuthen ist, daß sie zur Behauptung einer Jmpfschädigunz früher Feuillcton. Oie Ahnen der Turfsleger. Von Leopold Werder. Nachdruck verboten. Wenn der Lenz die Erde in junges Grün kleidet, regt sich auch aus unseren Rennbahnen neues Leben, und cS er scheinen all jene wohlbekannten Gestalten wieder, die — bei unS wenigstens — während der kalten Jahreszeit feiern: soignirte Aristokraten, steifbeinige Jockeys, verdächtige Existenzen, deren Dunkelheit selbst der Glanz der gewagtesten Costüme nicht zu erhellen vermag, und vor Allen die Könige der Bahn, die edlen Renner, die das Ziel der Hoffnung, der Freude, der Furcht, deS Neides von Tausenden bilden und auf ihren Rücken ungezähltes Geld tragen. Adelig sind sie, für wahr adeliger eigentlich als Vie meisten ihrer Herren und Bewunderer, und jedenfalls ist ihr Adel augenfälliger als der ihrer menschlichen Concurrenten, da er sich in ihrem Körper bau so unzweideutig ausspricht, daß der Blick in daS stuä-doolr oder in das Säckchen, das die Araber ihren Rasse pferden um den Hals hängen, oder auf das Zeichen, das in Süditalien früher den edelsten Gäulen ausgeprägt wurde, eigentlich nur den Zweck hatte, ihren Stammbaum im Einzelnen kennen zu lernen. Nun ist cS freilich mit Stammbäumen bei Mensch und Thier überhaupt insofern übel bestellt, als sie selten ganz ununterbrochen und einwandS- fiei gefunden werden. Die Welfen sind eigentlich schon seit dem 11. Jahrhunderts Esto'.s und daS erlauchte HauS Habsburg ist ja in Wahrheit die Familie Lothringen- Toscana. Dennoch ist der Stammbaum unserer edlen Zucht- und Raffepferde insofern sicher und fest stehend, als er bekanntlich in gerader Linie auf Arabiens un vergleichliche Stuten zurückgebt, und nur in Bezug aus die allerersten Mütter ist die Geschichte zweifelhaft. Denn im letzten Grade leiten die Araber ihre edelste Zucht auf die Gestüte des Königs Salomo zurück, so daß also Ormonde sich der immerhin respektablen Verwandtschaft mit jenem Pferde, daS die Königin von Saba dem Könige von Israel verehrte, und der von Hiob so gerühmten Rosse rühmen könnte. Im Allgemeinen aber bescheiden sich die Araber doch damit, die fünf Leibstuten des Propheten als die Mütter der Nasse anzusehen, uno so können auch wir wohl auf ein und ein halbes Jahrhundert getrost verzichten und die El-KhanS, die Mohammed in der Nacht der Hedschra, daS will sagen: am 16. Juli 622, trugen, als die ersten Ahnen unserer Turf sieger betrachten. Bei den Hippologen war rS lange eine Streitfrage, ob die alte echte sied-, sagen» und fportberühmt« Araberrass« auch in der Gegenwart noch in der Heimath deS Propheten existire; die Frage ist aber endgiltig im bejahenden Sinne entschieden und der Stolz der Söhne der Wüste auf ihre Rosse, der Wertb, den sie ihnen beilegen, ist also in jeder Beziehung erklärlich und berechtigt. Nichts illustrirt Liese ihre Gesinnung vielleicht besser als eine wahre Geschichte, die in Mekka sich ereignet bat. In jener Straße, wo die Pilger ihre religiösen Parforceläufe vollbringen und sich dann von gewissenlosen Kaufleuten aus aller Herren Länder brandschatzen lassen, hatte sich auch ein persischer Pelzbändler niedergelassen, obgleich ihm das Klima der heiligen Stadt wenig Aussicht auf ein blühendes Geschäft eröffnete. Sein Laden war denn auch regelmäßig leer. Einmal aber trat ein ehrwürdiger Araberscheich ein und erstand nach stundenlangem Feilschen ein — Eisbären fell. Seine Begleiter hielten den alten Manu ersichtlich für geisteskrank und fragten ihn, was er denn mit seinem Kaufe bezwecke. Der Scheich merkte, daß seine ganze Autorität auf dem Spiele stehe und erklärte: „Ihr wißt, daß ich eine herr liche Stute aus der Familie der Kohail besitze, die ganz Arabien als echt und makellos kennt. Für sie habe ich dies Fell gekauft, damit sie ihre edlen Glieder darauf ruhe." Und die Situation war gerettet, denn dieser Kauf war für die Geisteskräfte und Las Herz deS Scheichs nur in hohem Grabe ehrenvoll. Die Kohail und die Saklawi sind nämlich unter den Geschlechtern, die sich von MobammedS fünf Stuten ableiten, die berühmtesten, und ihre Namen haben für den Araber eine fast religiöse Bedeutung. Mag eS um die historische Genauigkeit ihrer Abkunft stehen, wie cS wolle, so unterliegt eS jedenfalls keinem Zweifel, daß die vollendeten Pferde der Nedschidrasse Producte der sorgfältigsten Zuckt sind. Der Araber verabsäumt, wenn ein Fohlen von rasseedler Abkunft zur Welt kommt, nie, sofort durch Zeugen dies feststellen zu lassen; und genaue Documente, die, wie schon bemerkt, dem Thicre angehängt werden, nehmen Len Stammbaum und alles damit in Zusammenhang Stehende auf, bestätigen, daß die „Abstammung rein und ungemischt wie Milch" sei, und sprechen den Wunsch auS: „Mögen tausend Zweige seinen Leib schützen vor der Hyäne, der Freundin der Gräber, und vor dem Wolse, der in der Wüste heult!" Die Anhänglichkeit deS Beduinen an sein Roß ist aber um so größer, als eS be kanntlich nicht, wie die Rassenpferde bei uns gewöhnlich, nur rin LuxuSthier ist, sondern seinen praklisckc» Bedürfnissen dient; sind doch die unvergleichliche» Eigenschaften deS Arabers zu einem erheblichen Theile den sehr bohen Anforderungen, die sein Herr an ibn stellt, und der frühzeitigen Dressur, die selbst dem edelsten Abkömmling nicht erspart bleibt, zu danken! DaS arabische Pferd wird in der brennendsten Sonnenhitze angebunden und erhält keinen Schatten, eS wird ruhe» und rastlos eingeritten, bis es raucht, vor Schweiß trieft und zittert, und dann ins Wasser gezwungen, es wird zeitig der Muttermilch entwöhnt und nur mäßig gefüttert. Die Helden- tbaten der Nachkommen der El-Kbans liegen denn auch nicht auf dem Turf, sondern im Kampf; sie trugen und tragen oft ihre Herren mit Windeseile vor ihren Verfolgern hin weg, nicht allein stundenlang, sondern, wie glaubhaft versichert wird, selbst bis zu einem Tage lang, oder retten sie durch Sprünge von unerhörter Kühnheit. Derlei Thaten bilden dann lange das Lieblingsgespräch und die Ueberlieferung ganzer Stämme. Wettrennen gab eS freilich im alten Arabien auch schon; schon vor Muhammed'S Zeiten wird von einem solchen Rennen berichtet, bei dem der Preis aus 100 Kameelen bestand und die unvergleichlichen Renner Dabes und Gabrack miteinander stritten. Die Folge dieses Rennens und der dabei entstandenen Eifersucht war ein schwerer Krieg zwischen den beiden Stämmen, denen die beiden Gäule ge bürten, ein Krieg, der nicht weniger als 40 Jahre gedauert haben soll. Obwobl die Araber eS an Geldgier mit jedem Volke der Welt aufnehmen, so sind sie nur äußerst schwer zu bewegen, eine ihrer erprobten Zuchtstuten zu verkaufen. Man erzählt von einem Araber, der sich entschlossen hatte, eine Stute an den Marschall Ludwigs XIV. zu verkaufen. Bei jeder Handvoll Gold, die er einsteckte, blickte er auf das Thier und weinte, indem er eS aufs Zärtlichste anredete. Schließlich konnte er es doch nicht übers Herz bringen, sich von der Stute zu trennen, warf das Geld hin und ritt davon. Unter solchen Umständen war es keine einfache und leichte Sache, die echte arabische Zucht in den Occident über zuführen. Zuerst geschah dies Lurch die Mauren in Spanien, die die schon im Alterthum berühmte iberische Raffe mit echt arabischer Zucht kreuzten und dadurch einen ganz außer ordentlichen Pferdescklag schufen. Heute freilich sind die spanischen Pferde im Allgemeinen entartet, im Mittelalter aber waren sie Europas berühmteste Rasse und ein spanisches Pferd war das begehrteste Geschenk unter Fürsten. Ein spanisches Pferd ritt auch Wilhelm der Eroberer in jener Schlacht von Hastings, deren unübersehbare geschichtliche Wichtigkeit in diesem Augenblick für uns nur darin besteht, daß sie eine neue hippische Epoche für England einleitete. Unsere näheren Vettern, die Angelsachsen, scheinen eigent lich wenig Pferdeverstand besessen zu haben, denn aus ihrer Zeit wird von Pferdezucht und Rassenpferden wenig berichtet. Ten Sinn bierfür brachten über den Canal erst die siegreichen normännischen Ritter, die in ihrer Heimath über die bekannte schöne kräftige Raffe verfügten. Vom Jahre 1066 datirt Englands Entwickelung zum klassischen Lande des hippischen Sport«, und es ist hochinteressant, daß bereits auf der kunst geschichtlich bekannten sogenannten Tapisserie der Königin Mathilde die normännische Rasse der Pferde gut ckarak- terisirt ist. Das arabische Pferd wurde zuerst im Jahre 1121 in England eingeführt. Später brachten die Kreuz züge orientalische Zucht ins Land, und von Richard Löwen- Herz' cyprifcken Rossen singen begeistert die Chroniken: „Kein Thier kann ihnen gleichen." Aber diese Pferde haben in den Stammbäumen der englicheu Pferde noch keine Spur hinterlassen. Dasselbe gilt auch noch von dem Araber, Len Jacob I. für die damals kolossale Summe von ca. 10 000 erstand; es beißt, der Herzog von Newcastle, der berühmteste Pferdekenner und SportSman jener Zeit, hatte von diesem importirten Thiere keine günstige Meinung. So beginnt denn der Stammbaum des englischen Pferdeadels erst unter Karl II., der durch Sir Christoph Wywill und Sir George Fenwick eine Anzahl Hengste und Stuten in Arabien ankausen ließ, die unter dem Namen Royal-Mare fast an der Spitze aller englischen Vollblulstammbäume stehen und in Verbindung mit einigen später eingeführten Thieren als die eigentlichen directen Ahnen unserer Turfsieger bis zu den jüngsten hinab anzusehen sind. Unter diesen Ahnen sind als besonders be rühmt und edel hervorzuheben der den königlichen Ställen gehörige Darley-Arabian, der 1707 nach England kam; sein Sprößling F'ying-Childers mußte seine Turflaufbalm zeitig ausgeben, weil mit diesem unüberwindlichen Pferde Niemand concurriren wollte. Noch berühmter ist Godolpbin-Arabian. Er kam zuerst nach Frankreich, wurde aber hier so wenig ge würdigt, daß er im Karren gehen mußte, und ward dann »ach England verkauft, wo er in den Besitz des Lord Godolphin kam und durch seine Leistungen wie seine Nachkommenschaft historisch wurde. Schon im 18. Jahrhundert machte nun Englands Zucht Niesenfortschritte, und erzeugte ein Thier, wie die klassische Eklipse (geb. 17. April 1764 vom Maröke a. d. Spiletta). Eklipse siegte bereits bei seinem ersten Debüt auf der Babn von Epsam, bei seinem zweiten Auftreten wettete der Hauptmann O'Kelly, daß eS zu einer bestimmten Zeit am Ziele ankommen würde, und gewann die Wette. Der Hengst trug seinen Besitzern im Ganzen etwa 14 Mil lionen Mark ein und ist der Vater von ungefäbr 400 Siegern auf dem grünen Rasen geworden. WaS andere große Pferde, wie Persimmon oder Rosicrucian, in unserem Jahrhundert geleistet haben, daS ist zu bekannt, um bier weiter verfolgt zu werden. Auch ist unser Zweck, die Bekanntschaft der Ahnen unserer Turfsieger zu macken, erreicht. Da Smoderne englische Vollblutpferd — wie Löffler sagt: ein der Mutterpflanze entnommener Schößling, der fast so ausgezeichnet ist wie diese — steht an der Spitze aller Stammbäume unserer heimischen Renner. Das edle Blut von einigen Dutzend echter Araber hat genügt, um Generationen nach Generationen von Pferden mit Adel, Schönheit, Feuer, Kraft und Aus dauer auSzustattrn.
- Aktuelle Seite (TXT)
- METS Datei (XML)
- IIIF Manifest (JSON)
- Doppelseitenansicht
- Keine Volltexte in der Vorschau-Ansicht.
- Einzelseitenansicht
- Ansicht nach links drehen Ansicht nach rechts drehen Drehung zurücksetzen
- Ansicht vergrößern Ansicht verkleinern Vollansicht