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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 27.02.1903
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1903-02-27
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19030227026
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1903022702
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1903022702
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1903
- Monat1903-02
- Tag1903-02-27
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Anzeigen-Prstis die SgespaUeue Petilzetle Sb N«Nam«u roter de» Nedattivasstrtch sägespalteu) 78 vor d« AamUt«uach» richteu (6 gespalten) 80 Labellarifcher und Kifferusatz entsprechend hüher. — Gebühre» für Nachweisungen und Offerteuauuahm« S8 H (excl. Porto). Grtra-Beilagen gefalzt), -ur mit der Morgeu-Au-ga''e, ^hoe 8ostbet0rderu»g ^8 30.—, ntt ßoNtxsordersug /v.—. Auuahmeschluß Mr Lzeigen: Adeud-Ausgab«: llormittag» 10 Uhr. Morg«»->Au»gab«: Nachmittag» 4 Uhr. Anzeige» stad stet» au di« ExpedMp» zu richte». Die «xpedMou ist Wochentag« ununterbrochen geöffnet vou früh 8 bi« abead» 7 Uhr. Druck und Verlag vou E. Pol» t» Leipzig. Nr. 106. Freitag den 27. Februar 1903. 97. Jahrgang. Politische Tagesschau. * Leipzig, 27. Februar. »A« unsere evaugelischeu Volksgenossen" richtet der Zentralvorstand des Evangelischen Bundes zur Wahrung der deutsch - protestantischen Interessen folgenden Aufruf: „Die Entscheidung des Bundesrates darüber, ob das Deutsche Reich den Jesuiten wieder geöffnet werden soll, steht unmittelbar bevor. Sie scheint mit der größten Eile herbeigeführt werden zu sollen, so daß die in weiten Kreisen der evangelischen Bevölkerung sich regende Ent rüstung über die geplante Bedrohung des kirchlichen und des nationalen Friedens kaum die Zeit findet, sich zu kräftiger Gegenwirkung zu organisieren. Diese tiefe Er regung, sowie die nicht minder tiefe Verdrossenheit, mit der treue Patrioten mutlos und tatlos auf das stetige Zu rückweichen der Staatsgewalten gegenüber den ultramon- tanen Anmaßungen blicken, kann den Bundesregierungen, an ihrer Spitze den Vertretern Preußens, nicht verborgen geblieben sein. Daß diese darauf keine Rücksicht nehmen, daß sie, um das Zentrum sich willig zu erhalten, bei ihren zuverlässigsten und ergebensten Freunden im Reich alles Vertrauen und alle Freudigkeit lahm legen, ist ein über aus schmerzliches Kennzeichen für die Zerfahrenheit unserer Zustände. Als ob die Geschichte nicht deutlich genug gesprochen hätte! Als ob irgend ein Staat, der den Jesuiten freie Hand gelassen, in Vergangenheit und Gegen wart je ohne die tiefste Schädigung seiner Staatsinteressen, der sittlichen Lauterkeit und Aufrichtigkeit, der wissen schaftlichen Freiheit und Wahrhaftigkeit, des religiösen Friedens und der Eintracht in Familie und Haus seinen Aufgaben ungestört hätte nachlcben können! Oder meint man, der heutige Orden Loyolas verfolge andere Ziele und gehe unanfechtbarere Wege, als die Vergangenheit sie nachweist? Kein Anspruch des Papsttums, und wäre es der für Staaten und Völker unerträglichste, ist je zurück genommen worden; keine Lehre und sittliche Vorschrift des Jesuitenordens hat je eine Einschränkung erfahren. „Sie müssen bleiben wie sie sind, oder sie sollen überhaupt nicht sein", das hat ein unfehlbarer Papst, Clemens XIII., von ihnen gesagt, als er um Reformen für den Orden an gegangen wurde. Der Jesuitenorden ist der rücksichts loseste Vertreter des Ultramontanismus. Hat der Staat noch nicht gelernt, daß der Ultramontanismus nur durch festen Willen und starke Hand, durch unbeugsame Wahrung der staatlichen Interessen auf allen Gebieten in Schranken gehalten werden kann? Jede aus Schwäche ihm gewährte Konzession, und wenn man sie auch in das faden scheinige Gewand angeblicher Parität und Liberalität hüllte, bietet Rom nur den Anlaß zu neuen Forderungen. Friede zwischen Rom und der modernen Welt in Kirche, Schule, Staat, Gemeinde, Familie märe erst zu erreichen, wenn unbedingte Unterwerfung unter die Machtansprüche Roms erfolgte; und dieser Friede wäre der Tod aller Freiheit, Wahrheit, Kraft und Schönheit des Lebens. Nicht ohne bedeutsame Mahnung für den Staat fällt in diese unabsehbare Reihe der Nachgiebigkeiten gegen Rom das kecke Vorgehen eines der gelehrigsten Schüler des Jesuitenordens, des Bischofs Ko rum von Trier, auf dem Gebiete der Schule. Die Verweigerung der Absolution in der Beichte sollen die Trierer Priester über alle katholischen Eltern verhängen, die ihre Kinder in staatliche Schulen schicken, so lange diese Schulen nicht unter der allmächtigen Leitung des katholischen Klerus stehen! Ein erster Ver such des übermütig gewordenen Ultramontanismus auf dem Schulgebiete, dem weitere folgen werden, wenn die Staatsgewalten fortfahren, in der Zufriedenstellung Roms das tiefste Geheimnis ihrer Regierungsweisheit zu er blicken! Wie soll dem weiteren Verderben gewehrt wer den? Der Evangelische Bund hat sich bisher sorgfältig und gewissenhaft von jeder politischen Aktion ferngehalten und wird es auch weiter tun. Aber auf eins dürfen wir Hinweisen. Rom, eine politische Macht erster Größe, mit dem furchtbaren Machtmittel der Religion in seiner Hand, drängt jeden ernsten Christen wie mit Gewalt aus seine gegenwärtigen Pflichten im modernen Staatsleben hin. Der Ultramontanismus hat sich in Deutschland durch die politischen Wahlen seine ausschlaggebende Stellung er worben. Die Regierungen müssen sich auf die politischen Vertretungen des Volkes stützen; ihre Ohnmacht gegen Rom beruht auf der Macht Roms im deutschen Parlamente. Da mache denn jeder überzeugte evangelische Christ als Wähler von seinem christlichen und evangelischen Rechte Gebrauch und fordere, ehe er einem Bewerber seine Stimme gibt, eine klare Aussprache von ihm über seine Stellung gegenüber den Anforderungen des Ultramon tanismus. Kein evangelisches Zentrum wollen wir. Wohl aber dürfen wir im Deutschen Reiche, das zu zwei Dritteln evangelisch ist, den Anspruch erheben, daß die Rücksicht auf die religiösen Interessen der Mehrheit nicht dem Ultra montanismus und der Befriedigung seiner Wünsche ge opfert werbe. Der Evangelische Bund ist zur Wahrung der deutsch-protestantischen Interessen gegründet. Wahret eure heiligsten Güter, ihr deutschen Protestanten, und er klärt einmütig und standhaft dem maßlosen Ultramontanis mus: Bis hierher und nicht weiter!" Halle (Saale), den 25. Februar 1908. Muß die römische Hostie von Evangelischen gegrüßt werden? Häufig sind, besonders in den letzten Jahren in Oester reich, Verurteilungen von evangelischen Christen erfolgt, weil sie der in römischen Prozessionen oder von dem auf dem Bersehegang begriffenen römischen Priester ge tragenen Hostie nicht die Ehrenbeugung (Hutabnahme) erwiesen. Solche Fälle haben sich mehrfach auch in dem Gebiete der Uebertrittsbewegung ereignet, so daß an läßlich eines vor zwei Jahren stattgefundenen Falles, in welchem ein römisch-katholischer Dechant (Dux in Böhmen) diesen Gruß sogar von einem evangelischen Vikar ver langen zu können glaubte, das zuständige Pfarramt (Teplitz) dahin vorstellig wurde, daß bei der staatsgrund gesetzlich gewährleisteten vollen Gleichberechtigung der beiden Konfessionen auch deren Lehrmeinungen in der Öffentlichkeit die gleiche Geltung haben müssen, und ganz besonders einem evangelischen Geistlichen nicht zugcmutet werden dürfe, gegen sein Bekenntnis zu handeln. Diesen Ausführungen schloß sich die Kirchenbehörde unter ent schiedener Stellungnahme an, und es scheinen diese Proteste nicht wirkungslos geblieben zu sein. Der Wiener Vcrwaltungsgerichtshof hat jüngst in einem konkreten Falle entschieden, daß ein Nichtkatholik nicht gehalten ist, gegen sein Gewissen und die Lehren seiner Kirche der römischen Hostie den Gruß zu erweisen. So erfreulich diese nach den Staatsgrundgesetzen und dem Gleichheits prinzips übrigens ganz selbstverständliche Entscheidung, die auch für die Teilnahme an anderen öffentlichen Religionsübungen der römischen Kirche Geltung finden muß, auch ist, so entsteht doch die Frage: Wer entschädigt alle die ungerecht Verurteilten für die ihnen widerfahrene Unbill und oft harte Strafe? Wie vermag man den bisher dem Gesetze entgegen geübten Gewissens zwang zu rechtfertigen? Die Engländer im Somalilaude. Die Auswahl von Obbia als Ausgangspunkt und zu künftige Basis für die Untersuchungen in Somaliland scheint ein Fehler gewesen zu sein. Jedenfalls hat man sich, wie aus einem Reuterschen Spezialberichte aus Obbia vom 17. Februar hervorgeht, entschloßen, in Zukunft wie- der Berbers zur Basis zu machen. Der Bericht hat fol genden Wortlaut: „Seit der Absetzung des Scheichs Nussuf Ali (Scheich von Obbia, der an Bord eines italienischen Kriegsschiffes gefangen gesetzt wurde, weil der Verdacht vorlag, daß er mit dem Mullah heimlich in Verbindung stehe) sind keine wesentlichen Aenderungen der Lage zu verzeichnen gewesen. Die Vorbereitungen für den Vor marsch nähern sich ihrer Vollendung und das Borschieben von Vorräten an den Verbindungslinien nimmt seinen Fortgang. In dem Mudugdistrikt wird ein vorgeschobener Posten errichtet werden. Man wird dort für drei Monate Vorräte ansammeln, um den Platz für die zukünftigen Operationen als Basis benutzen zu können. Der Rückzug des Mullah aus der Muduggegend bedeutet, daß die Expe ditton ihren Zweck erreicht haben wird, wenn diese Gegend endgültig besetzt worden ist. Es ist -war sehr unwahr scheinlich, daß es bei der Besetzung der Brunnen von Galkaju zum Kampf kommen wird, aber die Möglichkeit eines derartigen Kampfes ist jedenfalls nicht ausgeschlossen und man bereitet sich gebührend darauf vor. Sobald man sich in dem Mudugdistrikt festgesetzt haben wird, werden die rückwärtigen Verbindimgen von dort mit der Küste aufgegeben werden. Die Basis der Expeditton wird dann nach Berber« verlegt werden, von wo aller Nachschub an Proviant zu beziehen sein wird. — Der schwedische Mili- tärattach« ist in Obbia eingetroffen." Deutsches Reich. * Dresden, 26. Februar. Die Propaganda -es Fürsten Löwen st ein unter den evangelischen Adligen Sachsens für seine Antiducll-Liga betrachtet die „DreSd. Ztg." mit unverhohlenem Mißtrauen. Das Blatt er innert daran, daß Fürst Löwenstein noch vom seligen Taxilschwindel her bekannt ist; er führte damals 1896 den Vorsitz auf dem Kongreß zu Trient, der unter dem Segen des Papstes „zur Ausrottung der freimaure rischen Pest" tagte. Hinter der neuen harmlosen Maske werden von dem Blatte ultramontane Schleichwege ver mutet. „Indem er (der Ultramontanismus) die Leute für einen — vielleicht guten — Zweck interessiert, will er sie von seiner Harmlosigkeit und Vortrefflichkeit über zeugen; er nimmt ihnen die Waffen aus der Hand, die sie doch gegen den größten Feind des deutschen Volkes, den Jesuitismus, tapfer schwingen sollten. In der Dres dener Antiduell-Liga hat der Ultramontanismus einen Vorposten für seine Arbeit ausgestellt. Es ist zu wün schen, daß evangelische Adlige nicht länger auf diesem Posten mit dem römischen Gewehr stehen bleiben." Berlin, 26. Februar. (Ein zwanzigjäh riges Rüstzeug der Sozialpolitik.) Wenn der Reichstag jetzt an die Revision der Kranken-Bersiche- rung herantritt, ist eS angebracht, in Erinnerung zu rufen, daß es im kommenden Sommer zwanzig Jahre werden, seit eS gelang, das Krankenoersicherungsgejetz zu verabschieden. Dasselbe war eine Notwendigkeit an sich, aber auch bedingt durch die geplante Unfallversiche rung, welche die leichteren Unfälle der Fürsorge der Krankenkaffen überließ. Es sollen sich diese beiden Ver sicherungen ergänzen, wobei die eine wie die andere be stimmt war, die — sei es durch Krankheit, sei es durch Unfall — beschränkte oder aufgehobene Erwerbsfähigkeit durch eine rechtzeitige und angemessene Fürsorge wieder herzustellen oder tunlichst zu ersetzen. Nachdem der Ge setzgeber erkannt hatte, wie aus dem Wege der Einzel- sürforge, auf dem Boden individueller Initiative der gewollte Zweck nicht zu erreichen und die gebotene Pflicht gegen Millionen von Arbeitern nicht zu erfüllen war, machte er sich stark — freilich unter heftigstem Widerspruch großer Parteigruppen —, durch Einführung des Ver sicherungszwanges mindestens die doppelte Zahl, als bis her möglich war, an versicherungsbedürsttgen Personen dieser Fürsorge teilhaftig werden zu lassen. Eine Novelle vom 10. April 1892 mit Gesetzeskraft vom 1. Ja nuar 1893 dehnte sodann um das Kranken-Versicherungs- gesetz mit den inzwischen erlaßenen Unfall-, Jnvaliditäts» und Alters-Versicherungsgesetzen in Einklang zu bringen, den Kreis der versicherungspslichtigen und versicherungs berechtigten Personen noch weiter aus; es wurden die im Handelsgewerbe und im Geschäftsbetriebe der An wälte, Notare, Gerichtsvollzieher, Krankenkassen, Berufs genossenschaften und Versicherungsanstalten angestellten Personen dem gesetzlichen, und die ländlichen Betriebs beamten dem statutarisch zulässigen Versicherungszwang unterstellt, ferner nicht versicherungspflichtige Personen mit einem Jahreseinkommen bis 2000 durchweg zur statutarischen Selbswersicherung zugelaffen. Hinsichtlich der Durchführung der Versicherung bezweckt das Gesetz grundsätzlich die gegenseitige, auf Selbstverwaltung be ruhende Krankenversicherung der Berufsgenoffen in kor porativen Verbänden, weil sie bet der relativen Gleich, heft der Krankheitsgefahr die rationellste ist, durch die bei ihr am leichtesten durchzuführende Selbstverwaltung einen wohltätigen moralischen Einfluß übt und durch die nahen Beziehungen der Kasienmitglieder zu einander di« zur Bekämpfung der Simulation unentbehrliche Kontrolle erleichtert. Im Gegensatz zur Unfallversicherung be schränkt sich die Krankenversicherung um dieser Kontrolle, sowie auch um deswillen auf die örtliche Organisation, weil es sich bei ihr um eine große Zahl minder ge wichtiger Fälle handelt, in welchen die Unterstützung, wenn sie ihren Zweck erfüllen soll, rasch geleistet werden muß. Gegenstand und Zweck der Versicherung ist nach dem bestehenden Gesetz, dem Versicherten eine allezeit sichere und auskömmliche Unterstützung bei Krankheits fällen während mindestens 13 Wochen zu gewährleisten. In der dem Reichstage jetzt vorliegenden Novelle wird diese Gewährleistung auf die Zeit von 26 Wochen aus gedehnt. Die Mindestleistungen, auf welche jeder Ver sicherte einen gesetzlichen Anspruch hat, umfassen: 1) vom Beginne der Krankheit ab freie ärztliche Behandlung und Arznei, sowie Brillen, Bruchbänder und ähnliche Heil mittel; 2) im Falle der Erwerbsunfähigkeit vom dritten Tage nach dem der Erkrankung ab für jeden Arbeitstag ein Krankengeld in Höhe der Hälfte des dcn^ Beiträgen zu Grunde liegenden Tagelohnes; oder an Stelle dieser Leistungen unter gewissen Voraussetzungen: freie Kur und Verpflegung in einem Krankenhause, nebst der Hälfte Feuilleton. Feierstunden. 8f Ei» Jahr aus einem Lebe». Bon EmtlRoland. Nachdruck verboten. Sie war stehen geblieben, von einer tiefen Trauer er faßt. Der Platz, den sie unvorsichtig verlassen hatte, war ausgefüllt. Eine fremde Gestalt drängte sich in ihr Heilig tum und stand mit festen Füßen darin, so recht wirklich und überzeugend wie nur denkbar. Hans Sachs hatte Hausmanns Manuskript ziemlich achtlos beiseite geworfen und war hinter dem Tisch her vorgetreten. „Die sehen ja aus, wie eine Frühlingsgöttin mit Ihren Blumen da!" sagte er galant — „oder wie.ein Botticelli mit Liltenstengeln! Natürlich sind Sie die Lektrice des alten Herrn, von deren phänomenaler Lunge er mir mehrfach anerkennend erzählt hat. Uobrigens habe ich auch die Ehre gehabt, zweimal Briefe von ihm an Sic d' ttert zu bekommen nach— wie hieß doch das Nest—Leuchten berg, da oben in Bayern. Ich schlug es, wißbegierig wie ich bin, gleich im Atlas nach, wo cs aber nicht stand, — al,o wohl ein sehr kleines Nest —, ein Nazareth, bei dem man sich fragt, wo etwas so Gutes wie Sic Herkommen kann?" Alles das plauderte er sehr gutmütig in einem leichten nachlässigen Ton — einem Ton, der gar nicht in dies Ge mach Paßte, das stets ein Sitz strenger Musen gewesen war. Mit Mühe antwortete sie irgend etwas Gleichgültiges. Da trat Hausmann ein, und mit einem Male war alles gut. So warm begrüßte er sie — so sehr freute er sich an ihren Blumen — so eifrig holte er ein paar schöne Kunst blätter herbei, die er kürzlich bekommen und gleich für sie zurückgelegt hatte. Und während sie neben ihm stand und ihre Wangen sich röteten aus Freude über den so lang entbehrten Ge nuß deS Verkehrs mit ihm, da fühlte sie noch einmal das Glück ihrer Feierstunden — bis zufällig ihr Auge über den Tisch schweifte und sie mit einem Male Hans Sachsens Blick auf sich gerichtet sah, der sie so erstaunt und kritisch, so überlegen und keck musterte. N«1n, »« »ar »i« alt, Freude nicht me-rl Und sie kam auch nicht, den ganzen Abend nicht — das störende Element war da. Sie empfand, wie bitter es ist^ jenes Wort: „daß da, wo einst dein Stuhl gestanden, schon andre ihre Plätze fanden" —, sie sah, wie eingebürgert der andere sich be nahm, wie er ganz der wohlbekannte Gast war, der die Lampe rückte, jede Eigenheit des großen Freundes kannte — der hier das Scepter einer harmlosen Tyrannei schwang, als sei er Herr über das ganze paus, auch üoer den alten Mann im Lehnstuhl. Und zum ersten Male geschah es, daß Hausmann Helene nicht vorzulesen bat — eine andere Zerstreuung war in die Mode gekommen. Hans Sachs ging an das Instrument, das wunder liche, kleine Spinett aus alter Zeit, und jagte über die Tasten mit seinen raschen, unruhigen Kingern und ent lockte ihnen Töne, wehmütige, wunderliche Töne, die wie vergessene Volkslieder klangen und in Hausmanns Ge dächtnis Erinnerungen wachriefen, die ihm Wohltaten — an Jugend, vergangene Sommer, und wer weiß was alles. Und plötzlich verfiel Hans Sachs in ein anderes Tempo und spielte etwas sehr Lustiges — und dann klang es mit einem Male wie Wagner oder Mascagni. Solch ein Greuel war ihr dies Klavicrspiel! Die Töne taten ihr weh. Aber ihm gefiel's, dem alten Hausmann — nach den arbeitsreichen Stunden war es ihm wie Ruhe in einer Oase. Sie las es in seinen Zügen. Sie wußte, daß sie ver drängt sei —, aus ihren Rechten herausgespielt durch den Klaviervirtuoscn dort — und sic begann ihn zu Kassen, den jungen Gesellen, der da so seelenvergnügt seine Weisen spielte und dann und wann sogar versuchte, über das alte Spinett und den alten Gelehrten hinweg mit ihr, der Jungen, zu kokettieren. DaS fehlte auch noch hier in Hausmanns Hause — zwischen dem schwermütigen Eros und dem so verdrossen dreinschauenden Hypnos solch ein banales Augenspiel! Sie brach auf, sobald er die erste Pause machte. Haus mann ließ cs geschehen; er sagte auch kein Wort von Wiedersehen, so htngenommen war er von der er innerungsreichen Stimme des alten Klaviers. Hans Sachs begleitete sie auf den Vorplatz. Er zog ihr, ohne daß sie es wehren konnte, den Mantel an; in stinktiv fühlte sie, wie er jetzt ihre Finanzen abtaxierte nach b«r Güt« sein«» «tla»futt,r», ihr,» Hut«» — ja, sogar ihren Schirm faßte er mit solch sonderbarer Be wegung an, als wollte er Inventur aufnehmen über ihre Sachen. „Eigentlich möchte ich Sie nach Hause bringen!" sagte er. „Das wäre wenig rücksichtsvoll gegen Herrn Haus mann", versetzte sie mit leisem Vorwurf. ,Ha, ja, solch alte Herren sind leicht empfindlich — rohe Eier —", und er öffnete die Haustür. Im Hintergründe brummte Frau Winter einen inhalt reichen Monolog ohne Worte. Helene eilte dahin. Das rasche Ausschreiten tat ihr wohl. Es kochte in ihr. Dieser junge Mensch, dies robuste Kind der Wirklichkeit, hatte ihm scheinbar alles ersetzt, was er an ihr gehabt. So unpersönlich also dachte er, daß es ihm ganz gleich gültig war, ob sie ihm vorlas oder ob der andere über die Tasten jagte — ob sie seine Manuskripte schrieb, oder ob er die Schreiberdienste tat, die sie in diesem Winter wochenlang mit so viel Seligkeit getan. Aber freilich, er war alt — ein „alter Herr", wie Hans Sachs ihn mit der Ueberlegenheit seiner eigenen grünen Jugend mitleidig nannte. Ja, für Hans Sachs war er vielleicht nur ein „alter Herr" — für sie ein Abgott, ein ewig junger, dem irdischer Jahreswandel nichts anzuhaben vermochte, weil er über allem Kalendermaß stand in der Glorie seiner Größe! Und nun hatte man sie entthront, aus ihren Himmeln gestoßen — und was nun noch auf sie wartete, das war das resignierte graue Dasein, das sic vor seiner Bekannt schaft geführt. * * * Es wurde ihr schwer genug, wieder hinabzusteigen in das einförmige Grau. Der Abend in Hausmanns Hause mit dem grellen Mißton hatte einen bitteren Nachgeschmack für sie; je mehr sie über ihn grübelte, um so mehr wurde er zur Kluft, die sie von den alten Freuden trennte. Sie konnte sich nicht entschließen, wieder zu ihm zu gehen, wieder die lieber- flüssige zu sein. Aber so langsam schlichen die Tage ohne Feierstunden! Zwischen Lenores Witzen und dem Lärmen der Pension quälte sie sich hin, und der Tauwind, der von den Alpen wehte und die Luft so beunruhigend durchtoste, hatte nicht den aufrührerischen Reiz für si«, mit dem er glücklichere «<mllt<r erfüllt,. Dazu kamen gemeine Sorgen. Sie hatte seit Ravenna mehr Geld verbraucht, als sic eigentlich gesollt. Sie hatte Kleiderluxus getrieben, so viele Blumen für Hausmann gekauft, so viele Bücher, die er zu lesen ihr geraten. Zum ersten Male zählte sie nach, wie viel dieser schöne Traum eigentlich gekostet hatte an Geld und Zeit. Das konnte so nicht weiter gehen. Sie mußte strammer arbeiten, besser aushalten, ihre Tage mehr mit Stunden geben und Skulpturentünen ausnutzen. Da kam nach einer Woche ein Brief von Hausmann, ein diktierter Brief, von Hans Sachs mit seiner korrekten, ausdruckslosen Schrift geschrieben, die so verwunderlich war bei seinem oft so inkorrekten Gebaren. Warum sie so lange fern bleibe? Sie wäre doch nicht krank? Ob sie nicht -es Abends in alter Weise kommen wolle? Er hätte auch eine kleine Ueberraschung sür sie. Natürlich schwanden gleich all ihre Vorsätze, fern zu bleiben — und sie ging hin. Diese Stimme rief nicht ver gebens. Hausmann war in bsso iders guter Stimmung, ja, er schalt sie sogar über ihr Ausbleiben. Ob sie solchen Reiz darin finde, entbehrt zu werden? Ob nicht der Reiz des Zusammenseins aber doch der größere sei — schon in An betracht der Kürze dieses Lebens? — „Freilich, Sie beiden Jungen", fügte er hinzu, „wie sollten Sie schon da;ii kommen, über seine Kürze nachzudenken." „Ich hab' das Gefühl, vor mir liegen noch Aeonen", sagte Hans Sachs. Er war die ganze Zeit zugegen, aber stiller als gewöhnlich, und doch machte er Helene nervös durch sein Herumschlendern im Zimmer, sei» Lccoe.i bleibe» in den dämmerigen Ecken, die das Licht der Lampe nur schwach erreichte, so daß man fast nichts von ' kali als die Kneifergläser, die immer wieder in ihre Richtung blitzten. Dabei hatte er beständig die Hände in den Taschen seines kurzen Jacketts, und dos beinahe Jockeyhaftc dieser ganzen Pose machte sie von Minute zu Minute gereizter. Hausmann reichte ihr lächelnd ein blaues ^eft. die Nummer einer bekannten Kunstzeitschrist — eine lange Besprechung les Buches über die Basiliken stand darin und ein glänzendes Lob ihrer Bilder, in jenen fein, geformten Wendungen gesagt, wie er sie in Vollendung zu brauchen verstand. Ob sie das freute? Kani es doch von ihm! Dann bat er sie zu lesen — Verse von Cardueci. Sie tat es — aber unsicher, denn aus der dnnkeln Ecke schimmerten «naushörlich Han» Gach»' Kn,ts«rgl»s«r so
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