01-Frühausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 04.03.1899
- Titel
- 01-Frühausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1899-03-04
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18990304010
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1899030401
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1899030401
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1899
- Monat1899-03
- Tag1899-03-04
- Monat1899-03
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Auzeigen-Preis die 6 gespaltene Petitzeile 20 Psg. Reklamen unter dem RedactlonSstrich (4ge- spalten) 50/g, vor den Famtlirnnachrlchtea (6gespalten) 40 Größere Schriften laut unserein Preis- vcrzeichniß. Tabellarischer und Zisirrnsap nach höherem Tarif. —— bxtra-Vkilagcn (gesalzt), nur mit der Morgen-Ausgabe, ohne Postbeförderung 60.—, mit Postbesörderung 70.—. Annahmeschluß für Anzeigen: Abend-Ausgabe: Vormittags 10 Uhr. Margen-Au-gabr: Nachmittag- 4 Uhr. Bei den Filialen und Annahmestellen je eine halbe Stunde früher. Anzeigen sind stet- an die Expedition zu richten. Druck und Verlag von E. Polz in Leipzig. 114. Sonnabend dm 4. März 1899. 93. Jahrgang. Wanderungspolitik. A. V. In den letzten Wochen sind kn Parlamenten, Vereinen, Zeitungen und Broschüren immer wieder lange und eingehende Verhandlungen und Untersuchungen über die L e u t e n o t h au f dem platten Lande und über die verschiedenen Fragen der Binnenwanderung überhaupt, wie Wer Freizügigkeit ir. s. w. gepflogen worden. Kein Tag verging, der nicht neue» Material und neu« Vorschläge gebracht hätte, und doch sind wir am Ende genau so klug wie zuvor. Die Menge der Resolutionen konnte nicht über die Undurchfühvbarkeit oder da- Ungenügende der einzelnen Vorschläge Hinwegtäuschen; da» Nebel ist allgemein anerkannt und wird hart empfunden. Aber ein wirkliche» Mittel zur Abhilfe ist bisher nicht entdeckt. Ganz zeitgemäß war es im Hinblick auf diese mannigfachen Erörterungen von Fragen der Binnenwanderung, daß in Berlin ein besonderer Verein für deutsche Wanderungspolitik begründet wurde. Vor einiger Zeit n»ar zu diesem Zwecke von dielen angesehenen Persönlichkeiten unterzeichneter Aufruf erlassen, der nur allgemein auf die Be deutung der wanderpolitischen Fragen, der Auswanderung sowohl wie der Binnenwanderung und rm engen Zusammenhänge mit mannigfachen Erscheinungen des socialen, wirthschaftlichen und nationalen Lebens hinwieS und zur Gründung eines Vereins aufforderte, dessen Aufgabe e» sein sollte, zu prüfen, ob und wie eventuell Vie an Umfang fortgesetzt zunehmenden Wanderungs ströme in bestimmte Bahnen gelenkt werden können, um nicht den allgemeinen national-wirlchschaftlichen Interessen zuwider zulaufen, sondern ihnen zu dienen. Ein bestimmtes Programm war zunächst nicht gegeben und es wurde daher der ganze Plan vielfach recht skeptisch beurteilt, zum Theil auch vollständig ver- urtheilt, da man hinter dem Unternehmen Bestrebungen zur Be seitigung der Freizügigkeit wittern zu müssen meinte. In zwischen ist nun der Verein gegründet und das Programm fest gestellt. Dasselbe lautet: „Der Verein hat den Zweck, weite Kreise über die Bedeutung der modernen Wanderungen aufzuklären und für eine einheitliche deutsche Wandcrungspolitik zu interessiren; da» Wesen dieser Wanderungen zu erforschen, die treibenden Kräfte zu unter suchen, um dadurch die nothwendige Grundlage für eine erfolg reiche Wandcrungspolitik zu gewinnen, da» Material zu sammeln und zu sichten, um der Regierung und den Parlamenten, der Presse und den im verwandten Sinne wirkenden Vereinen die Vorabeiten für praktische Maßnahmen zu liefern." Auf eine eigene praktische Thätigkeit ist also vollständig ver zichtet, es handelt sich nur um eine Aufklärung in doppelter Richtung. Einmal soll Aufklärung geschaffen werden über das eigentliche Wesen der Wanderungen, aim auf Grund der ge wonnenen Erkenntnis; Mittel und Wege suchen zu können, die zu einer heilsamen Beeinflussung der Wanderung Im nationalen Sinne ohne Eingriff in die persönliche Freiheit führen könnten, sodann soll das Publicum über die sociale und nationale Wichtig keit dieser Fragen aufgeklärt werden. ES muß besonders hervor gehoben werden, daß bei der Gründung deS Vereins von vorn herein alle auf die Beseitigung oder Beschränkung der Frei zügigkeit hingehenden Bestrebungen zurückgewiesen wurden. Die Beeinflussung der Wanderungen soll nur in dem Sinne ver standen werden, daß in den Gegenden, in die man im nationalen Interesse di: Wanderungen lenken will, die wirthschaftlichen Vor bedingungen derartig geregelt werden, daß den Wandernden selbst diese Orte als bequemes und erstrebenswerthes Ziel erscheinen. Man hat dabei etwa an Erleichterung der inneren Colonisation, an Förderung der Wohlfahrtspflege auf dem Lande auf der einen Seite und auf der anderen an Eindämmung des übergroßen proletarischen Zuzuges nach den Großstädten durch eine strenge Wohnungspolizei und dergleichen zu denken. Die praktischen Maßnahmen aber sollen, wie gesagt, der Regierung und den Parlamenten, sowie den verschiedenen Vereinen, die bereits in diesem oder jenem Puncte im Sinne einer deutschen Wan derungspolitik wirken, überlassen bleiben. Von letzteren kommen namentlich in Betracht: Der Verein zur Förderung des Dewtschthums in den Ost marken, dessen Vorsitzende und hervorragendste Mitglieder sich dem neuen Unternehmen von Anfang an durchaus freundlich und wohlwollend gegenübergestellt haben, der All deutsche Verband, von dem gleichfalls viele Vorstands mitglieder thätigen Antheil an dem Verein nehmen, ferner die Colonialgesellschaften und die verschiedenen Aus wanderungsvereine u. s. w. Durch die vorurtheilslose wissenschaftliche Untersuchung über das Wanderungswesen können jedenfalls diese jetzt so viel erörterten, aber der Lösung nach wie vor noch sehr fernen Fragen nur geklärt und aus der «inseitigen Betrachtung von Seiten der Jnteressenpolitik hinauf geführt werden zu einer gesunden und fördernden Beurteilung unter den übergeordneten nationalen Gesichtspunkten. Es werden dann wohl manche der heutigen Vorschläge aus Parlament und Presse von der Bildfläche verschwinden und besonnenen, ernsten Maßnahmen Platz machen, besonders auch die unglückseligen Versuche eines Ansturmes gegen daS Recht der Freizügigkeit ersetzt werden durch wirthschaftliche Maßnahmen, die gleichzeitig dem Einzelnen und der Gesammtheit förderlich sind. Wollte man den Einzelnen befehlen, hierhin oder dorthin zu gehen, so wäre nichts erreicht als «höchste allgemeine Unzufriedenheit und Empörung, während die nationale Wirtschaft nur dann die besten Früchte ernten kann, wenn die wirthschaftlichen Verhältnisse derartig be einflußt werden und sich so gestalten, daß die Bevölkerungs- vertheilung und Bevölkerungsbewegung sich von selbst in einer den «Kräften des Einzelnen sowohl, wie den natürlichen Kräften des BodenS die beste Verwendung sichernden Richtung vollzieht. Deutsches Reich. I-. Leipzkft, 3. März. In dem Spionageproceß Goldhurmer wurde beute von früh 9 Uhr an die Ver nehmung der Zeugen fortgesetzt: sie dauerte, eine kurze Pause abgerechnet, bi« Nachmittag. Nachdem mit der Vernehmung der militärischen Sachverständigen begonnen worden war, ent ließ der Präsident um 4>/i Uhr sammtliche Zeugen und ver tagte die weitere Verhandlung auf morgen früh 9 Uhr. DaS Unheil wird im Laufe des morgigen Tage- verkündet werden. Wie verlautet, werden die Urthcilsgründe diesmal im Interesse der Staatssicherheit nicht mitgetheilt werden. Berlin, 3. März. (Centrum, Polen, Con- servative und Regierung.) Ein grvßpolnisches Glatt hatte letzthin in unvorsichtiger Weise die polnischen Zu- kustftstläüme enthüllt; nicht nur Posen und Westpreußen sollten an das wieder zu begründende polnisch: Reich zurückfallcn, son dern auch Schlesien und Theile von Ostpreußen sollten unter die m'M>e Herrschaft der roth-weißen Farben ge langen. Mit väterlichem Wohlwollen hatte die „Köln. Volksztg." dem polnischen Liebling diese überschwänglichen Hoffnungen ver wiesen und den Polen den guten Rath erteilt, statt sich unerfüll baren Hoffnungen hinzugeben, doch lieber „zähe und kalt blütig den berechtigten Widerstand gegen die GermanitsirungSpolitik fvrtzufetzen". Die „Kreuzztg." bemerkt hierzu: „In weiteren Kreisen wird die Wahrnehmung nicht ohne Beachtung bleiben, daß das Interesse, welches das Centrum an den Bestrebungen der Polen nim-mt, doch ein auffallend reges ist und daß jene Partei, statt den Polen zum Frieden und zum Vertrauen zur Staatsregierung zuzureden, ihnen zur grundsätzlichen Opposition räch. ... Es ist von einer deutschen Partei übel angebracht, die Sache so darzustrllen, als ob die Polen sich gegen deutsche Vorstöße zu vertheidigen gezwungen wären." Die Vorhaltungen an das Cenlrum sind ganz überflüssig, denn die deutschfeindlichen Be strebungen des Polenthums zu unterstützen, gchört nun einmal zur Centrumstradition. Um so tadelnswerter ist es, wenn man eine Partei, die die Todfeinde des Deutschthums unter stützt, in ihrem Einflüsse noch stärkt. Dies thuen aber gerade jetzt die konservative Partei und die Regierung. Die Conservativen werden nicht müde, das Centrum mit Freundlich keiten zu Ubevhäufen, um die Unterstützung dieser Partei in wirthschaftlichen Fragen zu gewinnen. Die Negierung ist eben im Begriffe, durch nicht weniger als drei Concessionen die Po sition des Centrums zu befestigen. Erstens schweigt die Regie rungspresse zu der klerikalen Behauptung, der Bundesrath sei geneigt, den 8 2 des Jasuitengesetze» aufzuheben und die Lazaristen und den Orden vom heiligen Herzen wieder zu zulassen; 2. soll die preußische Regierung nach einer aus ihren eigenen Kreisen stammenden Meldung geneigt sein, bei dem Ausscheiden des Unterstaatösekretärs von Weyrauch, der im CultuSministerium der geistlichen Abtheilung Vorstand, die Stelle mit einem „Katholiken" zu besehen; 3. soll Herr von Miquel nach unwidersprochen gebliebenen Berichten das neue Gemeinde wahlgesetz derart eingerichtet haben, daß die Herrschaft in allen rheinischen Gemeinden der Centrumspartei ausgeliefert wird. Alle diese höchst wahrscheinlich bevorstehenden Schritte der Regierung bedeuten sowohl eine materielle Förderung der Centrums partei, wie einen moralischen Erfolg ditser Partei. In dem man aber das Centrum fördert, hilft man gleichzeitig dem Schützlinge des Centrums, dem Polenthume, auf die Beine. Wenn die Amme kräftig genährt wird, kommt es dem Säuglinge zu Gute: dieser einfache Satz gilt auch für die Politik. Wenn man also auf der einen Seite Hunderte von Millionen zu Ger- manisirungszwecken anlegt, auf der anderen Seite die Schild knappen des Polenthums mit einer undurchdringlichen Rüstung umgiebt, so verführt man wie der Mann, der Zwei Pferde vor den Wagen spannt und zwei dahinter und nachher ganz er staunt darüber ist, daß der Wagen nicht von der Stelle kommen will. Berlin, 3. März. (Die socialdemokratische „NeueZeit"übcrdenZusammenhangzwischen dem. Löbtauer Exceh und der Arbeiter bewegung.) Wie die Generalcommission der Gewerkschaften Deutschlands in einer öffentlichen Kundgebung betont hat, daß die Motive der Löbtauer Excedenten gewerkschaftlicher Natur waren, so vertheidigt das „wissenschaftliche" Organ der Social demokratie, die „Neue Zeit", dem „Vorwärts" gegenüber den Standpunct, daß zwischen den Löb tauer Ausschreitungen und der Arbeiter bewegung ein Zusammenhang bestehe. Die „Neue Zeit" schreibt u. A.: „Man braucht sich nur einen Augenblick vorzu st eilen, daß es keine Arbeiterbewegung in Deutschland gäbe, und dann erkennt man sofort, daß es nie zu den Löbtauer Ausschreitungen gekommen wäre. Die verurtheilten Arbeiter wären dann eben nicht auf den Bau des Klemm gegangen, um ihre Kameraden zur Einhaltung des Zehnstundentages zu veranlassen... Daran,... daß ein Zusammenhang zwischen der Arbeitcrbawegung uns den Ausschreitungen in Löbtau, bestanden hat, halten wir auch heute fest; wir'werfen dem Dresdner Schwurgerichtshofe nicht vor, einen solchen Zusammenhang angenommen, sondern vielmehr, ihn in der denkbar falschesten und ungerechtesten Weise beurtheilt zu halben. Die Auffassung war anfangs in der Partei ganz all gemein; von ihr ging auch der bekannte Aufruf der socialdemo kratischen Reichstagsfraction aus. Dann aber kam „einer der Vertheidiger" mit der Entdeckung, daß die Löbtauer Aus ¬ schreitungen gar nichts mit der Arbeiterbewegung zu thun hätten und fand damit bei einem Theile der Partei ungleich mehr Gegenliebe, als unseres Erachtens richtig war. Den „Vor wärts" speciell haben wir allerdings nicht treffen wollen; es kam uns nur auf die Klarstellung einer principiell und taktisch sehr wichtigen Frag« an. Unseres Er achtens ist es ein Lebensinteresse der Partei, den proletarischen Classenkampf stets in seiner ganzen rauh en,ungefügen Härte zu führen. Bei dem Abschwächen der Gegensätze kommt im Leben nichts heraus, selbst nicht einmal für eine bürgerliche, geschweige denn für die Arbeiterklasse. Wenn man die Geschichte der liberalen Opposition einigermaßen kennt, so wird man Hunderte von Bei spielen finden, wo sie, oft unter sehr einschmeichelnden und ver lockenden Gründen, die Schärfe der principiellen Gegensätze ab stumpfte, um sich ihre au-zenlblickliche Position bequemer und anscheinend auch fester zu machen. Seide hat sie dabei aber ni: gesponnen und die socialdemorkatische Partei hat zu ihrem Heile immer die entgegengesetzte Politik befolgt. Wir erinnern nur an ihre Stellung gegenüber der Pariser Commune, und wir können auch darin keinen Fortschritt entdecken, daß kürzlich ein großes Parteiblatt — nicht der „Vorwärts" — in aller Seelen ruhe erklärte, es stehe jedem Parteimitglied frei, die Pariser Commune zu vertheidigen oder zu verdonnern, ganz nach seinem Belieben." — Das „wissenschaftliche" Organ der Socialdemo- kratie erklärt cs also für einLebensintercssc derPartci, dieGrcnel- thaten der Pariser Commune zu vertheidigen; letztere hat in der That die „ganze rauhe, ungefüge Härte" des proletarischen Classenkampfes im Feuerscheine des brennenden Paris so hell beleuchtet, wie es überhaupt möglich ist. Die „Köln. VolkSztq.", die vor ein paar Tagen wieder einmal von der „Mauserung' der Socialdemokratie geschwärmt hat, sei auf dieses Bekenntnis; zur Pariser Commune besonders hingewiesen. — In Bezug auf das Dresdner Urtheil macht dle „Neue Zeit" der Vertheidigung noch deshalb schwere Vorwürfe, weil sie die Revision nicht eingelegt habe: „Was unter allen Umständen nothwendiz war, das war die Einhaltung der siebentägigen Frist, die das Gesetz selbst zur Einlegung der Revision frei läßt. Es ist bisher kein Grund angeführt worden, weshalb die Ner- theidiger ihre Schutzbefohlenen nicht wenigstens veranlaßt haben, diese sieben Tage abzuwarten, statt sofort unter dem ersten furchtbaren Eindrücke d:s Urtheils einen Entschluß zu fassen, oer unmöglich frei und wohl überlegt sein konnte." — Sollte der Grund etwa in einer zu Leipzig abgehaltenen socialdcmo- kratischen Versammlung von jenem Redner richtig angegeben sein, der die Frage nach den Gründen für den Verzicht auf die Revision folgendermaßen beantwortete: D a ß N c t h e i l w i r k e agitatorisch mehr, als wenn es zur weiteren Verhandlung an das Reichsgericht gehe; seinen agitatorischen Werth würde das Urtheil bei einer eventuellen Herabsetzung der Strafe verlieren?! „Genosse" Heine, ein Ver- thcidiger der Dresdner Verurtheilten, gilt beanntlich als „ge mauserter" Socialdkmolrat. Er aber gerade war cs, der auf dem Stuttgarter Parteitage nach dem Berichte deS „Vorwärts" sagte: „Ich bin geneigt, m i ch und Alle, die praktische Politik treiben wollen, für weit radka.er zu halten, als alle Die, di« den dünnen Kaffee ihrer Ausführungen mit recht viel revolutionärem Zucker zu versüßen suchen." — Hätte „Genosse" Heine auch in Dresden „praktische Politik" gemacht, so käme sie den dort Verurtheilten theuer zu stehen. D Berlin, 3. März. (Telegram ni.) Den Abend blättern geht von der Reich-posiverwaltnng eine Mit- tkeilung zu, in der die von vr. PeterS gegen die Neich-post gerichteten Beschuldigungen als unwahr bezeichnet werden. Die an ibn gesandte verschwundene Actenkiste sei, wie das Feuilleton. Zmmer schneller. Eine Studie über die neue st en Fortschritte im Eisenbahn- und Straßenbahn-Äerkrhr. Von Rudolf Lurtius. Wo sind die Zeiten hin, da man mit behctglicher Langsamkeit unter den Klängen de» Posthornes von Ort zu Ort reiste, um nach mehrtägiger, oft sogar wochenlanger Fahrt endlich das Ziel zu erreichen! Ob man da einige Stunden früher oder später am Bestimmungsort anlangte, verschlug damals wenig, denn man rechnete nicht so genau wie heute mit der Zeit und ver kürzte sich di« langen Stunden durch Gespräche mit den Reise gefährten, unter denen man bei den damaligen Verhältnissen, wo da» Reisen viel kostete, mit ziemlicher Wahrscheinlichkeit immer Leute von Anstand und Bildung zu finden erwarten durfte. Im Gegensatz zu dieser Gemächlichkeit finden wir heute aus Reisen fast nur noch zugeknöpfte Menschrn, denen die moderne Eile und Hast im Gesicht geschrieben steht, und die über die Versäumung eines Eisenbahnanschlusses je nach Temperament jammern und fluchen wie über ein große» Unglück. Denn eine Generation des gesteigerten Erwerbsleben», welch« die Bedeutung des Zeit ist Geld doll erfaßt, hat keine Zeit übrig und sieht ihre oberste Devise in den zwei Worten „Immer schneller". Unsere Altvordern hielten schnelle» Reisen für etwas recht Gefährlich«», und man entsetzte sich schier üb«r da» Reisetempo, welche» der erste Napoleon sich selber und seinen Generalen und Courieren zumuthetr. Da» eigentlich« Echnelltempo beoann aber erst mit der allgemeinen Einführung der Loromotivrisenbahnen und Dampfschiffe, also vor kaum achtzig Jahren, und ist seitdem in einer steten Steigerung begriffen, deren Ende vorläufig noch nicht abzusehen ist. Die Geschwindigkeit der Eisenbahnzüge ist fast ununter brochen der Gegenstand von Erörterungen in der Presse, welche nicht nur auf dir Möglichkeit größerer Fahrgeschwindigkeit, sondern auch darauf hinweist, daß in anderen Ländern schneller gefahren wird al» bei un». Was den letzteren Punkt betrifft, so handelt e» sich meisten» nur um vereinzelt» Glanzleistungen amerikanischer Eisenbahngesellschaften, welch« sich an Schnellig ¬ keit zu überbieten suchen. Nach den Durchschnittsleistungen aber übertreffen nur der englische Schnellzugsverkehr und einige wenige Verbindungen zwischen den nordamerikanischen Millionenstädten dasjenige, was die deutschen Eisenbahnen, und zwar speciell die norddeutschen, leisten, wie auch in Oesterreich auf verschiedenen Linien Züge mit anertennenswerther Geschwindigkeit verkehren. Gegenüber der Thatsache, daß einzelne englische Züge auf gewissen Strecken stellenweise bis zu 120 Kilometer in der Stunde fahren, geben auch unsere Sisenbahntechniker zu, daß die größte aus deutschen Bahnen zulässige Geschwindigkeit von 90 Kilo metern in der Stunde sich mit unseren Dampflokomotiven noch um ein Bedeutenderes übertreffen ließe, jedoch nur auf fast gänzlich ebenen und geraden Strecken, auf welchen ein schwerer Oberbau gelegt, und eine gänzliche Trennung de» Personen- vom Güterverkehr durchyefrihrt werden müßte. Mit einer Steigerung der Stundengeschwindigkeit um etwa 30 bis 40 Kilometer ist aber d«n ausschweifenden Träumen der bewegungs frohen Gegenwart nicht gedient. Man will Geschwindigkeiten von 150, 200, ja 250 Kilometer in der Stunde erreichen und hofft zu diesem Ziele mit Hilfe der Elektricitiit zu kommen. Die allerneuestrn Versuche, welche man zu diesem Zwecke in Frankreich auf der Strecke zwischen Paris und Melun unter nommen hat, sind in hohem Grade ermuthigend ausgefallen. Natürlich muß die elektrische Lokomotive, welche den Zug mit solchen rasenden Geschwindigkeiten zieht, ein wahres Monstrum von Schwere und Größe sein. Da die Anwendung von Akku mulatoren das Gewicht ins Ungemessene erhöhen würde, bleibt nichts anderes übrig, als die Zuleitung des Stromes von CeNtralstationen durch eine Mittelschiene, wie sie für die Wansee- bahn bei Berlin geplant ist, oder di« Erzeugung der Elektricität auf der Locomotrv« selber, welche vorn zur leichteren Ueb«r- windung de» Luftwiderstände» konisch zugespitzt ist. Daß man mit einer solchen Locomotive von 18 Meter Länge, wie sie Heilmann gebaut hat, spielend leicht einem Zuge von 2000 bi» 3000 Zentner Eigengewicht eine dauernde Geschwindigkeit von 100 Kilometer geben kann, ist, wie gesagt, bereits er wiesen. Weit darüber hinaus wollen aber di« Amerikaner mit einer elektrischen Eisenbahn, die zwischen New Pork und Phila delphia gebaut wird. Sie hoffen dabei, die 136 Kilometer lange Strecke zwischen den genannten Städten in nur 36 Minuten zurückzulegen, was bei Berücksichtigung der langsameren An- und Abfahrtsgeschwindigkeiten auf offener Strecke eine Fahr geschwindigkeit von 270 Kilometer m der Stunde ergeben wllrve. Rechnet man hiervon ein gutes Theil ab, welches getrost auf echt amerikanische, sanguinische Uebertreibung zu setzen ist, so bleibt als immerhin erreichbar doch eine Stundengeschwindigkeit von 180 bis 200 Kilometer. Von Beobachtung optischer Signale durch den Führer und das Fahrpersonal kann da natürlich keine Rede mehr sein, und eine Sicherung des Zuges bei drohender Gefahr kann nur durch automatisch wirkende Vorrichtungen ge geben werden, welche, vom Streckenpcrfonal gehandhabt, den elektrischen Strom unterbrechen. Während unsere schnellsten D-Züge auf einer Strecke von 400 bis 600 Meter zum Halten zu bringen sind, braucht der projectirte elektrische Zug einen Raum von 3 Kilometer, um aus voller Fahrgeschwindigkeit zur Ruhe zu kommen. Der kleinste Unfall, der dabei dem Zuge zu stößt, muß natürlich zu einer gänzlichen Zertrümmerung der Wagen führen und die schrecklichen Folgen jedes Eisenbahn unglückes außerordentlich steigern. Ein Vortheil, der sich aus der Natur des Betriebes ergiebt, bleibt jedoch gewiß den elektrischen Fernbahnen gegenüber den jetzigen Dampfbaynen und besteht darin, daß man in kurzen Zwischenräumen einzelne Wagen ablassen wird. Es werden daher voraussichtlich auf den elek trischen Zukunftsbahnen, welch« man früher oder später eben doch zwischen den größten Städten anlegen wird, statt der in stundenlangen Zwischenräumen abgelassenen langen Züge jede viertel oder halbe Stunden einzelne Wagen verkehren, mit welchen die Ueberwindung von Strecken wie Berlin—Wien statt in vier zehn Stunden in nur sechs Stunden und Berlin—Köln statt in zehn Stunden in fünf Stunden möglich sein wird. Ebenso wichtig wie die Beschleunigung des Fernverkehrs ist die Umwälzung, welche sich gegenwärtig unter unseren Augen im Inneren Verkehr der Großstädte vollzieht. Straßenbahnen sind heute bereits in fast allen Städten über 50 000 Einwohnern und oft auch in viel kleineren vorhanden und erfüllen nur ein thatsächliches Bedürfnitz. Schlimm aber sieht es mit der auf denselben erzielten Geschwindigkeit aus, welche bei Pserdebetrieb zehn Kilometer in der Stunde keinesfalls übersteigt. Aus diesem Grunde macht die Umwandlung derselben in elektrisch« Straßen bahnen trotz des großen damit verbundenen Kostenaufwandes kolossale Fortschritt». Die damit erzielte Verbesserung des Verkehr», so bedeutend sie ist, genügt aber noch keine-weg» dem Bedürfnis, der ganz großen Städte; denn während es hier darauf anläme, längere Wegestrecken mit großer Geschwindigkeit zurück zulegen, verbietet sich letztere schon au» Rücksicht auf die Fuß gänger und da» übrige Fuhrwerk. Da -rißt e» daher, sich ent ¬ weder wie ein Maulwurf in langen Röhren unterirdisch ein- zuwühlen oder die Bahnlinie auf luftigem Viaducte zu führen. Das erstere System ist in England zur allgemeinen Geltung gelangt, wo man schon in den sechziger Jahren in London be gann, ein weites Tunnelnetz tief unter der Oberfläche der Straßen anzulegen, das gerade jetzt bedeutend erweitert und für den elektrischen Betrieb umgestaltet wird. Die Gunst des Publicums aber hat sich von jeher den Hochbahnen zugeneigt, welche in New Dork, wo deren zahlreiche in einer Gcsammtlänge von mehr als 60 Kilometer Länge existiren, zur höchsten technischen Ver vollkommnung gelangt ist, bei welcher die ästhetische Seite allec- dings arg verkürzt wird. Dort in New Kork läßt man auch außer den im Dreiminutenbetrieb folgenden Zügen auf be sonderen Gleisen Stadtschnellzüge laufen, welche mit 45 bis 50 Kilometer Geschwindigkeit betrieben werden und die lang gestreckte Manhattaninsel, auf der die Königin der neuen Welt erbaut ist, in 20 Minuten von einem Ende bis zum anderen durcheilen. DaS Muster von Eleganz bleibt trotz ihres siebzehn jährigen Bestehens unter den Hochbahnen noch immer die Berliner Stadtbahn, der sich die Wiener Stadtbahnlinien jedoch würdig anreihen. Aehnliche Hochbahnen besitzen im ferneren Chicagg Liverpool und Elberfeld-Barmen, in welch letzteren das Langen'- sche System der Schwebebahn zur Durchführung gelangt ist. Das Charakteristikum dieser Bahn ist, daß bei ihr die Wagen mittels der über dem Dache angebrachten Räder an der hoch in der Luft mitten über dem Flußbett der Wupper erbauten, von mächtigen eisernen Bogen gestützten Laufschiene hängen. Die gefährlichsten Feinde der Hochbahnen sind die benachbarten Hausbesitzer, welche von denselben eine Entwerthung ihrer Grund stücke befürchten, und so scheint denn der unterirdischen im Tunnel geführten Bahn di« Zukunft zu gehören. Es werden daher auch bedeutende Theile der in der Ausführung begriffenen Siemcns'schrn Hochbahn in Berlin unterirdisch geführt werden und in Glasgow und Pest functioniren derartige Anlagen bereits seit mehreren Jahren auf das Best». Man legt, um jede Collision der sich begegnenden Züge zu vermeiden, jedes Gleis in eine besondere Röhre und hat von dem elektrischen Betrieb den Dor- theil, daß keine nennenswerthr Luftderschlechterung eintritt, und daß man große Grschwindigkeitrn erreichen kann.
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