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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 03.11.1899
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1899-11-03
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18991103026
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1899110302
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1899110302
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1899
- Monat1899-11
- Tag1899-11-03
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Reclamen unter dem RcdactionSstrich (4gv- spalten) 50.H, vor den Familiennachrichten (6gespalten) 40^. Größere Schriften laut unserem Preis- verzeichniß. Tabellarischer und Ziffernsatz nach höherem Tarif. Extra-Beilagen (gefalzt), nur mit der Morgen.Ausgabe, ohne Postbeförderung --l 60.—, mit Postbeförderung 70.—. Iinnahmeschluß für Anzeigen: Abend-Ausaabe: Vormittags 10 Uhr. Margen-Ausgabe: Nachmittag- 4Uhr. Bei den Filialen und Annahmestellen je eine halbe Stunde früher. Anzeigen sind stets an die Ex-edition zu richten. Druck und Verlag von E. Polz in Leipzig. 93. Jahrgang. Politische Tagesschau. * Leipzig, 3. November. Die im heutigen Morgenblatte mitgetheilte Auslassung ver „Nordd. Allgem. Ztg." über die Bedeutung der bevorstehenden Begegnung des Kaisers und des Zaren bat vielleicht keinen anderen Zweck, als den, in Kaiser Nikolaus II. nicht den Gedanken aufkommen zu lassen, sein Besuch werde in Berlin nicht nach Gebühr gewürdigt. Jedenfalls geht anS der hochosficiösen Erklärung, eö sei „selbstverständlich unbegründet", daß eS sich nur um eine ganz flüchtige Begegnung privaten Charakters bandle, noch nicht hervor, daß eS sich bei der Begeg nung um eine Angelegenheit von hoher Wichtigkeit und großer Tragweite bandle. Begreiflich ist eS aber immerhin, daß die Erklärung Aufsehen erregt und Anlaß zu allerhand Ver- muthungen giebt. Die unwahrscheinlichste ist die, daß der Kaiser, nachdem er über den Zweck des Zarenbesuchcö unter richtet worden, seine Reise nach England aufgegebcn und diesen Beschluß bereits dem Prinzregenten von Bayern mit- getheilt habe. Wir glauben im Gcgentheil, daß in dem Besuche deS Zaren für den Kaiser ein neuer Anlaß liegt, den in London versprochenen Besuch nicht aufzugeben. An der Themse freilich wird man nicht eben erbaut davon sein, daß der Kaiser erst kommt, nachdem er sich mit dem Zaren nicht nur flüchtig und privatim unterhalten hat. Das; man in England von dem Kaiserbesuche nichts weniger alö eine Be festigung deS Verhältnisses zwischen Deutschland und Rußland erwartet hat, geht aus einem Artikel des „Standard" hervor, der auch aus einem anderen Grunde interessant ist. Eö heißt in ihm: Tie Spannung der politischen Lage lasse England mit besonderer Befriedigung Las Wohlwollen wahrnchmen, wovon des Kaisers An« Wesenheit in England in wenigen Wochen ein sichtbares und emphatisches Symbol liefern werde. England halte den Sohn der Tochter der Königin und des Mannes, für dessen Gedächtnis; es liebevollste Ehrerbietung bewahre, gewissermaßen als englischen Für st en hoch. Hierzu komme das Interesse für den Souverän, der einen so fesselnden und mächtigen Platz unter den Herrschern einnehme und dessen Charakter und Gaben die Volks phantasie so einzunehmen geeignet seien. Zwar müsse nicht an- genommen werden, daß der Kaiser durch Len Besuch sich zu defini tiver Thcilnahme an allgemeinen englischen Plänen oder politischen Zielen bekenne, doch würde derselbe einigen continentalen Mächten schmerzliche Enttäuschungen bereite». Man wolle damit keine feindlichen Absichten unterlegen, aber wenn kein Uebereiukommeu der continentalen Mächte entweder für die Intervention zum Schaden der englischen Pläne oder für feindliche Unternehmungen in anderen Wclttheilen zu Stande gekommen sei, so sei dies nicht die Schuld des Petersburger Cabinets. Es sei eine absolute Thatsache, daß Murawjew Schritte gcthan habe, um die Haltung einiger Staaten, die er der Ueberredung für zugänglich hielt, zu sondireu, um eine derartige gemeinsame Action zu arrangiren. Wenn man am Quai d'Orsai diese Fühler höflich abgelehnt habe, unter der Erklärung, keine RisicoS übernehmen zu wollen, so könne der Grund in der Haltung einer anderen, ebenfalls consultirten Macht ge funden werden. Die Schwächung Englands könne Deutschland nur Schaden bereiten. Falls England einer Bündnißgruppe beitrctcn sollte, würde LaS ganze System von Bündnissen tief erschüttert werden. Der Besuch des Kaisers würde als spontane Freundschafts, bezeugung geschätzt werden und das Telegramm an die ersten königlichen Dragoner als huldvoller Beweis der chevalereskcn Ge« sinnung ihres Ebren-Commandeurs. Ein Zeichen der Zeit sei, daß wenig Aussicht auf eine formelle Zusammenkunft zwischen dem Zar und dem Kaiser vor des letzteren Besuch bei der Königin bestehe. Nun erfolgt die Zusammenkunft doch vor dem Besuche in England und wird bochofficiöS als nicht formaler Natur bezeichnet! Das ist jedenfalls eine herbe Enttäuschung. Im klebrigen können wir der „Kreuzztg." nur beipflichten, wenn sie zu der Auslassung des „Standard" bemerkt: „Man muß gegen derartige Ausführungen bei Zeiten energisch protestiren. Abgesehen davon, daß der „Standard" sich hier bemüht, gewissermaßen Deutschland zu Gunsten Englands gegen Rußland auszuspiclcn, müssen wir uns doch ernstlich verbitten, daß man in London den deutschen Kaiser „gewissermaßen als englischen Fürsten" hinstellt. Das ist echt englische Dumm, drcistigkeit." Unter der Ueberschrift „Samoa verloren!" veröffentlicht heute die „Tägl. Nundsch." einen Artikel, dem wir Folgendes entnehmen: „Samoa, das man im gewissen Sinne die älteste unserer deut- schen Ueberseecolonien nennen darf, für das so viel Gut vcrthan, so viel Blut geflossen ist, ist von unserer Negierung an Eng- land ausgeliesert worden. Wenn dieser Behauptung in den nächsten Tagen ein vfsiciöscs Dementi entgegengcstellt werden sollte, das vielleicht mit einigen „noch nicht", „den amtlichen Stellen unbekannt", „nur halb eingeweiht" und ähnlichen Redefloskeln des Auswärtigen Amtes zu verwirren sucht, wo es nicht befreien kau», so vermag dieses Dementi leider am Thai- bestände nichts zu ändern. Samoa ist für uns Deutsche end» giltig verloren und gegen einige Inselgruppen Mikro nesiens, die wir zur „Abrundung" gebrauchen, an England preisgegeben. Die Verhandlungen sind allerdings noch nicht formell abgeschlossen, aber man ist handelseinig und man ist deutscherseits von der Unmöglichkeit überzeugt, die deutschen Ansprüche gegenüber dem hartnäckigen Verlangen Eng- lands durchzusetzen, obwohl Graf Bülow noch vor einigen Tagen im Colonialrathe erklärt hat, daß er „in Uebereinstimmung mit der öffentlichen Meinung in Deutschland die Wahrung unserer alten Stellung auf Samoa allen widere» Erwägungen voranstcllen müsse". Deutschland hatte bekanntlich eine Theilung der Samoa- Inseln vorgeschlagen, die aber von England abgelehnt wurde. Eng. land bestand vielmehr darauf, daß die Hauplinsel Upolu, auf der Deutschland die weitestgehenden und ältesten Interessen hat, entweder in deutschen oder englischen Besitz komme und die znrncktretende Macht anderweitig entschädigt werden müsse. Als Ersatz verlangten die Engländer das deutsche Neu-Guinea. Schutzgebiet, das sie uns schon früher einmal ebenso wie Süd- Westafrika abkanfen wollte». Ans diese Schadloshaltung konnte sich die deutsche Regierung nicht rinlassc», und da sie dem hartnäckigen Willen der Engländer keinen ebenso starken, weil keinen durch Kampfbereitschaft gefesteten Willen entgegenzusetzcn vermochte, so gab sie nach oder ist eben jetzt im Begriff, nachzugeben. Samoaist verloren, aber man tröstet sich im Auswärtigen Amte damit, daß man zur Entschädigung die Gilbertinseln und die britischen Salomons.Jnseln erhält, wodurch sämmtliche Gruppen deS so- genannten Mikronesiens, mit einziger Ausnahme der von den Amerikanern besetzten Insel Guam, in deutschen Besitz kommen. Trotz der Bestimmtheit, mit der die „Tägl. Nundsch." ihre Behauptung aufstellt, und trotz des immerhin ausfälligen Um standes, daß der „Voss. Ztg." von „unternchtcter Seite" eine Zuschrift zugcht, welche die Preisgabe S-amoaS durch das Reick» gegen die Abtretung der englischen SalomonS- und Gilbertinseln als unabwendbar hinstellt, weil England hart näckig sei, weil Australien auf die Erwerbung Samoas hm- dränge und weil England für den Verzicht auf Samoa nicht weniger als Deutsch-Neu-Guinea verlange: — trotz alledem können wir noch nicht glauben, daß ein solches Abkommen so gut wie abgeschlossen sei. Weöbalb sollte gerade jetzt bei der Lage der Dinge in Südafrika Deutschland nicht ebenso hartnäckig sein, wie England? Warum sollte Deutschland nicht ebenso hohe Forderungen stellen, wie England? Weshalb sollten wir dem Hinvrängen Australiens auf die Erwerbung von Samoa nicht die thatsache entzegenstellen, daß wir auf der Hauptinsel Upolu die größten und ältesten Interessen haben? Doch wohl nicht deshalb, weil der neue Flottcnplan noch Plan ist. Denn auf einen Krieg um Samoa läßt eö England bei der jetzigen Lage der Dinge doch wohl nicht ankommcn. Immerhin wird die deutsche NeichS- regieruug im eigenen Interesse gut thun, so bald wie möglich den Behauptungen der „Tägl. Nundsch." und deS Gewährs mannes der „Voss. Ztg." ein unzweideutiges Dementi ent gegensetzen. Das erstere Blatt schließt zwar seinen Artikel folgendermaßen: „Samoa ist eine tägliche Mahnung: Bant eine Flotte, damit wir abrechnen können. Nehmt unseren Staatsmännern die gewichtige Entschuldigung, daß sie kleinliche, ängst, lichc, erniedrigende Politik treiben müssen, weil sie das Reich keinem Krieg aussctzen dürfen, für den es nicht gerüstet sei. Nicht der Unwille gegen die Regierung sei Las beherrschende Gefühl bei dem Abschlüsse der Samoatragödie, ländern der zornige, aber feste Vorsatz, Deutschland ans seiner Misere zu helfen, eine Flotte zu bauen, die ein anderes Samoa zu schützen vermag." Wir glauben jedoch nicht, daß der Ueberciscr der deutschen Diplomatie, die Samoa-Frage um jeden Preis gerade jetzt zu lösen, die Zahl Derer vermehren würde, die bereit sind, für den neuen Flottcnplan einzutreten, nach dessen Aus führung eS ja wieder heißen könnte, wir wären England zur See nicht gewachsen. Bekanntlich hat eS das Ausland nichts weniger als eilig, dem von Deutschland gegebenen Beispiele der staat lichen Socialrcformgcsctzgcbniig anch seinerseits zu folgen. Der invalid und altersschwach gewordene Industriearbeiter bleibt dort nach wie vor wesentlich auf Selbsthilfe bezw. auf Armenunterstützung angewiesen. Die Durhamer Grubenarbeiter, welche nunmehr begonnen haben, Heim stätten für Arbeitöinvaliden ihrer Berufsorganisation auf eigene Koste» zu schaffen, werden dafür in der Oesfentlichkcit höchlich belobt. Nach dem Dafürhalten des „Globe" kann es keinem Zweifel unterliegen, daß, wenn die Arbeiter mit Er richtung von Heimstätten für erwerbsunfähige Arbeiter invaliden Vorgehen, sie den denkbar besten Weg betreten, um dem aus Alter, Invalidität nnd Krankheit sich ergebenden Nothstande abzuhelfen. Auch der Bischof von Durham, welcher bei der Eröffnung der ersten Arbeiterheimstätte zugegen war, gab der Hoffnung Ausdruck, daß dieses Beispiel von Selbsthilfe in anderen Gegenden des Vereinigten Königreichs Nachahmung finden werde. Für diesseitige Beurtheiler ist mehr noch als der concrete Fall die daraus jenseits deS Canals gezogene Nutz anwendung von Interesse, indem sie daraus erkennen dürften, wie weit die tonangebenden Kreise Englands noch von der Anschauungsweise entfernt sind, welche bei uns den Anstoß zu der staatlichen Initiative auf dem Gebiete ver Arbeits gesetzgebung brachte. ES bedarf keines außergewöhnlichen Scharfblicks, um als treibendes Motiv der den Durhamer Arbeitern gespendeten Lobeserhebungen die tiefwurzelnde Abneigung der englischen Arbeitgeber gegen Uebernabme socialpolitischer Lasten zu erkennen, wie sie der diesseitigen Industrie aus der Reichsgesetzgebung erwachsen sind. Und ganz analog liegen die Verhältnisse in Frankreich, Belgien, Luxemburg und sonstigen Concurrenzlänkern. Gleich wohl ermüden bei uns gewisse Leute nicht, sich wegen des angeblichen „Stillstandes" der deutschen Socialresorm zu er eifern, gleich als ob sie den Zeitpunct kanm erwarten könnten, wo die Concurrenzfähigkeit der deutschen Industrie unter der Last der ihr noch weiter aufzubürdcnden Verpflichtungen end- giltig erliegen müßte. Der französische Colonialminister hat, wie wir berichteten, der Presse die Nachricht von der Nicvcrmctzclung der Expedition Bretonnet übergeben, die er von dem franzö sischen Regierungscommissar Gentil in Gribingi im Schari- Lande (Sudan) erhalten hatte. Derselbe meldete den Tod des Administrators Bretonnet, des Leutnants Braun und des UnterosficierS Martin infolge eines Gefechts mit dem Sultan Rabah. Bretonnet nahm denKampf mit seinen 30 Senegal-Schützen gegen eineUcbermacht von 7—8000 Wilden ans. Von Ersteren wurden 27 getöttet und 3 gefangen. Doch gelang eS dem Sergeanten Samba Sal, zu entwischen und die Hiobspost den Franzosen zu überbringen. Rabah soll bei dem Kampfe seine besten Krieger verloren haben. Sein Sohn Niabe wurde tödtlich verwundet. Geutil fügte weiteren Meldungen znfolge hinzu, daß er am 3. August von Bre tonnet einen Brief, vom 16. Juli auS Togban (6° 42' nördl. Br.) datirt, erkalten habe, in dem Bretonnet den Angriff Rabah's als bevorstehend meldete. Gentil machte sich am 4. August sofort mit der Compagnie LeS Hauptmanns Julien, 127 Manu, auf den Weg, erfuhr aber schon am 16. in Ganra die Schreckensnachricht. Er befestigte diesen Posten unter den Befehlen des Hauptmanns Robillot, kehrte eiligst nach Gribingi zurück und sandte von dort eine neue Compagnie TiraillenrS nach Gaura. Bretonnet, ein ehemaliger Linien- Schisssleutnant, batte im vorigen Jahre eine wichtige Mission im Nigergebiet, die Besetzung der Gebiete zwischen Jlo und Bussa, vollbracht. Vorher halte er sich an der Mission Mizcn betheiligt. Bretonnet war erst 35 Jahre alt. Sein Schick salsgenosse, der Leutnant der Marine-Artillerie csalomon Braun, war erst 31 Jahre alt und seit dem 1. September 18S8 Leutnant. Der Sultan Rabah ist ein Eroberer, der über weite Länder im Central-Sudan in der Nähe deS Tschadsees gebietet. Er ließ die Expedition Crampel nieder metzeln, die nach dem Tschadsee marsckirte, und hält jetzt den französischen Forschungsreiscnden de Behagle gefangen, der obne Eöcorte in sein Land kam und, den neuesten Meldungen zufolge, sogar bereits dem Hungertod in der Gesangenschaft Fcriilletsn. Auf freien Lahnen. 28j Noman von Rudolf von Gottschalk. Nachdruck Verbote». „Laß uns ruhig darüber sprechen!" „Ein unglücklicher Zufall — sage, daß es ein Zufall war, ich bitte Dich darum, ich beschwöre Dich! Du bist ihm in den Weg gekommen, Du hast sein Pferd scheu gemacht —" „Er war zu Fuß!" „So laß mich nicht länger auf der Folter! Du ahnst nicht, was ich für entsetzliche Qualen erleide." „Wohl denn: ich will mich kurz fassen. Ich kam auf einem Spaziergange ruhig des Weges einher, da begegnete mir auf dem Grenzrain der Baron, und ehe ich mich's versah, schlug er mich mit der Reitpeitsche ins Gesicht. Siehst Du den blutrothen Striemen nicht? Da übermannte mich die Wuth, ich stürzte auf ihn los, und so heftig war mein Ansturm, daß er jählings zu Boden fiel. Nun aber kommt das Schreckliche — ich warf ihn nieder auf die spitzen Grenzsteine und er fiel so unglücklich, daß ihm die Schläfe tödtlich verletzt wurde." „Du also, Du also! O, Kain, Kain!" rief der Vater, indem er, die Hände ringend, auf- und abschritt und dann wieder mit dem Blick eines Wahnsinnigen auf den Sohn hinstierte, „ich Un glücklicher — auf mich die Schuld, auf mich der Fluch!" „Du redest irre, Vater!" „Nein, nein! Nicht ich — er allein ist dec Urheber alles Unheils." Und er riß die Glasbilder hervor aus dem Kasten der b-ateru» magion und schleuderte sie an die Wand, daß die Scherben klirrten. „Niemals will ich Dich rufen, nie mehr mit Dir sprechen. Du bist gerichtet — gerichtet — und ich mit Dir." Hatte dies wirre Reden und wüste Treiben einen Sinn? Lauerte noch irgend etwas Heimtückisches im Hintergrund? War's nicht genug des Schrecklichen, was er erlebt hatte? Timotheus fragte sich selbst mit innerem Erschaudern, als er den Vater so sinnlos wüthen sah; denn wie gehetzt von bösen Geistern stürmte dieser hin und her, riß alle Fenster auf, um frische Luft zu schöpfen. „Kain, Kain", rief er immer wieder dazwischen und schlug die Hände vor's Gesicht. Timotheus schloß die Fenster wieder und verharrte dann in dumpfem Schweigen. Es dauerte längere Zeit, ehe sich der Vater so weit beruhigt hatte, daß er eine Frage an den Söhn richten konnte. „Der Baron hat Dich insultirt — warum?" „Ich kann's nur vermutben. Was ich weiß, will ich gerne beichten. Mein Freund Kreuzmaier erzählte mir, daß der Baron die schöne Valeska von Landolin liebte; ich selbst wurde bei der Dame eingeführt und erfreute mich ihrer Gunst. Es schien, als ob sie den Baron in letzter Zeit zurücksetzte; deshalb hegte er gegen mich geheimen Groll, und daß dieser so plötzlich zum Ausbruch kam — er war erregt, erhitzt! Doch ich dulde keine Mißhandlung, am wenigsten eine Züchtigung von oben herab durch Einen, der sich als großen Herrn fühlt. Das machte mich zum wilden Thier, und so mit einem Tigersprung griff ich ihm an den Hals und warf ihn zu Boden!" „Weiter, Weiber, und wer ist diese Landolin?" „Eine Wittwe, eine schöne, geistreiche Frau!" „Gewiß «ine freizügige Weltdame, eine Emancipirte! Die Freiheit der Frauen schafft Zwietracht und Tod, da entladet sich mit einem Male alles Gift, das in ihnen schlummer:. Doch was suchst Du bei den verbuhlten Zauberinnen,. die den Stab der Circe in der Hand tragen? Ich rieth Dir, von Alice zu lassen.Doch das Mädchen leidet nur unter der Schande ihres Vaters, — wer hieß Dich, Dein Herz an eine der Verworfenen zu hängen, die an der eigenen Schande leiden? So kommt es zu Tage, das grenzenlose Unheil — und alte Wunden brechen auf und eitern und fressen das Leben hinweg." „Du sprachst von Dir selbst, doch ich verstehe nicht, in welchem Zusammenhang mein eigenes Verschulden mit Dir, mit irgend einer dunklen Schnlv von Dir steht?" „Ich zerreiße den Schleier jetzt — komme, was mag, das Verderben ist einmal im Gange, so mag's auch über mich herein brechen, wenn's ruchbar wird, was ich einst gefehlt, doch zunächst sollst Du es auch als'ein Geheimniß wahren. Es ist ja nichts als ein Betrug, eine Fälschung; die verschwindet von der ungeahnten Blutschuld des heutigen Tages. Keine Geheimnisse mehr — o, nimmer wäre es dazu gekommen, wenn nicht das Geheimniß unter hundert Siegeln bewahrt worden wäre. Die tückische Schlange ist doch herausgekrochen und vergiftet uns jetzt Alle mit ihrem Biß." „Ein Geheimniß, wer hieß Dich das wahren?" „Der alte Baron — und noch mehr zwang mich die eigene Schuld. Der Schlag, der mich getroffen, treffe jetzt Dich selbst! Du bist ein Brudermörder." Timotheus fuhr zusammen; doch wie an einen Strohhalm klammerte er sich an den Glauben, daß der Vater irrsinnig ge worden. „Das ist ja unmöglich", rief er aus. „Der Baron war Dein Bruder." „Wenn das Deine Geister sagen, so sind sie toll geworden. Das ist eine Schreckenskunde, die mich nicht beben macht; denn noch steht die Welt nicht auf dem Kopfe; die Mutter des Barons war eine treue Gattin des Ungetreuen." „Wer sprich von ihr? Von der Taube ist nicht die Rede, N!" vom Geier. Der Baron halte ein Mädchen verführt, Anita, die in dm thüringischen Bergen ihrer Entbinoung entgegensah. crs war ein fast einsamer Luftcurort; doch auch meine arm- Frau hatte sich dorthin begeben; sie war leidend, auch sie sah einer schweren Stunde entgegen. Doch ehe ihre Zeit um war, gena-Z sie eines Knaben, eine Frau vom Dorfe und der Landarzt waren zugegen. Auch Anita gab einem Kinde das Leben, sie starb bald nach der Geburt; aber auch unser zu früh geborenes Kind raffte bald der Tod hinweg. Damals trat der Versucher an mich heran — zu einer Unterrevung in jenem Pavillon im Parke, jenem fluch würdigen Pavillon, an dem ich nicht vorübergehen kann, ohne mich zu bekreuzen, hatte der alte Baron mich eingeladen; er verlangte, ich sollte das Kind der Anita für das meinige ausgeben, er ver sprach mir, eine Summe sicher zu stellen, deren Verwaltung seinem Rechtsanwalt in Gemeinschaft mit mir übergeben werden sollte; war aber auch bereit, sofort eine nicht unbeträchtliche Summe einzuhändigen für meine Liebhabereien, die ihm wohl bekannt waren. Und eine andere Summe sollte der Dorfküster erhalten, der droben im Kirchenbuch unter den Verstorbenen das Kind der Anita ausradiren und an seine Stelle das unsrige setzen sollte. Dem Standesbeamten droben, einem Gutsverwalter der Nachbarschaft, einem sehr lässigen und bequemen Herrn, wurde mitgetheilt, es habe eine Verwechselung stattgefunden, und er corrigirte arglos die alte Angabe, indem er die neue an sein: Stelle setzte. Wenn er schimpfte und fluchte, geschah es nur wegen der doppelten Arbeit. Der Baron und ich — wir waren schon am nächsten Morgen nach Thüringen gefahren; nach einigem Zögern war ich ja so schwach gewesen, meine Zustimmung zu geben. O, noch heute möchte ich mir die Haare ausraufen wegen dieser Erbärmlichkeit, die um kleinen Gewinn Betrug und Lüge nicht scheute; doch es kam etwas hinzu, was mich wenigstens vor mir selbst entschuldigen mochte. Ich hoffte, meiner Frau mit dem kleinen Knaben Ersatz für den Verlust zu schaffen, den sie nicht verwinden konnte. Und in der That, sie stimmte freudig zu, ohne sich um das Andere zu kümmern, das meine Sorge blieb. Und auf die Bestechung zur Fälschung dort oben folgte hier die eigene That. Du wurdest bei der Taufe im Kirchenbuch als mein Sohn eingetragen, und bist mein Sohn ge blieben von Kindheit auf in den Augen aller Welt. Doch Du bist der Sohn des alten Barons, der Herr vom Schloß Siebeneck war Dein Bruder. So entsteht aus alten Sünden und Freveln eine neue Missethat, grauenhafter als sie alle. Du bist der Thäter dieser That; der Tod des Bruders ist Deine unsühnbare Schuld; ich aber muß mein Gesicht verhüllen, ich habe die Saat g-sä-t und nun muß ich mit ansehen, wie sie so schrecklich auf gegangen ist." Der junge Lehrer war leichenblaß geworden, er sah in einer Kette dunkler Zusammenhänge, in welcher das menschliche Leben cingeflochten ist, unv in welcher der eigene Wille und di- eigene That nur ein verschwindcnoeS Glied bilden; er beugte sich unter dem verständnißlosen Walten eines Schicksals, dem dec Mensch nichts ist, als ein hin- und hergeschlcudectes Spielzeug. Klein war ja di- Schuld an sich, eine That der Noihw.hr, aber schon der blinde Zufall hatte sie weit über das Ziel hinausgefiihrt und nun stempelte sie eine unheilvolle Vorgeschichte mit dem Kainszeichen. „Ja, ja", fügte der Alte nur zu seiner Rechtfertigung hinzu, „cs war ein Betrug, aber er hat Len Flecken der Geburt wieder genommen, er hat Dir einen Valer gegeben." Wie aus einer tiefen Betäubung erwachte Timotheus bei diesen Worten; er blickte wie traumverloren auf den Vater. Welch: Anwandlung — er erkannte ihn nicht wieder! Er hatte in ihm bei allen seinen Schrullen nur den Ehren mann gesehen; jetzt stano ein Betrüger vor ihm, ihm war zu Muthe, als wär: seinem Leben ein Halt, eine Stütze genommen worden, uns das Erste, wozu er sich aus ver dumpfen Bestürzung zusammenraffte, war ein flammender ZorneSauäbruch. „O, der schnöden Heuchelei! Wie hart hast Du den Inspector Bärmann verurtheilt unv di- schuldlose Tochter in Acht und Bann gethan! Und doch — Alic: und ich — wir gehören ja zusammen, wir haben B'ide verbrecherische Väter." „Das; nie ein solches Wort über Deine Lippen kommt', rief Blomer in höchster Erregung, jener ist von der Welt geschändet; ich trage den Makel in aller Stille; es ist mein Geheimniß, es ist jetz! auch Dein Geheimniß. keine Folter soll es uns abrresscn. Und auch das Andere, das Schreckliche, was geschehen —" „Ich muß fort von hier — die Augen könnte ich hier nicht auf schlagen, mein ganzes Wesen würde mich oerrathen. Unv wenn mich Iemanv geieben, auch nur von ferne gesehen hätte.... gieb mir Geld, Reisegelv nach Amerika." „Das ist das Rechte! Weit fort von hier, da vergessen uns die Menschen. Unsere Thalen bleiben hier zurück, wie ausgesetzte
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