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01-Frühausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 12.08.1897
- Titel
- 01-Frühausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1897-08-12
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18970812015
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1897081201
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1897081201
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1897
- Monat1897-08
- Tag1897-08-12
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Alles in Allem — Ver waltung, Flottenbetrieb, Neubauten und Erneuerungsbauten von Schiffen zusammengerechnet — bat bas junge Reich in diesen ersten 25 Jahren seines Daseins anderthalb Milliarden für seine Marine verausgabt; davon etwa 325 Millionen im Wege der Vermehrung der Reichsschuld. Zu Vergleichen sind alle diese Zahlen in keiner Weise an- gethan. Deutschland ist erst in der zweiten Hälfte des neun zehnten Jahrhunderts zu seiner Einheit und damit in die Lage gekommen, den Ansprüchen an eine Großmacht gerecht zu werden, bezw. mit denselben sich abzufinden. Insbesondere für seine Machtstellung zur See hat es von den Einzel staaten so gut wie nichts als Erbschaft übernommen, und der Norddeutsche Bund hatte zwar den Plan einer BundcS- flotte, also den Umriß einer deutschen Machtstellung zur See entworfen, aber noch nicht mit dem erforderlichen Material an Schiffen ansgefiillt. Somit fällt erst in diesen Zeitraum der 25 Jahre seit 1872 die Floltengründung für das deutsche Reich, und wir wissen aus den parlamentarischen Kämpfen der letzten Jahre, daß diese GründungSperiode noch nicht einmal ihren Abschluß vollständig gefunden hat, — deshalb nicht, weil die Anforderungen an den Küstenschutz wie an den Schutz des überseeischen Handels neuerdings mannigfaltiger geworden und weil wir eben erst im Begriff sind, uns einen colonialen Besitz abzugrenzen, für welchen demnächst das Bedürfniß an Schutz durch Kriegsschiffe endgiltig sich er geben wird. Alle anderen Mächte zur See sind in anderer Lage ge wesen, soweit es die finanziellen Leistungen für maritime Zwecke betrifft. Ein Vergleich mit ihnen wäre also selbst dann nicht zulässig, wenn zufällig einer dieser Nachbarn in derselben äußeren Verfassung wäre, wie Deutschland mit seiner exponirten continentalen Lage, seinem Küstengebiet u. s. w. Jedenfalls besaßen sie doch schon zu Beginn der 70er Jahre eine Flotte, während wir eine solche erst neu schaffen mußten, und in den 80er Jahren, als die bedeutsame Umwälzung der CchifsSbaulcchnik sich vollzog, waren sie in der einfachen Lage, verbrauchte Schiffe durch die von der Technik dargebotcnen neuen Constrnclicnen zu ersetzen, während wir gerade erst die letzten Nummern des Flottengründungsplanes von 1873 von Stapel gelassen halten, also neues Material hätten opfern müssen, wenn wir sofort den Neuerungen der Schiffsbau technik hätten folgen wollen. Man sollte meinen, dies Alles wäre bekannt und ein leuchtend genug, um für die öffentliche Behandlung der streitigen Marinefragen bestimmend zu sein. ES bieten sich ja für die Opposition Handhaben genug, wenn sie uns die Entwickelung unserer Seewehr erschweren will, — einerseits der Hinweis auf daS, wa- wir zu Lande bedeuten wollen und bezahlen müssen, auf der andern Seite gewisse Uebertreibungen der „Flotten-Entbufiasten". Wenigstens sollte man bei so ausgiebigem Material zum Oppositionsbetrieb Vergleiche bei Seite lassen, wie sie zur Zeil in der demokratischen Presse zurechtgemacht werden, und wie sie dann selbstverständlich für Socialfften und Ultramontane, Particularisten und Bauern- bündler u. s. w. ein willkommener Fund sind. Was in diesen Vergleichen dem gedankenlosen Leser und Wähler zugemutbei wird, ist in der Tbat etwas viel. Zunächst wird ibm daS Land der goldenen Freiheit vorgeballen: Nordamerika. Er braucht sich nicht zu erinnern, welcher panischen Empfindungen der Hankee gelegentlich fähig ist, wenn auch nur die Der- mutbung eines Schaltens kriegerischer Auseinandersetzung ihn bedrückt. In diesem Falle soll der deutsche Wähler sich bei dem Erstaunen darüber begnügen lassen, daß er selbst von 1873 bis 1896 die Marine-Ausgaben um das Dreieinhalb fache steigern mußte, während Nordamerika seinen Aufwand nur von 23 auf 30 Millionen Dollars erhöhte, Frankreich und England denselben Aufwand nur verdoppelten und selbst Rußland ihn nur um etwa 125Proc. emporschraubte. „Deutsch land" — so lautet der traurige Schluß der demokratischen Vergleicksbetrachtung — „überragt also in der procentualen Steigerung der MarinebukgetS alle anderen Staaten weit aus, eS hat seinen Marine-Etat in den angeführten 23 Jahren auf etwa das Dreieinhalbfache des Bestandes von 1873 erhöbt", und „eS ist also eine ungeheuerliche Ver drehung der Thatsacken, wenn behauptet wird, daß Deutsch land den Ausbau seiner Marine im Vergleich zu anderen Staaten vernachlässigt habe." Dazu ist sachlich nichts weiter zu sagen. ES sei nur noch erinnert, daß daS zum Vergleich herangezogene Jahr 1873 ausgerechnet dasjenige Jahr ist, welches der Verwirklichung des FlottengründuugSplanes vorausging. Die ordentlichen Ausgaben für die vom Norddeutschen Bund übernommenen ersten Anfänge einer Flotte betrugen damals 8, die Gesummt- auSgaben 25 Millionen. Nach Durchführung deS Flotten- gründungSplanes, Mitte der achtziger Jahre, erforderte aber die Manneverwaltung 50 Millionen und diese Summe, in der fick die Anforderungen eines wirklichen Flottenbesitzes zum ersten Male Widerspiegeln, ist seither auch nicht anders als die russische Ziffer emporgestiegen, nämlich um 125 Proc. Doch ergiebt sich schon aus der Wahl des Jahres 1873 Werth und Tendenz der demokratischen Vergleicksbetrachtung, so zwar, daß wir den Veranstaltern gerne nock einigeFingerzeige geben, wie solcheBetbörung untVerleitung der Wählermassen weil drastischer und wirksamer geschehen kann. Für die Frankfurter Demo kratenpresse liegt es doch nahe genug, noch um zehn Jahre hinter 1873 zurückzugreifen, in die Zeiten, da das Schicksal Deutschlands dem Bundestage anvertraut war. In diesen 33 Jahren aber hat Deutschland seine Marine-Ausgaben nicht um daS 3>/z-, sondern um daS 100fache gesteigert, wenn nicht noch mehr. Aber eS läßt sich auch der Etat einer Großmacht beranzieben, die uns räumlich näher ist, al- dir Vereinigten Staaten; sie hat „in den angeführten 23 Jahren" den Aufwand für ihre Flotte sogar im BeharrungSzustande erhalten und doch noch jüngst einen Feldzug siegreich zu Ende geführt. Warum soll der deutsche Wähler nicht auch damit — belehrt werden? Oer preußische Landwirthschaftsminister und Herr von ploetz. Der konservative Landtags- und Reichstagsabgeordnete Herr von Ploetz richtet in der „Deutschen Tagesztg." an den Minister Freiherrn von Hammerstein-Loxten einen „offenen Brief", wie er wohl kaum jemals der Feder eines konservativen Politiker- einem Minister gegenüber ent flossen ist. Herr von Ploetz schreibt: „Seil einiger Zeit standen andere wichtige Fragen im Vorder gründe der Politik, so daß die Thätigkeit des preußischen Landwirth« schastSministerium« mehr zurücktrat. Man hatte sich daran gewöhnt, daß der Herr Landwirthschast-mlnister in wichtigen wirthschasilicken Fragen wenig zur Geltung kam, wenngleich überall die Landwirthe ihr Befremden und Bedauern darüber ausspracken, daß Derjenige, welcher eigentlich dazu berufen war, als Vertrauensmann dec Landwirthschaft deren Interessen bei der Gesetzgebung nicht nur, sondern auch bei der Ausführung der Gesetze zu vertreten, sich an scheinend so theilnahmlos verhielt. Vielleicht ist seine Be« »Heiligung bei der geplanten Durchführung de« Börsenqesetzes, bei den Verhandlungen über Zollcredite, über Aushebung der gemischten Transit- und Mühlenläger, sowie bei der Frage über die Grenz sperre gegen Biehseuchen eine hervorragende gewesen, — nach außen hin verlautete darüber nicht-; — jede dieser Fragen wurde entweder noch nicht oder zu Ungunsten der Landwirthschaft entschieden! Trotzdem haben die landwirthschastlichrn Vertreter der Parlamente — die sogenannten bösen Agrarier —, sich fast jeden Angriffs aus den Herrn Landwirtbschaftsminister enthalten, um ihn nicht zu reizen, da seine Nervosität geschont werden sollte. Gerade die konservativen Fraktionen, welche in erster Linie eine zielbewußte Agrarpolitik vertreten, haben fast stet« durch ihre Redner betont, daß der Herr Minister den besten Willen habe, der Landwirthschaft zu helfen, und haben volles Lob gezollt der gegen früher sehr bedeutenden Erhöhung des landwirthschastlichrn Etats. Dieses Lob hat sich der Minister in vielen Reden auch selbst geleistet; cs ist auch anzuerkennen, daß der Herr Minister in diesem Punkte der Allerhöchsten Initiative Sr. Majestät deS Kaisers und Königs vollen und gebührenden Ausdruck gegeben hat, indem er unter bereitwilligster Zustimmung des Herrn Finanz minister« sehr bedeutsame finanzielle Mittel des Staates in An- svrüch nahm, um in allen Provinzen helfend rinzugreisen zur Förderung der Genossenschaften, von Kleinbahnen, von Meliora tionen, Prämiirungen, von wissenschaftlichen Instituten u. f. w. Das sind alles sogenannte „kleine Mittel", welche der preußischen Gesetzgebung unterstehen. Dafür ist also gebührend Dank ob gestattet worden, und es konnte erwartet werden. Laß der Minister auch seinerseits anerkannte, daß die Angriffe in den Parlamenten gegen ibn verstummten bezw. sehr milde waren. Der Unter zeichnete sieht davon ab, das Verhalten des Herrn Ministers gegen ihn hier zu kritisiren —. Er hat es sich ver ¬ jagt, diese Dinge öffentlich zur Sprache zu bringen, es sei aber erinnert an da- schroffe Verhalten des Herrn Ministers gegen sehr maßvolle agrarische Abgeordnete, wie den Herrn Abgeordneten Ring rc. Weshalb aber bringt der Herr Minister den Landwirthen immer wieder Schroffheiten entgegen? Wie lautete denn die Poppelsdorfer Rede in der vorigen Woche? „Man muß es zurück- weisen, wenn gesagt wird, der Staat muß allein den Land» wirth in kritischen Zeiten über Bord halten." Wer hat denn das verlangt? Und weiter: „Der Landwirth, der nicht versteht, sich zu helfen, verdient nicht Landwirth zu sein und nicht Deutscher; ein jeder Deutscher darf erst dann, wenn seine Kräfte erschöpft sind, an Hilfe oppelliren." Wie ein Hohn klingt da-, und Lmpörung hört man von allen Seiten darüber äußern. Diese Sätze reihen sich würdig an frühere Aeußerungen des Herrn Ministers an: Im Reichstage: „Gemeingesähr- lichkeit der Vertreter des Anträge« Kanitz!" In dem Schifferhause zu Lübeck im Fremdenbuche: „v. H., königlich preußischer Minister der Landwirthschaft, notbleidender Agrarier erster Güte." Und nun kommen noch von den schönen Usern des Rhein« die oben citirten Worte! Wer bat denn verlangt, daß der Staat allein den Landwirth in kritischen Zeiten über Bord ballen müsse? Wie herzlos klingt es, daß der, welcher nicht versteht, sich selbst zu helfen, nicht werth sei, Landwirth, nicht werth sei, Deutscher zu sein! Welch' trügerische Hoffnung zeigt der Minister den vor dem Ruin stehenden Landwirthen, indem er sagt: „Erst sollen und wollen die Landwirthe sich selbst helfen. Erst wo ihre Kraft auf hört, da kommt die Hilfe des Staates und diese läßt unser Kaiser und König den Landwirthen im vollsten Maße angedeihen!" Tausende von Landwirthen gehen ohne ihre Schuld jährlich zu Grunde, gehen als Bettler von ihrem Hofe, ohne daß irgend welche Hilfe ihnen kommt I Wie kann der Herr Mini st er solche Worte sprechen? Auch der Lande-Herr, von besten persönlichem Wohlwollen Jeder überzeugt ist, kann, wenn e« so weit gekommen ist, nur in einzelnen Fällen Helsen! Schon vor dem vollen Ruine an die Hilfe des Staates zu oppelliren, ist nicht verwesten, — im Gegentheil, von wirklicher Hilfe kann nur die Rede sein, wenn sie vor dem vollen Ruine kommt! Ter Bund der Landwirthe hat es sich zur Aufgabe gemacht, auf die Gesetzgebung dahin einzuwirken, daß rechtzeitig solche Gesetze und Maßnahmen Geltung bekommen, welche dem Ruine deS größten Tdeiles der Landwirthe noch vorbeugen können. So zu handeln sollte auch Pflicht der Reich«- und der Staateregierung sein. Wolle der Herr Minister sich doch mal gründlich im Lande um schauen, vorurtheilssreie Männer befragen, wie es im Lande aus sieht, er würde bald wissen, daß Hundertlausende von Landwirthen schon die Selbsthilfe längst erschöpft haben und mit ihren Familien den Moment kommen sehen, der sie herzlos von HauS und Hof treibt. Wo bleibt denn La die Staat-Hilfe? Gehören denn jene Unglücklichen auch zu denen, die nicht werth sein sollen, Landwirthe und Deutsche zu sein? Weit ausschauend, beseelt von Lein Gedanken, die nationale Größe Deutschland« zu fördern und zu erhallen, sind die Forderungen und die Politik des Bunde« der Land wirthe! Nicht trennen wollen wir, sondern einigen! Wir ver langen Gerechtigkeit, deren Bahnen man verlassen hat. Ter Industrie und dem ehrlichen Handel wollen wir nun und nimmer schaden; Hand in Hand mit diesen zu gehen, haben wir oftmals Len dringenden Wunsch ausgesprochen. Hunderte von Millionen aber lediglich für Handel und Industrie und entgegen den Interessen der Landwirthschaft be willigen, — das wollen und können wir nicht, ehe nicht den berechtigten Intfressen der Landwirthschaft Gerechtigkeit wird. Und Las ist eine nationale Forderung! Dankerfüllt würden die deutschen Landwirthe fein, wenn unser Herr und Kaiser eine Gesetzgebung anbahnt, welche diese Ziele zu erreichen im Stande ist. Denn der Schlag seines Herzens gilt nur dem Wohle aller Berufsstände! Und freudig würden wir volles Vertrauen schenken einer Regierung, welche solche Politik durchzuführen berufen ist und sie mit fester Hand treu und loyal auch zur Geltung bringt. Tann darf Hohn und Spott aber nicht mehr denen entgegengeschleudcrt werden, welche seit Jahren treu und fest dem Ziele zusteuern, welches lautet: „Förderung und Erhaltung aller ErwerbSstände, welche treu zu Kaiser und Reich stehen! Welcher Hohn und Spott wurde vor vier Jahren und später noch dem Bunde FaiiiHaton. Oie Colonie der Union. Hawaiische Skizzen von Karl Theodor Machert. Nachdruck »erboten. Eine Colonie der Union — noch vor kurzer Frist wäre diese Vorstellung Wohl allgemein diesseits wie jenseits des „großen Teiches" als eine Chimäre angesehen worden. Nun soll sie zur Thatsache werden. Die Gereinigten Staaten strecken ihre Hand nach dem einsamen Jnselreiche au-, das auf dem Wege von Californien nach dem australischen Fest lande eine so wichtige Station bildet. Aber jenseits des Pacific erhebt sich Japan und rüstet sich zu energischem Ein sprüche gegen die geplante Annexion; und so mag das wundersame, schicksalsreiche Land deS Königs Kalakaua noch einmal berufen sein, in der Geschichte eine bedeutsame Rolle zu spielen. Ja, wunderlich genug ist eS Hawaii ergangen. Hier sand der große Weltumsegler Cook am 14. Februar 1779 seinen Tod; er stöhnte, während er mit einem Gegner ranz, und dies Zeichen menschlicher Schwäche soll seinen Tod berbei- gefübrl haben, indem der bisher verbreitete Glaube an seine Göttlichkeit bei den Eingeborenen dadurch erschüttert wurde. So wurden die Hawaiier als wild und gefährlich in Europa bekannt, und doch sind sie ein Volk von großer Liebens würdigkeit und vielen vorthcilhaftcn Eigenschaften, wie man später erkannt hat. Damals, als Cook hier landete, standen die Inseln unter der Herrschaft mehrerer Fürsten. Aber nicht lange darauf vereinigte Kamekameha I., der „tüchtigste Mann, den Polynesien in der Neuzeit hervorgebrachk bat", sie unter seinem Scepter. Er war ein starker, Weiser, aufgeklärter Regent, ließ die Fremden in- Land und legte so unbewußt selbst den Grund zum Sturze seiner eben erst gegründeten Herrschaft. Denn die Fremden vermehrten sich bald stark, sie brachte» den Handel und die Farmen in ihre Hand, und ein balbe« Jahrhundert nach de« ersten Kamekameha Ableben waren seine Nachfolger nur noch Schattenkönige. Der Ameri kaner, sein Geld, seine Mission und seine Schule regieren schon lange thatsächlich in Hawaii, und wird da« Sternen banner über dem kleinen, aber anmuthigen und guten Hafen von Honolulu gebißt, so findet damit nur ein tbat- sächlich längst bestebendeSVerhältniß seinen amtlichen Ausdruck. Hat daS Eindringen der Europäer und besonder- der Amerikaner in die Einsamkeit deS Hawaiischen Leben- günstig gewirkt? Die Frage ist oft und mit wechselnden Ergebnissen erörtert worden. Hhnen verdankt daS Jnselvolk eine frei- beitlichr Gesetzgebung, die auch dem einst von den Vornehmen völlig gedrückten gemeinen Stand« Lebenslust und Leben-mutb zusührt. Es verdankt ihnen eine sehr resprctable Hebung de- Bildung-wesenS. Wunderlich genug zu denken, aber that sächlich ist e-, daß unter den Nachkommen der Mörder Coof- der Analphabetismus sehr schnell abnimmt. Unter zahlreichen bemerkenswerthen Bildungsanstalten sei nur da- Oahu-College zu Punabu erwähnt, das ganz nach dem amerikanischen Er- ziehungsprincipe der persönlichen moralischen Verantwortung geleitet wird und eS dank diesem vortrefflichen Grundsätze dahin gebracht hat, daß die Zöglinge beider Geschlechter hier oft bis zu ihrem 20. Jahre in völliger Lebensgemeinschaft erzogen werden können, ohne daß sittliche Ausschreitungen ru beklagen wären, — ein Resultat, da- bei dem leidenschaft lichen Charakter der Hawaiier besonder- zu bewundern ist. Aber diesen Leistungen steht manche schwere Schuld gegen über. Welcher Europäer könnte wohl die weltentrückte Colonie der unglücklichen Aussätzigen in Kalau-papa am Nordufer der Insel Molokai sehen, ohne schamvoll daran zu denken, daß die Kinder der Natur der leichtfertigen oder bos haften Ansteckung durch die Weißen unausrottbare Hautkrank heiten verdanken, die lange das ganze Kanakenvolk so voll kommen vergiftet haben, daß die Armen sie bereits ganz geduldig als ein unabwendbares Naturgeschick anznsehen sich gewöhnt hatten, bi« in der neuesten Zeil energische Versuche zur Bekämpfung der Seuche eingeleitet worden sind. Eine derartige Erscheinung erweckt sehr pessimistische Gedanken über den Segen der Cultur, — wenigsten« in der Form, wie sie von der anglikanischen Raffe eingefübrt wird. Deutsche Reisende klagen darüber, daß mit ihr auch die Scheinheiligkeit, da- üble Erbtheil des britischen Blutes, in Hawaii eingezogen sei. So weit gebt sie, daß einem Eng- länder, der mit ganz überraschendem Erfolge die Cultur deS Maulbeerbaume« und der Seidenraupe eingcführt hatte, die für diese Cultur unentbehrliche Arbeit am Sonntag unter sagt wurde, wodurch nicht allein der Mann ruinirt, sondern vor Allem auch da« Land eine« sehr viel versprechenden Industriezweige- beraubt wurde. Ebenso egoistisch und kurzsichtig sino die Fremden mit dem Walde umgrczangen, der des schnellen Gewinne- wegen leichtfertig zum Schaden de« KlimaS und der Vegetation gelichtet wurde. Erinnert diese Erscheinung an die in vieler Hinsicht so traurige Wald geschichte der Union, so entspricht auch die Erscheinung der amerikanischen Eigenart, daß die Zahl der Eingeborenen in zwei Menschenaltern etwa auf den dritten Tbeil herabgc- sunken ist und ihr Charakter sich unter der weißen Herrschaft unzweifelhaft verschlechtert bat. Wer beut den Urbewohner von Hawaii, den Kanaken, zuerst sieht, dem fällt vor Allem seine Selbstbeherrschung auf. Er hat sich verstellen gelernt, und was er sagt oder zeigt, verdient keinen Glauben. Aber wie ander- ist er, wenn er, von Fremden unbeobachtet, in seinem häu-lichen Kreise sich frei geben lasten kann! Dann ist er ein bewegliche« leicht herzige« Wesen, in dessen Charakter Frohsinn und Melancholie sich wunderlich mischen. Etwa« Melancholisches liegt immer über ihm. Melancholisch sind die Weisen, die sie in ihrer Liebe zur Musik so oft und gern singrn, melancholisch geht oft ihr Blick in die unermessene Weite. Vielleicht spinnen sie dann poetische Träume, vielleicht auch — denken sie an nicht-. Zuweilen kommt eine völlige Apathie über sie. Die Kanakin, die im Allgemeinen eine tbätige Hausfrau ist, läßt plötzlich Alles stehen und liegen, streckt sich rauchend auf der Matte aus und giebt sich einer au-giebigen Siesta hin, deren Wonnen sie am liebsten noch durch ein endlose« Geschwätz mit einer im Halbdunkel neben ihr ruhenden Genossin vermehrt. Aber in der Tiefe ruht immer eine beiße Leidenschaft. Es ist. als ob da« Wesen des Kanaken den mächtigen Vulkanen verwandt sei, die die Insel Hawaii mit Sckwefeldampf und Feuer schein erfüllen. Plötzlich bricht eS bei ihnen hervor. Lacken und Weinen folgen in jähem Wechsel auf einander, beide auS gleicher Stärke der Leidenschaft bervorgegangen; ein wilder Sturm ist ihre Liebe, excentrisch ist ihr Tanz, — um schließlich wieder in schlaffe Apathie zu enden. Dieser eigenartige kontrastreiche Charakter ist nicht zu er klären, ohne daß man die nationalen Ueberlieferungen in Rücksicht zieht. Während der langen Jahrhunderte des Heidentbum« stand der Kanake unter dem furchtbaren Banne deS „Tabu", der Verrufserklärung, die die Götter durch die Priester und den König sandten. DaS „Tabu" bedrohte alle Lebensverhältnisse. Es trat beim Tode jedes König- ein; dann war daS Land gesetzlos und jedes Laster, jedes Ver brechen erlaubt. ES forderte oft da- Opfer der Neugeborenen, deren Auge der Priester auf einem Bananenblatle dem Götzen darreichte. Wie hierdurch bei den Frauen der Abscheu vor dem Kindersegen und die Neigung zum KindeSmorde befördert wurde, so sah sich der Kanake überhaupt in seinen Genüssen aus da« Materielle beschränkt. Geistiger Aufschwung, freies Gefühlsleben waren durch die Priesterberrschaft und da« Tabu unmöglich gemacht; selbst ein Wort für Gefühl fehlt der Kanaken.Sprache, und nur der Genuß, den der Tag brachte, batte für den Kanaken Wertb, der in steter Sorge vor einem furchtbaren Wechsel selbst wechselvoll in seiner Stimmung und selbst gegen da« Aeußerste apathisch wurde. Kein Wunder, daß der Lebensgenuß vielfach auSartete. Wenn er dennoch nie ganz roh wurde, so ist die« da« Ver dienst deS natürlichen Gefühls für Poesie, das den Kanaken auSzeichnet und sich besonder- in seiner Liebe für die Blumen ausspricht. Mit Kränzen von JaSmin und Orangen, von Tuberosen und Geranien schmückt sich die Tänzerin. Mit Blumengewinden schmücken sie ihre Häuser. Reiter und Reiterin tragen Blumen. Die Frauen zieren sich mit kunst reich und geschmackvoll verfertigten Blumenketten, die sie um den Hal- tragen. Die Blumen bringen Duft und Farben schönheit in alle Verhältnisse ihres Leben«. Man hat be hauptet, wer den poetischen Sinn eine« Volke« bemessen und beurtheilen wolle, müsse seine Frauen betrachten. Nun, die Kanakin ist meist überaus reizvoll, — so lange sie nicht der Fettsucht anheimgefallen ist. Sie ist meist vortrefflich gebaut, hat eine edle GesichlSform und graziöse Bewegungen. Ihre größt« Schönh«it erblickt der bekannte Reisende Graf Anrep- Elmpt in ihrem glanzvollen, treuen, lieblich - offenherzigen Auge, da- prächtig zu ihrem etwas dunklen Teint paßt. Eben dieser Reiz übt auf den Europäer eine besondere Anziehungs kraft aus und ist eine der Hauptursachen der zahlreichen Eben zwischen Weißen und Kanakinnen. Ihre Liebe für Blumen, Schmuck und Farben, für Musik und Poesie grenzt an Leidenschaft. Uebrigens batte die kanakische Frau, obwohl ein Tabu ihr verbot, mit dem Manne gemeinsam zu speisen, von je eine gute Stellung. Sie wurde gut behandelt, und viele nahmen den Posten eines leitenden Ministers ein, in dem sie sich durch Tbatkraft und Umsicht vortrefflich be währten. Zu statten kam ihnen hierbei, daß die kanakische Raffe in ibrem ganzen Auftreten etwa« Achtunggebietendes zu haben pflegt, das von Knechtischkeit wie von Hochmuth gleichweit entfernt ist. Wer von den Hawaii-Inseln nur Honolulu kennen lernt, der wird in das eigenartige und jedenfalls anziehende Wesen der Eingeborenen wenig Einblick gewinnen, da das kanakische Element hier sehr zurücktritt. Honolulu ist eine schnell auf blühende Handelsstadt, die zwar keine bcmerkenSwertben Ge bäude aufweist, aber in dem üppigen Garten- und Blumen schmuck, der die Häuser umgiebt, einen sehr freundlichen Eindruck macht. Große Handelshäuser und Waarenläger bilden die Hauptstraßen, und moderne Möbel, Bronzen rc. sind auch schon in die Wohnungen der Kanaken gedrungen, die sich ursprünglich, ähnlich wie die Japaner, in ihrer Häus lichkeit fast ausschließlich der Matten als Möbel bedienten. Dem Fremden fällt in Honolulu besonders die Pflasterung mit Lava- und Korallenstein auf: sie erinnert ihn daran, daß die Inseln durchaus vulkanischer Natur sind und sich auf Hawaii wohl die mächtigsten tbätigen Vulkane der Gegenwart be finden. Zwischen den gewaltigen Gipfeln des Mauna Kea und Mauna Loa befindet sich hier der Kilauea, ein Krater, der von einer Anzahl Feuerseen gebildet wird. Die Reisenden, die in die« wilde wogende Meer vulkanischer Kräfte hinab geblickt haben, stimmen darin überein, daß da- Schauspiel einzig ist. Da unten wallt eS, siedet, dröhnt, lechzt und stöhnt es, der Boden zittert mächtig, «ine Feuersäulc ficigt empor, hier und dort stürzt die Erde ein, Schwefelgeruch erfüllt die Luft. Vernichtende Ausbrüche dieser vulkanischen Riesen kennt die Chronik unsere« Jahrhunderts in erheblicher Zahl. Aber ihnen dankt der Boden auch seine stellenweise verblüffende Kraft. Es giebt Gegenden, wo ein frischer Stab, in die Erde gesteckt, wurzelt und keimt, und „der Kohl perrnnirend baumartig mit Zweigen steht und daher mit mehreren Kopf bildungen und stets ertrag-reich viele Jahre alt wird". Nicht alle Thrile der Inseln sind gleich fruchtbar; doch besitzen sie schon jetzt hauptsächlich in ihren Zuckerplantagen «inen Reich- thum, der sie auch in wirthschaftlicher Hinsicht za einer werthvollen Erwerbung macht.
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