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Riesaer Tageblatt und Anzeiger : 28.05.1904
- Erscheinungsdatum
- 1904-05-28
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id1666408611-190405284
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id1666408611-19040528
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-1666408611-19040528
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungRiesaer Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1904
- Monat1904-05
- Tag1904-05-28
- Monat1904-05
- Jahr1904
- Titel
- Riesaer Tageblatt und Anzeiger : 28.05.1904
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hinterlistig verschwiegen hätte". Vie begriff nicht, wie Ella „so" hätte sein können, and wollte ihr zuerst gar nicht verzechen. Zn» Grunde ihres Herzens freilich war sie fast ebenso stolz auf ihren allgemein beliebten neuen „Stiefichwager" wie «is die Stiefschwester, der in ihren Lugen kein anderes Mädchen, sie selbst nicht ausgeschlossen, gleic^am. Mit ihr und der Mutter sprach Ella ost von Rolf, mit andern selten, er dagegen ging gern auf jedes Ge spräch über seine „kleine Ilse" ein. So nannte er sie mit Vorliebe. Er hatte überhaupt hundert Namen für sie. Sie nannte ihn nur Rolf! Aber sie verstand in das kurze, beinahe harte Wort hundertmal einen andern Ausdruck zu legen. Er fragte sie wieder und wieder, ob sie ihn lieb habe, weniger, well er daran zweifelte, als weil er die Antwort, die sie nie müde wurde, ihm zu geben, immer wieder gern hörte. Sie stellte diese Frage nie. Warum nach etwas fragen, was so unumstößlich feststand? Wer die beiden beobachtete, hätte Ella zuweilen fast für kalt halten können, wenn sie jede stürmische oder heftige Liebkosung leise abwehrte, aber Rolf wußte es besser. Ihre Innige Natur wich vor jedem äußeren Zur- Schautragen ihrer Liebe scheu zurück, und doch sagte Hanna einmal im Tone fester Ueberzeugung: „Ella, ich glaube, du liebst Rolf mehr als Gott." Ma antwortete nicht darauf, aber sie sah erschrocken empor; da» Wort traf sie. Hatte Hanna recht? Hatte sie, wenn die Frage an sie Herangetretenhwäre, um seinetwillen ein Unrecht begehen können? Sie wagte nicht, es zu ent scheiden. Da» ein« aber wußte sie: sie hatte noch nie so fromm, so dankbar empfunden als in dieser Zeit ihres jungen Glücks. Sie war gern dankbar, und es war ihr ja bisher so leicht gemacht worden, es zu sein. Das Schicksal hatte sie während ihres kurzen Lebensfso saust und freund lich geführt, wie wenig andere Menschen Nachdem das Weihnpchtsfest und der erste Sturm von Glückwünschen, die ihre Verlobung hervorrief, vorüber war, folgte sie oiner Einladung ihcer Schwiegermutter, welche die Braut ihre» Sohnes kenNen zu lernen wünscht«. Rolf, der sie hatte hinbeKeiten wollen, wurde kurz vor der Abfahrt zu einem Schwerkranken gerufen, so daß Ella die Reise zu feiner Familie allein antreten mußte. Hätte sie gewußt, mit wie viel Vorurteil man dort ihrem Kommen eNtgegensah, sie hätte sich vielleicht ge weigert, allein zu reisen, aber sie konnte das nicht ahnen; Rolf» Verwandle, meinte sie, müßten ihr mit Liebe ent gegenkommen, wie sie ihnen. Die alte Pastorin Reichenbach liebte ihren Sohn herz lich und wünschte, wie jede andere Mutter wohl auch, ihn glücklich zu sehen; aber es wäre ihr lieber gewesen, wenn er es auf ihre Art und nach ihren Vorschriften hätte sein mögen. Sie hatte sich in ihrem Sinn alles so hübsch zu rechtgelegt. Rolf sollte noch gar nicht heiraten, sondern die jüngste seiner Schwestern, die allerdings ziemlich viel älter war al» er, auf ein paar Jahre zu sich nehmen. Später mochte er sich ja immerhin langsam und mit Be dacht ein hübsches, braves, gern auch reiches Mädchen wählen, aber tüchtig mußte sie sein, das war eigentlich die Hauptbedingung, die die Mutter stellte. „WaS nützt ihm ein hübsches Gesicht und noch so viel zärtliche» Getue," meinte sie sehr praktisch „wenn die Frau keine Suppe kochen und keine Strümpfe stopfen kann, wie eS sich für eine einfache Doktvrsfrau schickt? Wer mein Rolf ist auch verständig, er wird nie ein Mädchen heiraten, das nicht den Hausstand ordentlich versteht und spar- sam ist." DaS hatte sie ost, sehr oft gesagt. Und nun sah sie sich in ihrem Rolf st» bitter getäuscht, nun war alles so ganz anher» gekommen» al» sie es sich gedacht hatte. Ja, hübsch war Ella, ddrs sah man dem Bilde an, aber WaS nützte das? Und wie es mit ihrem Reichtum stand, konnte man auch nicht wissen! Als Stieftochter eines reichen Mannes, aufgewachsen mit allen Ansprüchen eines ver mögenden Mädchens, konnte der plötzliche Tod des Vaters sie ganz mittellos lassen. Dergleichen war schon Vst ge schehen. In der Tat, dieser Umstand war der Mutter nicht die Hauptsache, aber er kam doch auch in Betracht. Sie hatte einmal an ihren Sohn geschrieben, ob er wohl glaube, daß Ella ein Ei kochen könne, und er hatte ganz wohlgemut geantwortet, das halte er für sehr un wahrscheinlich Ella sei aber so geschickt in allen anderen Dingen, daß er nicht zweifle, sie werde sich alles, was sie etwa noch zu lernen habe, in kürzester Zeit aneignen, die Mutter möge nur ohne Sorge sein. Dieser Brief hatte die Pastorin entrüstet! Welch eine Verblendung! Hatte sie selbst nicht, obgleich sie von jeher praktisch und tüchtig gewesen war, während der sechs Jahre ihrer eigenen Verlobung immer noch zu lernen ge habt? Sie war dann freilich später eine Musterhausfrau geworden, unter deren Händen kein Ei und kein Fädchen Wolle verloren ging. Was war aber von diesem Kinde zu erwarten, das in weniger als einem Jahre Hochzeit feiern wollte, und stem noch die einfachsten Begriffe des Kochens fehlten? Wer was sie und die Töchter am meisten kränkte, obgleich am wenigsten darüber gesprochen wurde, war, daß man sie nicht vor der Verlobung um Rat gefragt hatte. Rolfs Schwestern waren viel älter als er, sie hatten seit vielen Jahren mit der Mutter die Sorge um ihn und sein Wohl geteilt, hatten sich, ohne daß er es wußte, wäh rend seiner Studienzeit manche kleine Entbehrung aufer legt, damit er sein Leben genießen könne. Nun bean spruchten sie aber auch an ihn und alle seine Angelegen heiten das erste Recht. Wir alle machen es ja so leicht ebenso. Wir bringen Opfer, die niemand verlangt, und wenn dann niemand den Preis, den wir dafür fordern, zahlen will, glauben wir uns zurückgesetzt und gekränkt und sind entrüstet über die böse Welt. Daß der Sohn und Bruder sich verliebt und verlobt hatte, ohne vorher ihren Rat einzuhvlen, trugen sie aber nicht etwa ihm selbst nach» sondern recht unlogisch der kleinen Ella, die angeblich einen so schlechten Einfluß auf ihn ausgeübt hatte. Mit solchen Gefühlen sahen sie Ellas Besuch entgegen- Was Wunder, wenn sie ihnen während desselben sehr wenige Dinge recht machen konnte, wenn bald die eine, bald die andere etwas ans ihr zu tadeln fand? Ja, so hatten sie gedacht, daß sie sein würde, so zart, so elegant, so leichtherzig und verwöhnt. Schon am ersten Abend stellte die alte Dame über das, was sie könne und nicht könne, ein ziemlich umfassendes Examen mit ihr an, das mit dem verzweiflungsvollen Ruf der Pastorin: „Wer Kind, kannst du denn gar nichts?" endete. Nein, sie konnte gar nichts, nur singen und zur Not ein wenig zeichnen ; aber sie, wollte gern alles lernen, wenn es ihr nur jemand zeigen wollte; — ob sie wohl ein Weilchen bei der Schwiegermama in die Lehre gehen dürfe? Nun, das war ja wenigstens guter Wille. Als aber Ella am nächsten Morgen in der Küche erschien, geriet die alte Dame fast in Zorn. In dem eleganten Morgen kleide und mit dem zierlichen Schürzchen und dem wilden Haar willst du am Herd stehen? Ich möchte dich über haupt bitten, das Haar, s o lange du bei mir bist, anders zu frisieren. Mit einer solchen Mähne kann man hier in der kleinen Stadt nicht gehen." So wurde denn das schöne, goldene Haar, das Rolf so liebte, in einen festen Knoten gezwängt. Man versuchte auch, es glatt und schlicht zu bürsten wie das der Schwe stern. Wer es wollte nicht gelingen. Und wie das Haar, so hätte man gern alles an ihr geändert und eingezwängt. Man meinte es. nicht böse, man hatte eben für die Poesie ihres Wesens und ihrer Erscheinung durchaus kein Ber- ständnts. Last die neuen Verwandten in vielen Dingen recht hätte«, daß ihr noch vieles zu lernen bliebe, das fühlte Ella gut; aber es war so fchfver, hier zu lernen. Arme, kleine Ella! Sie hatte nie vorher empfunden, was es heißt, in der Fremde zu sein. Einmal in der Dämmerung sang sie am alten Klavier Volkslieder. Sie liebte diese einfachen Melodien mehr al- alle andere Musik. Die Schwiegermutter, mit der sie allein im Zimmer war, saß in ihrem Lehnstuhl am Fenster und strickte. Sie hörte nicht gern „Liebeslieder". „Kennst du kein geistlich Lied?'" sagte sie endlich. Ella hielt einen Augenblick inne. Sie mußte erst innerlich einen Uebergang von dem Gedanken an Rolf, der sie während des Singens nicht verlassen hatte, zu dem Ge danken an Gott machen. Dann stimmte sie klar und weich Kinkels schönes Wendlied an, das ihr vor allen geistlichen Gesängen gefiel: Es ist so still geworden, Verrauscht des Wends Weh n," mit seinem schönen, friedevollen Refrain: „Wirs ab, Herz, was Dich kränket Und was Dir bange macht!" Ihr selbst wurde ganz feierlich und froh dabei ums Herz. Ja — was wollte sie sich auch grämen um die kleinen Widerwärtigkeiten, die sie nun zuweilen störten? Gott hatte sie ja lieb, so wie sie war — und Rolf auch Als sie schwieg, merkte sie, daß die alte Dame aufge- standen und hinter sie getreten war. Sie beugte sich nun über sie, küßte sie auf die Stirn und sagte freundlich : „Ja, singen kannst du, mein Kind, und ich glaube, du kannst noch etwas Besseres als das — beten.'" Es war das erste wirklich herzliche Wort, das sie zu Ella sprach. Endlich endlich war ein Ton angeschlagen, der in beider Herzen, wenn auch vielleicht nicht ganz gleich, Wiederklang. Von diesem Tage an war Ella lieber im Hause ihrer Schwiegermutter, aber sie empfand es' doch als eine Art von Erlösung, als Rolf nach vierzehn Tagen kam, sie zurückzuholen. „Sind sie unfreundlich gegen dich gewesen, meine kleine Lerche?" fragte er ängstlich als sie sich mit unge wohnter Zärtlichkeit in seine Arme warf. „Du siehst so verändert aus, was hast du mit deinem Haar ange fangen?" und er zog die Nadeln heraus, obgleich sie ihm lachend wehrte, so daß das sonnige braune Gelvck wieder in gewohnter Weise um ihr Gesicht fiel. Ach, er wußte nicht, wie sehr sie einer gefangenen Lerche geglichen hatte in der letzten Zeit, und sie sagte es ihm auch nicht. Sie wußte, sie hätte ihm weh damit getan. Ella sand ihr altes, Helles Lachen und ihren fröh lichen Sinn bald wieder, als sie erst wieder daheim war. Sie sang, wo sie ging und stand. Das Leben schien ihr so wonnig, und sie kam sich so reich und beneidenswert vor. Sie sang, wenn sie morgens ihr Haar kämmte und ihr liebliches, rosiges Gesicht ihr aus dem Spiegel entgegen lächelte. Die wußte, daß sie schön war, und freute sich dessen, wie man sich des Sonnlenscheins freut. Sie sang, wenn sie bei der Arbeit saß und zierliche Namen in die elegantesten Stücke ihrer Leinenaussteuer stickte. Sie sang, wenn sie mit hausfräulicher Miene in der Küche stand und sich von der Köchin, der alten Lis«, in 87 g die RegÄn der feinen Kochkunst einweihen ließ; denn her Vorschlag, den sie bei ihrer Heimkehr gemacht hatte, nun! alle- lernen zu wollen, was sich für eine Hausfrau schicke^ hatte ungeteilten Beifall gestrichen. Hanna hatte sogar beschlössen, sich ihren Bestrebung« anzuschließen. Rolf hatte zwar anfangs gemeint, er »volle nicht, daß sie sich am Herdfeuer die Hände schwach und die Augen rot mache, sie werde das später nicht nötig haben, sie erklärte ihm aber mit vieler Würde, eine Hausfrau müsse auch das verstehen, was sie nicht selbst zu tu» brauche, er solle nur seine Mutter fragen. Er fand es denn auch bald sehr hübsch, sie bei einem gelegentlichen Mvrgenbesuch so wirtschaftlich beschäftigt zu finden oder zum Mittagessen eingeladen zu werden mit dem ausdrücklichen Zusatz, Ella höbe eine Lieblingsfpeise für ihn gekocht. Ob die von ihr gelieferten Gerichte immer tadellos waren, bleibe dahingestellt. Genug, daß sie ge gessen und gelobt wurden. Leider fanden diese nützlichen Bestrebungen Ella- bald ein Ende. Frau Franziska, deren Gesundheit immer zart war, erkrankte so heftig, daß sie ununterbrochener Pflege bedurfte. Ella wich kaum von ihrem Bette. Sie hätte um keinen Preis die Pflege auch nur zum kleinsten Teil in fremden Händen gelassen, und Hannä mit ihrem zuweilen etwas geräuschvollen Wesen sah die Kranke nicht jo gern um sich wie Ella mit ihrem leisen Tritt, ihrer leichten Hand und ihrer sanften Stimme. Selbst ihre Nachtruhe opferte sie eine Weile, obgleich Rolf hiergegen Einsprache erhob, da ihre eigene Gesund heit so ungewohnten Anstrengungen nicht gewachsen sei. Ella schüttelte den Kopf, wenn er so sprach. „ES ist meine Mutter, Rolf, die meiner Hilfe bedarf, sie sieht nicht gern Fremde um sich, und ich bin ja jung und gesund." Und dabei blieb es. Einige Wochen ernster Sorge vergingen; aber als der Frühling mit Sang und Klang in die Well einzog, war Frau Franziska weit genug hcrgestellt, um eine kurze Ausfahrt machen zu können, oder, auf Ellas Arm gestützt, im sonnigen Garten auf und nieder zu gehen. Ella war durch die letzte Zeit verändert. Sie war bleich geworden, und die großen Augen erschienen durch die tiefen Schatten, die sich um sie gelegt hatte», noch größer als früher. Sie saß jetzt, da die Mutter ihre Pflege entbehren konnte, ost allein im Garten unter den blühen den Bäumen, untätig zurückgelehnt und mit einem Aus druck von Müdigkeit auf dem lieblichen Gesicht, der ihm früher ganz fremd gewesen war. Ja, sie schien zuweilen so erschöpft, daß sie nicht hörte, wenn jemand sie anredet«. Auch heute saß sie so nach ihrer Gewohnheit im Garten auf ihrem Lieblingsplatz unter dem großen Apfelbaum. Sie hatte ein Buch aufgeschlagen auf dem Schoße liegen, aber sie las nicht. Die mochte etwas sehr Ernsthaftes den ken, denn jetzt fielen Blüten vom Baum auf ihr Buch, ohne daß sie es merkte. Rolf trat in den Garten. Er war nur im Borüber gehen eingctreten, um ihr einen Strauß frischer Maiblu men zu bringen, die ersten im Jahre. Ma liebte sie sehr. Sie saß mit dem Rücken ihm zugekehrt und schien da» Oeffnen der Gartentür überhört zu haben; sie wandte sich nicht um. „Ella!" rief Rolf halblaut. Sie hörte nicht. „Ma, kleine Ilse!" rief er ein wenig lauter. Sie mußte tief in Gedanken versunken sein, denn sie saß ganz regungslos. Lachend ging Rolf auf sie zu, urü> indem er die Maiglöck chen ihr neckend in den Schoß warf, sodaß sie erschrocken emporsuhr, fragte er: „An was dachtest du so eifrig, daß du mein Komme» und Rufen ganz überhörtest? — an mich hoffentlich" „Riefst du? — Nein, ich hörte es nicht. Ist dir nicht
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