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Riesaer Tageblatt und Anzeiger : 07.02.1903
- Erscheinungsdatum
- 1903-02-07
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id1666408611-190302079
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id1666408611-19030207
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-1666408611-19030207
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungRiesaer Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1903
- Monat1903-02
- Tag1903-02-07
- Monat1903-02
- Jahr1903
- Titel
- Riesaer Tageblatt und Anzeiger : 07.02.1903
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Ihnen dös Geld Hoch a werkgerl. Jetzt können's döS am Ende doch noch zu 'ner neuen Deckung brauchen." Margarete war durch die Aufregung des letzten Tages noch so gelähmt, daß sie nicht die Willenskraft hatte, den Schein energischer zu verlangen; sie war so froh, das; wenigstens das Schlimmste überstanden schien, daß sie nicht weiter auf ihrem Willen bestand. Kurz vor Mittag ging sie mit erleichtertem Herzen nach Hause und schwor sich unterwegs, daß sie sich nie mehr in eine Börsen spekulation einlassen wollte, wenn sie nur diesmal wieder zu ihrem Gelbe kam, und der Kaufkurs ihrer Papiere wieder erreicht wurde. Häussinger war wieder völlig un befangen und schwävmte von den Fortschritten, die er an feiner Eva mache, und wie die vollständige Konzentration auf seine Arbeit, wenn er auch nichts dabei verdiene, doch sein Könnens die Höhe seines Auffassens steigere, und wie glücklich er sich in diesem selbstlosen Künstler schaffen trotz alles vergangenen Mißerfolges fühle. Mar garete hörte das alles an, aber sie wunderte sich, wie gleichgültig ihr das alles geworden war. — Zwei Tage später besuchte in den späteren Vormittags stunden der Bildhauer Reber, der Freund Häussingersj, den Margarete im Kunstvercin gesehen hatte, seinen Genossen und sah sich die fortgeschrittene Arbeit an.. Er fand, daß dieselbe einen großen Fortschritt über die erste Arbeit hinaus bedeute und sogar' einen mächtigen Eindruck mache, verhehlte aber dem Freunde nicht, daß er nicht recht absehe, wer sich eine solche Gruppe kaufen oder be stellen sollte, da sie doch allerhöch-stens in einer Galerie Platz finden könnte. Häussinger war sehr betroffen hier über; er hatte daran noch nicht gedacht; er sagte sich, daß der Freund recht habe, und starrte seine Arbeit lange mit einer tiefen Enttäuschung an. Mochte sie auch noch so vollendet sein, es war allerdings sehr möglich, daß er voll ständig ohne Aussicht auf einen Geldersolg gearbeitet hatte. Reber wollte eben gehen, als er plötzliche um Häus singer etwas zu zerstreuen und auf andere Gedanken zu bringen, sagte: „Höre einmal, bist du schon einmal auf der Börse ge wesen, um Dir das Treiben dort anzusehen? Es ist heute ein interessanter Tag; ich hörte vorhin, es sei ein un geheurer Kurssturz eingetreten, wie er seit Jahren nicht dagewesen ist, infolge eines Telegramms, daß Boulanger an die deutsche Grenze gereist und dort zu Pferde gesehen worden sei, wie er Truppen, musterte. Man hat einen Einfall der Franzosen in Deutschland deshalb gefürchtet, und infolgedessen ist ein Börsenkrach da, der alles über trifft, was seit Jahrzehnten erlebt ist." Häussinger zuckte die Achseln und meinte: „Was? Boulanger? Dieser politische Hanswurst sollte das ver anlaßt haben?" „Erlaube, er ist jetzt der große Mann in Frankreich und die Börse erwartet jedenfalls alles von ihm, zumal die Pariser Hochfinanz ja schon Geld genug in den Kerl hineingesteckt hat!" „Nun, d^a muß ich mir die Geschichte doch einmal an sehen," meinte Häussinger; „ich habe keine Ahnung, wie es bei so einem Kurssturz zugehen mag an der Börse." Er legte seine Arbeitshölzer hin, spritzte eilig sein Ton modell an, umwickelte es mit feuchter Leinwand und zog seinen Ausgehrock an, um Reber zu folgen. Nach einer Viertelstunde etwa kamen sie am Börsen gebäude an, vor dessen steinerner Freitreppe einige Grup pen von Leuten standen, nervös gestikulierend und mit abgespannten Gesichtern unruhig umherschauend, als möch ten sie irgend etwas unternehmen und wüßten nicht, was. Irgend ein Telegraphenbote flog schnell die Treppe hinauf, »M die neueste politische Nachricht zu übDybringen. Oben zum Tore trat eine Frau heraus und lehnte sich mit einem ohnmächtigen Ausdrucke an die Säule des Cinganstores an. Sie legte den Kopf au den kühlen Stein von den Seite und starrte ausdruckslos vor sich auf den Platz hinaus- Es mußte eine Verlustträgerin sein, und der Ausdruck ihres stummen Elends war so furchtbar, daß Häussinger und Reber rasch an ihr vorüber in die Gar derobe schritten, um abzulegen. Durch den Türvorhang, der sie vom großen Börsen saale trennte, hörten sie ein wildes Tosen und Brausen, wie wenn ein Gewitterwand in das Astwerk eines Waldes greift, ehe die gewitterschwangere Wolke Heranwehl. Tas Reden, Rufen, das aufgeregte Stimmendurcheinander von etwa tausend Menschen, die drinnen im Saale sein mußten, wirkte betäubend und nervenverwirrend auf die Hörer. Dazwischen wurden einzelne gellende Rufe laut, vereinzelte Schreie, wie der Gischt über eine Meeresbrandung auf spritzt, und plötzlich erhob sich ein wildes Jammergeheul dicht in ihrer Nähe hinter dem Vorhang." Es war eine Art von schrillem Angstgeheul, ein paar Hände faßten in den Vorhang und krampften sich in seine Falten ein, dann stürzte ein Mann mit allen Zeichen plötzlich eingetretenen Irrsinns heraus, die Augen in ihren Höhlen übergedreht, der Mund und das ganze Gesicht krampfhaft verzogen. Der Mann schlug mit den Armen um sich herum und lallte dann nur noch unverständliche Worte, während zwei Saaldiener hinter ihm dreinsprangen, eine Dwoschkc vom Platze unten heranwinkten und den Mann fortzuschaffen suchten. Heftig crschiüttert durch diesen Vorgang und selbst von einem gewissen Angstgefühl erfaßt, traten nun die Künstler in den Saal, der oben von Tribünen eingefaßt war, während unten hinter ihren Schranken die Maker saßen, umdrängt von der wilden Menge, die sich in wirren Gruppen durcheinander schob, sich gegenseitig anschrie, Platz begehrte, die Hände erhob und bald die Worte Geld! — bald Brief! — Ich nehm'! — Ich geb! durch einander brüllte. Auf den Bänken am Rande des Saales saßen viele und rechneten emsig in ihren Notizbüchern, schrieben Zahlen und blickten mit selbstvergessenen Augen um sich. Andere saßen verlassen und mit dem Ausdruck völliger Geistesabwesenheit da, schienen vollständig teil nahmslos und wußten nichts anzufangen. Hie und da kam in einzelne Gruppen eine besondere Bewegung, ein neuer Kurs Ivar ausgerufen worden; einzelne Leute drängten sich! dann aus der Gruppe heraus mit einem entsetzten Gesicht, während andere mit dem Ausdrucke spannungs voller Gier herantraten, um zu sehen, ob hier für sie ein Geschäft wäre. Im ganzen war der Ausdruck der Bestürzung, der Enttäuschung und jener ziellosen Angst der vorwiegende, welcher die Verlustträgcr charakterisierte. Einzelne liefen, halblaut mit sich selber redend, hin und her und stießen Verwünschungen gegen Boulanger aus, diese Ursache des rapiden Fallens der Kurse fast aller Spekulationswerte, während jntancher Baissier mit; schlecht verhehlter Spannung und Gier wartete auf den möglichst niedrigen Kurs, auf den er spekulierte. Häussinger wunderte sich, welch ein raubtierartiger Zug um die Gesichter der meistenMenschen in dieser ihrer Erregung lag; ihre Dtirnen schienen sich zurückzulegen; ihre Augen leuchteten gierig auf, um ihren Mund zuckte es nervös und krampfhaft. Männer sah man im Hinter gründe des wilden Gewühles stehen und in abgebrochenes Schluchzen ausbvechen über den Verlust ihrer ganzen Habe, die sie in wilden Spekulationen darangewagt hatten; un heimlicher anzusehen aber waren diejenigen, welche bau melnd einherwankten, als müsse sie ein Schlag treffen. Das alles schienen nicht mehr Menschen, das schienen nut die Schatten gestalten der Unterwelt, die Blut trinket VT STZ-LSSVTS« «'s: KI Z A- A SS niüssen, wenn sie für einen Augenblick ihre Sprache wieder finden sollten. Plötzlich hörte man draußen aus der Garderobe einen Schuß krachen; die meisten zuckten zusammen, wagten aber kaum, nach der Gegend zu sehen, woher der Schuß klang, denn mancher war selbst soeben in der Gefahr, Hand an sich zu legen, und wartete auf den Augenblick, wo der niedrigste Kursstand erreicht war, mit dem er seine Deckung und Habe verloren hatte, weil er nicht länger mitzuhalten vermochte. Und er konnte schon diejenigen sehen, die wie die Raben auf einem Schindanger warteten, um sich an seinem pekuniären Leichnam zu bereichern, indem sie in der Gegenmine standen. Ter ganze Saal bot das Schau spiel eines wilden Schlachtfeldes, wo in einzelnen, Truppen- lörpern miteinander gerungen, auf einander geschossen, geschlagen und eingehauen wurde, wo tödliche Wunden empfangen wurden, der Getroffene aus dem Kampfe weg taumelte, sich hinschlcppte oder niedersank, — eine Schlacht, wo man nur keine einzige Waffe sah, welche hieb und verwundete, kein Geschoß, welches traf, als wäre cs eine Gespensterschlacht, die mit wesenlosen unsichtbaren Waffen im tollen Handgemenge ausgefochten ward. Nur die Ent setzensschreie, das empörte Brausen von den Stimmen der Kämpfer wurde veriiommeu. Um so unheimlicher war das alles, als Häussinger nichts von der Bedeutung dessen verstand, was er hörte und sah. Er kannte nicht den Sinn der KunstauSdrückc und abgekürzten Redeformeln, die er um sich hörte, und welche diese ungeheure Aufregung in das dichte Menschen gedränge brachsten; er kannte ebensowenig die Natur des Börsenspieles und sah daher wle in eine fremde, aber für ihn um so entsetzlichere Welt der Verzweiflung, der spannenden Habgier und Gewinnsucht und der wesenlosen Wertverschleuderung hinein. Aus dem heftigen Gespräche zweier Männer im Gedränge neben sich hörte er, daß der eine vom anderen, einem sogenannten Pfuschmakler, eine Anzahl Papiere gekauft hatte, die der Verkäufer nie ge sehen und besessen hatte, die nun am Stichtag nirgends aufzubringen waren. Es kam ihm wie ein Traum vor, daß man kaufen und verkaufen konnte, ohne zu wissen, von wem man kaufte, ohne je die Ware zu sehen und zu wissen, ob sie überhaupt vorhanden war, daß man Gewinn oder Verlust dabei herausschkug, und baß aus allem dem ein so wahnwitziges Durcheinander der Angst, des Jam mers, der Verzweiflung werden konnte, wie cs um ihn tobte. Dicht neben ihm stürzte ein stark gebauter Manu hin, lag zuckend am Boden mit blau gerötetem Gesicht, sein Mund begann zu schäumen, seine Hände zuckten krampf haft über dem Körper hin und her, man wich! aus um ihn, die Diener trugen ihn hinaus, ein Schlagfluß hatte ihn im Entsetzen über den Verlust hingeworfen- Und aus den Reden und Gesprächen der Umstehenden hörte man noch von vielen anderen, die an diesem einen Vormittag bereits alles eingebüßt hatten und erbleichend wegge schlichen waren. Fortwährend kamen neue Berichte über den Fall und die Zahlungsunfähigkeit großer Bankhäuser; dann entstanden um die Schranken der Maklersitze neue Stauungen, neues Schreien, Bieten und Geben, und da zwischen erschallten immer wieder die Rufe derer, welche den neuesten Kurs irgend eines Papieres ausriesen, das gehandelt wurde, während man sich um die Säulen, an denen auf schwarzen Tafeln die festgestellten Kurse aus geschrieben waren, unsinnig herunrstieß. Ein besonders aufgeregtes Leben herrschte um eine Schranke, wo ein vereideter Makler mit seinen Gehilfen saß. Häussinger hörte hier sehr oft das Wort „öster reichische Kreditaftien", die fortwährend zum Verkauf an geboten wurden. Biele bleiche Gesichter sah man hier dicht zusammengedrängt auf die Makler starren; Reber klärte den Künstler auf, daß österreichische Kreditaktien eines der gesuchtesten Spckulationspapiere seien, und daß infolgedessen der allgemeine Vermögenszusammenbruch hier auch am stärksten sei. Diese Papiere hatten bereit- einen Kursstand erreicht so niedrig, daß man glaubte, er könne nicht mehr unterboten werden, aber alle Augenblicke hörte man Zahlen, welche ein rapides Sinken des Preises anzeigten, sodaß, in Prozenten a'usgedrückt, diese Papiere, welche im Anfang noch zu siebzig vom Hundert gehandelt wurden, augenblicklich bereits auf sechsundfünfzig gefallen waren. Häussinger hörte dieses Abstürzen der Zahlen, das auf den Lippen der Hörer immer einen neuen Ausdruck der Verwünschung und Bcsorsnis hervorrief. Mancher besaß Vermögen genug, um bis zu einem Kurse von siebenund fünfzig noch decken und sich hauen zu können; er mußte unter Verlust von vielen Tausenden verkaufen, sowie eine niedrigere Zahl ausgcrufcn wurde; mit sechsundfünfzig war er ruiniert. Mit aufgeregtem Interesse sah Häussinger, welche Verwüstungen gerade dieses Papier anrichtcte, all mählich wurde ihm aber dieser ganze Hexensabbath des Krachs und der Verzweiflung so widerlich, er kam in eine solche Entrüstung hinein über die Art, wie man hier, ohne zu arbeiten, ohne wirkliche Arbeitswerte und schaffend^ hervorbringende Tätigkeit zu gewinnen suchte, um sich statt dessen in wahnsinnige Verluste zu stürzen, er fühlte , sich von den Physiognomien dieser Menschen, von denen er so manchen auf der Straße mit intelligentem Ausdruck gesehen hatte, und der hier nun wie ein Blödsinniger umherlief, so angewidert, daß er zu Reber sagte, er hätte cs nicht aus, er wolle lieber machen, daß er nach Hanse tomme, zumal seine Frau ihn schon seit einer halben Stunde erwarten werde. Sie verließen zusammen die Börse, und Reber erzählte ' unterwegs, er habe gehört, auch der Ritt des Generals' Boulanger an die deutsche Grenze, der die Ursache dieser Börsenpanik war, welche in wenigen Tagen viele Tausende von Geschäften und reichlichere Tausende von spekulieren den Privatleuten vernichten sollte, sei lediglich ein Theaterstreich, ausgcführt im Dienste großer Bankgruppen, welche im allgemeinen Kurssturz eine große Säuberung der Börse von eingebildeten Werten beabsichtigten. Häussinger lachte dazu und sagte: „Das ist zwar eine scheußliche Ironie, wenn man eben gesehen hat, waS wir sahen, und all das Unglück bedenkt, das wir in dieser kurzen Zeit erlebten; aber es liegt eine gewisse Befrie digung darin, daß, wer so dumm ist, ohne reellen Unter grund Scheingeschäfte zu machen, dann auch durch ein Scheinmanöver der Börse zu Grunde gerichtet wird. Den» so hebt ein Schein den anderen selber auf." Tie Freunde trennten sich, und Häussinger eilte schneller nach Hause, um seiner Frau von dem, was ec eben gesehen, zu erzählen und sie nochmals zu warn« vor Geschäfteir, die zu einem so schrecklichen Ausgange führen finmten. Er klingelte an seiner Wohnung und wunderte sich daß nach längerem Warten nicht geöffnet wurde. Irgend eine dunkle, jähe Furcht vor etwas Unbestimmtem, Schreck lichem befiel ihn; er klingelte heftiger wieder, aber die Tür blieb vor ihm geschlossen, und er hörte auch nicht, daß drinnen auf dem Flure eine Tür ging oder irgend etwas sich regte. Sollte seine Frau nicht zu Hause sein? Aber man hatte doch am Morgen bestimmt sich verabrede^ abgesehen davon, daß sic wußte, er habe keinen Schlüssel mitgenommen und könne deshalb nicht in die Wohnung. Er suchte in seinen Taschen, um einen anderen Schlüssel zu probieren, der vielleicht paßte, während seine un bestimmte Besorgnis sich vergrößerte. Das Bild setnpk
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