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Riesaer Tageblatt und Anzeiger : 18.11.1899
- Erscheinungsdatum
- 1899-11-18
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id1666408611-189911189
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id1666408611-18991118
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-1666408611-18991118
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungRiesaer Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1899
- Monat1899-11
- Tag1899-11-18
- Monat1899-11
- Jahr1899
- Titel
- Riesaer Tageblatt und Anzeiger : 18.11.1899
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irr — Wasil war mit seiner Weisheit zu Ende und suchte nach einem Entschuldigungsgrund für sein längeres Verweilen, als sich ein Zwischenfall ereignete. Der Hufschlag eines Pferdes wurde hörbar, und Baruschkin erschien auf dem Schauplatze. Der kleine, dicke Mann sah sehr komisch aus, als er beim Anblick der Gräfin mit freudiger Grimasse seinen Hut zog. „Sie benützen den herrlichen Morgen zu einem frischen, fröhligen Ritt," begann er, Woronzoff einen gehässigen Blick zuwerfend. „Wir sind einzig und allein zu diesem Zwecke in den Wald gekommen," unterbrach ihn Ladislaus. Baruschkin erröthetc bei den Unverschämten Worten des jungen Grafen. „Auch ich wollte mir eine kleine Bewegung machen," bemerkte er, an Marie's linke Seite heranreitend. „Wel chen Weg wollen Sie einschlagen, Gräfin? Sie werden mir doch gestatten, an Ihrer Seite zu bleiben? In diesen bewegten Zeiten kann ich mir leider nur wenig Erholung gönnen. Sie haben doch von den Excessen, die an des Zars Geburtstag vorgefallen, gehört? Man verlöschte in den illuminirten Fenstern die Lichter und zischte die National hymne aus — die Zeitungen berichten, es seien Studenten gewesen." „Werden Sie diese Studenten bestrafen?" forschte die Gräfin mit verhaltener Angst. „Sie können versichert sein, daß wir den Anstifter strenge bestrafen werden," entgegnete er lachend. „Ich glaube bereits auf der richtigen Fährte zu sein, das Bürsch chen kann sich freuen." „Aber wenn es nur ein Knabe ist, der aus bloßer Ge dankenlosigkeit gefehlt," bemerkte Marie, „Sie würden ihn sicherlich nicht hart bestrafen?" „Ach, meine liebe Gräfin, gerade diese halbwüchsigen Jungen sind die gefährlichsten. Heute sind sie noch jung, aber sie wachsen, und wie leicht könnten sie uns über den Kopf wachsen, wenn wir nicht ein warnendes Exempel satuirten? Und dann — bilden sie nicht die Zukunft des Landes, die, sobald wir Menschen der Gegenwart unsere Arbeit gethan, an's Ruder gelangen? Wenn der junge Rädelsführer noch dazu von hoher Geburt ist " „Sie kennen ihn also?" unterbrach Marie gespannt. „Tas habe ich nicht gesagt, mein gnädiges Fräulein! Nicht einmal Ihnen darf ich meine Amtsgeheimnisse ver- rathen; doch soviel dürfen Sie erfahren, daß die Kaiserliche Polizei sich nur selten nasführen läßt." Baruschkin lächelte selbstbewußt und schlau, Ladislaus ballte die Faust in der Tasche und fluchte innerlich, und Marie war noch um einen Schatten bleicher geworden. Woronzoff, der sofort errathen hatte, auf was der Polizei chef anspielte, legte sich ins Mittel. Er fürchtete ja den diplomatischen Herrn nicht, der wie eine Katze um den heißen Brei ging, nahm seine hochmüthigste, abstoßendste Miene an, ritt an Maries rechte Seite und schlug einen leb haften Galopp vor, was ihm einen dankbaren Blick seiner Nachbarin eintrug. Als sie an einen Kreuzweg kamen, zog die Gräfin die Zügel an, denn ein Seitenpfad führte von hier zum Schloß. „Sie reiten jetzt heimwärts?" fragte Baruschkin ge spannt. „Ja, wir sind schon seit drei Stunden fort. Frau Wallis wartet mit dem Frühstück." „Dann wollen wir uns verabschieden und Ihnen nicht länger lästig fallen," sagte Woronzoff bestimmt. „Sie ken nen wohl die Wege hier im Walde genau, Baruschkin? Ich werde Ihnen dankbar sein, wenn Sie mich nach Büdnitz be gleiten, ich bin noch ein Fremdling hier, wie Sie wissen." Der Polizeichef zögerte einen Moment, blickte die Zied- linerstraße hinab, dann zur Gräfin hinüber und schien durchaus nicht gewillt, der Aufforderung des Obersten nach zukommen; aber dieser verstand es, seinen Willen durch zusetzen. Die Herren empfahlen sich von dem Geschwister- paar und ritten ziemlich einsilbig gen Büdnitz. Keiner von beiden fand den Ritt besonders angenehm. Auch die Geschwister waren nicht sehr gesprächig und hingen ihren nicht gerade heiteren Gedanken nach, während sie dem Schlosse zutrabten. „Maruschka!" begann der lebhaftere Ladislaus plötz lich, „mir gefällt der Oberst sehr gut. Und Dir?" „Er ist ein Russe!" „Ich glaube, es giebt auch Ausnahmen von der Regel. Unter 70 Millionen Menschen können nicht alle schlecht sein. Mir gefällt er und ich würde das offen gestehen, wenn er der Zar selber wäre!" „Er ist ein Russe und infolgedessen ein Tyrann!" „Bah, Schwester, Du bist vorurtheilsvoll! Ich würde mich freuen, Woronzoff wiederzusehen " „Um des Himmels willen nicht!" rief sie flehend. „Ich bin feige und fürchte sie Alle. Ich zittere schon beim bloßen Anblick eines Russen. Da ist nicht Einer, dem ich trauen würde!" „Oberst Woronzoff ist gewiß ein Ehrenmann!" „Er ist ein Russe!" wiederholte Marie verächtlich. ' II. Mittlerweile verstrichen mehrere Wochen. Woronzoff ergriff jede Gelegenheit, uni Marie zu begegnen und mit ihrem Bruder Freundschaft zu schließen. Es gelang dem liebenswürdigen, tüchtigen Soldaten bald sehr, sich die Zuneigung des temperamentvollen Jünglings zu erobern, aber die Gräfin setzte seinen Annäherungsversuchen Schran ken. Auch machte er sich in diesen Tagen des geduldigen Werbens Baruschkin zum bittern Feind, der dem Rivalen Rache schwur. Woronzoff nahm Ladislaus offen in seinen Schutz, ritt mit ihm aus und lud ihn täglich zu sich ein. Er ahnte gar nicht, welche Qualen er damit der Gräfin bereitete, die von der Ueberzeugung durchdrungen war, daß jeder Diener des Zaren ein Spion und Polen-Unterdrücker sei und demge mäß in fortwährender Angst lebte, der Oberst locke ihren Liebling ins Verderben. Endlich nahm seine Wartezeit ein Ende. Der Gouver neur, der höheren Orts um die Erlaubniß angesucht, sein Mündel mit Oberst Woronzoff zu verbinden und günstigen Bescheid erhalten hatte, suchte eine Unterredung mit der Ersteren und konnte seinem Neffen noch an demselben Tage die Mittheilung machen, daß die Gräfin gewillt sei, ihm ihre Hand zu schenken. „Sie weiß also?" fragte Wasil erregt. „Was hat sie gesagt, d. h. wie hat sie meine Werbung ausgenommen?" „Sie hat nicht viel gesagt, Du weißt, daß sie von Natur nicht sehr redselig ist!" „Schien sie ... wie soll ich nur sagen? . . . schien sie erfreut?" „Alle jungen Mädchen freuen sich, zu heirathen, nur zeigen sie es nicht. Das wäre unbescheiden und gegen den guten Ton!" entgegnete der General ausweichend. Mit einem aus Zweifeln und Hoffnungen gemischten Gefühl ritt Woronzoff Nachmittags nach Schloß Ziedlin, um seiner Braut den ersten Besuch abzustatten. Die alten Mauern gähnen ihn finster an, die meisten Fenster waren vergittert; überhaupt machte das ganze Besitzthum den Ein druck furchtbarer Vernachlässigung. Gras wuchs zwischen dem Pflaster des Hofes und zwischen dem Steinboden der Terrasse, die sich die vordere Front des Schlosses entlang erstreckte; auch Garten und Park sahen ungepflegt aus. Ein alter, englischer Diener in schlichter, schwarzer Kleidung öffnete die Hausthüre und führte Wasil in das obere Stockwerk, wo er ihn in einem langen, niedrigen Ge mach warten hieß, bis er der Gräfin die Karte hinauf- getragen. Woronzoff sah sich neugierig um. Im Kamin brannte ein Helles. Holzfeuer, ein offenes Klavier, ein mit Büchern bedeckter Tisch, ein Blumenständer mit blühenden Rosen gaben dem finstern Gemach einen behaglichen An strich. Wasil fühlte sich sofort heimisch und erfreute sich an dem Blumenduft und an dem flackernden Holzfeuer. Nach einigen Minuten trat die Gräfin in Begleitung der Engländerin ein. Sie sah sehr blaß und traurig aus, aber sie erschien Woronzoff bcgchrenswerther denn je. Sie sprach nicht viel, nahm eine Handarbeit auf und überließ es Frau Wallis, die Honneurs zu machen. Sie streifte ihren Bewerber mit keinem Bli ke, so sehr sich dieser auch bemühte, einen solchen aus ihren Augen aufzufangen, um darin sein Schicksal zu lesen. — Woronzoff gab es schließlich auf, seine Braut auS ihrem Stillschweigen zu reißen, und richtete seine Worte an Fran Wallis. Sie sprachen über Kunst, Litteratur und Musik, — Themata, über die Freund und Feins ruhig Meinungen austauschen können. Mair kann es nicht Verrath nennen, wenn Jemand Mozart Haydn vorzieht oder Schiller Goethe — die Welt der Ideen ist die Welt der Freiheit. Eine Weile später brachte der alte Diener den unvermeidlichen Samovar, Marie legte ihre Arbeit zur Seite und bereitete den Thee. Oberst Woronzoff empfahl sich und ging be zaubert weg. Von da ab kam er öfter auf Schloß Ziedlin; Fran Wallis gewann ihn allmählich lieb und begrüßte ihn sehr freundlich. Wenn Marie auch kalt und zurückhaltend blieb, so schien sie doch gegen seine Besuche nichts einzuwenden zu haben. Woronzoff belästigte sie auch nicht mit unwill kommenen Aufmerksamkeiten und war zufrieden, wenn er in ihrer Nähe weilen durfte. Hie und da erheiterte Ladislaus mit seinem leb haften Geplauder den kleinen Kreis, oder Marie öffnete das Klavier und spielte mit Meisterschaft traurige Volks weisen. Auf seinem Heimwege grübelte Wasil öfter über die wahre Natur seiner Braut. Er war überzeugt, daß sie ihre Kälte und Ruhe nur heuchelte, denn er hatte schon einige Male bemerkt, wie sie ihn, wenn sie sich unbeobachtet glaubte, mit einem Blick voll Haß und Geringschätzung maß. Das beunruhigte ihn, und die Passivität, mit der sie sich seine Küsse gefallen ließ, die er hie und da zu geben wagte, kühlten seine eigene Leidenschaft ab. Sie erschien ihm ein Räthsel, ein Räthsel von Eis, in dem ein mächtiges Feuer glühte. O Es war kein Grund vorhanden, die Hochzett noch länger zu verschieben. Die Ausstattung der Gräfin war fertig und alle Vorbereitungen getroffen. Frau Wallis sollte nach der Trauung in ihre Heimath zurückkehren und Ladislaus nach Wlauf des Honigmondes seinen ständigen Aufenthalt bei seiner Schwester in Ziedlin nehmen. Diese letztere Verfügung betrachtete der General-Gou verneur als ein diplomatesches Meisterstück — dem unter die Aufsicht seines Schwagers gestellten jungen Polen war jede Gelegenheit abgeschnitten, weiteres Unheil anzurich ten. Sechs Wochen nach der Verlobung fand die Hochzeit in einer kleinen russischen Kirche zu Büdnitz statt, die mit den Kameraden und Bekannten Wasils gefüllt war. Bon Seite der Braut erschienen nur Ladislaus und Frau Wallis. Oberst Woronzoff glaubte, in dem aufregenden Moment eine sehr komische Rolle zu spielen und war herz lich froh, als die Ceremonie endlich vorüber war und er dem betäubenden Geruch von Blumen und Weihrauch ent rinnen konnte. 183 — Eine große Volksmenge hatte sich vor der Kirche as- gesammelt, um das neuvermählte Paar zu sehen. Woron- zoff hörte die Verwünschungen einiger Polinnen, die es Marie nicht vergeben konnten, sich einem Russen geopfert zu haben. Er hals ihr rasch in den Wagen. Ehe er selbst hineinspringen konnte, drückte ihm Jemand ein Zettelche« in die Hand. „Was bedeutet das?" fragte er, um sich blickend. Da er keine Antwort erhielt, warf er einen Blick auf die Adresse. „Oberst Woronzoff! Bitte den Inhalt zu lesen, er ist sehr wichtig!" „Ein Anschlag!" brummte er, steckte den Wisch ärgerlich in die Brusttaschc und wischte sich sorglich die behandschuh ten Hände ab, ehe er in den Wagen stieg. Während er eine halbe Stunde später im Salon auf seine junge Frau war tete, die ihre Toilette wechselte, fiel ihm der nv'teriöse Brief ein. Er öffnete ihn ohne befördere N?ugier. „Sie halten sich für einen glücklichen Menschen!" lau tete die Epistel, „und Sie sind wahrhaftig zu beneide«. Fragen Sie Ihre Frau nach dem Namen ihres Geliebten. Sie wurde ihm als Kind verlobt, und sie ist ihm mit Leib und Seele ergeben. In drei Monaten werden Sie die Ziel scheibe des Spottes aller Menschen zwischen hier und Kiew sein!" Ter Brief war selbstverständlich anonym. Woronzoff ballte ihn entrüstet zusammen und blieb dann nachdenklich vor dem Kamin stehen. Erst die Stimme Maries erweckte ihn aus seinem Brüten. „Was ist geschehen?" fragte sic beunruhigt. „Nichts! Tas heißt, ich habe schlechte Nachrichten er halten !" „lieber Ladislaus?" forschte Marie, bis an die Lippe« erbleichend. „O, ich habe es gefürchtet. Was hat er wieder an gestellt?" „Nichts. Ich weiß nichts von ihm!" Während er sprach entglitt der Wisch seinen zitternden Fingern, und Marie hob ihn rasch aus. „Ist er von Baruschkin?" „Leg den Brief nieder. Du darfst ihn nicht lese«!" sagte Woronzoff streng und streckte die Hand nach deut Briefe aus. Doch plötzlich besann er sich eines Besseren. „Mag sie ihn lesen, früher oder später muß es doch heraus!" sagte er sich und zog langsam die Hand wieder zurück. Marie las und wurde ganz ruhig. „Ist das alles?" bemerkte sie erleichtert. „Ich bin immer so besorgt um Ladislaus. Er ist so entsetzlich unvorsichtig, der arme Junge, und der Polizei chef ist so eifrig. Sie legte den Brief gleichgiltig auf den Kaminsims^ setzte sich in einen niedrigen Stuhl vor das Feuer und blickte zu dem zornigen Gesicht ihres Gatten auf. „Ist das wahr?" fragte er, den Wisch mit seine« Finger berührend. „Ja, es ist wahr!" „Und Sie wagen es, mir das einzugestehen?" brach er los. „Schämen und fürchten Sie sich nicht?" „Weshalb denn?" entgegnete sie ganz ruhig. „Ich war; mit Stefan verlobt!" „Mit welchem Stefan?" , „Mit Stefan Prachatitz, Helenens Bruder!" „Wie töricht, mir das zu sagen!" unterbrach er sie. „Glauben Sie, Madame, daß ich ihn, nun ich es weiß, a« Leben lassen werde?" „Sie sind in einem großen Jrthume befangen, Obersts entgegnete Marie, ihpn, »ihr bleiches Antlitz zuwendend, kalt. „Graf Stefan ist außer Ihrem Bereich, er ist l<m-«i todt — er wurde vor Jahren erschossen!" s
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