Suche löschen...
Riesaer Tageblatt und Anzeiger : 22.06.1901
- Erscheinungsdatum
- 1901-06-22
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id1666408611-190106222
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id1666408611-19010622
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-1666408611-19010622
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungRiesaer Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1901
- Monat1901-06
- Tag1901-06-22
- Monat1901-06
- Jahr1901
- Titel
- Riesaer Tageblatt und Anzeiger : 22.06.1901
- Autor
- Links
-
Downloads
- Einzelseite als Bild herunterladen (JPG)
-
Volltext Seite (XML)
von Haar, Bart und Augen- im Uebrigen mit angenehmen offenen Zügen. Seit mehreren Jahren Wittwer, übertrug er all seine Liebe und Zärtlichkeit auf sein einziges Töch terchen, die siebenjährige Saschinka, welche fast seinen Augenblick von seiner Seite wich und seine Gefühle ebenso herzlich erwiderte. Ten Rest der Familie bildeten Fräulein Wera, Herr Iwan und Madame Kurpvtkin, Schwägerin, Schwager und und Schwiegermutter Sokoffs, die, auf seine Kosten, ein glänzendes Leben führten. Fräulein Wera war eine elegante, wahrhaft impo- nirende Erscheinung. Bon lebhaftem Temperament suchte sie stets die Aufmerksamkeit ihres Schwagers zu fesseln, um, wie es mir schien, den Platz zu gewinnen, den einst ihre selige Schwester in seinem Herzen eingenommen^ Herr Sokosf war gegen sie voll freundlicher Aufmerksam leit, doch glaube ich nicht, daß er tiefer für sie empfandi. Ihr Bruder Iwan war ein eingebildeter, unbedeutender Mensch. Tie Mutter war nicht ohne Geist und feinere Bil dung, auch mangelte es ihr nicht an einer gewissen Her- zcnsgüte. In Gegenwart ihrer Tochter aber kam sie sel ten zu Wort. Am liebenswürdigsten erschien sie mir, wenn wir allein waren, oder höchstens ihr Schwiegersohn noch zugegen. Herr Sokoff lebte auf großem Fuß. Er hatte freund schaftliches Interesse an mir genommen und lud mich häufig zu kleinen Ausflügen oder Abends zum Thee ein. Eines Tages fragte er mich um eine Bonne oder Gou vernante für seine Keine Saschinka. „Bei Ihrer ausgedehnten Bekanntschaft," fügte er hin zu, „wüßten Sie mir gewiß Jemand zu empfehlen. Sa scha ist ein gutes Kind, das sich leicht «»schließt und gut zu behandeln ist. Es wäre mir angenehm, wenn sie während unseres hiesigen Aufenthaltes die deutsche Sprache recht gründlich erlernen würde, die sie jetzt nur gebrochen spricht. Ich habe vor, vier oder fünf Monate zu bleiben und eine geeignete Person gut zu bezahlen." Sofort dachte ich an Charlotte und nannte sie ihm, ohne auf ihre näheren Verhältnisse einzugehen. „Auf Ihre Empfehlung cngagire ich das Fräulein ungesehen," erwiderte er vertrauensvoll. Toch davon wollte ich nichts hören. „Ich werde das junge Mädchen morgen Bormittag auf mein Bureau be stellen," versetzte ich „Wollen Sie sich gleichfalls dort cinfinden, so können Sie gegenseitig Rücksprache neh men und dann nach Ihrem Ermessen handeln." - „Wie Sie wünschen — morgen um zehn Uhr werde ich bei Ihnen vorsprechen," sagte Herr Sokoff und wir schieden. Ich benachrichtigte Charlotte. Pünktlich am folgenden Vormittag trat sie in wein Bureau, und kaum, als ich das Nothwendigste mit ihr besprochen, erschien Herr Sokoff. Tie Unterredung führte zu günstigem Resultat. Char lotte sollte schon am Nachmittag ihre Stelle antreten, die nach Allem leicht und angenehm zu werden versprach. Herr Sokosf verpflichtete sich, außer freier Station, zu einem monatlichen Gehalt von fünfzig Mark, — gewiß ein überreicher Lohn. Tagegen mußte sie versprechen, während seines hiesigen Aufenthalts bei seinem Töch terchen auszuharren, eine Zusage, die sie gerne gab. Tas junge Mädchen war über die plötzliche Veränder ung seiner Lage überglücklich. Sie dankte mir mit Thränen in 'den Augen und gelobte, nie zu vergessen, was ich für sie gethan. Tie Mutter sah es nicht gern, daß Charlotte Plötzlich fort sollte. Es gab gerade jetzt in Feld und Haus Arbeit vollauf, wo sie die frische, jugendliche Kraft gut hätte brauchen können, Aber Charlotte ließ sich nicht halten, packte ihr Kündelchen und traf zur festgesetzten Stunde bei Herrn Sokosf ein. In den nächsten Tagen hielt ich mich von der befreun deten Familie fern. Ich wollte beiden Theilen Zeit lassen, sich gegenseitig näher kennen zu lernen, ehe ich wie der mit ihnen zusammentraf. Ties geschah früher, als ich beabsichtigte. Wir be gegneten uns vor dem Elfenbeinstand unter den schattigen Bäumen der Hauptstraße. „Sich' da, Herr Inspektor," rief Madame Kurpotkin mir schon von Weitem entgegen. „Sie haben sich lange nicht sehen lassen, wo stecken Sie denn?" Ein Ausweichen wäre unmöglich, ja taktlos gewesen. Ich kam also näher und begrüßte zuerst die alte Tome und dann die Uebrigen. „Ich bitte Tich, Alexander Petrowitsch, sieh' nur die ses reizende Medaillon und diese hübsche Kette dazu," sagte Fräulein Wera zu ihrem Schwager, auf die ge nannten Gegenstände deutend. „Ich habe niemals feiner geschnittene Elfenbeinsachen bewundert." Tie Keine Frau mit dem kurzen Rock und den grauen Locken an den Schläfen, welche die Waaren feil bot, lächelte geschmeichelt. Ihr gutmüthiges altes Gesicht war ganz verklärt, obwohl sie ähnliches schon oft vernommen hatte. „Tie Sachen sind in der That sehr schön," entgegnete Herr Sokoff. „Wenn es' Tir Freude machte Wera, so nimch das Medaillon und die Kette und was Dir sonst gefällt." » Tas Fräulein ließ sich das nicht zweimal sagen. Bald hatte sie zu Medaillon und Kette noch mehrere, wirklich wunderbar schöne Sächelchen ausgesucht. Herr Sokosf fragte nach dem Preis. „Vierhundertfünfundsiebzig Mark," erwiderte die kleine, freundliche Frau etwas zögernd. „Können Sie mir aus eine Tausendnmrknote heraus geben?" „Ich habe so viel nicht bei mir." „Sv behalten Sie einstweilen nur den Schjein. Hier ist meine Karte. Ich logire in der „Stadt Karlsruhe". Wenn Sic genug Keineres Geld haben, können Sie mirs ja schicken oder bringen. Inzwischen komme ich vielleicht auch wieder vorbei und nehme Ihnen noch einige dieser hübschen kleinen Dinge ab." Höflich den Hut lüftend, wandte Herr Sokosf sich ab und wir gingen gemeinschaftlich dem Kurgarten zu. Tie kleine Frau sah uns noch lange knixend und freundlich lächelnd nach. Iwan war bei dem Stand geblieben, kam uns jedoch bald nach und beschäftigte sich mehr denn je mit der Keinen Saschinka. Hie und da richtete er auch ein Wort an Charlotte, deren strahlende Blicke mir deutlich verriethen, wie glücklich sie sei. Herr Sokosf theilte mir mit, daß er seinerseits mit ihr zufrieden sei. „Sascha hat das Fräulein schnell lieb ge wonnen und sie versteht es, die Kleine gut zu nehmen," sagte er. „Ich bin Ihnen für Ihre Empfehlung und freundliche Vermittelung sehr verbunden." In der oberen Allee, unweit des Musikpavillons, nah men wir unter einem uralten Nußbaum Platz. Herr Sokoff bestellte den Kaffee. Um uns her herrschte reges Leben. Sascha hatte in der unteren Allee einige Kinder bemerkt, die sie vorn Hotel her kannte, und bat, mit ihnen spielen zu dürfen. Ihr Vater nickte ihr Gewährung zu. Lustig sprang sie fort. Charlotte folgte ihr etwas lang samer nach „Warum spielt die Musik heute nicht?" wandte sich Fräulein Werra an mich. Sie schenkte mir sonst nicht eben große Beachtung. „Sie spielt Tonnerstag Nachmittags nie," erwiderte ich, „dafür ist heute Wend Reunion," i " „Reunion, das ist herrlich! — Wir werden doch hingehen, Alexander Petrowitsch nicht wahr. Ich ver spreche Tir den ersten Walzer." „Tu weißt, daß ich seit Kathinkas Tod nicht mehr ge tanzt habe," entgegnete ihr Scknvager ernst. „Tas sind jetzt nahezu fünf Jahre, ich dächte, da könntest Tu doch.-" „Ich werde," fiel er ihr ins Wort, „Tir für andere Tänzer bemüht sein und nrich freuen, wenn Tu Dich gut unterhältst." „Wie soll, wenn Tu nicht an mehnem Vergnügen theilnimmst," entgegnete sie mit vielsagendem Blick. „Nicht doch, meine liebe Wera," sagteerfreundlich. In Teinem Alter muß man das Leben genießen, und die Ro sen brechen, die uns lieblich am Wege erblühen. Tie Zeit kommt früh genug, wo wir den Sinn für die harmlosen Freuden der Jugend verliere», und unsere Gedanken nur mit ernsten Tingen beschäftigen." „Tu sprichst, als ob Du schon ein uralter Mann wärst, und stehst doch in der Blüthe Deiner Jahre! rief Fräulein Werra. „Meinen Gefühlen und Erfahrungen nach" lächelte er trübe, ,chin ich ein alter Mann. Was könnte mir die Welt noch bieten, nachdem ich »rein Liebstes habe hingeben müssen. Wenn Saschinka nicht wäre —" „Wie ungerecht Tu bist," unterbrach ihn seine Schwä gerin verletzt. „Hast Tu nicht uns, die wir Dir Altes zu Liebe thun?" , „Verzeih'", entgegnete er: „ich weiß, wie gut Ihr es Alle mit mir meint. Aber die alte Wunde brennt noch immer und ich kann nicht vergessen! — Toch sprechen wir von etwas Anderem. — Sieh', dort kommen die Herren, die uns heute Mittag gegenübsrgesessen und sich so freund lich mit Tir unterhalten haben. Gewiß besuchen sie auch Abends die Reunion und werden fleißig mit Tir tanzen." Fräulein Wera machte eine ablehnende Bewegung. Tennoch schien es sie zu freuen, als die Herren sich un serem Tisch näherten und uns begrüßten. Ich bemerkte sogar, daß sie erröthete und mit dem' jüngeren einen raschen Blick wechselte. Es waren zwei Brüder, Westfalen, die schon seit einiger Zeit hier weilten. Ter jüngere war Offizier gewesen und hatte im letzten Feldzug den linken Arm verloren. Er sah noch immer etwas leidend aus. Im Uebrigen war er ein auffallend schöner, hochgewachsener Mann. Der an dere Bruder stand im Staatsdienst. Ich hatte ihre Be kanntschaft schon früher gemacht, und schätzte sie hoch Tie Herren nahmen auf Herrn Sokoffs Einladung an unserem Tisch Platz und bald war eine allgemeine Un terhaltung im lebhaften Gang. Fräulein Wera sprach ausnahmsweise wenig. Ihr Blick kehrte jedoch, so ost sie sich> unbeobachtet wähnte, immer wieder zu der imponiren- den Erscheinung zurück, die links an ihrer Seite saß. „Papa," übertönte Saschinkas Helle Stimme Plötzlich die unsrigen, „Papa, heute Abend ist Reunion im Kurhaus, Wirst Tu auch hingehen?" Sie hatte ihre Keinen Hände auf sein Knie gestemmt und schaute erwartungsvoll zu ihm auf. Sokosf lächelte: „Das hängt von Tante Wera ab," sagte er, sanft des Kindes Wange streichelnd. „Toch was weißt Du von der Reunion, Sascha! Wie erhitzt Tu aus siehst. — Warum spielst Tu nicht mit Deinen Keinen Freunden?" „Und »vezin Ihr geht," fuhr Sascha fort, des Vaters letzte Frage überhörend, „darf ich dann mit Fräulein Char lotte Euch, begleiten?" „Nein, Sascha, das ist kein Ort für Euch, für Tich, wein Kind, wenigstens nicht!" „O bitte, bitte, lieber Papa! Die Keinen Graft« Mall- städt und Helenchen v. Wengern dürfen auch mit ihren Gouvernanten hinkonrMen." „Tas ist Sache ihrer Eltern. Du wirst mit Fräulein Charlotte zu Hause bleiben, dem Papa gehorchen und ein gutes Kind sein, nicht wahr, Sascha?" Sie schaute thränenden Auges zu ihm auf, aber ohne jeden Widerspruch. Er zog sie fest an sich und küßte sie auf den Mund. „Und nun geh' und spiele weiter," sagte er gütig. Sie hüpfte fort, auf Charlotte zu, welche ihr gefolgt, sich aber in bescheidener Entfernung gehalten hatte. Wenige Minuten später spielte sie in der unteren Allee wieder harmlos und heiter mit den anderen Kindern. „Warum hast Tu Saschas Bitte nicht gewährt?" fragte; Iwan etwas m.ßmuthig seinen Schwager. „Weil ich es unpassend finde, Kinder an derartigen Vergnügungen theilnehmen zu lassen." „Tu bist gar zu streng," meinte der junge Mann. „Tas finde ich durchaus nicht," rief seine Schwester. „Alexander erzieht Sascha musterhaft. Ganz im Sinne Kathinkas. Ein so liebevoller Vater, wie er, würde seinem Kinde gewiß keinen billigen Wunsch versagen. Er hat vollkommen recht, ein siebenjähriges Mädchen gehört nicht auf eine Reunion." Ein freundlicher Blick ihres Schwagers belohnte sie. „Aber um Fräulein Charlottens willen hätte Alexan der diesmal wenigstens eine Ausnahme machen können," versetzte ihr Bruder. „Sie hat sich gewiß schon lange auf die Reunion gefreut, und ich meine —" „Taß Fräulein Charlotte ein viel zu verständiges Mädchen ist, um nicht die Richtigkeit meiner Anordnung einzusehen," fiel ihm Herr Sotoff ins Wort. „Im Gegcnthcil —" beharrte Iwan. „Was fällt Tir auch ein," unterbrach ihn seine Schwe ster, „Fräulein Charlotte paßt so wenig auf die Reunion wie Sascha." „Warum?" fragte der Bruder trotzig. „Ich bedaure Tich, wenn Du das nicht selbst ein siehst. Ein Mädchen in dienender Stellung —" „Ich wünschte nicht, sie ihre Abhängigkeit fühlen zu lassen," fiel ihr Schwager ihr ins Wort. „Es sollte mir leid thun, wenn Ihr durch mick ein erhofftes Vergnügen entzogen würde. Ich habe indeß in allererster Linie auf das Wohl meines Kindes Rücksicht zu nehmen." „Worin ich Ihnen vollkommen beipflichte," versetzte ich. „Uebrigens ist Fräulein Charlotte noch immer in Trauer und schon aus diesem Grunde ist eS traktvoller, sie jedem rauschenden Vergnügen fern zu halten." Fräulein Wera sah mich ausnahmsweise sehr freund lich an. Ihr Bruder aber warf mir einen bösen Blick zu. Vom nahen Kirchthurm schlug es dreiviertel auf vier. Ich erhob mich, mein Dienst rief. „Sie »vollen uns verlassen?" fragte Herr Sokoff, mir die Hand schüttelnd. „Wir »vollen Sie bis zum Ausgang des Parks begleiten und das schöne Wetter noch zu einem Ausflug auf den „alten Mann" benützen. Sie begleiten uns wohl, meine Herren?" wandte er sich an die Gebrüder Rheden. Tie Herren nahmen die Einladung an. Sascha und Charlotte eilten auf Herrn Sokoffs Ruf herbei; und wir schlenderten dem Ausgang des Kurgartens zu. Nicht weit davon, unter einem Mächtigen Kastanienbaum, hält ein junger, zur Kurkapelle gehöriger Musiker einen Stand mit Cravatten, echten Spitzen und ähnlichen Luxusartikeln während seiner Freistunden. Seine Waaren, schön, ob gleich etwas theuer, wurden gern und viel gekauft. Fräulein Wera sprach deu Wunsch aus, für die Re union dort noch einige Kleinigkeiten zu erstehen. Ihr
- Aktuelle Seite (TXT)
- METS Datei (XML)
- IIIF Manifest (JSON)
- Doppelseitenansicht
- Vorschaubilder
Nächste Seite
10 Seiten weiter
Letzte Seite