02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 06.06.1902
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1902-06-06
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19020606025
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1902060602
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1902060602
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- LDP: Zeitungen
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- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1902
- Monat1902-06
- Tag1902-06-06
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Der Zustand ist besorgnißerregend. * Sibyllenort, 5. Juni, Abends VZ4 Uhr. (Tele gramm.) Bei Sr. Majestät dem König ist soeben wieder ei« Anfall von Athemnoth und Herz schwäche eiugetrete«. Der Zustand ist besorgniß» erregend. Gezeichnet: vr. Fiedler. Dr. Selle, vr. Hossmau«. * Sibyllenort, 6. Juni, früh 7 Uhr. (Telegramm.) Im Bcsinden Sr. Majestät deS Königs ist insofern eine gcringeBesseruugeingetreten,als das Herz sich wieder etwas gekrästigt hat. Dem schweren Anfalle von gestern Abend folgte tiefer Schlaf, der mit kurzen Unterbrechungen noch jetzt anhält. Das allgemeine Schwächegefühl ist sehr bedeutend. Gezeichnet: vr. Fiedler, vr. Selle, vr. Hoffmann. *""Dkrsderr, tz. Jnni. (Telegramm.) Prinz Friedrich Augnst ist heute mit Schnellzug ^11 Uhr nach Sibyllenort abgereist. Nachmittag 4 Uhr 85 Miu. reisen Prinz und Prinzessin Johan« Georg. Prinz Georg ist bereits in Sibyllenort eingetroffen. — Ob der Landtag morgen geschloffen wir-, ist unter diesen Umstände« fraglich. Der Friedensschluß. Abrüstung. * Pretoria, 5. Juni. (Reuter'S Bureau.) Detvet ist, nachdem er seine höheren Officiere nach der Oranje-Tolonie entlassen hat, hierher zurückgekehrt. Die übrigen Abgeordneten der Boeren haben Vereeniging verlassen, um ihre Commandos aufzulösen. Dankesvoten. * London, 5. Juni. (Unterhaus.) In Erwiderung einer Anfrage setzt Chamberlain auseinander, daß die Regierung nicht allen Boeren, welche durch den Krieg Verluste erlitten, Ersatz und Hilfe ver sprochen habe, sondern die Regierung habe versprochen, daß Denjenigen Unterstützung gewährt werden solle, die nicht im Stande seien, sich das zur Wiederaufnahme ihres Handwerks nöthigc Werkzeug anzuschaffen. Die von der Negierung versprochene Unterstützung für die Wiederein setzung -er Leute in ihre Heimstätten solle allen in den neuen Colonien domiciltrten Unterthanen des Königs zu Theil werden. Der Erste Lord deS Schatzes Balfour beantragt hierauf die Bewilligung der Dotation von 50000 Pfund für Kitchener. Redner betont die Verdienste Kitchener'S und sagt, es habe in der Geschichte Englands wenige Generale gegeben, die mit größeren Schwierigkeiten zu kämpfen gehabt und mit größerem Triumph (l?) aus solchen Schwierigkeiten hervorgegangen seien. Der Antrag wird von Campbell Banner uw a n in warmer Weise unterstützt, von Dillon da gegen bekämpft. William Redmond bekämpft den An trag ebenfalls und sagt, Kitchener werde in der Geschichte als ein Mann dastehen, der gegen Frauen und Kinder Krieg führte. Diese Bemerkung giebt zu lautem Widerspruch von Seiten der Liberalen wie der Conservativen Anlaß; als Redmond weiter sprechen will, wir- -er Lärm so groß, daß -er Redner sich nicht mehr verständlich machen kann. Nachdem der Lärm ungefähr 20 Minuten angedauert hat, wird ein Antrag auf Schluß der Debatte mit 273 gegen 138 Stimmen angenommen. Die Dotation wir- dann mit 380 gegen 24 Stimmen b e- willigt; dagegen stimmen die Nationalisten und einige Radicale. Als Balfour hierauf beantragt, den Offi- cieren und Mannschaften den Dank des Hauses aus zusprechen, erheben die Nationalisten lauten Lärm, was dem Sprecher Anlaß zu der Aufforderung giebt, im Jnter- cffe der Redefreiheit Unterbrechungen zu unterlassen. John Redmond erklärt, der Lärm sei von den Nationa listen erhoben worden, um gegen die William Redmond zu Theil gewordene Behandlung Einspruch zu erheben, die irischen Nationalisten seien energische Beschützer der Rede freiheit. Balfour fährt hierauf in seiner Rede fort und spricht sich in anerkennendster Weise über die von -en Truppen bewiesene Haltung aus. Redner erwähnt die vcn den Colonialtruppen geleisteten Dienste und sogt, der Krieg könne als Beispiel dafür dienen, was vom rein militärischen Standpnnct aus das britische Reich zu leisten im Stande sei, wenn alle einzelnen Theile des Reiches überzeugt seien, daß das ganze Reich sich in großer Noth befinde. Das Dankesvotum wir- hierauf mit 382 gegen 42 Stimmen bewilligt. * London, 5. Juni. (Oberhaus.) Das Haus be willigt die Dotation von 50 000 Pfund für Kitchener und nimmt einstimmig das Dankes votum für das Heer an. Lord Salisbury zollt den Leistungen des Heeres warme Anerkennung und fügt hinzu. Mancher habe behauptet, es würde besser sein, die Mannschaften für das Heer durch Aushebung zu ge winnen; wir sind aber stets damit zufrieden gewesen, daß wir unsere Truppen durch Gründe der Vaterlandsliebe und derEhref?!) heranziehcn, und haben dieseWahl niemals zu bereuen gehabt. (Beifall.) Lord Salisbury hebt dann die Loyalität der Colonien hervor, die England in den Stand gesetzt habe, der Feindseligkeit und Bosheit aller seiner Gegner zu trotzen und den Krieg zu Ende zu führen. In den Augen der Welt stehe England stärker da als je, und man habe sehen können, baß, obgleich das Land ganz von Truppen entblößt gewesen sei, Englands Suprematie zur See und seine Stellung in der Welt ge nügt hätten, das Land zu schützen; England sei nie stärker gewesen, als in der Zeit -er größten Gefahr. Politische Tagesschau. * Leipzig, 6. Juni. Das Cent rum bat gestern im Reichstage wieder einen kleinen Triumph gefeiert: das von ihm eingebrachte „Tole ranz gefetz" ist in dritter Berathunz nach der Fassung der zweiten Lesung mit 163 gegen 6 Stimmen angenommen worden. Das Centrum begleitete die Verkündigung dieses Ergebnisses mit lebhaften Bravorufen, deren triumphirender Ton ganz anders klang, als die beschwichtigenden Versicherungen, mit denen der Abg. Bachem die Verhandlung gestern wieder einleitete. Er behauptete, alle Welt habe sich von der vollkommenen Harmlosigkeit des Antrag- überzeugt und das anfängliche Mißtrauen sei geschwunden. Wie wenig diese Behauptung begründet war, ging auS der folgenden Debatte hervor, m der die Redner der Nationalliberalen und der Freiconservaliven, die Abgg. Hieb er und Stockmann, die Gründe hervorhoben, auS denen auch nach der Annahme deS Oertel'schen Antrages in zweiter Lesung die staatsrechtlichen und interkonfessionellen Wirkungen deS Gesetzes keineswegs harmlos erscheinen. Der Abg. Deinhard hielt überdies dem Abg. Bachem das Verhalten deS bayerischen Centrums gegenüber den Altkatholiken vor und der Abg. Stockmann erörterte, auf die Controversen der zweiten Lesung zurück greifend, die grundjätzliche Stellung des Katholicismus zur Frage der konfessionellen Toleranz, um das tiefgehende Miß trauen der nichtkatholischen Bevölkerung gegen die Absichten eines solchen Antrags aus dem Centrum nochmals zu begründen. Wäre Herr Bachem im Stande gewesen, diese Ausführungen zu widerlegen, so hätte er sich sicherlich nicht hinter die Aus rede verschanzt, er sei zwar auf die Widerlegung gerüstet, verzichte aber auf eine solche, weil der Reichstag sich nur mit der staatsrechtlichen, nicht mit der konfessionellen Seite der Sache zu befassen habe. Uebrigens mußte dem CentrumS- redner der Verzicht leicht werden, weil er der Annahme des von dem ursprünglichen „Toleranzantrage" gebliebenen Restes mit Hilfe der Socialdemokratie, der bürgerlichen Demokraten und sonstiger CentrumSanhängsel sicher war. Nun hat nur noch der Bundesrath zu reden. Und von diesem können wir uns nicht denken, daß er zu Uebergriffen der Reichs gesetzgebung auf einzelstaatliches, durch die ReichSverfassunz ausdrücklich reservirtes Gebiet die Hand bieten werde. Daß die königl. sächsischen Stimmen gegen das Gesetz ab gegeben werden, stehl ja bereits fest. Unter den Vorlagen, die in den nächsten Tagen noch den Reichstag beschäftigen werden, dürste die Aufmerksamkeit besonders auf die Vorlage wegen der ostafrtkantschcn Eisenbahn zu lenken sein. Es handelt sich um die Strecke Dar-es-Salaam bis Mrogoro, deren Schicksal bei der jetzigen Lage der Dinge leider sehr ungewiß er scheint. Der Vorschlag, diese Strecke zu bauen, ist auf eine Anregung des Reichstags selbst zurückzuführen, der im März vorigen Jahres eine Resolution annahm, worin der Reichskanzler ersucht wurde, behufs Erbauung dieser Eisen bahn entweder aus Grund eines mit einem Privatunter nehmer abgeschlossenen Vertrages, oder mit Hilfe des Pri- vatcapitalS aus annehmbarer Grundlage dem Reichstage eine Vorlage zu machen. Trotzdem ist es sehr ungewiß, ob das Interesse für diese Vorlage groß und lebendig genug sein wird, um im Plenum unter den gegenwärtigen Ver hältnissen eine Mehrheit dafür zusammen zu bringen. Hoffentlich werden alle colonialfreundlichen Mitglieder deS Reichstags eS al» ihre Pflicht ansehea, bei dieser wichtigen Entscheidung zur Stelle zu sein. Wichtig ist diese Ent- scheidung schon deswegen, weil ohnehin die Gefahr sehr gioß ist, daß die pessimistischen Strömungen, die unsere coloniale Thätigkeit bedrohen, zur Zeit dermaßen überhand nehmen, daß die Colonialmüdigkeit einen verhängnißvolleu Grad er reicht. Obwohl die principielle Gegnerschaft gegen den Colonialbesitz an Bedeutung im Allgemeinen eingebüßt hat, stößt doch die Betheiligung unseres Capitals an colonialen Unternehmungen gerade jetzt noch mehr als früher auf Wider stand und Abneigung. Bei den preußischen Conservativen scheint die erste entrüstete Aufregung über die Abweisung ihres agrarischen Vorstoßes tm Landtage bereits ruhigerer An schauung Platz gemacht zu haben. Die Organe deS Bundes der Landwirthe reden vorerst nicht weiter zur Sache und die „Kreuzztg." erklärt die Behauptung liberaler Blätter, daß der conservative Antrag einen Vorstoß gegen den Reichskanzler habe bedeuten sollen, als eine tendenziöse Entstellung. Das conservative Blatt glaubt auch nicht, daß die Freude der Linken lange dauern werde; denn von den Conservativen sei der Zweck, den sie bei dem Anträge im Auge hatten, vollkommen erreicht; „der Regierung sei vor dem Lande dargelegt worden, daß die weit überwiegende Mehrzahl der preußischen Landesvertretung auf der Seite der Compromißparteien des Reichstages stehe". Gewiß thun die Conservativen gut, den gemachten Fehler nickt noch durch weitere Aufbauschung und Verschärfung des Vorstoßes zu vergrößern; die Beweisführung der „Kreuzztg." aber ist recht mangel haft. Denn die 183 Stimmen, welche der Antrag Limburg- Stirum auf sick vereinigte, stellen noch nicht einmal die Mehrheit deS 433 Mitglieder zählenden Abgeordnetenhauses dar. Deshalb ist mit dem Resultat nicht sehr zu prunken, ganz abgesehen davon, daß die Herren, die für den Antrag stimmten, eine unzweideutige Abweisung ersahren haben. Wenn sie mit dieser rechnen, so wird ihnen jedenfalls auch der Fehler verziehen werden, den sie mit ihrem unstatthaften Anträge begingen. England schwimmt in Wonne. Auf KriegSruhm, ja auf KriegSehre haben die puren HandelSvölkrr nie viel gegeben, also die Völker, die ihre VertheidigungS- wie Eroberungs truppen miethen, wie man bei Bedarf Zugvieh miethet. Wie sehr die britische Nation diesen Charakter der Phönizischen besitzt, zeigt der Umstand, daß der englische Osficier, wenn er nicht von Mann und Weib über die Schulter angesehen werden will, sich außer Dienst nicht in Uniform zeigen darf. Er hat kein ehrenoeS Staudeskleid, und im Arbeitsrocke, der auf nacktes Geldverdieuen hinweist, erscheint man nicht in Gesell schaft. Gedanken über Waffenehre beunruhigen die Leute drüben überm Acrmelmeer nicht, Carthago überschlägt ein fach den Gewinn und ist beglückt, weil das gekaufte Blut und die Cbocoladentafeln der Königin Victoria sich schließlich doch rentiren. Es scheut sich sogar nicht, in Kirchen für den Raub zu danken, wie es die Helden der Abruzzen auch ge macht haben. Bei der Gelegenheit müssen die Prediger den Besuchern Vorreden, Britannien habe als Werkzeug Gottes mit der Unterdrückung vernicht sonderlich erwerbseifrigangelegten, also im Grunde heidnischen Boeren die Christenheit be reichert und besonders gut dotirt. Die Diener der anglikanischen Kirche werden vielleicht einen Vergleich mit den Kreuzzügen riskiren, natürlich nicht, ohne auf ihre Autorität zu versichern, daß der endgiltige Erfolg der südafrikanischen Expedition sie als weit gottgefälligeres Werk erscheinen lasse als die nicht von dauernder Behauptung deS heiligen Jerusalems ge- Feuilleton. üj Verfehlte Liebe. Roman von E. Hein. Nachdruck urrdoteu. E8 War ein Wog von einer Stunde. M» er völlig nüchtern geworden war, machte er sich wegen seine« Vorhaben- Vorwürfe. Was ich draußen will? Sehen will ich sie, ich muß sie noch einmal sehen, da- Mädchen macht mich ja wahnsinnig. Und eine andere Stimme flüsterte: HanS, Du, ein Mann von dreißig Jahren, mit so vielen Liebschaften hinter Dir, sei kein Thor, begehe keine Dummheit, Du verfällst der Lächerlich keit. Nein, meinte die andere Stimme, erst recht, geh' hinaus, vielleicht erlangst Du etwa«. In erster Linie bist Du Polizei assessor, vielleicht steigt heute wieder Jemand ein, dann bist Du Mensch, ein warmblütiger Mensch, vielleicht kommt ihr Liebster heute wieder, da kannst Du ihn ja sehen, diesen Nebenbuhler. — Ha, ha, vielleicht ein Knecht auS dem Nachbarhaus. Man liebt manchmal so etwas. Dummheit, diese« herrliche Geschöpf und solche Gedanken! Und bei dieser Discussion in dem armen Gehirn gingen die Füße ihren Weg für sich, und eS schlug s/z4 Uhr, als Krüger auf der dunklen Dorfstraße sich forttastete. Nun mußte sie doch auch gleich kommen. Sie haben doch jeden falls einen Wagen. Krüger lauschte. Kein Geräusch ließ sich hören. Er stand und stierte in dem Halbdunkel zu dem kleinen Giebclfenster hinauf. Fest zog er den Mantel um seine Schultern. Da hörte er schlürfend« Schritte. Er schlich sich in die Schlippe und drückte sich an den Anbau an Friedrich'« Gut. Plötzlich faßte eine starke Hand seine Schulter. „Heda, wa» machen Sie hier?" fragte eine rauh« Stimme. Krüger erschrak. Er sah den Nachtwächter deS Dorfe dor sich. „Lassen Sie mich, ich habe nicht- Unrechte- vor." „Da- könnte Jeder sagen." „Aber ich sage eS in voller Wahrheit. Ich habe ein wenig promenirt." „In unserem Dorfe promenirt man nicht früh um 4 Uhr." „Ich bin doch auch au- der Stadt gekommen, ich wollte frisch« Luft schöpfen." „Frisch genug ist e« hier, da- ist wahr. Da» nützt Alle» nichts. Hier ist schon genug passirt. Daß ich damals nicht» ge- meldet habe, al» ich den Burschen in- Jungfernzimmer steigen sah, hat mich schon genug geärgert." „Wie sagen Sie, es ist hier Jemand eingestiegen?" Dem Nachtwächter schien seine Rede leid zu thun. „Ach, was fragen Sie mich, ich habe zu fragen, was Sie hier wollen." „Nichts, ich habe es Ihnen doch gesagt. Was war's aber mit dem Menschen?" „Ach Unsinn, kommen Sie jetzt mit." „Hören Sie", Krüger's Rede wurde streng, „ich bin von der Polizei, hier ist meine Marke, ich beobachte das Haus, lassen Sie mich gehen und geben Sie mir Antwort." „Fremde Polizei, die hat hier nichts zu suchen." „So, nun will ich Ihnen sagen, daß ich genau weiß, was hier vorgeht. Fräulein Friedrich ist heute Abend zum Balle gewesen und wird gleich hier sein. Nun sehen Sie, daß ich was weiß." Statt Respect zu zeigen, lachte der Nachtwächter auS vollem Halse. „Sie wären mir eine schöne Polizei. Sie wissen gar nichts. Friedrich's wohnen seit anderthalb Monaten in der Stadt. Und übrigens", setzte er jovial hinzu, „wenn Sie mausen wollen, so werden Sie nicht viel finden. Sein Geld hat Friedrich mit genommen. Sie können auch gehen, machen Sie, daß Sie fort kommen." Krüger wollte etwas erwidern, dann besann er sich. Von einem Umzug Friedrich's nach der Stadt hatte ihm WeithaaS nicht- berichtet. Auch in den Alten wollte er nicht weiter dringen. Der schien doch nichts sagen zu wollen, er kam auf anderem Wege eher zum Ziel, und zu einer anderen Stunde würde man ihn zum Sprechen zwingen. Jetzt war die Haupt sache, wegzukommen. Mit einem „Na adjes" ging er. Da die Uhr jetzt vier Uhr schlug, war die Zeit der Nachtwache vorbei, der Nachtwächter ging nach Hause, um sich zwei Stunden hinzu- legen. Seine Frau war munter. „Du", sagte er zu ihr, „bei Friedrichen seinem Gute stand wieder Einer." „Der von früher?" „Nee, er war älter jetzt. Den früheren habe ich nicht genau gesehen. Ich sah ihn blo- über'- Dach klettern, und dann machte die Tochter da- Fenster auf." „Was wollte denn der jetzige?" „Hm, hm, er sagt«, er wäre von der Polizei." „Der Dummkopf, wo Friedrich'- in der Stadt wohnen. Der hat nicht zum Fräulein gewollt, der müßte ja wissen, daß sie nicht mehr hier ist." .Da» hab« ich ihm auch gesagt." „Was hast Du ihm gesagt, daß Jemand ins Fräulein ihr Zimmer eingestiegen ist? Ich habe Dir doch geheißen, Du sollst Niemand was sagen. Du hast ja auch dem Gendarm gegenüber geschwiegen." „Nu nee, ich habe ja nischt gesagt", antwortete der Mann kleinlaut. »Ich sage Dir's, halt's Maul. Erstens ist daS Fräulein immer gut zu uns gewesen und zweitens kann man mit dem Geheimniß noch schönes Geld verdienen, wenn das Fräulein heirathen will. Also nischt sagen." „Nee, nee", und damit legte er sich in sein Bette. Der Beamtrnball war daS einzige Tanzvergnügen, das Minna in diesem Winter genossen hatte. Sie war am anderen Tage sehr frisch und munter gewesen und hatte den Sonntag darauf daS Vergnügen, drei Herren zu empfangen, mit denen sie getanzt hatte, und die sich nach ihrem Befinden erkundigten. Außer dem jungen Keller, der mit seinem semmelblonden, glatt gescheitelten Haar, mit seinen wasserblauen Augen und dem sehr dünnen Schnurrbärtchen etwas blöde aussah und kein Wort mehr als allgemeine Phrasen sprechen konnte, war noch ein leib haftiger RegierunHsrath in den besten Jahren, diesmal war dies Ende der dreißiger Jahre, dagewesen, der ihr alles Mög liche vorgeredet hatte, und der im Hinblick darauf/ daß eine Mutter oder eine Anstandsdame nicht zugegen war, in einen etwas kameradschaftlichen Ton verfiel, der Minna befremdete, sie aber nicht abstieb, weil er die äußerste Höflichkeit wahrte. Der Dritte war ein junger Subalternbeamter, ein hübscher Mensch, Mitte zwanzig, mit dunkelbraunen Locken und Kneifer, der etwa- au« sich zu machen wußte, und der Minna durch seine belebte Unterhaltung, durch ironische Behandlung der Per sonen und seine nicht ungewöhnliche Bildung und Welt gewandtheit zu fesseln wußte. Obgleich sich Minna sehr in Acht nahm, stimmte sie doch oft den scherzhaften Ausfällen zu, so daß sich in dem Verlauf der Stunde seiner Anwesenheit der junge Sekretär als recht gern gesehen betrachten durfte. Al» er sich sein« Aufnahme auf dem Nachhausewege und bei dem schmalen Mittagsbrod, da» man ihm in seiner Stammkneipe draußen in Blumenthal vorsehte, vergegenwärtigte, glaubte er annehmen zu dürfen, daß er Minna nicht gleichgiltig sei, und daß er wohl bei geschickter Strategie die Hand de» reichen Mädchen» erringen könnte. Am anderen Morgen verdichtet« sich der Gedankt so sehr, daß er überhaupt kein Hinderniß mehr sah, und in Folge dessen waren seine Andeutungen seinen Kollegen gegenüber derart, daß sie an einer baldigen Verlobung nicht zu zweifeln brauchten — wenn sie wollten. Da ff« aber di« Auf schneidereien des schönen Willy Schwarz kannten, so glaubten sie vorläufig noch nichts. Eigenthümlicher Weise und glücklicher Weise hatten sich die Besucher nicht getroffen, der letzte war der Regierungsrath ge Wesen; sie hatten indessen so viel Zeit in Anspruch genommen, daß Herr Friedrich sehr ungeduldig auf sein Mittagsbrod warten mußte, und daß er nicht gerade in der rosigsten Laune sich gegen zwei Uhr zu Tisch setzte. In Oelz hätte er gewiß ein paar grobe Worte fallen lassen, wenn Minna ihm die traditionellen Klöße mit Sauerbraten und Apfelmus in ihrer Buntdruckschürze so spät vorgesetzt hätte. Hier im eichenen Speisezimmer mit der ejektrischen Klingel über dem Tische und dem gut eingerichteten Dienstmädchen, bei einem Mahle, das aus vier Gängen bestand, getraute er sich nichts zu sagen, um so mehr, als Minna vor Freude strahlte und ihn mit reizender Zuvorkommenheit be diente. Als sie nach der Suppe aufstand und an den Gläser- schrank mit seinen prunkvollen Pokalen und Bowlen trat, um eine angebrochene Flasche Wein herauszuholen, da streiften seine Augen wieder über ihre Gestalt, über ihre vollen Formen, ihr fein geschnittenes Gesicht und die prächtig modellirte Büste, und ein schwacher Blutstrom drang in seine Wangen. Er ertappte sich auf einen Gedanken, dem er schnell eine andere Rich tung gab; in dieser spann er ihn weiter und dachte zurück und verglich seine verstorbene Frau mit diesem Mädchen und empfand dabet, daß er doch recht wenig von seinem Leben gehabt habe, daß eine solche Frau doch ganz ander« beglücken müsse, als die, deren einziger Sinn auf die Wirthschaft gerichtet war und die au» ihren Holzpantoffeln und Kopftuch nur selten heraus gekommen war. Er wurde eifersüchtig auf den zukünftigen, noch unbekannten Schwiegersohn, und die Wallung in seinem Innern legte sich erst dann, als ihm Minna in harmloser Weise die drei Besucher geschildert hatte. Diese würde sie nicht heirathen, daS schien ihm sicher. Bisher hatte er sich immer noch gehen lassen, wie er war. Er hatte wenig auf sein Aeußere» gegeben. Seine Cravatte mußte ihm Minna anknöpfen, Handschuhe zog er gar nicht an, sein Spazierstock hatte nur eine gewöhnliche Hornkrücke, und seine Stiefeln hatte sein alter Dorfschuster noch gemacht. Das mußte anders werden. Er gab sich selbst keine Rechen schaft über seine Gefühle, aber da» wußte er, er wollte durchaus nicht mehr als Bauer erscheinen. Er erinnerte sich plötzlich, daß er die Realschule der Stadt bi» zur dritten Classe besucht hatte, daß er 1870 mit im Felde gewesen war, und daß nur sein streng konservativer Sinn ihn langsam in dieselben Bahnen der Lebenshaltung geführt hatte, in denen sein Vater
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