14 Wilhelm Levison: Eine Predigt des Lupus von Ferneres wird die Predigt für das auf den 13. Dezember fallende Fest des Ortsheiligen entstanden sein, auf das zu Beginn und am Ende Bezug genommen wird. Im übrigen ist freilich von dem Heiligen nicht die Rede, mit keinem Wort wird auf seine Geschichte angespielt, wie es sonst in ähnlichen Fällen gern geschieht, und man darf aus diesem Schweigen viel leicht den Schluß ziehen, daß die älteste Vita ludoci J ) damals noch nicht vorhanden war, die man mit kaum zureichenden Gründen Alcvin zugeschrieben hat 1 2 3 ); allerdings kommt auch diesem Argu mentum e silentio keine Sicherheit zu. Denn die Rede ist ganz auf das Moralische eingestellt, auf „volkstümliche Ethik“, im Gegen satz etwa zu den Predigten König Roberts von Neapel, wie sie W. Goetz gekennzeichnet hat 8 ), bildet hier „das Naheliegende, das Menschliche, das Zeitgeschichtliche" den Inhalt. Die Sünden und die Nöte der Gegenwart werden im Hinblick auf die bessere Ver gangenheit miteinander in Zusammenhang gebracht, und im be sonderen gibt die Heimsuchung durch die „Piraten“, d. h. die Nor mannen, den Hintergrund ab. 4 5 ) So ist die Predigt ein Stimmungs bild aus der Zeit der normanischen „Hochflut“, etwa aus den Jahren unmittelbar nach 850 oder vielleicht noch eher um 860. 6 * ) Dennoch ist sie weniger wegen des Inhalts bemerkenswert als wegen der Person des Verfassers. Seine klassischen Studien finden ihren Ausdruck nicht in gelehrten Anspielungen, sondern nur in der Reinheit und der durchsichtigen Klarheit der Sprache. So ergänzt die Kenntnis der Predigt immerhin in bescheidenem Maße das Bild seiner Persönlichkeit. 1) BHL. 4504 sind die Drucke verzeichnet; dazu Trier a. a. O. S. 19—33. 2) Trier a. a. O. S. 4off. nach dem Vorgang von Mabillon (S. 42 Anm. 1 fragt er nach einer etwa vorhandenen Beziehung der Predigt zur Vita). 3) König Robert von Neapel. Seine Persönlichkeit und sein Verhältnis zum Huma nismus (Tübingen 1910) S. 31. 4) Die Normannen nennt Lupus auch sonst 'piratae’; s. Brief 110, 113, 116, 125 (S. 94, 34. 97, 33. 100, 2. 105, 2). 5) Brief 126 aus dem Jahre 862 erinnert mit einer Wendung an die Predigt; s. oben S. 11 Anm. 5. Über die Normannennot dieser Jahre vgl. außer dem Buche von Walther Vogel (1906) F. Lot, La grande invasion normande de 856—862 (Biblio- theque de l’licole des chartes 69, 1908, S. 5—62).