Werte antiker Formgebung. Gewiß, kein Verständiger wird glau ben, daß vorher im Frankenreiche alle Reste antiker Bildung unter gegangen gewesen seien; schon der Fortbestand der Kirche mit der lateinischen Sprache des Gottesdienstes verbürgte auch das Fort leben eines gewissen Maßes von römischem Bildungsgut, und darum stoßen alle Nachweise über das Andauern von Studien in der Merowingerzeit auf offene Türen. Aber entscheidend sind Maß, Um fang und Ergebnisse dieser Studien, und wenn man überschaut, wie vom 6. Jahrhundert an bis tief in das 8. hinein ein Sinken der literarischen Kenntnisse und Leistungen im Frankenreich einge treten ist, wieviel reicher an Umfang, Formen und Gehalt die karolingische Literatur ist, und wie sehr dabei die Vorbilder der heidnischen und christlichen Antike anregend und erziehend ge wirkt haben, so wird man auch fernerhin von einer Karolingischen Renaissance reden dürfen, mag es sich auch nur um „eine Art Klassizismus“ 1 ) und Humanismus handeln, um eine „Rezeption“ der Antike, um eine „erste absichtliche Aufnahme des klassischen Altertums“ 2 ), die „als ein Mittel zur höheren geistlichen Bildung“ 3 ) trotz aller Schwankungen Bestand gehabt hat. Für diesen karolingischen Humanismus sind auch die erwachenden philologischen Studien bezeichnend, die an das 15. Jahrhundert erinnern und für die Überlieferung der antiken Klassiker so bedeut sam geworden sind: das Sammeln lateinischer Texte, das Abschrei ben und Vergleichen ihrer Handschriften, die Anfänge einer „kriti schen Philologie“. 4 ) Man weiß, wie diese Bestrebungen in der Tätig keit des Abtes Lupus von Ferri&res (841 bis etwa 862) und in seinem Briefwechsel ihren Ausdruck gefunden haben. 5 ) Seine Briefe 1) Naumann a. a. O. S. io. 2) W. Goetz, Das Wesen der deutschen Kultur (Darmstadt 1919) S. 10. 3) Ders., Renaissance und Antike (Historische Zeitschrift 113, 1914, S. 240). 4) L. Traube, Untersuchungen zur Überlieferungsgeschichte römischer Schriftsteller (Sitzungsberichte der Münchener Akademie, Phil. u. hist. Klasse 1891, 8.389 = Vorlesungen und Abhandlungen III, 1920, S. 4). 5) Ich benutze die letzte Ausgabe der Briefe von E. Dümmler, MG. Epist. VI, xff. Von den S. 806 zusammengestellten neueren Arbeiten vgl. namentlich L. Levillain, Iitude sur les lettres de Loup de Ferriferes (Bibliotheque de 1’lScole des chartes 62, 1901, S. 445—509 und 63, 1902, S. 69—118, 289—330, 537—586); Une nouvelle edition des lettres de Loup de Ferriferes (ebd. 64, 1903, S. 259—283); De quelques lettres de Loup de Ferneres (Le Moyen Age 32, 1921, S. 193—217).