Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 25.12.1897
- Erscheinungsdatum
- 1897-12-25
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
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- Public Domain Mark 1.0
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- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-189712259
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-18971225
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-18971225
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1897
- Monat1897-12
- Tag1897-12-25
- Monat1897-12
- Jahr1897
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- Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 25.12.1897
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Di, Morgen-AuSgabe erscheint um '/,? Uhr, hi« Lbend-Au-gab« Wochentag» um L Uhr.' Le-action und Expedition: -ohanneügaste 8. Die Expedition ist Wochentag» ununterbrochen geöffnet von früh 8 bi» Abend» 7 Uhr, Filialen: ktt» klcui«,'» Tortim. (Alfred Hahn), Umversitätssrraße 3 (Paulinuin), LouiS Lösche, kathariaenstr. 14, part. und König-Platz 7. Bezugs-Preis tu der Hauptexpedition oder den im Stadt- bezirk und den Vororten errichteten Aus gabestellen ab geholt: vierteljährlich ^»4^0, bei zweimaliger täglicher Zustellung in« Hau« b.üO. Durch die Post bezogen für Deutschland und Oesterreich: vierteljährlich S.—. Direkte tägliche Kreuzbandirndung tn» Au-land: monatlich 7.bO. UchMer.TllgMatt Anzeiger. Ämtsölatt -es Hönigttchen Land- und Amtsgerichtes Leipzig, -es Authes und Noüzei-Ämles -er Ltadt Leipzig. AnzeigenPreis dic 6gespaltene Petitjeile 80 Psz. Reklamen unler dem RedactionSstrich <4 ge spalten) ütt/H, vor den Familiennachrichlen (6 gespalten) 40-^. Größere Schriften laut unserem Preis- verzeichniß. Tabellarischer und Ziffernjutz nach höherem Taris. Axtra-Beilage» (gefalzt), nur mit der Morgen-Ausgabe, ohne Postbesörderung ^l SO—, mit Postbesörderung ^l 70.—. Ännahmeschluß für Anzeigen: Abend-Ausgabe: Vormittag» 10 Uhr. Morgen-Ausgabe: Nachmittag» «Uhr. Bei den Filialen und Annahmestellen je eine halb« Stunde früher. Anzeigen sind stets an die Expedition zu richten. Druck und Verlag von E. Polz in Leipzig. «57. Sonnabend den 25. December 1897. Sl. Jahrgang. Die nächste Nummer erscheint am Montag Morgen. Äus der Woche. Frieden auf Erden! Die bethlehcmitifche Botschaft erklingt aufs Neue von den Thürmen, zwingt aufs Neue die Herzen. Sie erfüllt sich nie im irdischen Sinne, denn sie ist dem Menschen geworden und Mensch sein beißt ein Kämpfer sein. Tas Cbristenthuin, das deu Geist in seine Rechte ein gesetzt, konnte einen Frieden, der eins ist mit wunschlosem Ruben der Menschheit, auch nicht bringen wollen. Denn den Geist treibt eS auswärts und dem Cmporkliuimenden legt die Unzulänglichkeit der Dinge auf Erden Hindernisse w den Weg, die er ringend überwinden muß. Keines Menschengeistes Fülle aber erreicht den Gipfel; nicht daS Erlangen, das Trachten ist des Erdgeborenen bestes Loos. Daß er von der Unerreichbarkeit der Bollkommenheik weiß und dennoch nach ihr strebt, das ist das Göttliche im Menschen. Den Kleinen, die dereinst die Erbschaft unserer Kämpfe antreten werde», lassen und näbren wir freudig den holden Glauben an daS in der heiligen Nacht beglückend auf Erden wandelnde lichtuinstossene Chnstuskind. Wir aber sollen in all dem Hasten und Jagen des Lebens vor Angen haben, daß der Strahl des Göttlichen nur durch nns selbst in unsere Herzen gelenkt werden kann und daß irdisches Mühen erst wahrhaft menschenwürdig ist, wenn es über die Befriedigung gemeinen Bedürfens hinaus ein Höheres als Zweck anerkennt. Nur daß sie einem Ganzen fruchtet, adelt die Arbeit ves Einzelnen. Dem Ganzen aber, der Mensch heit, seinem Volke dient am besten, wer der unersetzbaren Grundlage aller Gesellschaftsordnung, der Familie, sein Bestes weiht. Weihnachten, der Tag der Geburt veS GotteSkindeS und die Wonne jeder irdischen Menschenblüthe, ist daS Fest der Familie. Möge cS in der herzerwärmenden Traulichkeit, wie daS gemüthstiefe deulsche Volk es sich ge schaffen, erhalten bleiben als ein Jungbrunnen des Strebens, dessen Triebfeder etwas Edleres als die Selbstsucht ist! In der inneren deutschen Politik unterbricht das Weih- nachlSfest zwar rege Bewegung, aber die Beachtung der Friedensmahnunz war seit vielen Jahren nicht so leicht ge macht als diesmal. Die Ftvttenangelegenbeit gebt einen so guten Gang, daß eine tiefe Erregung des Vvlksgemüthes, wie wir sie vor zehn und vor vier Jahren gesehen haben, der Opposition „auf alle Fälle" allmählich als ein etwas sehr Unerwünschtes erscheinen mußte; wo einzelne ultramon- lane und andere Heißsporne es trotzdem wagen, die Wähler zn Kundgebungen gegen das Flottengesetz anzureizen, da wird es den Freunden der deutschen Seewchr nicht allzuschwer werden, die Gemüther zu beruhigen und vernünftiger Erwägung zugänglich zu machen. Wirthschaftsfragen werden voraussichtlich im Mittelpunkte der nächsten Wahlen stehen, ein weiterer starker Anreiz für das Ceulrum, in der bis dahin die innere Politik beherrschenden Angelegenheit sich nicht au der Seite der manchesterlichen Freisinnigen Volkspartei und der die Zer störung des Mittelstandes in Stadt und Land als die Vor bedingung ihres dereinstigen Sieges betrachtenden Social demokratie zu zeigen. Die sociale und wirthschaftSpolitische Beschaffenheit der Gegner der Flottenverstärkung dürfte deni Eentrum sogar Helsen, die ihm durch die Marine vorlage unleugbar bereiteten inneren Schwierigkeiten zu über winden. Je lebhafter die Wahlbewegung und mit ihr die Erörterung zollpolitischer Fragen wird, desto ernstlicher werden sich auch die südbayerischen und unterfränkischen Landwirtbe fragen, ob denn die Socialdemokralen wirklich die geeignete Verbindung für eine Bauernpartei seien. Herr Schönlank bat eS ja auf dem Frankfurter Parteitage der Socialdemokraten den kleinen Grundbesitzern mir anerkennens- werther Offenheit gesagt, wo die socialdemokratische „Agrar politik hinauswill: man ist sich klar, ohne die Land bewohner den „Kladderadatsch" nicht herbeisübren zu können, und möchte sich ihrer Fäuste in den Städten bedienen, um nach gethaner Arbeit von eben diesen Städten auS die Verstaatlichung deS gesammten Grund besitzes, d. h. die Enteignung der kleinen wie der großen Be sitzer, zu decretiren. UebrigenS ist die Abneigung der bayerischen Bauernbündler gegen daS Centrum, das die Freuden seiner langen Herrschaft voll und mehr, als selbst den Kirchlichsten erträglich, ausgekostet hat, eine so tiefgehende, daß auch eine oppositionelle Haltung in der Flottenfrage die bayerische ältere Partei in den Augen ihrer bündlerischen Gegner nicht entsühnen würde. Ebensowenig vermag die- der giftige ParticularismuS, in dessen Bekundung sich die bayerischen Klerikalen gefallen und der in der Münchner Kammerdebatte über die letzten Kaistrmanöver so scharf her vortrat, allerdings obne Lorbeeren zu ernten. Man kann die Saite deS PreußenhaffcS auch in Allbayern nicht so hell an klingen lassen, wie der gute Geschäftsgang de« Sigl'schen und verwandter Preßunternehmungen die Norddeutschen viel fach glauben macht. Wenn der niederbayerische Bauernführer Wieland in seinem Blatte schreibt, das Jahr 1866 sei ein Glück für Bayern gewesen, so will das auch für Den viel sagen, der die Erregbarkeit de« Manne« und seinen Haß gegen den CentrumSterroriSmuS voll in Ansatz zu bringen weiß. Die „ freisinnige " Berliner Presse hat von der Aeußerung Wieland'« wenig Notitz genommen. beobachtet überhaupt eine eigentbümliche Haltung gegenüber dem ParticularismuS uckd dem, was oft fälschlich so genannt wird. Wenn eS gilt, irgend etwas zu verhindern, was zur Festigung deS Reiches vorgeschlagen wird, dann sind die Gehässigkeiten de« Stuttgarter „Beobachters" und des Sigl'schen „Vaterlandes" für sie „Stimmen, die die preußische und die Neich-regierunz wohl beachten sollten." Das verlangt die Opposition so. Soll aber in einer Aeußerlichkeit die nun einmal vorhandene bayerische Sonder stellung zum AuSdrucke kommen, so entdeckt der Freisinn ein reichsdcutsches Herz. Zu diesen Bemerkungen veranlaßt unS nicht etwa die Angelegenheit deS ReichSmilitairgericktS, die auch wir lieber nicht in Frage gestellt gesehen hätten. Wenn wir auch nicht anerkennen können, daß es Demokraten, die gegen die Errichtung deS Reiches gestimmt haben, wohl anstehe, in der Erfüllung liberaler Forderungen, wie sie im Entwurf einer Militairstrafproceßordnung gefunden werden, durch die Hervorhebung „unitarischer" Bedenken Schwierig keiten zu bereiten, so ist doch nicht zu bestreiten, daß es sich hier um die materielle Frage einheitlicher Rechtsprechung handelt. Aber ein Berliner Fortschrittsblatt, das sich kürz lich auch durch eine Beleidigung des bayerischen ContingentS der deutschen Armee ausgezeichnet hat, gebt so weit, die Absicht der bayerischen Regierung, auch nach Inkrafttreten des Bürgerlichen Gesetzbuches ihr oberstes Landeszericht beizu behalten, als thalsächliche Hemmung der Nechtseinbeit zu kenn zeichnen. In Wahrheit steht nur die Nichtbeseitigung einer Decoration in Frage. Die Revisionsinstanz für kleinere Straf sachen ist jetzt in Bayern das Oberlanteögericht München. Gebt diese Eigenschaft auf das sonst mit Beginn des Jahres 1900 allmählich beschäftigungslos werdende oberste Landesgericht über, so ändert sich materiell gar nichts. Die Instanz führt einen anderen Namen — auch die entsprechende preußische Instanz trägt nicht die Bezeichnung „OberlandeSgerichl" — und die Sache wird für Bayern etwas kostspieliger, als sie jetzt ist. Da« ist Alles. Der Fortbestand res bayerischen LandeSgerichtS würde auf die Rechtsprechung keinen Einfluß üben und auch als nationalpolitischer Schönheitsfehler daS Auge weit weniger verletzen, als es z. B. das Verhalten des „Freisinns" beim achtzigsten Geburtslage des Fürsten Bismarck gethan hat. Ueber den bevorstehenden Dresdner Parteitag der Deutschconservativen schreibt die „Kreuzztg." allerhand, was den Anschein erwecken kann, als ob cS als Verhaltungs maßregel für die Versammlung anzusehen sei. Der CurS müsse der alte bleiben, das Tivoliprogramm dürfe nicht angetastet werden und es müsse hervortreten, daß von grund sätzlichen Meinungsverschiedenheiten, namentlich in Wirth- schaftSfragen, in der Partei keine Rede sein könne. Wir warten ab, waS geschieht, namentlich nach dem Parteitage, und registriren nur, daß die „Kreuzztg." außer dem West falen Klasing die Herren v. Manteuffel, Graf Lim- burg-Stirum und Graf Kanitz als Referenten nennt und ausdrücklich hervorhebt, daß die sächsischen Parteigenoffen Abstand genommen haben, einen Referenten zu bestellen. Nach Regeneration sieht diese Liste allerdings nicht aus. Loncentration nach rechts. 6. Part«, 23. December. Nachdem die DreyfuS-Sache endlich in ein verhältniß- mäßig ruhigeres Fahrwasser gelangt war — Niemand weiß, wie sie noch einmal enden wird —, konnte man glauben, daß sich alles Interesse dem letzten oder auch nur vorletzten Acte der Panama-Tragikomödie, zuwenden würde. Indes die Reclame bat nicht gezogen. Weder die öden Verhandlungen der parlamentarischen Com mission, noch der Proceß vor dem Geschworenengerichte ver mögen daS Publicum sonderlich aufzuregen. Die minimale Bedeutung dieses Protestes im Vergleich zu der eigentlichen großen Panama-Sache liegt aber auch zu sehr auf der Hand. Die kleinen Diebe hängt man wieder einmal, denkt das Volk, die großen läßt man laufen. Und so bedauert eS im Grunde die sieben Herren, die jetzt als Angeklagte vor Gericht stehen. Ob diese übrigens verurtheilt werden, ist mindestens fraglich. Man weiß, daß der Hauptbeweisgrund gegen sie die berühmten Notizbücher Arton'S sind, in die er die Namen dec Checkempfänger und die ausbezahlten Summen, letztere in Buchstaben, eingetragen hat. Belanglos ist dieses Beweismittel sicher nicht. Erstens steht sest, daß die Eintragungen wirklich zur fraglichen Zeil und nicht etwa erst nachträglich stattgefunden haben, und zweitens ist ihre Richtigkeit in solchen Fällen, wo es sich nicht um Parlamentarier handelte, sondern um Leute, die ruhig gestehen konnten, nachgewiesen worden. Allein, wie gesagt, das Ende des Processes steht durchaus nicht fest. Arton Hal sich übrigens gegen seine Opfer nicht grausam gezeigt. An Bestechung habe ich nicht gedacht, erklärte er dem Richter, ich bin Kaufmann und habe mich einfach für mir erwiesene Dienste erkenntlich gezeigt. Jedenfalls ist die Panama-Sache nicht so aufregend, daß sie die Aufmerksamkeit von anderen wichtigeren Vorgängen ganz abzuziehen vermöchte. Es ist bekannt, daß daS Mini sterium Meline auS den Reihen der gemäßigten Republikaner im Gegensätze zu der radical-social,stochen Linken hervor gegangen ist, ebenso, daß dieses Ministerium, um den An sturm der Linken aushalten zu können, auf die Unterstützung der Nalliirlen, ja selbst der royalistischen Rechten angewiesen war. Allein bisher batte man jedes wirkliche Einverstäudniß hartnäckig abgeleugnet. Das scheint nun mit einem Male anders werden zu sollen. Die Gemäßigten haben gefunden, daß sie sich vor dem alten Schlagwort des KlerikaliSmuS, der „Pfaffenfreundschaft", nicht mehr zu fürchten brauchen, und fangen an einzusehen, daß die schlimmen Neactiouäre von der Rechten in manchen Sachen recht brauchbare BundeSgenofsen werden können. Vergebens, daß der alte Senator Ranc sic warnt, „den Principien, Ideen, Ueberlieferungen ihrer Partei untreu zu werden und sich nicht kläglich von dem Bunde der Reactionäre aufsaugen zu lassen", sein Traum von der Wiedervereinigung aller Republikaner wird immer illusorischer, immer tiefer klafft der Riß zwischen den einstigen Brüder». Wie er den Bund der Radicalen mit den Socialdemokraten nicht bat hindern können, so wird er auch den Zug der Gemäßigten nach recht» nicht aufhalten. Die Monarchisten ihrerseits kommen dem Zuge in jeder Weise entgegen. Auch bei ihnen vollzieht sich eine vollständige Schwenkung. Die Zahl derer unter ihnen, die noch an das Märchen von der „kranken Marianne", wie sie die Republik zu nenuen lieben, glauben, deren letztes Stündlein demnächst schlagen werde, wird immer geringer. Die Ergebnisse der Wahlen, bei denen ihr Häuflein immermebr zusammen geschmolzen ist, stehen aber auch in zu schneidendem Widerspruche damit. Den härtesten Stoß aber hat ihnen ter Abfall der republikanischen Katholiken gebracht. Seitdem katholisch und royalistisch nicht mehr dasselbe ist, seitdem sie den König und den Papst nicht mehr nebeneinander aus ihr Banner schreiben können, sind ihre Actien auf Null gesunken. Allerdings führten be sonders in der „Gazette de France" noch einige junge Hitz köpfe das Wort, und man glaubte, daß sie der besonderen Gunst des Prätentenden sich erfreuten. Ferrrlletsn. Der Weihnachtsmann. 2j Von ElSbrth Friedrich«. Nachdruck verboten. Sie knotete mit zitternder Hand das Tuch auf, welches sie getragen hatte und legte eine große Menge fein gesponnenen und zierlich gebundenen Garnes auf den Tisch. „Ach, wie geschickt Du bist", sagte die Pastorin, die Arbeit in die Hand nehmend, „'s ist wahr, Niemand spinnt so fein und gut, wie Du. Und nun will ich Dir etwas sagen. Du könntest dieses auch zugleich verarbeiten zu verschiedenen Sachen, theilweise ver stricken, theilweise verhäckeln. Wir reden noch näher darüber. Jetzt sollst Du zuerst etwas Warmes zu Dir nehmen, ehe Du den weiten kalten Heimweg antrittst. Und dann hat mein Mann noch einen kleinen Auftrag an Dich auszurichten. Komm und lege Dein Tuch ab, ich werde sogleich zurück sein." Als die junge Frau allein war, seufzte sie tief auf. „O Himmel, was hatte der Vater gewollt, und war der Auf trag von ihm?" Daneben aber regte sich ein unendlich frohe« Gefühl in ihr Neue Arbeit! Nun war das herbe Wehgefühl, das ihr Herz in diesen Tagen noch besonders bedrückte, von ihr genommen und auch für sie und das Kind wurde es Weihnachten! Doch mehr als diese« stand ihr bevor und erfüllte ihr das froher bewegte Herz gegen ihren Willen mit Bitterkeit. Der alte Pastor empfand die Schwierigkeit der Vermittler rolle zwischen Vater und Tochter, dir ihm zugefallen war, und da die Letztere bald nach dem Abschied deSErsteren bei ihm ringetreten war, so hatte er nicht viel Zeit gehabt zur Ueberlegung. Er wählte lurz die Worte, wie sie ihm seine Theilnahme diktirte und über reichte der mit niedergeschlagenen Augen und zusammengepreßten Lippen vor ihm Stehenden eine schwere Rolle Geldes als Weih- nachtsgabe von ihrem Vater. Sie streckte nicht die Hand danach au«, sondern trat stumm einen Schritt zurück. Der alte Herr ließ ihr Zeit zur Sammlung. „Seh' Dich, stind", sagte er, und ging dann im Zimmer auf und ab. Das Geld lag vor ihr auf dem Tisch. „Herr Pastor," sagte sie nach einiger Zeit leisen aber be stimmten Tones, „nach Allem, was geschehen ist, kann ich dieses nicht annehmen. Ich meine, ein solches Geschenk, und wenn es such vom Vater kommt, muß mit Liebe gereicht sein, sonst ist'» ein Bcttlerlohn. Ich wünsche eine Versöhnung mit meinem Vater; aber ich will nicht als Bettlerin zu ihm gehen, obwohl ich arm bin. Ja, die Arbeit ist mir die einzige Wohlthat gewesen, ich setze sie lieber fort, als das ich dieses so annehme." Der Pastor blieb vor ihr stehen und blickte ihr theilnahmsvoll in das glühende Gesicht. „Liesing", sagte er ernst, „'s ist Weihnacht, und das ist eine Zeit, in welcher Gott seine Boten herabsendet und an dir Herzen pocht, damit das Gute, was in ihnen schläft, erwache. Zuweilen dauerts lange, und gewiß ist Dein Vater lange hart und ver schlossen gewesen; doch die Liebe in seinem Herzen war nicht todt, sie schlief nur. Sorge Du dafür, daß sie sich mehr belebe. Die Liebe höret nimmer auf, wenn wir sie unter uns wohnen lassen." Beide sprachen noch einige Zeit mit einander. Dann löste sich die Bitterkeit in ihrem Herzen und wich der Hoffnung. Eilenden Fußes verließ sie das Pfarrhaus und trat bald darauf bei dem einzigen Kaufmann des Orte« ein, um von den ausgestellten Herrlichkeiten für ihr Kind einige Weihnachtsgaben zu wählen. Dritte« Bild. Nun ist es da, das selige Weihnachtsfest und erleuchtet die dunkle Erde — leider nur auf eine kurze Spanne Zeit; doch sein Licht ist so hell, daß e« noch lange nachfiraht in den Herzen, nachdem der Baum erloschen ist. FreeSdorf lag eingehüllt in dichten Schnee, dessen Oberfläche im Sonnenschein glitzerte. Die Wellen kamen nicht mehr zur Küste heran; denn auch sie waren weit hinaus zu Ei« erstarrt, und da sie der Frost zum Schweigen gebracht hatte, war e« so still ringsum, daß es schien, al« sein hier oben Alle« ausgestorben. Doch nein, da öffnete sich eine Thür und eine kleine Kinder schaar kam herausgestürmt. „Hurrah! Heut' kommt der Weihnachtsmann", riefen die Buben und warfen ihre Mützen in die Höhe. „Hurrah!" Dann begannen Alle mit Besen und Schaufeln einen Weg durch den Schnee zu bahnen. „Zu Jürgens Hans kommt er zuerst, der wohnt vornan, dahin wollen wir den Weg machen", sagte einer der Buben. Da tauchte hinter den Scheiben des ersten Hauses ein Kinder gesicht auf, und ein Fingerchen klopfte an die Scheiben. „Komm heraus, Hansing", riefen die Kinder und winkten mit der Hand. „Mutting, darf ich?" wandte sich der Kleine zurück in da« Zimmer. Bald darauf sprang der Begehrte wohl eingehllllt herau«, und von Neuem erscholl das Hurrahrufm im Thor. „WaS macht ihr denn da?" „Einen Weg für den Weihnachtsmann", antwortete einer der Buben. „Bis in den Wald?" „O, da kommt er allein durch!" „Kann er fliegen?" fragte Hans wieder. Alle lachten. „Nein, er hat ja so große Stiefeln an. Aber, ob er den Weg noch weiß?" So ging das Geplauder fort während der Arbeit, und Hans berichtete, daß Mutting vorgestern einen großen Korb für den Weihnachtsmann aus Waldhusen miigebracht habe; aber daß Keiner ihn anrühren dürfe; denn er gehöre dem Weihnachtsmann. „Könnt Ihr auch Euer Verslein beten?" fragte nach längerer Zeit eines der Kinder. Alle glaubten es zu können. „Kommt in die Stube, wir wollen eins aufsagen. Jeder seins." Hierhin und dorthin flogen Besen und Schaufeln, und das Häuflein drängte sich zusammen und kroch eifrig hinter einander zur Thür des zweiten Hauses hinein. Da in diesem Haus die meisten Kinder wohnten, war es der bevorzugte Ort zu täglichen Zusammenkünften; um die Weihnachtszeit aber war es hier besonders schön. DaS kam daher, weil die alte Großmutter, welche immer in der Ecke am Ofen saß und strickte, die schönsten Geschichten vom Weihnachtsmann zu erzählen wußte. Sie war es auch gewesen, die den Buben und Mädchen die Verslein vorgesagt hatte, welche für den Weih nachtsmann bestimmt waren. Nur Jürgen« Hansing hatte sein Weihnachstlieddaheim bei der Mutter gelernt, e« war dasselbe, das Mutter auch schon dem Weihnachtsmann aufgesagt hatte, als sie selbst noch so ein kleine« Mädchen war. Schon lange hatten die kleinen Gäste wieder Großmutter« Erzählungen gelauscht, und ein Jede« hatte sein WrihnachtSgrbet aufgesagt, al« eine schwarz gekleidete Frauengestalt von außen an das Fenster trat. „Mutting, ich bin hier", rief der kleine HanS und sprang zur Thüre, „bitte, nimm mich auch mit!" Doch nicht ohne noch ein mal das Köpfchen umzuwenden und eifrig zu versprechen, „ich komme bald wieder", verschwand der Klein« und hing sich an die Hand der Mutter. Diese trug ein von Fichtengriin gewundenes Kreuz in der Hand, hüllte den Knaben sorglich in sein Mäntelchen, welches ihm soeben einer der größeren Buben aus dem Hause herausbrachte, setzte ihm das weiße wollene Käppchen auf die blonden Locken und nahm ihn mit sich. Der Knabe war durch einen Blick in da« Gesicht der Mutter därüber belehrt, daß jetzt nicht Zeit zu fröhlichem Geplauder sei, rr wußte grnau, warum die Muttrr grwrint hatte, und wohin sie gehen wollte; zärtlich schmiegte er das Köpfchen an sie und streichelte ihre Hand im Gehen. Nach einer Weile sagte er: „Gehen wir nach des Vaters Stein und bringen ihm dieses?" und als die Mutter schluchzend nickte, „ich will auch ein Zweiglein hinlegen, bitte gieb mir eins, wenn wir an den Bäumen vorbei kommen." Es war ein beschwerlicher Weg, und oft mußte sie das Kind eine Strecke weit durch den Schnee tragen. Dann standen sie unten, wo der bescheidene graue Denkstein zur Erinnerung an den Opfertod des alten Lootsen und des jungen Fischers Hans Jür gen aufgerichtet war. Nur mit äußerster Anstrengung konnte dic junge Wittwe den zuerst gewatlsam hervorbrechenden Schmerz bis zu einem leisen Weinen bekämpfen. Die Liebkosungen des Kindes machten ilir Weh in diesem Augenblick noch größer. Der Knabe hatte sein weinendes Gesicht in ihren Kleidern verborgen; nach einigen Mi nuten heftiger Erschütterung hob sie ihn auf, drückte ihn an sich und wandte sich zum Gehen. Sie schlug nicht sogleich den Rück weg ein,sondern schritt vorwärts auf der gangbaren Straße, di. hin und wieder von Wagen befahren wurde, in den Walv hinein. Hier zu Anfang standen die Bäume nicht überall ganz dicht, auch wechselten junge Bestände in kurzen Zwischenräumen ob mit älterem Nadelholz. Wo eine kleine Lichtung sich zeigte, da schaute der Knabe aufmerksam auf der glitzernden Fläche um her und tief hinein in das krystallene Gestrüpp dahinter, als ahne er überall verborgene Weihnachtsgeister. „Muttrr", fragt er nach langem Schweigen, „da hinter den Bäumen hast Du mit dem Großvater gewohnt, nicht wahr? — o, das sind lauter prächtige Weihnachsbäume, hat dic alle der Weih nachtsmann dahin gestellt oder der Großvater?" „Alle Beide, Hansing— pst — sieh einmal dort, ein Rchlein, und da noch eins und wieder ein«, sie sind hungrig, die armen Thierchen." „Aber der Großvater füttert sie, nicht wahr? Wird der Groß Vater dem Weihnachtsmann auch den Weg zu uns zeigen, wenn er hier vorbrikommt und die WeihnachtSbäume nimmt?" „Ja, Kind! — und nun wollen wir nach Hau« gehen und Du wirst Dein Süppchen essen. Nachher darfst Du wieder zu Erd Manns Anning hinüber, die Mutter hat noch zu thun, und bleibü da, bis ich Dich hole, nicht wahr, mein Hansing?" Der Knabe blickte noch einmal aufmerksam um sich, achtete genau auf den Weg und lief nachdenklich neben seiner Mutter her. Gar zu langsam verstrich dieser Tag für die Kinder; aber auch für die Alten; nämlich für die, welche nichts für den Weih nachtSmann zu thun hatten und zu denen er auch nicht kommen würde.
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