01-Frühausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 04.05.1896
- Titel
- 01-Frühausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1896-05-04
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18960504014
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1896050401
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1896050401
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1896
- Monat1896-05
- Tag1896-05-04
- Monat1896-05
- Jahr1896
-
-
-
3358
-
3359
-
3360
-
3361
-
3362
-
3363
-
3364
-
3365
-
3366
- Links
-
Downloads
- Einzelseite als Bild herunterladen (JPG)
-
Volltext Seite (XML)
VezugS'PrelS Al brr Hauptexpedition oder den im Stadt- oreirk und den Vororten errichteten AuS- aabeftrkln, obgeholt: vierteljährlich^ 4.tt), bei zweimaliger täglicher Zustellung tu« Hau- SLO. Durch dir Post bezogen für Deutschland und Oesterreich: vierteljährlich ^l 6.—. Direkte tägliche Krru-bandsendung in- Ausland: monatlich ^l 7.VO. Die Morgen-AuSgabe erscheint «m '/,? Uhr. die Adeud-AuSgabr Wochentags um S Uhr. Vrdartto« uuL LrveLition: yohMtneSgaffe 8. Di«Expedition ist Wochentag« ununterbrochen geäsfuet von früh 8 bis Abends 7 Uhr. Filiale«: Vita Klemm'« Tortim. (Alfred Hahn), Universitättstraße 3 (Pauliuum), Louis Lösche. Katharinenstr. 14, Part, und Königsplatz 7. Morgen - Ausgabe. MpMcr Tageblalt Anzeiger. Amtsblatt des Königlichen Land- «nd Amtsgerichtes Leipzig, des Natljes «nd Nolizei-Ämtes der Stadt Leipzig. Montag den Mai 1896. Anzeigen-Preir die 6 gespaltene Petitzeile 20 Pfg. Reklame» unter dem Redactionsstrich (4 ge spalten) Lv-H, vor den Familiranachrichten (6 gespalten) 40/^. Größere Schriften laut unserem Preis- verzeichnitz. Tabellarischer und Ziffernjatz nach höherem Tarif. Extra-Beilagen (gefalzt), nur mit der Morgen-Ausgabe, ohn« Postbesörderung 60.—, mit Postbesörderung 70.—. Armahmeschluß für Anzeigen: Abend-Ausgabe: Vormittag» 10 Uhr. Morgen-Ausgab»: Nachmittag» 4 Uhr. Bei den Filialen und Annahmestelle» je eine halbe Stunde fr «her. Anzeigen sind stets an die Expedition zu richten. Druck und Verlag von E. Polz in Leipzig W. Jahrgang. ohne ihn das Umfassendste geleistet; Zuckerrüben werden'tankst i so viel producirt, daß der Betrieb eingeschränkt werden mußte; Deutsches Lauernleben. Mitgetheilt von Bodo Corneliu».*) Unter allen BolkSständrn ist der Bauernstand derjenige, auf den am meisten da» in der Bezeichnung liegende Wort paßt: er ist am beständigsten. Der Bauer ist der geborene konservative, nur nicht im Sinne einer politischen Partei. Er erhält der Bäter Brauch und Titte so treu wie möglich. DaS ist ein Lob für ihn, denn so weit gebt seine Beständig keit nicht, daß er sich an veraltete Formen eine« Wirtbsckafts- lebenS klammerte, welches den Fortschritten der allgemeinen Eultur feindlich wäre. Der riesige volkswirtbschaftliche Um schwung seit etwa vierzig Jahren konnte unmöglich spurlos an ihm vorüber gehen. Früher war er genöthigt, seine Pro dukte, Feldfrüchte und Vieh, selbst zu den städtischen Wochen märkten zu bringen. Wir Alten erinnern uns noch, daß allwöchentlich ein-, auch zweimal ganze Züge von schwer beladenen Bauernwagen und Viehkarawanen sich auf zum Theil grundlosen Wegen concentrisch den Städten zu bewegten und daß zahlreiche Kleinbauern hinter den Lasten ihrer Schub karren berkeuchten, um auf dem Markte sich für ein paar Säcke Getreide wenige Thaler zur Bestreitung ihres Haushalts zu holen. Da gab eS noch keine die Preise regulirende „Börse*. Es kam vor, daß der Bauer, wenn er keine» Ab satz fand oder nicht den ihm genehmen Preis erzielte, mit seiner Ladung wieder heimfuhr oder diese bis zum nächsten Wochenmarkte einstellte. DanialS florirten gewisse Gasthöfe und alle diejenigen städtischen Geschäfte, bei denen die Bauern für das eingenommene Geld gleich die für ihren Hausstand erforderlichen Maaren entnahmen. Aber welcher Aufwand an Zeit und Mühe war mit dieser Art des Verkaufs ver bunden! Heute bleibt der Bauer zu Hause, die Händler und Makler kommen zu ihm und schließen mit ihm die Geschäfte auf Grund der gerade bestehenden Marktpreise ab. Ich erwähne daS, um zu zeigen, daß auch im Wirtschaftsleben deS Bauern immense Fortschritte gemacht worden sind. Mit technischen Gewerben und Industrie kann der Bauer allerdings nicht wetteifern. Im Wesentlichen hat er immer und immer wieder mit dem Getreidebau zu thun. Färbekräutrr hat d'e Chemie WerthWS gemacht; im Gemüsegartenbau wirv sck . der Flachsbau wäre ein ganz unsicheres, in keiner Weise lohnendes Experiment, das schon gemacht worden ist. Man hört jetzt oft das Schlagwort: „Intensive Bodenbearbeitung." Ein richtiger Bauer bearbeitet seinen Boden so intensiv wie möglich. Die gelehrten Theoretiker scheinen nur ost zu ver gessen, daß ihr Schlagwort den klimatischen und wirtschaft lichen Bedingungen gegenüber nichts bedeutet. Maschinen sind in kleineren bäuerlichen Betrieben nur in ganz beschränktem Maße zu verwenden. Wo zum Handbetriebe die Zeit auSreicht, können sie entbehrt werden; ja, es ist im Interesse deS ländlichen Arbeiterstandes sogar Wünschenswerth, daß sie nicht überwuchern. Der kleine Bauer bewirthschaftet sein Besitzthum nur persönlich, mit Hilfe der Glieder seiner Familie, der mittlere Bauer hält nur einen Knecht und höchsten» noch eine Magd; der größere Bauer beschäftigt oft noch einen einzigen Tagelöhner oder ein Arbeiter-Ehepaar. Daß aber selbst im Großbetriebe Maschinen entbehrlich sind, beweist unser Gutsherr, der, im Besitze des größten Theil« der Flur, keine einzige Maschine verwenden läßt, um Jahr aus Jahr ein, außer Knechten und Mägden, einen guten Arbeiterstamm von circa 15 Leuten beschäftigen zu können. Es ist eine ganz einfache volkswirthschaftliche Rücksicht, Menschen durch Maschinen nicht brodlos zu machen, und der Socialdemokratie in die Arme zu treiben. Ein zweites Lieblingsgebilde der Theoretiker von der „intensiven* Bewirthschaftung ist die künstliche Düngung, resp. Bodenverbesserung durch chemische Mittel. Kein einsichtiger Bauer von einiger Bedeutung wird eS unterlassen, gelegent- *) Der Artikel ist eine Ergänzung der im März im Tageblatt gebrachten Artikel: „Sociale Bilder au» dem sächsischen Dorfleben". Er stammt aus der weiteren Umgebung Leipzigs. D. Red. sich die Beschaffenheit eine» Feldes oder einer Wiese durch Kalk, Mergel rc. zu verbessern; in der Hauptsache aber muß er in altvaterischer Weise beim Stalldünger bleiben. Was sollte er sonst mit seinen« Stroh anfangrn? Gerade hierin greifen Felo- und Biehwirthschaft genau in einander. Ab gesehen von allen Vortheilen, welche die Zucht von Milch- und Schlachtvieh dem Bauer gewährt, kann er von diesem Vieh stets nur so viel halten, als er Stroh zur Dünger bereitung producirt. Hält er mehr, so thut er es auf Kosten seines Geldbeutels, denn er müßte Stroh mit baarem Gelde kaufen. Er muß aber möglichst viel Vieh halten schon um des Düngers willen. Wenn man erwägt, daß jeder mittlere Bauer alljährlich 80 bis 100 große Fuder Stalldünger nebst der daraus gezogenen Jauche auf seine Felder bringen muß, so kann man sich denken, wie wichtig die Wechselwirkung von Stroherzeugung und Viehhaltung ist. Im gegenwärtigen Jahre kommen zwei Umstände zusammen, um die Preise für Borstenvieh herabzudrücken: tbeures Stroh und billige Kartoffeln. Schweine kosten im Augenblick pro Eentner nur 25 gegen 40 -F vor wenigen Monaten. Für den Großbauer, der im Frühjahr vielleicht 40 Eentner zum Verkauf zu bringen hat, bedeutet diese Differenz einen Verlust von 600 für den Kleinbauer, noch empfindlicher, von 30—50 welche zum Theil den Viehhändlern und den Fleischern zu gute kommen. Bei einem billigen Preise von 25 pro Pfund zieht mancher Bauer vor, ein zum Verkauf bestimmt gewesenes Sckwein selbst zu schlachten. Unter gewöhnlichen Umständen schlacktet jeder kleinere Bauer jährlich 2—3 Schweine, im Winter, Frühjahr, resp. im Herbst. Fast das ganze Fleisch davon wird geräuchert und gepökelt, um das Jahr über im bäuerlichen Haushalte zur Nahrung zu dienen. Das Rinder schlachten ist auf dein Dorfe unter gewöhnlichen Umständen ganz ungebräuchlich, weil eS sich nicht empfiehlt, das Fleisch eines ganzen Rindes einznpökeln. Frisches Fleisch kommt im Bauernhause deshalb seltener auf den Tisch, weil es in den Dörfern meist an Berkaufsfleischern fehlt und also das Fleisch erst zu thrurem Preise weit auS Städten herbeigeholt Werden müßte. Daß in vielen Bauernhäusern auch Butter seltener, da gegen Fett resp. Speck häufig gegessen wird, liegt daran, daß gr^ß're hrutzn*age nickt mehr buttern wndern die Milck an Händler liefern, kleine Bauern aber mit ihren paar Kühen gar nicht buttern können, weil sie an Rabm zu lange sammeln müßten. Wer aber auf dem Dorfe Butter kauft, muß den in der Stadt geltenden Marktpreis bezahlen. An den Aufkäufer, der jetzt kein Dorf mit seinen regelmäßigen Durchfahrten verschont, mag der Bauer seine Produkte, Milch, Butter, Eier, Geflügel rc., etwas billiger liefern, an seinesgleichen nickt. Er sagt sich dabei, daß der Aufkäufer sein regelmäßiger Abnehmer ist. Dieser Aufkäufer nimmt dem Bauern Alles ab, was in Städten verwrrthbar ist, zu Zeiten der Obstreife auch daS frische Obst, und zwar dieses meist zu Spottpreisen, weil der Bauer, von Ausnahmen abgesehen, nicht weiß, was er mit dem Obst anfangen soll. Er kocht vielleicht Pflaumen zu Mus ein, aber in seltenen Fällen dörrt er Aepfel, Birnen und Pflaumen, obschon er im Besitz eines Backofen« ist. Auf den Ovstbau, zunächst zum eigenen Bedarf, wird leider auf dem Dorfe durchschnittlich nur geringer Werth gelegt, und es sind in dieser Hinsicht Verbesserungen empsehlenSwerth. Die Geflügelzucht, deren eifrigen Betrieb manche Theoretiker vom Bauer verlangen, wird von ihin mit Recht nur nebensächlich betrieben. Was er von Hühnern und Gänsen nickt ohne Storung auf seinem Gehöfte zu halten und mit den Abfällen seiner Wirtschaft zu ernähren vermag, bringt ihm keinen Nutzen, in Gärten und auf Feldern gerade zu Schaden, obschon noch häufig der gesetzlich verbotene Miß brauch besteht, Geflügel auf die Felder laufen zu lassen. Be sonders kostspielig ist die Körnerfütterung. Am besten gedeihen Hühner auf großen Dungstätten, in Gehöften, wo inehrere Pferde gehalten werden, oder wo es viele Fleischabfälle giebt, z. B. in Gasthöfen und Cavillereien, sonst sind sie wegen ihres unausgesetzten Scharrens Zerstörer deS Boden«, so wie die Gänse in beschränkten Gehegen jede Grasnarbe vernichten. Gänse erfordern zu gutem Gedeihen auch rin größeres Master. Bon 10 Hühnern sind durchschnittlick 2—3 geringe Eierleger und andere 3—4 sind frühzeitig brütig, v. h. sie hören auf, Eier zu legen. Im großen Ganzen wiegen bei beiden Ge flügelgattungen die Kosten der Ernährung dir des Erlöses ziemlich aufi Am wenigsten ergiebig ist die Taubenzucht. Abgesehen davon, daß die Taube fort und fort Körnerfütterung er fordert, und, wenn sie auf Felder geht, immensen Schaden thut, ist sie das ungetreueste, unverträglichste, gehässig kamps süchtigste Hausthier, bei welchem stets die schlechtesten Eigen beiten wenige gute überragen. Selbst die sorgfältigste Pflege ist nicht im Stande, der Taube Anhänglichkeit ans Hau- bei- »ubringen, sie gebt durch und paart sich oder brütet in einem fremden Schlage, kommt dabri aber in ihr ursprüngliches Heim zum Futter und legt dadurch ihren« Eigentbümer die Geldopfer ohne Vortheile auf. Dabei erfordern lo brütende Paare immer mindestens 30 Wohnungen; ja ein einziges Paar behauptet oft einen ganzen Schlag oder 5—6 Löcher, die anderen werden grausam abgetrieben, wobei Alte ihre flüggen Jungen nickt verschonen. Es ist unter ihnen ein unausgesetzter Kumpf mit Schnabelhieben und Flügelschlägen. Wer das Wort von der „sanften Taube" erdacht hat, kannte die bösartige Natur der Tauben nicht. Wer Tauben hält, muß besonderes Glück haben, um auf seine Kosten zu kommen; Gewinn Kat er sicher nicht, oder doch nur der hinterlistige Nachbar, der, ohne selbst Tauben zu züchten, Schläge oder „Höhlrr" anlegt, ibm zufliegende Tauben dann wegfängt, oder bei sich brüten läßt und die Brut auSnimmt. Dies lbut der eigentliche Bauer gewöhnlich nicht, eher noch der unbemittelte Häusler, Handwerker und Arbeiter. Man kann annrhmrn, daß Tauben pro Stück jährlich an Futter ca. 4 kosten und 30—40 einbringen. Bei Hühnern und Gänsen gestalte» sich Ausgabe und Einnahme ungefähr so: 10 Hühner legen jährlich ca. 700 Eier ä 4 ----- 28 .4! 30 Eier davon zur Brütung ergeben etwa 12 Küchlein ü, So -f ----- 72 Jährlicher Futterauswand an Körnern, Kleie rc. 36 Bleibt günstigen Falles ein Ueberschuß von 64 10 Gänse kosten jung ca. 7 erfordern an Futter bis zum Verkauf resp. zur Ueberwinterung der Brüter ca. 25 Beim Verkauf pro Stück ca. 6 tzo Bleiben günstigen Falles 28 Bei beiden Gattungen also etwa 92 Dabei sind Kosten an Stallungen, Grünfutter, Zeit und Mühe, Verluste durch Absterben rc. nicht in Anschlag gebracht. Es zeugt demnach von Unkenntniß, wenn dem Bauer „Vernachlässigung der Geflügelzucht" vorgeworfen wird. Wäre eS möglich, daß er Geflügel, Eier, Butter rc. direct an die Städter verkaufen könnte und daß er für Obst einen besseren Absatz fände, so würden sich seine Verhältnisse etwas günstiger gestalten. Auf den Getreide preis hat er beim heutigen Stande der Dinge nicht den geringsten Einfluß. Ein Ver gleich zwischen der Lebenshaltung der Bauern und Städter «st bei der Grundverschiedenheit der Lebrnsbedingungen beider gar nicht möglich. Städtische Handwerker, Kauf leute rc. mögen bequemer und vielseitiger leben, aber unter ihnen giebt eS von 100 wohl 80—90, die leicht in Notk und Verlegenheit gerathen. Noth im eigentlichen Sinne leidet der Bauer selten. Er gewinnt in erster Linie die Haupt nahrungsmittel: Getreide, Kartoffeln, Fleisch, für sich und seine Familie ausreichend. Feuerungsmaterial, Holz oder Torf rc., steht ihm weit billiger zu Gebote als dem Städter, und er genießt dabei, mit seltenen Ausnahmen, sicheren Eredit von bis 1 Jahr. Die schweren, oft unerschwing lichen Gemeindeabgaben der Städter kennt er nicht. Sein Tisch ist einförmiger, aber gesünder, kräftiger als der des Städters. Sogenannte junge Gemüse ißt er so wenig wie unreifes Obst und unausgebildete Kartoffeln. Nur reife Naturalien kommen in seine Küche, deshalb bleibt die Bauernfamilie von vielen Krankheiten verschont, welche im Gefolge der mehr und mehr um sich greifenden Manie vieler Städter, vollständig unreife Früchte aller Art zu genießen, sicher ein hergehen. Auch vor der Nervosität des vielen Kaffee genusseS bleibt der Bauer bewahrt, da Kaffee nur wenig getrunken wird. Die bei fast allen Bauern regelmäßig übliche Morgensuppe zum ersten Frühstück ist ein alter guter deutscher Gebrauch, der auch für städtische Familien zu empfehlen wäre. Viele Gerichte, bei deren Bereitung eine städtische Haus frau täglich 1»/» bi« 3 Stunden zubringt, sind auf dem Lande ausgeschlossen, weil die Bauersfrau niemals zu solcher Bereitung Zeit findet, gleichviel, ob sie dazu fähig ist oder nicht. Bei allen, selbst wohlhabenden Bauern ist eS Regel, daß Frauen und Heranwachsende Kinder an den meist schweren Arbeiten der Feld- und Viebwirthschast sich mit allen Kräften betheiligen müssen. Ohne diese Ein richtung würde die Bauernwirthschaft den Krebsgang gehen. Die meisten bäuerlichen Arbeiten lasten sich nicht um eine Stunde verschieben. Es ist in der Thal viel wichtiger, die Ernte ordentlich vorznbereiten und sicher einzubringen, das Futter dem Verwittern zu entziehen, das Vieh (den Lebens nerv des Bauern) sorgsam zu beschicken, als dem mensch lichen Magen rin Wohlgefallen zu bereiten. Gerade die un gewohnte Frugalität des Bauern, seine unbedingte Gewissen haftigkeit «n der Hingabe an seinen Beruf ist einer seiner vortrefflichsten Züge und dient als Grundlage zu seinem Gedeihen. Das Bewußtsein, seine Sckolle, selbst auf Kosten persönlichen Wohllebens, fest und von liebeln frei zu halten, «st sein Stolz und die beste Gewähr gegen das Eindringen auflösender focialistischer Begiückungsbestrebungen. Außerdem aber ist eines der stärksten Schutzmittel gegen die letzteren der kirchliche Sinn deS Bauern. Mag dessen Bethätigung immerhin etwas äußerlich und förmlich sein, genug, er ist von« Bauernleben geradezu untrennbar, so weit gehend, daß die Bauernfrau selbst Sonntag« den Kirchgang der aufhält lichen Bereitung eines leckeren Gerichtes voranstellt. Welcher vernünftige Freund eines festen Grundes der StaatSer- haltung wollte den Bauernstand wegen dieser Charakter- züge bemäkeln? Es ist dabei keineswegs ausgeschlossen, daß zu gewissen Festzeiten auch beim Bauern tüchtig gekocht und gebraten, Kuchen massenhaft gebacken und auch bei den unterschiedlichen Gaslhoföschmäusen tapfer mitgethan wird. Es ist ferner nicht zu verkennen, daß in nicht wenigen Fällen ein gewisser städtischer Kleirerluxus unter Bauernfrauen Platz gegriffen hat, welcher die Betriebs mittel etwas bceinträchligt. Andererseits aber besteht das kostspielige Wirthshausleben der Städter auf dem Lande nicht. An Wochentagen ist Abends 8—9 Uhr allgemeine Ruhe, und wenn Sonntags spät der Bauer im DorswirthS- hause ein paar Glas Bier kneipt, dabei wohl ein billiges Kartenspiel mit viel Geräusch treibt, so tritt doch auch dann Abends 10 Ubr Ruhe ein, abgesehen von den seltenen Aus nahmen räudiger Schafe und von den Tanztagen des jungen Volks, bei denen eS unter Knechten und Mägden leider oft nicht eben streng sittlich zugeht. Die unehelichen Geburten der Mägde sind ein Krebsschaden, gegen den auch die Pastoren nicht viel auSzurichten iin Stande sind. An der künstlichen Agitation der „Herren Landwirthe" betheiligt sich, was man gemeinhin „Bauer" nennt, gar nicht, er liest auch sehr wenig und ist den modernen Bildungs bestrebungen wenig zugänglich. Und da« ist gut so! Wollte der Bauer „höhere geistige Bildung" in sich aufnehmen, so würde ihm schließlich sein eng begrenzter Beruf, in welchem er so zu sagen immer mit Dreck zu thun hat, nichl mehr zusagen. Die jungen Leute vom Laude — selten Bauern söhne — welche auf besonderen Schulanstalten Landwirthschast „studiren", wollen alles Mögliche: Verwalter, Jnspectoren, Administratoren, Directoren, Gutspächter rc., nur nickt „Bauern" werden. Selbst die sogenannten „Haushaltungsschulen", denen einige vornehme Damen mit affectirter Bauernfreundlichkeit künstlich Boden zu geben suchen, entsprechen den Zwecken des BauernlebenS wenig. Die Landschulen find jetzt meistens gut; es giebt Wohl nicht viele Dörfer mehr, in denen die Bauernmädchen durch Handarbeitslehrerinnen nicht Nähen, Stricken, AuSbeffern lernten. Kochen, Braten, Backen rc. bringt ihnen die Mutter ohne überflüssige Künste bei. Für Anderes haben sie, da sie schon frühzeitig in der Haus-, FrreiHetse*. Die Palmenkadt Sordighera. „ES wandelt Niemand ungestraft unter Palmen-, sagt nicht etwa Lessing in „Nathan der Weise", wie oft irrthümlich citirt wird, weil man sich darauf besinnt, daß ja der Tempel herr mehrmals unter Palmen wandelt; nein, Goethe sagt eS, und zwar in Ottilien'S Tagebuch in den Wahlverwandt schaften. „ES wandelt Niemand ungestraft unter Palmen", doch der Versuch läßt sich wenigsten- machen, und ich hab' ihn ge macht, und zwar bin ich nickt nach Algerien und dem Sudan gepilgert, sondern nach der italienischen Palmenstadt Bordighera an der Riviera di Ponente, am Gestade des „weit- aufraufckenden" Mittelländischen MeereS, und nicht bloS ich habe diesen Versuch gemacht, sondern, eingesprenkelt in die alle Hotel- überfluthende Masse der Söhne und Töchter Albion» waren dort noch drei Leipziger Herren gleichzeitig anwesend, und zwar alle drei der Universität anaeyorig: Geheimrath Leuckarbt, Oberbergrath Eredner und Professor Ostwald — und ich bin überzeugt, daß sie alle ebenso un gestraft wie ich, ja sogar belohnt für ihre Kühnheit, dem AuSspruch deS großen Dichter- Trotz zu bieten, unter den Palmen BordigheraS gewandelt sind; denn der Aufenthalt in dieser Palmenstadt ist erquicklich und heilsam für die Gesundbeit, und mit allen Wintercurorten der Riviera bat Bordighera da- milde Klima gemein, welche- erlaubt, im Freien zu sitzen unter Oliven^ Orangen und Palmen, während in Deutschland und auch m dem übrigen Italien noch winterliche- Schneegestöber die Menschen in die Hauser jagt. Al» ich gegen Tode Februar durch dir Gefilde Piemont« hisdurchfuyr, da waren über dieselben noch immer weit« Schneedecken gebreitet, in Genua la 8uperba aber wehten milde FrühlingSlüfte, und in Nervi stieg auf der See promenade der Thermometer in der Sonne auf 25 Grad Reaumur. Die Palmen BordigheraS hatten der Stadt schon längst Ruf verschafft, ehe es noch in die Reihe der bekannten Wintercurorte der Riviera eintrat; es blieb lauge Zeit im Dunkeln, und man fuhr zu Land und Wasser an ihm vor über und begnügte sich damit, seine malerische Lage zu be wundern. Bordighera verdankt seinen Ruhm al- besuchter Eurort einem Dichter, welcher seine Schönheit mit begeistertem Lobspruch feierte; eS war da- Ruffini in seinem Roman „Doclor Antonio", der zum Theil in der damals allein epistirenden Osteria del Mattone spielt. Wie viele große Hotels haben jetzt bereits jene einsame Osteria verdunkelt. Doch die Italiener sind nicht allzuhäufige Gäste an der Riviera, und wenn der Roman Rufsini'S sich bloS an seine Landsleute gewendet hätte, so hätte die Blüthe, welche die Stadt durch den Fremden verkehr erlangt Hat, wohl lange auf sich warten lassen. Doch Ruffini, ein italienischer Patriot, mußte flüchtig werden, weil er sich an den Verschwörungen der Carbonari betheiligt hatte; er begab sich nach England, und er hat seine Romane, auch den „Doclor Antonio", zumeist in englischer Sprache geschrieben. Da strömten alsbald die Engländer nach der gepriesenen Palmen- und Wunderstadt und brachten sie in Mode, und so ist noch heutigentags in der Hauptsache Bordighera «ine englische Colonie, und eS giebt große Hotel-, welche von den Siegern über die Matabelen, Kaffern, Afghanen, Birmanen und hoffentlich auch über dir SudaNesrn ausschließlich be wohnt werden. Eine Palmenstadt ist Bordighera wie keine zweite — nicht bloS in allen Villengärtrn der Strada Romana erblickt man die über die Mauern herüberwinkenden Palmenwedel, rin ganzer Strich Land«» unterhalb der Altstadt in der Villa der Palmengärten gleicht einem großen Palmenwalde. Der Winter'sche bietet die prächtigsten und mannigfachsten Exemplare dieser Palmen, die zum Schmuck der Leichenwagen dienen. Außer den längst eingebürgerten Palmen finden sich hier Austra lierinnen, Californierinnen, Nordafrikanerinnen, Chinesinnen und die Dattelpalme, auS deren Blättern zierliche Körbchen aeflochten werden. Hier ist eine großartige Industrie ge schaffen worden; zahlreiche Palmenpflanzungen finden sich bei dem Fischerdorfe Arziglia. Nack geschichtlichen Ueber- lieferungen verdankt Bordighera diesen Erwrrbszweig, der ibm jährlich allein 60 000 Lire einbringt, einem päpstlichen Breve, nachdem der heilige Ampeglio, der Schutzpatron von Bor dighera, seiner Zett die ersten Palmen auS dem Morgen lande dahin gebracht. Doch waS der Heilige für die Production gethan, daS that Papst SixtuS für den Absatz. Als er im Jahre 1586 den rgyptischen Obelisken in Rom errichten ließ, da hatte er Todesstrafe verhängt über Jeden, der während der Arbeit ein lautes Wort sprechen würde. Da begab eS sich, daß die von 800 Arbeitern und 40 Pferden gezogenen Stricke plötzlich schlaff wurden, und der Marine- capitain BreSca auS San Remo ries mit lauter Stimme „Wasser auf die Stricke". Man folgte dem Rath, die Stricke zogen wieder an, bis der Obelisk aufreckt stand. Der tapfere Marinecapitain batte das Leben verwirkt; doch der Papst schenkte eS ihm nicht nur, sondern er gewährte ihm auch die Erfüllung einer Bitte. Und BreSca erbat für sich und seine Nachkommen da» ausschließliche Recht, die Palmen für da« Osterfest nach Rom liefern zu dürfen. Dies wurde vom Papste gewährt und durch ein Brevier bestätigt. Von San Remo ging aber da« Recht später auf Bordighera über. Der unermüdliche Kunstgärtner Winter hat inzwischen einen neuen Garten angelegt und zwar an dem weit vor springenden Vorgebirge de« Mont« Nero, unterhalb der kleinen Häusergruppe, ,n deren Mitte sich eine durch die Malteser begründete Pilgerkirche, l» Lluckomm cksl!» Knoter, befindet, welche dem ganzen Complex den Namen gab In diesen neuen Garten nahm Winter die berühmte, dicht am Meere stehende Palmengruppe auf, welche den Namen Scheffelpalme führt. Dort hat unser deutscher Dichter nicht etwa den Trompeter von Säkkingen, wie oft erwähnt wird, sondern die Verse gedichtet, in denen er Heilung von seiner Krankheit erhofft, und daß Italien ihn nicht festbalten, daß er zur deutschen Heimath zurückkebren werde. Ta« Plätzcken Erde hat einen eigenthümlichen Reiz — die Palmen umgeben eine Cisterne, und da« ganze Bild hat etwas so Orientalisches, daß Charles Garnier in seinen ..iAotivss artistiques ür Lovcligberu" dies Plätzchen allen Künstlern und Dichtern, allen sür Nctturscbönhett empfänglichen Gemütbern empfieblr. „Ich habe schon", sagt er, „von dem orientalischen Charakter BordigheraS gesprochen, und gewiß prägt er sich an mehreren Stellen sehr stark au«; doch wenn Erinnerungen an den Orient in unS lebendig wurden beim Durchwandern der alten Stadt und ihrer Umgebungen, so finden sich hier nicht blo« Vergleiche und frappante Aebnlichkeiten — hier auf diesem Plätzchen Erde ist ganz Judäa; da ist der Brunnen der Samariterin, der Brunnen der Rebekka, da« sind die Juden, die Apostel, da ist Jerusalem, Nazareth, Bethlehem, WaS un« in diesem Stückchen Erde de« bordighefischen Vorgebirge- vor Augen tritt!" Nach unserer Ansicht wird indeß der intime Reiz de» bibli sche» Idylls etwas beeinträchtigt durch den freien Blick auf die offene See, von dem ja bei jenen binnenländischen Brunnen der Bibel nicht die Rede sein kann; auch fleht man über die sanft geschwungene Bucht, deren Welle ja dicht vor un» ans Ufer plätschert, hinaus nach den Häusergruppen de- Winter- curortS O»pedaletti, der jetzt einen neuen Aufschwung nimmt und dessen prächtiges große« Casino an anderen Orten der Riviera kaum seine« Gleichen hat. WaS aber Garnier von dein orientalischen Charakter der Altstadt Bordighera sagt, da» wird man durchau« bestätigt finden, wenn man auf den Treppen von der Strada Romana
- Aktuelle Seite (TXT)
- METS Datei (XML)
- IIIF Manifest (JSON)
- Doppelseitenansicht
- Keine Volltexte in der Vorschau-Ansicht.
- Einzelseitenansicht
- Ansicht nach links drehen Ansicht nach rechts drehen Drehung zurücksetzen
- Ansicht vergrößern Ansicht verkleinern Vollansicht