01-Frühausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 20.10.1897
- Titel
- 01-Frühausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1897-10-20
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18971020015
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1897102001
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1897102001
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1897
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- Tag1897-10-20
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Die Ausländer auf deutschen Hochschulen. ------ DaS rapide Wachsen der Frequenz der Technischen Hochschulen und der naturwissenschaftlichen Institute unserer Universitäten, mit welchem die räumliche Erweiterung an den wenigsten Orten Schritt hielt, an gewissen Hochschulen auch das mitunter etwas störende Vorwiegen fremdländischer Elemente hat schon vor einigen Jahren — speciell auf den technischen Hochschulen — die „AuSländer-Frage" in nicht gerade erfreulicher Weise auf die Tagesordnung gestellt. . Die Bewegung ging damals von den Studenten aus, welche in einer bei unserer akademischen Äugend bis dahin ungewohnten Engherzigkeit auf Grund vereinzelter mißliebiger Vorkommnisse sofort für die fremden Commilitonen im Schoße der studentischen Gesammtvertretungen Ausnahmezustände und Ausnahmegesetze schufen und dabei den althergebrachten Grund satz der Gleichheit und Gleichberechtigung aller akademischen Burger zu Fall brachten. Speciell dem stammverwandten Oesterreich und der Schweiz gegenüber, mit denen seil Alters her ein recht freundnachbarlicher Personalaustausch stattfand, war dieses Vorgehen doppelt unpassend. Trotzdem konnte diesem Vorgehen eine eigentliche Bedeutung nicht beigemessen werden; es ändert sich aber die Sacke, wenn die Herren Studenten, wie z. B. auf dem letzten Vertretertage des Verbandes der Studirenden der deutschen Technischen Hochschulen, sich mit Dingen befassen, welche doch eher Sache des Lehrkörpers, der obersten Schulbehörden oder der gesetzgebenden Körperschaften sind und etwas mehr an Erfahrung, Einsicht und Sach- kenntniß voraussetzen, als lediglich den stolzen Besitz einiger Hochschul-Semester. Da ward u. A. debaltirt über die Verschärfung der Aufnahmebedingungen („Ma- turitätsprincip"), über die Verleihung des Zngeuieur- titelS und über „Honorar und Ämmatriculation der Ausländer". Mit Bezug auf letztgenannten Punct der Tagesordnung wurde beschlossen, an die zuständigen Ministerien eine Bitt schrift des Inhalts zu richten, daß fernerhin: l) jeder an einer deutschen Technischen Hochschule studirende Nichtveutscke ein erhöhtes Honorar zu bezahlen habe, 2) die Immatri kulation eines Ausländers nur auf Grund eines deutschen Zeugnisses oder einer amtlich beglaubigten Uebersetzunz eines gleichwertigen ausländischen Zeugnisses erfolgen solle. Ein Zusatzantrag, daß auch die Kennlmß der deutschen Sprache zu verlangen sei, wurde „als zu craß" fallen gelassen. Zweifellos wirb auch diese Petition, der man den Vor wurf übermäßiger Bescheidenheit und Klugheit nicht machen kann, den Weg unzähliger Vorgeheriunen an zuständiger Stelle finden, auch wenn ein Angehöriger der Technischen Hochschulen im preußischen Abgeordnetenhaus« sich die Klagen der Studenten über die Ausländer zu eigen machte und neben höheren Honoraren überhaupt Maßregeln forderte „zum Abdrängen dieser Elemente, welche sich die deutschen technischen Errungenschaften zu Nutzen des Auslandes an eignen", so kann man nur verwundert fragen, waö soll denn bei dieser wissenschaftichen Spionenriecherei herauS- kvmmen und was soll mit den vielen tausend im Ausland angestellten und gut bezahlten deutschen Technikern geschehen, was mit den Lehrern der Studenten selbst, welche technische Bücher schreiben, die einen Millionenumsatz nach dem Aus lande erzielen und dem letzteren die „technischen Errungen schaften, die mühsamen Arbeiten zu verdanken sind", ver- rätherisch PreiSgcben!? Bislang bildete gerade der immer wachsende Besuch unserer Hochschulen durch die Ausländer mit einen Gradmesser für ihre ebenfalls stets wachsende und international domi- nirende Bedeutung, und wie in früheren Zeiten der Zug aller Lernbegierigen nach Italien und Frankreich Hing, so geht er heutzutage nach Deutschland. Soll das geändert werden, ober giebt cs kein anderes Mittel zur Verbesserung gewisser Uebelstände, als das „HinauSekeln" der Fremden'? Wie lebhaft unsere Hochschulen vom Auslande frequentirt werden, erhellt am besten aus folgenden summarischen Daten: Im Wintersemester 1895/96 sludirten an den 48 deutschen Hochschulen mit Einschluß der Akademien unter 46 950 Studirenden (incl. Hörer) 3812 Ausländer --- 8,1 Proc., an den 21 österreichischen Hochschulen unter 21 307 Studirenden (incl. Hörer), 2517 Ausländer ---- 11,8 Proc., an den 9 schweizerischen Hochschulen unter 4778 Studirenden (incl. Hörer) 1683 Ausländer — 35,2 Proc. An den deutschen Universitäten allein incl. Münster- BraunSberg waren von 34 515 Studirenden 2241 Aus länder ---- 6,5 Proc. An den Technischen Hochschulen waren von 9354 Studirenden 1241 Ausländer ----- 13,3 Proc. Die Zahlen geben immerhin zu denken, denn das Resultat der stürmisch verlangten Fremdenhetze wird höchstens das sein, daß wir dem ebenfalls schlecht behandelten deutschen Nachbar, in Sonderheit den Schweizern, die Fremden zutreiben. Zm Wintersemester 1872/73 studirten nach der amtlichen Universitätsstatistik an den 9 preußischen Universitäten 508 Ausländer, im Wintersemester 1894/95 waren es schon 971, und es stieg in diesem Zeitraum von 22 Jahren die Frequenz z. B. bei Engländern um 100, bei Oesterreichern um 56,12, bei Russen um 145,37, bei Schweizern um 145 und bei Amerikanern um 105,83 Proc. Dabei studirten von 100 Ausländern 10,40 Proc. evangelische Theologie, 7,83 Proc. Jurisprudenz, 21,32 Proc. Medicin, 24,82 Proc. Philosophie und Philologie, 19,05 Proc. Mathematik und Naturwissenschaften, 15,96 Proc. Landwirth- schaft und Nationalökonomie und 0,62 Proc. Pharmacie und Zahnheilkunde. 56,02 Proc. Ausländer studirten als Maturi, 43,98 Proc. als Jmmaturi. Der Handelsstand stellt von dem ausländischen Contingent fast >/z, danach die Landwirth- schaft und die Industrie; auch der geistliche und der Lehrer stand waren nicht schwach vertreten. An den Technischen Hochschulen, wo die chemisch technischen Abtbeilungen am meisten belastet sein dürften, werden die Jmmaturi zweifelsohne bedeutend mehr vorwiegen; sie finden aber auch noch genug reichsinländische immature Commilitonen. Da die Ausländer durchschnittlich bemittelter sind als die Inländer, außerdem vielfach mit Stipendien studiren, würde die vorgeschlagene Honorarerhöhung nicht viel ausrichten. Besser wäre es, pon solchen Pracht bi tiv- Maßrcgeln — abgesehen von ihrem ungastlichen Charakter und von den Repressalien, denen die Deutschen im Auslande dadurch ausgesetzt würden — ganz abzuseben und allenthalb-n dafür zu sorgen, daß In- und Ausländer in einer dem inter nationalen Rufe der einzelnen Hochschule entsprechenden Weise untergebracht werden. Darüber aber haben alljährlich die Parlamente zu beschließen, und wenn dort für die Sache das richtige Verstänbniß herrscht, so ist den nächsten Vertreter-Cougressen der Studenten eine „drückende Sorge" abgenommen. Für die Universitäten, bezw. für die medicinischen Fakultäten ist übrigens die Ausländerfrage in allerletzter Zeit indirect auch angeschnitten worden, und zwar durch die nach dem Vorgehen der preußischen Unterrichtsverwaltung in allen deutschen Bundesstaaten neu geregelten Bestimmungen über die Zulassung der Medicinstudirenden zum Be suche der Kliniken und Polikliniken der Univer sitäten. Angeordnet wird gleichlautend, daß Studirende zum Besuche der Kliniken und Polikliniken von den Direktoren erst dann zugelassen werden dürfen, wenn sie die ärztliche Vorprüfung innerhalb des deutschen Reiches oder eine ent sprechende Prüfung im Auslände vollständig bestanden haben. Da in den meisten europäischen Staaten Prüfungen, welche unserem leotawen xk)8icum entsprechen, existiren, werden die betreffenden Staatsangehörigen durch diese Ver fügung nicht mehr und nicht weniger berührt, als die Reichs inländer. Anders gestaltet sich noch die Frage für Reichs ausländer, welche von Anfang an in Deutschland studirt, aber kein deutsches Maturitätsexamen, daö für das leutameu pkxoicum gefordert wird, ausznweisen haben. Hier wird man entweder gleickwerthige Examina auf dem bisherigen Wege deS Dispenses anerkennen, oder die Betreffenden werben, wenn sie auf die Vollendung ihrer Studien in Deutschland Gewicht legen, das MaturitätSexamen zeitig nach macken müssen. Bon wirklich einschneidender Bedeutung ist also die Neuerung nur für solche Staatsangehörige, welche weder ein Llaturum, noch ein dem leutuwen xüzsicmu gleichwerthigeS Examen auszuweisen haben, und das sind in erster Reihe die TranSatlantiker, die Nordamerikaner, welche den weitaus größeren Theil der ausländischen Mediciner ausmachen. Von 971 Ausländern des Wintersemesters 1894/95 auf preußischen Hochschulen entfielen z. B. 227 auf die Ver einigten Staaten, davon waren 32,28 maturi, 68,72 im- maturi. Von den auf diese Gesammtzahl entfallenden Medicinern waren 39,68 Proc. waturi, 60,32 Proc. immaturi. Letztere werden somit, nicht weil sie Ausländer sind, Wohl aber, weil ihnen die erforderliche Vorbildung abgebl, wie jeder deutsche Student im gleichen Falle, in die Kliniken nicht zugelassen und können somit auch ihre klinischen Semester an deutschen Universitäten nicht absolvireu. Es ist bekannt, daß auch in Frankreich die Ausländerfrage vor einiger Zeit sehr intensiv erörtert wurde, ohne jedoch positive Resultate bis jetzt zu liefern. Die Folge der deutschen und ähnlichen Maßregeln wird also sein, daß mit der Zeit die Mutterländer der Fremden — soweit sie Gewicht auf die Ausbildung ihrer Mediciner an Len besten europäischen Schulen legen — nachgeben, d. h. ihre Studenten besser vor bilden müssen. Ein derartiger Druck ist zu begrüßen, jede Abhaltungs maßregel dagegen als dem Charakter unserer Hochschulen und dem Zeitgeist« zuwiderlaufend zu verwerfen. Die Errichtung eines Qhrerinnenseminars in Leipzig. Am Mittwoch Abend werden die Stadtverordneten von Leipzig über die Vorlage des Rathes Beschluß fassen, nach der ein langjähriger sehnlicher Wunsch weiter Kreise unserer Stadt in Erfüllung gehen soll. Der Rath hat beschlossen, zu Ostern 1898 an unserer höheren Schule für Mädchen, nach dem Vorbilde vieler anderen deutschen Städte, drei Classen zu er richten, in denen junge Mädchen auf dieThätigkeit als Lehrerinnen vorbereitet werden sollen, und hat an die Stadtverordneten den Wunsch gerichtet, die dazu erforderlichen geringfügigen Mittel zu bewilligen. Bei der großen Wichtigkeit dieser Sache halten wir es für angebracht, einige orientirende Bemerkungen für unsere Leser zu veröffentlichen. Es kann nicht unsere Aufgabe sein, uns über das ganze Material zu verbreiten, das in der Nathsvorlage sehr reichlich beigebracht und in überzeugender Weise verarbeitet und dargestellt worden ist; ebenso kann uns hier die rein schultechnische Frage nicht intcressiren, die übrigens sehr einfach liegt. Unsere Bemerkungen sollen allgemeiner Art sein. Eine Tochter zu haben ist gewiß die Quelle großer Freude für Vater und Mutter. Das schließt aber nicht aus, daß es auch die Quelle großer Sorgen sein kann. Die Sorge ist heute, nach der ganzen Entwickelung unseres wirthschaftlichen Lebens, für manche Eltern sogar sehr groß und wächst von Jahr zu Jahr. Gewiß, die Mehrzahl der jungen Mädchen verheirathet sich, und wir wollen einmal zugeben, daß die Ehe immer das Ende jener Sorgen bedeute, obgleich viele erfahrene Leute das mit Grund be zweifeln. Wie aber ist es mit den Mädchen, die sich n i ch t ver- heirathen? Daß deren Zahl in Deutschland Legion ist, wissen wir alle, und es ist doch wohl ein recht oberflächliches Unterfangen, den Grund dafür in der weiblichen Jugend selbst zu suchen, etwa zu behaupten, daß es ihr an wirthschaftlicher Erziehung u. dergl. fehle. Die deutsche Mutter erzieht auch heute noch — von Aus nahmen abgesehen — ihre Tochter sorgfältig und wirthschaftlich, und auch der deutsche Vater hält große Stücke darauf. Der wahre Grund jener Erscheinung liegt einmal darin, daß wir eben einige Millionen Frauen mehr haben als Männer, und sodann darin, daß unsere wirthschaftliche Entwickelung es den Männern häufig gar nicht gestattet, eine Ehe einzugehen. Das sind all gemein bekannte Thatsachen, und man sollte sie sich immer ver gegenwärtigen, ehe man in die billigen Witze über alte Jungfern mit einstimmt. Wer aber trägt denn die Schuld daran, wenn so viele alte Jungfern in Deutschland nicht wissen, was sie thun sollen, undihreFUße unterdenTischmitleidigerVerwandtenstrecken müssen? Doch wohl die Gesellschaft selbst, die noch immer viel zu wenig gethan hat, um diesen Mädchen, die gern arbeiten wollen und es können, die Mittel zu geben, durch die sie sich auf den Kampf ums Dasein rüsten können. Aus der Einsicht in diese Pflicht der bürgerlichen Gesellschaft 91. Jahrgang. sind nun allerdings auch in unserer Stadt einige nützliche und segensreiche Veranstaltungen hervorgegangen, durch die junge Mädchen Gelegenheit erhalten, sich für allerlei Thätigkeiten, zumal im kaufmännischen und gewerblichen Leben, vorzubereiten. Aber — es ist auch eine Bürgerpflicht, dies einzugestehen — andere, mitunter viel kleinere und ärmere Städte sind uns darin voran. Leipzig hat noch keine Stätte, wo sich das junge Mädchen vorbilden kann für den Beruf, der nach der Ehe ihr der natürlichste und segensreichste ist, den L e h r e r i n n e n b e r u f. Daß er dies ist, wird füglich Niemand unter unserern Lesern bezweifeln können. Solche Lehrerinnenbildungsanstalten sind in vielen anderen deutschen Städten gang und gäbe, und viele Hunderte deutscher Frauen danken ihnen Schutz gegen die Wechselfälle des Lebens. Und es war so leicht, diese Bildungsgelegenheit zu schaffen; man hat einfach den Kursus der höheren Mädchenschulen um drei Jahre verlängert und bereitet die Schülerinnen in diesen drei Jahren — die Gesetze schreiben für die Prüfung das vollendete 19. Lebens jahr vor — zum Examen vor. Wir wollen statt weiterer Er örterungen die Städte namentlich anfllhren, die sich solcher Ein richtungen erfreuen; unsere Leser werden staunen über ihre Zahl! Memel, Tilsit, Insterburg, Königs- berg, Danzig, Elbing, Marienburg, Ma rienwerder, Graudenz, Thorn, Brom berg, Posen, Görlitz, Liegnitz, Katto- witz, Berlin, Frankfurt a. O., Cottbus, Potsdam, Prenzlau, Greifswald, Stettin, Magdeburg, Halberstadt, Halle, Hannover, Osnabrück, Emden, Leer, Altona, Bielefeld, Dortmund, Hagen, Köln (hat zwei Anstalten), Elberfeld, Coblenz, Trier, Cassel, Frank furt a. M., Wiesbaden, Hamburg, Wismar, Braunschweig, Dessau, Sondershausen, Eisenach, Darmstadt, Aschaffenburg, Heidel berg, Freiburg, Stuttgart, Straßburg. In allen diesen zweiundfünfzig Städten schließen die Seminar- classen sich an öffentliche höhere Mädchenschulen an. Wir können dazu noch Dresden zählen, wo nur die Benennung der Classen anders, die Sache aber dieselbe ist. Und Leipzig? Sollen die Leipziger Eltern denn auf diese leicht zu habenden Vortheile verzichten, deren sich jene zum Tbe'l so kleinen Städte lange erfreuen? Wie oft ziehen hier Familien zu, die es gar nicht anders kennen, als daß die höhere Mädchen schule ein Seminar hat, und die nun die schon angefangene Aus bildung ihrer Töchter abbrechen müssen. Wie oft müssen Leip ziger Familien ihre 16jährigen Töchter aus dem Elternhaus- in die Fremde, nach Dresden, Halle, Dessau, Eisenach, Berlin u. s. w. geben, um einen Zweck zu verfolgen, den die dortigen Eltern am Orte selbst Erreichen! Es ist nach diesem schwer zu verstehen, daß sich noch Gegner der Rathsvorlage finden. Aber es giebt deren. Unser Raum reicht nicht, um auf alle Einwände einzugehen, sie sind auch in der Rathsvorlage selbst durchaus stichhaltig widerlegt. Einige meinen, die Einrichtung käme nur den wohlhabenden und gesellschaftlich bevorzugten Kreisen zu Gute. Das ist un richtig. Wohl finden sich in den Kreisen hoher Beamten viele, die da wissen, daß, wenn sie die Augen schließen, ihren Töchtern Selbstständigkeit gut ist; die Tochter des Staatssecretairs des Innern, Grafen von Posadowsky, besucht das Berliner Seminar, der Oberpräsident einer westlichen Provinz hat sogar zwei Töchtern das Examen machen lassen und dem Rathe unserer Stadt liegt auch eine von Reichsgerichtsräthen unterzeichnete Pe tition vor; aber das beweist doch nur, daß auch diese Kreise die Segnungen solcher Einrichtungen schätzen; in der Hauptsache kommen sie unterschiedlos Allen zu Gute, die sie benutzen wollen. Das ist aus den Personenverzeichnissen der Anstalten zu ersehen. Andere Gegner des Planes behaupten, es sei nicht Aufgabe der Stadt, Vorbildungsanstalten für Lehrerinnen zu schaffen; das müsse der Staat thun. Womit diese Behauptung begründet werden soll, ist nicht einzusehen. Thatsächlich ist die erdrückende Mehrheit der Lehrerinnenseminare städtischen Patronats und der Staat hat nur ganz wenige derartige Anstalten geschaffen. Auch hat das sächsische Ministerium, wie sich unsere Leser aus einem früheren Stadium dieser Angelegenheit erinnern werden, eine der artige Verpflichtung glatt abgelehnt. Es mußimmerund immer wiederholt werden, daß es sich gar Eentenarfeier. Humoreske von Rudolf Greinz. Nachdruck vcr'cottn. Ein Liebesbrief gehörte für mich stets zu den schwierig sten Aufgaben. Ich bin von Beruf Chemiker und Assistent am Laboratorium der Universität. Daher mochten mir alle übrigen Analysen von jeher leichter gefallen sein, als die meines eigenen Herzens. Einmal mußte es aber trotzdem riskirt werden, wenn ich nicht mein ganzes Lebensglück aufs Spiel setzen wollte. Eine mir selbst unbegreifliche Schüchternheit hatte mich bisher ab gehalten, mich dem Gegenstand meiner Verehrung gegenüber auszusprechen. Es gab aber auch schwerlich irgendwo eine reizendere „filia hospitalis" als da- blonde Käthchen, das einzige Töchterlein der Frau Landrichter--Wittwe Haus mann. Schon das zweite Jahr hatte ich bei der würdigen Dame eine geräumige Bude inne. Verliebt war ich so ziemlich von der ersten Woche an. Jetzt hatte die Sach« jedoch ihren Höhe punkt erweicht. Nun mußte unbedingt Rath geschafft wer den, sonft geschah ein Unglück. Meiner Zerstreuung waren schon divevse Retorten zum Opfer gefallen. Vor ein paar Tagen hatte mich ein College gerade noch rechtzeitig erwischt, als ich einem Explosivstoff über die Gasflamme stellen wollte. Meine Mebe war allerdings seit Kurzem in ein neue- Stadium getreten. Das zweite Zimmer, das die Frau Landrichter vermiethete, hatte viele Jahre hindurch ein alter pensionirter Aktuar bewohnt. Der war zu einer verheirathe- ten Tochter gezogen. An seine Stelle rückte ein flotter Corps bruder, Jurist seines Zeichens. Bildete ich es mir ein oder war es Wirklichkeit — mich plagte eine wahnsinnige Eifer sucht! Es schien mir, als ob Käthchen dem angehenden Doctor beider Rechte ganz besonders schöne Augen machte. Auch die Frau Mama schien das gar nicht ungern zu sehen. Ich hätte meinen Zimmernachbar mit Nitroglycerin und Schwefelsäure füttern können! Ob das schöne Kind etwas für mich fühlte? — Ja, woher sollte ich das wissen! Ich hatte sie ja nie darum ge fragt. Sie hielt mein Zimmer in musterhafter Ordnung, duldete kein Stäubchen, brachte mir Abend- regelmäßig die wohlgefllllte und gereinigte Studierlampe. Einigemal« schien es mir freilich, als ob sie tief erröthet sei. Daran konnte aber der rothe Lampenschirm auch Schuld gewesen sein. Ich mußte Gewißheit haben! Ich setzte mich eines Abend- zum Papier und schrieb meine Gefühle regelrecht nieder. Zuletzt verbrach ich sogar noch einige Verse. Zum erstenmal in meinem Leben. Sie waren aber auch danach. Ich schmunzelte selbst vergnügt über den mir äußerst ge lungen erscheinenden Brief. Die Abenddämmerung wob ihre Schleier durch die Fenster meines Zimmer- herein. Der warme Frühsommer wind spielte in den Baumwipfeln eine- benachbarten herr schaftlichen Gartens. Die grünen Kronen wiegten sich sachte hin und her. Und ich selbst wiegte mich in den glänzendsten Illusionen über meine Zukunft... wenn Käthchen erst meine Hausfrau sein würde... wie herrlich wollten wir es haben ... ein eignes Heim ... und dann erst die Jungen und Mädchen ... ein Junge mußte unbedingt auch Chemiker werden ... denn die Chemie ist die Grundlage aller praktischen Wissenschaften ... ihr gehört die Welt... Was war denn da auf einmal los! Ich wohnte doch sonst in einem stillen Viertel! Ein Menschengewühl auf der Straße. Festjubel. Ich sah zum Fenster hinaus. Alles beflaggt. Was gab es nur heute? Ich war doch erst vor einer Stunde heimgekommen und hatte von Allem nichts bemerkt. Ich schrieb auch das auf das Conto meiner Zer streuung, nahm Hut und Stock und eilte ins Freie. Eine ungeheure Menschenmenge verschlang mich. Ich faßte einen neben mir schreitenden Mann, der allem An schein nach ein biederer Weinwirth war, beim Aermel und fragte: „Erlauben Sie mal, Vrrehrtester, was ist denn heute los?" „Sie sind wohl nicht recht von hier?" brummte er mich an. „Natürlich bin ich von hier!" „Dann haben Sie die letzten paar Monate geschlafen!" „Aber wollen Sie mir nicht gefälligst Auskunft geben?" „Herr, uzen Sie gefälligst einen Anderen!" schüttelte er mich ab. So ein Flegel! Ich war sprachlos. In der nächsten Minute atrappirte ich ein hurtiges kleine- Männlein mit freundlichem Ausdruck, vielleicht einen renommirten Damenschneider. „Das wissen Sie nicht!" erwiderte er auf meine Frage erstaunt. „Wir feiern heute die Eentenarfeier des hundert jährigen Geburtstages eines der größten Söhne unserer Stadt, des berühmten Chemikers Ernst Ludegast!" „Aber das bin ja ich!" „Sie haben wohl einen Vogel!" lachte mein Gewährs mann. „Sie entschuldigen. Ich habe höchste Zeit, wenn ich rechtzeitig zur Enthüllung des Denkmals kommen will!" Er entwischte mir. In meinem Kopf sah es nach dieser Eröffnung ungefähr aus wie in einem Wurstelprater. Entweder war ich verrückt oder war der Andere verrückt! Oder hatte mich der Mann zufällig gekannt und mich zum Besten haben wollen. Ich hielt einen dritten Passanten an: „Sagen Sie mir um Gotteswillen, wann ich gestorben bin!" Der Gefragte erwiderte nicht-, warf mir einen mitleidigen Blick zu und rannte weiter. Ich sah schon, auf diese Weise kam ich zu keinem Ziel. Meine Aufregung gewaltsam niederkämpfend, inter- pellirte ich eine ältere Dame: „Können Sie mir vielleicht sagen, meine Gnädigste, wann der Chemiker Ernst Ludegast gestorben ist?" „Vor mehr al- dreißig Jahren!" ward mir zur Ant wort. Ich konnte aber aus dem Tone derselben entnehmen, daß mich die Dame für einen BildungS-Jdiotrn hielt. Es war also wirklich so — kein Zweifel — man beging meine Eentenarfeier; denn der Chemiker Ernst Ludegast war ja niemand Anderer, al- ich selbst. Mein Jch-Bewußt- sein hatte ich trotz all des Seltsamen unvermindert bewahrt. Daß ich bereit- vor dreißig Jahren gestorben war, mußte ich aus lauter Zerstreutheit übersehen haben. Fatale Geschichte!
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