02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 08.06.1897
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1897-06-08
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
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- Public Domain Mark 1.0
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- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18970608021
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1897
- Monat1897-06
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Herr Gescher, so meint die „Post", sei erstens guter Katholik und seine Ernennung werde daher die Paritäts-Klagen des Centrums wieder einmal all ubsurllum führen; zweitens sei er nicht adlig und stamme nicht aus einer ostelbischen Groß- grundbesitzerfamilie, folglich könne seine Ernennung manche Verstimmung mildern und sogar der Novelle zum Vereins gesetz zum Vortheil gereichen. Wie rührend die Bescheidenheit ist, die aus Lieser Folgerung spricht, geht aus einem Artikel hervor, den die „Post" am 24. Mai brachte. Es war kurz vor her im Abgeordnetenhause außer anderen schwerwiegenden Be denken gegen die Vorlage auch die Bevorzugung geltend ge macht worden, deren bei der Besetzung der höheren Ver waltungsstellen in Preußen seit Jahren Männer von aus gesprochen antiliberaler Gesinnung sich zu erfreuen hätten, in reren Händen die Bestimmungen der Vorlage eine schwere Gefahr sür alle nicht konservativen Vereine und Versamm lungen bedeuten würden. Darauf brachte die „Post" an dem genannten Tage einen Artikel, in dem die Ueberhebung der Verwaltung über die Justiz beklagt und ferner ausgeführt wurde: „Man bringt dies mit der weiteren Ausstellung in Verbindung, daß sowohl bei der Uebernahine in den Verwaltungsdienst wie bei dem Aufrücken in demselben bestimmte sociale Schichten, namentlich der Adel und der Großgrundbesitz der östlichen Provinzen bevorzugt und mehr Werth aus Familien beziehungen, äußeres Auftreten und Schneidigkeit, als auf wissenschaftliche und praktische Tüchtigkeit gelegt werde. Auch hierbei bat man wohl vielfach mit Uebertreibung und Ver allgemeinerung von Einzelerscheinungen zu thun. Aber völlig ungerechtfertigt erscheint die Kritik nicht An- gehörige ungelehener Familien, namentlich des Bezirks besonders zu berücksichtigen, liegt die Versuchung gleichfalls nahe. Corps- und sonstige Beziehungen ähnlicher Art tommen hinzu, so daß in der That der Nachwuchs unserer Beamten der allgemeinen Landesverwaltung vielfach exclusiver und ein seitiger geworden ist, als dies im allgemeinen Interesse und im Interesse der Verwaltung selbst liegt. Auch gewinnt es den Anschein, fdaß für die Besetzung namentlich der sogenannten politischen, zugleich mit Repräsentation verbundenen Verwaltungs stellen der Adel wenigstens keinen Nachtheil leidet." Und nun genügt die Ernennung eines Mannes, der im Reichstage der konservativen Fraktion angehört und also jedenfalls weder ein Katholik nach dem Herzen des Centrums ist, noch irgendwie von der Richtung abweicht, die bisher bei der Besetzung der höheren Verwaltungsstellen begünstigt wurde, der „Post" vollständig, um sich der Erwartung hinzugeben, diese Ernennung werde die Opposition gegen die Vereins rechtsnovelle zu Freunden derselben umstempeln! Das preußische Ministerium ist hoffentlich weniger vertrauensselig. Wiegte es sich gleichfalls in solche Hoffnungen ein, so würde eS seiner politischen Einsicht das denkbar ungünstigste Zeugniß aus stellen. Neber die diesjährige Land es Versammlung der welfischen Partei in Osnabrück werden den „Hamb. Nachr." einige interessante Mittheilungen gemacht. Nach ihnen charakterisirte der Reichstagsabgeordnete v. Hodenberg die verschiedenen Parteien in Hannover; von den National liberalen, dem Bunde der Landwirthe, den Deutsch-Socialen wollte er absolut nichts wissen; der schwerste Vorwurf, den er gegen sie erhob, ist ihr „BiSmarck-CultuS". Aber auch die Socialdemokraten kamen recht schlecht weg — haben sie doch, wie Herr v. Hodenberg behauptete, bei der letzten Reichstagsersatzwahl in Osnabrück in ihrer Mehrzahl „auS Haß gegen Kirche, Adel, Ordnung und Recht dem national liberalen Negierungsmanne Wamhoff ihre Stimmen zu gewandt" — uno nicht dem welfischen Gegenkandidaten. Aber die Mitglieder aller dieser Parteien, fuhr Herr von Hoden berg fort, „sind immerhin unsere Landsleute, bei denen wir die Hoffnung nicht verlieren dürfen, sie wiederzugewinnen." Auch die Nationalliberalen würden bei einer freien Ab stimmung, ob sie hannoversch oder preußisch sein wollten, für ersteres stimmen, wenn man ihnen die Herrschaft un Lande verspräche. Wie Herr von Hodenberg trotz seines Hasses gegen die hannoverschen Nationalliberalen zu dieser Ansicht kam, geht auS seiner weiteren Aeußerung hervor: „Die schlimmsten Gegner sind die Preußen, die leider die Gewalt im Lande haben." Zur Cbarakterisirung der jetzigen „Preußenherrschaft" ging der Redner ein „Realie nbucv" durch, das. in > den Volks schulen eingesührt sei. In diesem Bucke würden die bösen Zeiten unter Friedrich Wilhelm III. und Friedrick Wilhelm IV. nur sehr kurz behandelt, „um dann mit vollen Posaunen zur Jetztzeit zu kommen". „Bemerkenswerth ist es aber, daß in dem ganzen Buche der Name des „Handlangers" Bismarck nur ein einziges Mal vorkommt." Das wäre allerdings sehr bemerkenswerth und würde die Hoffnung des welfischen Redners auf Gewinnung selbst der hannover schen Nationalliberalen völlig begreiflich machen. Schon nach dem Sturze BiSmarck's gaben sich die Welfen der Hoffnung hin, daß der Abwendung der leitenden Kreise in Berlin von Bismarck die Abwendung von den Errungenschaften der Aera Bismarck über lang oder kurz folgen müsse und daß dann die Nationalliberalen dem Welfenthume von oben her in die Arme getrieben werden würden. Die „Aussöhnung zwischen Berlin und Friedrichsruh" und die Ersetzung des Grafen Caprivi durck den Fürsten Hohenlohe sielen wie Mehlthau aus diese Hoffnungsblüthen. Die neue Entfrem dung, die in dem von dem Redner citirten „Realienbuche" zum drastischen Ausdrucke kommt, schwemmt diesen Mehlthau wieder hinweg und wirkt wie Sonnenschein auf die allen Blüthen der welfischen Hoffnungen. Das wäre gleichgiltig, wenn man nicht wüßte, daß Hoffnungen die Thatkrast be flügeln und die Wahlen in Hannover um so günstiger für die Welsen auszufallen pflegen, je hoffnungsvoller die Führer sich äußern. Man sollte daher in Berlin, wo man ohnehin mit dem Gedanken an einen ungünstigen Ausfall der nächsten Landtags- und Reichstagswahlen sich vertraut machen muß, das famose „Realienbuch" für die hannoverschen Volksschulen sich etwas genauer auf seine politischen Wirkungen ansehen. Je näher die für den 13. dS. MtS. geplante große Straßenkundgebung zu Gunsten der belgischen HeereS- reform rückt, desto mehr bemühen sich die klerikal regierungsfreundlichen Blätter, den Eindruck dieser Kund gebung von vornherein nack Möglichkeit abzuschwächen. Sie suchen die Sache so darzustellen, als ob eS fick nur um eine liberale Bewegung und um ein rein liberales Manöver handelte, die katholische Regierung zu stürzen. Diese Behauptung beruht auf einer bewußten Verdrehung der Thatsacken. Nicht einmal dec Gedanke zu dem Massenzuge vom l3. Juni ist von der liberalen Partei ausgegangen, sondern er ist vielmehr in den belgischen Heereskreisen entstanden. Daß die ganze liberale Partei die Kundgebung zu Gunsten der Heeres- resorm mit ihrer Sympathie begleitet, ist allerdings wahr. Daffelbe trifft aber auch von den Radikalen und Socialisten zu. Schließlich ist zu bemerken, daß auch zahlreiche Klerikale, wie die ultramontanen Abg. Graf Vilard de Bocarms und Pfarrer Daens, der Senator Graf van der Burch u. a. an der Kundgebung theilnehmen werden. Man kann also der letzteren einen nationalen und patriotischen Charakter nicht absprechen. Sehr lehrreich ist übrigens die Haltung der Regierung in dieser Frage. Bekanntlich spielt sich das Ministerium Desmet de Naeyer auf die Anhänger der HeereSreform hinaus und bedauert stets, daß die gegenwärtige parlamentarische Lage es an der Durchführung der so sehnsüchtig erstrebten HeereSreform hindere. Wäre dies aufrichtig gemeint, so müßte die Regierung die Kund gebung vom 13. Juni, die eben den Zweck hat, einen Druck auf die Volksvertretung auszuüben, mit Freuden begrüßen. Statt dessen läßt sie ihre ganze Preßmeute gegen die Kund gebung los und der Minister des Innern hat sich sogar so weit hinreißen lassen, dieselbe im Senate offen zu verspotten. Damit deckt die Regierung endlich ihre Karten auf, indem sie den untrüglichen Beweis liefert, daß sie mit ihren angeb lichen Sympathien für die HeereSreform bisher nur eine Comödie gespielt hat. Mit der Reise de» Präsidenten der französischen Republik nach Rntzland beschäftigt sich die Pariser Presse fortgesetzt und fast ausschließlich, wobei es an Streiflichtern auf daS deutsch - französische Verhältniß nicht fehlt. Der „Figaro" theilt mit, die französische Diplomatie habe erfahren, der deutsche Kaiser wünsche, den Prinzen Heinrich der französischen Flotte, die vielleicht den Weg durch den Kaiser- Wilhelm-Canal nehme, entgegenzusenden, um in seinem Namen den Präsidenten der Republik zu begrüßen. Die Diplomatie erörtere die Frage, ob man dieser Begrüßung auSweichen solle. Eine weitere Frage sei, ob der Senats- und der Kammerpräsident nach Rußland mitgehen sollen. Der Zar habe durck seine Vertreter die Meinung ausdrücken taffen, daß der Pariser Besuch ihm nur durch einen einzigen Mann, der allein und ungetheilt die Souverainetät besitze, erwidert werden könne. Faure sei damit sehr ein verstanden. Die Präsidenten deS Senats und der Kammer hingegen werden nur ungern von der Reise fernbleiben. Eine weitere Schwierigkeit liegt darin, ob auch die Damen des Elysse an der Reise theilnehmen sollen. Da der in der Pariser Presse bisher geführte Streit über die verwandtschaft lichen Verhältnisse der Madame Faure noch nicht vergessen ist, wird von deren Theilnahme an der Reise allem Anschein nach Abstand genommen. Dagegen wünsche, so schreibt der „Figaro", Präsident Faure wenigstens seine Tochter Lucie mitzunchmen, die von der Kaiserin eingeladen sei; aber auch die Reise des Fräulein Lucie Faure werde Wohl unterbleiben müssen wegen der zahlreichen Schwierigkeiten, hauptsächlich aber deshalb, weil Lucie, die nicht auf einem Kriegsschiffe reisen dürfe, den Landweg nehmen müßte, und weil die deutsche Kaiserin sie in Berlin durch Ehrenfräulein begrüßen lassen könnte. (!) Der radikale Dcputirte Bazille, der soeben aus Rußland zurückkommt, sagt in mehreren Interviews, das Programm sür den Empfang deS Präsidenten sei bereits festgesetzt. Der Präsident werde in Kronstadt eine Flottenrevue abnehmen, drei Tage in Peterhof bleiben, einer Galavorstellung der Petersburger Oper beiwohnen, die Petersburger Sehens würdigkeiten mit dem Kaiserpaar besichtigen. In KraSnoje Selo werde eine Truppenrevue stattfinden. Bei dem 91. Jahrgang. Aufenthalt des deutschen Kaisers hingegen werde keine Truppenrevue abgehallen werden. Bazille erzählt, wie schon kurz erwähnt wurde, er habe in gesellschaftlichen wie in politischen Kreisen Rußlands die Tendenz vorgefunden, eine Annäherung zwischen Deutschland und Frankreich herbeizuführen. Man spreche gern von einer Allianz Ruß lands, Frankreichs und Deutschlands. Es gäbe eine 'ehr starke deutsch-freundliche Damenpartei am russischen Hofe und besonders sei der Einfluß der Kaiserin sehr groß. Auf die Bemerkung Bazille's, die Franzosen könnten Elsaß-Lotb- ringen nicht vergessen, habe ihm ein hoher russischer Beamter geantwortet: Sie haben Unrecht, denn eine An näherung an Deutschland würde Frankreich Egypten geben. Jedenfalls sei in Rußland die herrschende Idee ein Kampf ge^en England. Man fürchte dort, daß die Engländer ans Kreta sich festsetzen; falls Deutschland dies verhindern helfe, sei eine russisch-deutsche Annäherung nicht unmöglich. Anläßlich des Anfang August stattfindenden Zarenbesuchcs in Warschau entfaltet sckon jetzt der Empfangs-Ausschuß eine eifrige Thätigkeit. Die Hochfinanz und die polnische Aristokratie zeichnen sehr bedeutende Beträge. So hat der polnische Bauguier Kronenberg allein 100 000 Rubel, ein polnischer Magnat 30 000 Rubel gezeichnet u. s. w. Tie allezeit sanguinischen Polen hoffen von der allerdings nur auf wenige Tage berechneten Anwesenheit des Monarchen in Warschau eine gründliche Aenderung des NegierungS- systemS in Polen. Die russischen Beamten dagegen arbeiten besonders durch Petersburger Einflüsse und Verbindungen dahin, daß so wenig als möglich geändert wird und daß vor Allem die russische Beamten-Hierarchie die Stellungen in Polen, mit denen mehr Nebeneinnahmen als im eigent lichen Rußland verbunden sind, weiter inne bebäll. Fürst ZmeretynSki ist ein eifriger Vertreter der Petersburger centralen Politik und aus seiner gegen wärtigen ersten großen Inspektionsreise durch Russisch- Polen sagte er an verschiedenen Stellen und besonders in der Gegend von HrubicSzow zu den pol nischen Gemeindevorstehern und polnischen Beamten, die er sich vorstellen ließ: „Meine Herren, ick erwarte von Ihnen, daß Sie in allen Zweigen Ihrer amtlichen und außeramt lichen Thätigkeit nur ein einziges Interesse, das Reichs interesse kennen. Widmen Sie sich diesem Interesse mit vollster Hingabe, so werden Sie an mir stets einen Freund und Be schützer haben." Immerhin sind auch neuerdings den Polen wiederum einige Zugeständnisse gemacht worden. So ist vor Allem der polnischen Preffe eine wesentlich freiere Bewegung als unter Schuwalow und vor Allem als unter Gurko gestattet worden. Die Censur erlaubt u. A. den Warschauer polnischen Blättern eine Kritik der gegenwärtigen preußischen Polenpolitik und „Kuryer WarSzawSkc", „Stowo" u. s. w. nehmen in dieser Hinsicht jetzt kein Blatt vor den Mund. Auch ist beispiels weise der neu ernannte Rector der Warschauer Univer sität, der Historiker Zengcr, kein sogenannter Strengruffe — in den letzten Jahrzehnten wurden nur entschiedene Polen gegner zu Rectoren der Warschauer Universität ernannt — sondern ein „Versöhnungspolitiker". Wenn allerdings aus dieser Ernennung ein polnisches Blatt den Schluß gezogen hat, daß nunmehr bald wieder die Lehrstühle der Warschauer Universität fast sämmtlich mit polnischen Gelehrten besetzt werden dürften, so irrt es sich dock wobt. Uebrigens verspotten die polnischen VolkSbiätter in Preußen und Galizien die russisch-polnische Aristokratie ob ihres „Byzantinismus" in der denkbar schärfsten Weise. Auch in Feuilleton. Zwei Frauen. 22s Roman von F. Marion-Crawsord. Nachdruck «erboten. Hilda's Heiterkeit kehrte sofort wieder zurück und sie brach in lautes Lachen auS, gerade als die Pferde im Schloßhof hielten. Sie lief die Treppen hinunter, der Mutter und Greif entgegen. Die Geschickte von dem Hasen und Wastei's Hosen hatten beinahe ihren Vorsatz verdrängt, eine traurige Miene zu zeigen. Tie schreckliche Tragödie von Greifenstein schien ihrem jungen Leben weit entrückt. Hilda halte ihre Kapuze zurückgeworfen als sie in den Hof hinuntereilte. Ihr prächtiges Haar leuchtete auf dem dunklen Hintergrund der Vorhalle wie gesponnenes Gold, und als der Mantel ihr 'zu beiden Seiten zurückfiel, hob daS schwarze Kleid Lurch den Gegensatz die strahlende Frische ihres Gesichtes leuchtend hervor. Im nächsten Augenblick dielten Mutter und Tochter einander umschlungen, während Greif zur Seite trat. Er schloß die Augen, gerade als Hilda sich ihm zuwandte. DaS war LaS Mädchen, dem zu entsagen er gekommen, daS war sic, deren Liebe er einer Ansicht wegen aufgeben wollte! Sein Herz pochte heftig, dann stand eS still, so daß er kreide bleich wurde. Ihre Hand lag bereits in der seinigen, und er wagte kaum, sie anzusehen. „Greif, bist Du krank?" fragte sie besorgt. Als er aufblickte, sah er, waS für ihn noch schwerer zu ertragen war als der Ausdruck freudiger Erregung über seine Ankunft. Sie, die niemals die Farbe zu wechseln pflegte, war erblaßt bis in die Lippen und auS ihren Augen blickte eine entsetzensvolle Besorgniß um ihn, die ihm all' ihre Liebe und die Macht, für ibn zu dulden und mit ihm zu leiden, blitzartig offenbarte. Er taumelte, wie im Begriff, zu fallen. „Bist Du krank, Greif?" wiederholte sie, ihn unwillkür lich an sich ziehend. „ES ist nicktS. Mir schwindelte einen Augenblick." Hilda war nicht befriedigt, aber sie sah, daß er sich wieder erholt batte. Sie wurde schweigsam und nachdenklich, als sie alle zusammen die Treppe zu dem sonnigen Wohn zimmer hinaufstirgen. Die Baronin ließ sie allein mit Greif, unter dem Vorwand, sie wolle ihren Mantel ablegen und ihr Haar glätten. Da war der mächtige Kamin, ganz wie ihn Greif ge sehen, al« er sich seine Begegnung mit Hilda auSmalte, und Hilda setzte sich neben ihn, wie er eS sich gedacht hatte, aber das Zimmer war nicht kalt, wie er vermuthet, denn da« Feuer brannte bell nnd die Flammen tanzten auf den großen Holzscheiten und die Sonnenstrahlen strömten durch das hohe Fenster in LaS trauliche Gemach. „Greif", rief Hilda, ihm inS Gesicht sehend, „ich weiß nicht, wie ich Dir sagen soll, wie tief ich Deinen Kummer mitfühle. Ich finde die rechten Worte nickt dafür, aber jede Regung, jeder Schlag meines Herzens ist für Dich." Sie war aufgestanden, da er sich noch nicht gesetzt hatte, und sie kam zu ihm, leate ihm die Hände aus die Schul tern nnd sah ihm in die Augen. Bei ihrer Berührung und dem Ton ihrer Stimme, die ihm so nahe erklang, vermochte er nicht länger Kälte zu heucheln. Seine Arme umschlangen sie, er drückte sie an sich und küßte sie, wie er sie nie zuvor geküßt batte, führte sie zu ihrem Sessel zurück, und begab sich wieder auf seinen Platz. Einige Augenblicke schwiegen sie Beide. „Hilda," begann Greif endlich, sich von ihr abwendend und zum Fenster hinausscbend, „etwas Schreckliches ist ge schehen und ich muß es Dir erklären, damit Du begreifst, was ich zu thun gezwungen bin. Willst Du mir ver sprechen, geduldig zuzuhören und mir im Voraus zu ver zeihen, waS ich Dir zu sagen genöthigt bin?" „Ja," antwortete Hilda leise. DaS Vorgefühl, daß Böses sie bedrohe, hatte sich ihrer wieder bemächtigt, wie an dem Tage, als sie Greifenstein verlassen. Sie senkte den Kopf und bedeckte die Augen mit den Händen, als ob sie den Schlag nicht sehen wollte, der auf sie niederfuhr, obgleich sie e« nicht von sich abwenden konnte, dessen Ge wicht zu fühlen. Die Bewegung war eine unwillkürliche, denn nickt der leiseste Gedanke von dem, WaS er ihr zu sagen hatte, dämmerte in ihrem Gemütb auf. „Ja", rief Greif, „eS ist schrecklich, aber ich kam hierher, um eS Dir zu sagen und Dir all LaS Traurige und Unab weisbare mitzutheilen, was sich daran knüpft. Du weißt, WaS geschehen ist. Meine arme Mutter ist todt, und die an ihrem Tode schuld sind, haben sich selbst getödtet, mein Pater und sein Halbbruder. Du wußtest nicht, daß ich einen Onkel hatte?" Hilda schüttelte verneinend den Kopf. „Er war ein schlechter Mensch", fuhr Greif fort, „er war Officier gewesen, und hatte in den Zeiten der Revo lution das in ihn gesetzte Vertrauen schnöde verrathen; er wurde zu Festungsstrafe verurtheilt, entkam aber, nahm seinen Weg nach Südamerika und lebte dort vierzig Jahre in der Verbannung, bis die Amnestie erlassen wurde. Er war kein Greifenstein, er hieß Rieseneck, ein Halbbruder meines Vates von mütterlicher Seite und jünger als er. Das war der Grund, weshalb mein Vater so zurückgezogen hier im Walde lebte. Er fürchtete, die Leute draußen in der Welt könnten sich erinnern, Laß er Rieseneck'S Bruder war. Die Sache hatte ihrer Zeit viel Aufsehen gemacht. Deine Mutter weiß Alles über diese Angelegenheit. Es war schlimm genug, eine solche Schmach in der Familie zu haben, aber leider sollte eS dabei allein nicht bleiben. Wir wußten nicht, daß Rieseneck einen Sohn hatte —ich entdeckte ihn in meinem besten Freund. Sein Name ist Rex." „Wie seltsam!" rief Hilda. „Weshalb ist sein Name Rex?" „ES ist eigentlich nicht sein Name. Sein Vater und er nannten sich Rex, um nicht identisicirt zu werden. Es war beinahe eine Notbwendigkeil für sie, ihren Namen abzulegen, wie sie eS jetzt für mich ist." „Für Dich?" fragte Hilda in höchstem Erstaunen. „Wes halb wolltest Du Deinen Namen ändern?" Greif war starr. Sie schien ihn gar nicht zu ver stehen, nnd doch hatte er ihr Rieseneck's Geschichte erzählt, um bei dem Vergleich die srinige noch schrecklicher erscheinen zu lassen. „Du mußt wissen", sagte er, „daß in der Welt Unglücks fälle, wie sie mich getroffen haben, selbst für den Unschuldigen ein Brandmal, ein Flecken sind und ihn der Verachtung preisgeben." „Und fürchtest Tu die Welt, Greif?" fragte Hilda. „DaS sieht Dir nicht ähnlich. WaS die Rieseneck'S anbetrifft, vaS verstehe ich, er beging eine schmachvolle, eine ehrlose That, wurde verurtheilt und eingesperrt. S« ist wie eine schreckliche Geschichte auS einem dunklen Zeitalter, aber c- ist nichts, dessen Du Dich zu schämen hättest. Sie ist grauenvoll, entsetzlich, aber Du darfst Deinen Kopf so hoch tragen, wie Irgendeiner." „Du kannst daS nickt begreifen, aber die Welt urtheilt nach ihrer Einsicht. Wenn ich, der Sohn eines Mannes, der seine Frau und dann sich selbst tödtete, mich einem Manne meine- eigenen Ranges vorstellte und seine Tochter von ihm zur Ehe verlangte, würde ich eine Ablehnung und vielleicht eine sehr unwirsche erfahren. Ich gelte hinfort nicht mehr als die geeignete Persönlichkeit, ein unschuldiges Mädchen meines Standes zu heirathen, mein Name ist durch das Verbrechen Anderer gebrandmarkt, mein Leben vernichtet, von dem Glück, von jedem ehrgeizigen Streben ausgeschlossen, von Dir losgerissen! O, Hilda, Dir das zu sagen, bin ich hier. Wenn ich es wagte, Dich jetzt zu heirathen, Dir meinen unseligen Namen zu geben, Dick in das Haus einzuführen, das so verdüstert ist, wäre ick der letzte und niedrigste der Menschen. Das Einzige, Las ich ehrenhafter Weise thun kann, ist. Dich sogleich und für immer zu verlassen, wenn anders Du mich nicht verachren und mein Andenken verabscheuen solltest. O Hilda, Hilra, es ist der Tod für mich, aber eS ist LaS Beste für Dich." Der Schlag war gefallen, und Hilda saß ganz still in ihrem Sessel. Wieder bedeckte sie die Augen mit der Harr-. Sie bewegte sich nickt, aber die friscke Farbe ihres Gesicki o erblich, bi« es weiß war wie ei« Leichentuch. Greif blickte sie an und ihm schwindelte. Mit der leidenschaftlichen Heftigkeit eines Menschen, der das Beste in sich überwunden hat und ein wilde- Entzücken darin findet, seine eigenen Wunden noch weiter aufzureißen, fuhr er fort: „ES ist geschehen, Du weißt jetzt Alles", rief er bitter. „Ich habe gegen mich selbst und gegen alle Anderen ge kämpft, um das zu thun. Glaubst Du, es sei leicht, einer Braut wie Dir zu entsagen? Und dennoch würde ick Dick nicht nehmen, und wenn Du mich durch die ganze Welt verfolgtest. Welche- Recht hätte ich dazu? DaS Reckt wahrer und inniger zu lieben, als jemals ein Geschöpf Gotte- geliebt worden ist? Da» ist vorüber, das Recht ist verwirkt, ist fort mit Allem, wa« ich einst war, begraben mit meinem Vater und meiner Mutter in der alten Gruft der Greifensteins? Recht? Ich habe keine Rechte mehr, weder zu lieben noch zu Haffen, noch in dem Gedanken an Liebe und an Hilda glücklich zu jein. Und dennoch, in all' den kommenden Jahren wirst Du bei mir sein. Ich kann daS Recht nicht aufgrben, mich Deiner zu erinnern. Deiner tbeurrn Augen zu gedenken. O, wäre es nur meine eigene Schuld, wie leicht wäre eS, Alle« zu ertragen. Ich könnte für mein Unrecht sterben, und da- würde leicht und einfach sein und Alle« so gut enden!" Greif lehnte den Kopf an da- kalte Gemäuer des Kamins, senkte die Lider über die trockenen, schmerzenden Augen und wünschte, alle« wäre schon vorüber. Er batte beadficktigt,
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