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Leipziger Tageblatt und Handelszeitung : 14.10.1906
- Erscheinungsdatum
- 1906-10-14
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id84535308X-190610143
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id84535308X-19061014
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-84535308X-19061014
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Handelszeitung
- Jahr1906
- Monat1906-10
- Tag1906-10-14
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Stelleo-Anzeiarn, sowie An- und Berkäufr 20 Pf, finanziell« Anzeigen 30 Pf, für Juserat« von auSwärt» 30 Ps. Reklamen 75 Pf, auSwärt» l Mark. Beilage» gebühr 4 Mark p. Tausend exkl. Postgebühr. Geschäft»anzrigrn an bevorzugter Stelle im Preise erhöht. Rabatt nach Taris. Anzeigen-Aunahme: AugnftnSPlass 8, bet sämtlichen Filialen u. allen Annoncen. Expeditionen de» In- und Au-lanbe». ür da» Erscheinen an bestimmten Tagen u. stützen wird keine Garantie übernommen. Haupt-Filiale Berlin C arlD un cke r,Herzgl.Bayr.Hosbuchhaudlg, Lützowitraße 10 «Telephon Vi, Nr. 4603). Filial-Expedition. TreS0eu,Marienstr.34. Nr. 511. Sonntag 14. Oktober 1906. 100. Jahrgang. »ar Aichligrtr vsm Lage. * Entgegen der Nachricht, daß der Borstand des Vereins für die Bergbaulichen Interessen am Mon- tag über die Forderungen der Bergarbeiter entsckeicen werde, teilt die Geschäftsleitung dieses Vereins mit, daß ein Termin für die Vorstandssitzung überhaupt noch nicht festgesetzt sei. — Heute sinven im Ruhrgebiet 207 Berg- arbeiterversammlungen statt. * Erzbischof Stablewski läßt in den Kirchen seiner Diözesen ein Schreiben verlesen, das sich gegen den deutschen Religionsunterricht wendet. (S. Dtlchs. R.) * Die Meldungen über die Montignoso-Affäre sind zum Teil unrichtig. (S. Letzte Dep.j * Ein Entlassungsgesuch Graf GoluchowSkis soll abgelehnt sein. Generalstabschef Graf Beck wird zur Disposition gestellt, nicht in den Ruhestand ver setzt. (S. AuSl.) * Der italienische Kriegsminister hat der römischen „Patria* zufolge die Anlage eines v erschanzten Lagers zur Verteidigung der Norvost grenze beschlossen. * Eine große Feuersbrunst hatte bis gestern abend 32 Gebäude, darunter 12 Wohnhäuser in Liebengrün (Thüringen) zerstört; daS Feuer dauerte noch an. Zrna. Wieder liegt der Oktobermorgen über dem Städtlein an der Saale, genau wie vor hundert Jahren. Nur daß heute keine Division Saint Hilaire und kein Korps Augereau «eine Zc te vor den Toren gespannt hat, keine Kaifergarde ihr „Vive 1'hmpsrour!" ruft, nicht Kanonengebrüll den Tag begrüßt, an dem Preußens Aar vor dem Adler eines Bona parte sich senken muß. Aber überall im Reich, von der Kieler B'^cht dis ,um Gestade des Schwäbischen Meeres, ge- denkt mau des Tages von Jena, doch nicht mit Scham oder Ingrimm ob des Sturzes einer alten Welt, sondern mit dem Bewußtsein, daß vom 14. Oktober 1806 an die Zeit datiert, die Alloeutschland zu Ehren in der Welt brachte, durch Tiefen und über Höhen nach Sedan uud Versailles geleitete, uns einen Bismarck gab und dem Deutschen den Weg in die Welt öffnete den er heute gehl und auf dem er trotz aller Steine, die geworfen, und Gruben, die gegraben werden, zu seinem Ziele kommen muß. Die Zeit ist in den Abgrund versunken, da das Wort Jena die Schamröte in preußische und sächsische Wangen rieb, die Urenkel derer, die bei Vierzehnheiligen und Köst hau geblutet, sind Kinder einer neuen Zeit, die kaum noch etwas weiß von lenen Tagen. Aber die Leute der historischen Parallele sind auf dem Plan und haben gute Tage. Sie graben aus der Vergangen heit aus. was ihnen paßt, und orakeln aus ihren Fundstücken für die Zukunft was ihnen gutsünkt, und es fehlt nicht an denen, welche das Wort, das Scharnhorst acht Tage vor Jena schrieb. „Was man tun müßte, das weiß ich Wohl, aber was man tun wird das wissen die Götter!" als Motto für ihr; Betrachtungen zum 14. Oktober nehmen und uns als echte Schwarzseher mit dem Tage von Jena graulen machen möchten. Es ist ganz müßig, an der Hand der Kriegsgeschichte die Gründe für die Niederlage an der Saale zu erörtern, Hohen lohe zu verdammen, Lannes und Augereau zu preisen; die militärische Niederlage bei Jena ist ein Faktum, das nur dem Kr.egsgeichichtler interessant sein kann. Aber an diesen Tag des Versagens des damaligen preußischen Söldnerheeres werden politische Betrachtungen geknüpft, die in ihrem Er gebnis nur zu ost geeignet ind, das frohe Vertrauen eines guten Deutschen in die Zukunft und Bestimmung seines Volkes zu trüben. Unsere Zeit ist ausgesprochen materialistisch geworden, und das Kennzeicl.en des Materialismus ist von jeher der Pessimis mus gewesen. Der Idealismus, diese mächtige Triebkraft des Germanentum^, hat nur noch einen bescheidenen Platz am deutsch»» Herdseuer. und auch den gönnt man ihm nicht mehr. Man hat „Jena" zum Titel einer Darlegung ge- macht, auS der hervorgehen soll, daß es mit uns als Reich in der Weltpolitik genau so schlecht stehe, wie es einst um das nachsrideiicianlsche Preußen in Europa stand, als Na poleon auf dem Landgrasenberge bei Jena die Kanonen sprechen lnß. Mit Vorliebe wird zum Beweis für unsere „verzweifelte" Lage die Tatsache ange'uhrt, daß die Liga Kaunitz in verstärkter zweiter Auslage heute vorhanden sei. Einst, als sich der Kreis um den zweiten Friedrich schloß, fehlte wenig- stens England unter den offenen oder stillen Gegnern. Heute ist es gerade England, das die Einkesselung des Deutschen Reiches betreibt, woran allerdings nicht zu zweifeln, und wir sind die lebten, die gleich dem Vogel Strauß den Kopf in ven Sand stecken, um die Jäger nicht zu sehen, nur daß wir gottlob kein Vogel Strauß sind, der vor den Jägern zu lausen braucht. Gewiß, man liebt uns nirgends^» der Welt. Aber wo liebte man ein n, der frstch mit in die Schüssel langt, aus der man bisher allein gegessen? Und wenn irgendwo ein guter Wille herrscht, so ist es der unserer getreuen Nachbarn, uns die Wege in der Welt zu verrammeln und uns Abbruch zu tun, so gut e» geht Das wissen wir sehr wohl. Ob es wahr ist, daß General French mit dem französischen Generalstab die Mobilmachungspläne gegen uns ausgetauscht, ob tatsächlich die „Landung von Tommi's, Reitern und Hochschotten in fünf französischen Häfen vorgesehen ist", stehe dahin, jeden falls kennen w-r den guten Willen beider, uns bei guter Ge legenheit das Fell über die Obren zu ziehen. Ob Sir Ed ward Grey tatsächlich die anglo-russische Allianz mit der Spitze gegen uns fertig bek'-mmen hat, wissen wir nicht, die Snmmuig der Londoner Hochfinanz für eine neue Russen anleihe spricht dafür. Da»u kommt die Hinfälligkeit des Dreibunde». Wie wir über Italiens Bundesgenossenschaft denken, haben Dir nrr Genüge an dieser Stelle oftmals dar- getan. Oestrrrcich ist ohne Zweifel „bov oernerucka", auch »I« KI bis MpstechppMdspesch« da» antdrückltch Lescheiat- gen müßte. Aber ob e^n Oesterreich-Ungarn unter Franz Ferdinand tatsächlich für uns der treue Waffengenosse blieb«, der es unter dem alten Kaiser ist, ob die Tschechen — des Thronerben Frau ist Tschechin! — und andere Herren Lust zur Hce.esfolge für den „Balkankonkurrenten" haben - ein Fragezeichen gehört hinter diesen Satz. Mag Herr Tschirschky auch in Wien und Rom dem Dreibund neues Blut in die welken Adern pump-n wollen — im Deutschen Reiche setzt keiner m-chr auf ihn. Auch die Idee, im Notfälle den Islam mobil zu machen, hat viel an Aussicht verloren. Seitdem wir törichterweise in der Sinaiafsäre vor der Zeit und ganz unnütz e.t.Lrten. daß wir England nicht in den Arm fallen, wenn es «em Großiürken an die Kehle geht, ist das Ver trauen der islamitischen Welt aus die Hilfe des Deutschen Reiches gegen Englands brutale Erpressung brüchig gewor den, und seit Algeciras ist unser Ansehen in den Hütten der Rechtgläubigen nicht größer geworden. Spanien und Portu gal — Valallen Englands, wenn dieses zum Kriege bläst. Bliebe Amerika? Aber der kennt den Aankee schlecht, der da glaubt, d-ß er auch nur einm Finger für unS krumm mache. Er würde seine wohlwollende Neutralität, die ihm nichts kostet, m't vielem Trara auspofaunen und beim Auskehren sich einen Te l der Beute zu-sichern wissen — daS ist das Gewisse. Item — man liebt uns nirgends in der Welt — aber 'och fürchtet man uns. Wir Huben gewiß die auswärtige Lage nicht zu rosa ge malt, vielmehr allerlei cleine Lichter weggelassen, die man mit gutem Rechte aussetzen dürste. Mit gleicher Sachlichkeit werden wir die Gegengewichte in die Wagschale werfen dürfen, welche die Last der Pessimisten hoch ausschnellen lassen wird. Gewiß, Bismarck ist dahin, und kein Mensch kann gezwungen werden, in Bülow einen vollwertigen Ersatz zu sehen — ein Politiker wird immer ein Mann der Anfechtung bleiben. Auch Moltke ruht in stiller Gruft — aber keiner wird im Elnste es wagen, zu behaupten, daß unsere heutige Armee n'cht der gleich sei, mit der Sedan erkämpft wurde. Mit dem albernen „Jena oder Seoan?" hat man Unheil genug angerichtct und getan, als steh» ob der lappigen Skandale in Mörchingen und Gumbinnen, die nur beweisen, daß menschliche „Schwächen" einzelner oft der besten aller Disziplinen zu widerstehen wissen, die ganze deutsche Armee am Pranger, als stehe ein neues Sedan vor der Tür. Man verschweigt aber leider, daß unsere Reiter in Südwestasrika Tag um Tag Beweis: von Mut und z^her Tapferkeit geben, wie sie auch vr, Sedan nicht größer zu finden waren. Aus die Skandal geschichten aus kleinen Garnisonen weisen die Brunnenver gifter mit Behauen hin, warum nicht auf das heroische Ver halten unserer Braven in Südwest? — Nehmen wir den besten aller Gründe an: Weil es noch als Selbstver ständlichkeit im deutschen Heere gilt, daß bis zum letz.en Atemzug jeder seine Pflicht tut. Man macht so viel Aufhebens von dem Todesmut der Japaner. Haben der „Iltis" bei Taku und unsere Afrikaner etwa wenige» geleistet? Und auch bei den Japanern wurde mit Wasser gekocht — es gab auch ein Regiment vor Prrt Arthur, das sich weigerte, ins Feuer zu gehen. Aber unsere Strategie? Lebt Moltkes Geist noch oder stehen wir auf diesem Felde vor einem neuen Jena? Tie schlesischen Manöoer, wo „nicht für den Photographen ge arbeitet wurde", haben eine Probe davon gegeben, und selbst die Nörgler haben keine Sorge verraten, daß „oben" nicht alles stimme, und die Herren Militärs der Fremdmächle haben ein B'ld gesehen, dessen Beschreibung wohl ihren Ka- binetten noch süe eine ganze Weile die Lust nehmen wird, mit uns anzubinden. Unser Heer steht vor keinem Jena. Und unser Volk? Gewiß, es besteht auch bei uns kein goldenes Zeitalter. Die Kollission zwischen den Traditionen einstmals privilegierter Stände, des Feudalismus, der Bc- amtenhierarchie und des KlerikalismuS, mit dem alles ni vellierenden Persönlichkeltsbewußtscin dauert fort und wird auch noch lange Reibungsslächen schaffen. Die Kämpfe um Lohn uni Rechte werden noch lange nicht schweigen. Aber darum von einem sozialen Jena zu reden, ist ein Unsinn. Im Gegenteil. Die Schlote rauchen und der Pflug geht, unsere Flagge weht in allen Häsen — cs wird Geld verdient, und das arme Deutschland ist heute ein behäbiger Kapitalist geworden, der sein Geld in aller Welt arbeiten läßt. Wer Augen hat zu sehen, wird längst gemerkt haben, daß unsere Industrie und unser Handel Wege einge schlagen haben, an die noch vor einem Menschenalter keiner zu denken wagte, und das macke in O-ermLn^.»'« i n st eine Formel der Aechtuna, ist heute zu einem Wort d^r Achtung geworden. Man liebt uns auch nicht auf dem Felde der Industrie und des Handels. Nicht nur der große Joe Chamberlain lief gegen uns Sturm, auch ander, möchten mit Mauern und Verhau uns den Weg in die Häfen und aui die Märkte sperren, aber der deutsche Handel ist nicht mehr auszuschalten, und auf manchem Platz der Welt singt man: Ein echter Mann mag keinen Deutschen leiden — doch sein- Waren tauft er gern. Aber im Reich? Steht der Reichsgedanke nicht vor einem Jena? Nichts poßt mehr in die Kreise der Feinde des Deutschen Reiches, als wenn anscheinend der alte Parti- kularismus sein Haupt wieder erhebt oder wenn die Reichs- feinde schwarzer oder roter Farbe einen neuen Scheinerfolg aufzuweisen haben. Aber stvei Tatsachen werden ihnen zu denken geben müssen: der Mannheimer Parteitag und die Entwickelung der Braunschweiger Frage. Die Sozialdemokratie merkt e- selbst am besten, daß von einer Erschütteruug d«S ReichSgedankenS durch die inter nationalen BrüderschastSfaseleien keine Rede mehr ist, und die Parti.ularisten im Gefolge des Cumberländers haben deutlich vernehmen können, daß man im deutschen Volke von heute kei Verständnis mehr hat für Bestrebungen, die dem Reichsgedonken heute irgendwie gefährlich werden könnten. Auch Vetsiimmungen zwischen Bundessürstrn, die einst dem jungen Reiche hinderlich sein konnten, wären heute gleich gültig gegenüber dem tiefeingewurzelten Bewußtsein des heute lebenden Geschlechtes, daß nur aus der Basis de» ReichSgedankenS das Deutschtum die Kraft I finden kann, seine Mission in der Welt zu erfüllen. Wer 1 von Reichdmüdigkeit redet, betrügt sich und seine Auftrag- I g«L«r. An d>c Weltmission seines Volkes glaubt heute jeder Deutsche, der nicht in engherziger Parteischulung den Blick für das Große verloren hat, und auf dem Wege zur Er füllung seiner Mission wird keine Macht das Deutschtum dauernd aufhalten können. In Sprache und Sitte, in Kunst und Literatur, in den Gewohnheiten geselligen Ver kehrs erstarkt der deutsche Gedanke, der Deutsche besinnt sich auf seinen Wert, und wer die Bauten unserer Städte schaut, sieht, daß unser Volk auch äußerlich dem Bewußtsein von dem Werte rein deutschen Wesens Ausdruck geben will. Ein I en a droht dem deutschen Volke nicht von England, Rußland oder Frankreich. Nur von einer Seite droht ihm der vernichtende Schlag, der seine Kraft in den Wurzeln treffen kann: wenn es der Legion des Ultramontanismus auf deutschem Boden gelingt, ihre Feldzeichen an der Spree aufzupflanzen, wenn der Traum der Römlinge aller Schattierungen sich erfüllt, alle Er rungenschaften deutschen Geistes zu pressen in die mittel alterliche Form engherzigsten KlerikalismuS und den Deutschen Kaiser statt zum Schirmherrn aller Deutschen zum ersten Patrizius des Papstes zu machen. Die Verkörperung der weltlichen Gewalt des Deutschtums auf der letzten Stufe vor dem Throne des mit der dreifachen Tiara Geschmückten - das ck» der Traum oer wahren und schlimmsten Feinde unseres lieben Vaterlandes. Wenn dieser Traum wahr würde — dann, nur dann hätten wir Grund von einem neuen Jena zu reden. Aber ge^en dies-n Feind stehen gottlob in deutschen Landen nicht Soldaten, sondern noch Tausende und Abertausende von Männern und Frauen, die das hüten, was uns groß gemacht: Die Freiheit des deutschen Geistes! Man drohte, alle Beiträge zu de» Parieikassen einstellen oder einen Gegenkandidaten ausstellen zu wollen. Mit dem Ver- zicht auf das einzige wirksame Mittel zur Bekämpfung der Trusts ist Roosevelt natürlich in den Augen der Trustgegner sehr gesunken. Was wird nun daraus? Wir fürchten, es kommt zu einem Kompromiß, das den Anschein hat, als solle cs die Auswüchse der Plutokratie beschneidest, in Wahrheit aber völlig nichtig ist. Die Amerikaner sind in solchem Blend werk groß. Vorläufig ist noch nicht festgestellt, ob Roosevelt der Kandidat für die Präsidentenwahl von 1908 sein wird. Viel mehr steht in der ersten Linie oer Sprecher des Repräsen tantenhauses, Cannon, ein Freund der Trusts. Wird dieser oder ein ähnlicher Mann der Einsatz in dem großen Würfelspiel sein, so ist die Niederlage der Republikaner gewiß, es sei denn, daß die Demokraten noch größere Dumm heiten machten. Nun schwebt aber endlich der Einfluß einer sehr bedeut' samen Instanz noch völlig in der Luft. Auch die Vereinigten Staaten haben einen Arbeiterbund, die Federation of Lavor, der nicht weniger als 2 Millionen Mitglieder zählt. Bisher bat dieser noch niemals eine Entscheidung über da» Votum seiner Mitglieder getroffen, obwohl oftmals die Frage aufge worfen ist, ob er nicht gut tue, von beiden Parteien Bürg- chaften zu verlangen, und sich derjenigen anzuschließen, die einem Programm am weitesten entgegenkomme. Jetzt tritt >ie Frage von neuem ernst an ihn heran. Wenn er es zu ge- chlossencm Auftreten bringen kann, so kann er wahrscheinlich >en Sieg hierhin oder dorthin lenken. Auf demokratischer Seite lockt der Haß gegen das Großkapital, auf republi kanischer der angeblich von den Schutzzöllen abhängige hohe Lohn. Eine Einigung wäre schwer. Ob nicht gerade dafür Roosevelt mit seinem schutzzollfeindlichen Programm der rechte Mann wäre? sioorevrll u«a vrvan, üir siegenpoie üer smrliküm>cve» t'sMili. Gegenpole — das will der demokratische Führer Bryan gar nicht einmal gelten lasten. Roosevelt, so sagt er in der «peziilich amcrilanstchen Ausdruasweiie, hat sich aus demo kratischen Planten eine Plattform gezimmert, d. h. aus demo- traisteyeil i»-iuuo;atz^n ein repuv.^anstcyes Programm zu» rechtgeichnitien; er hat „üemolrauiaw Kleider angelegt". Das ij: nun srnsich weit übers Ziel geichostcn, aber etwas Wahres ist daran. De: Haß gegen die gewaltigen -lutokratstchen Astozlalior.en, die die meisten wichtigen Produktionszweige in ihren Bann gebracht haben, die Trusts, ist die wichtigste Tricbieder auf demotratstcher Seile. Tenn den Silber schwindel haben ste selbst aus eigenem Antriebe ausgegeben. Bryan, icin lautester Apostel, sagt: der Bimetallismus ist tot. D<' eigentliche Freihandel, seiner selbst willen, ist kein Programmpunlt auf demokratischer Seite; man will mit dem Schutzzoll nur nicht jo extrem werden, wie die Republikaner eS getrieben haben. Bryan verkündet aus Haß gegen die Trusts: nieder mit den Schutzzöllen auf alle Artikel, die von den Trusts hergeftelll werden. Aber der Haß ist ein schlechter Ratgeber. Ob die Partei dem Führer so weit folgen wird, ist doch sehr zweifelhaft. Bryan hat es schon in einem anderen Punkte verschüttet Er Hot sich bei seinem triumphierenden Einzug in New Aork sür Verstaatlichung der wichtigsten Eisenbahnen ausgesprochen. Tagegen ist wgleich in seiner eigenen Partei heftiger Widerspruch laut geworden, denn man fürchtet davon erst recht die ärgsten Mißbräuche. Man glaubt, d. ß dann in der Eisenbahnoerwallung die bekannte Korruption eindringen werde und daß die siegreiche Partei ohne Rücksicht aus die Interessen des Publikums ihre An hänger mit Aeml rn und Stellen bei der Eisenbahn ver argen w rde Wenn Roosevelt von einem Teil seiner Partei abgedrängt ist, io gilt daS auch von Bryan. Im Staate New Jork kandidiert jetzt ein Großkapitalist und Besitzer vieler „gelber" Sensationsblätter, Mr. William Randolph H e a r st, um die Würde des Gouverneurs. Er ringt er am ersten DienStag im November, dem Wahltage, den Sieg, so wird wahrscheinlich Mr. Bryan zur Seite ge- chleudert, denn dann ist Hearst der Mann, der allein Chance Hut, den Staat New A)ork für sich zu gewinnen, ohne den die demokratische Partei noch niemals in der Präsidentenwahl gesiegt hat. Und Hearst ist zu einem guten Teil Vertreter des wildesten Imperialismus. Er hat viele Gegner, aber auch viele Anhänger, es'steht mit ihm darin ähnlich wie nut Bryan. Hearst ist noch sehr jung, etwa dreißig. Er ist mit dem festen Vorsatz, eine große politische Rolle zu spielen, in New 2)ork erschienen; augenscheinlich hat er Talent für das Zeitungswesen im Großen, seine Presse wirkt für ihn wie sie kann, sie ist einflußreich. Er hat es schon dahin gebracht, für den wichtigsten Gouverneurposten in den ganzen Vereinigten Staaten offizieller demokratischer Kandidat zu sein. Und alle Welt spricht von ihm als von einem künftigen Präsident schaftskandidaten, ia Präsidenten, sei es um 1908 oder später. Im Haß gegen die Trusts wetteifert er mit Bryan. Beiden gegenüber ist der jetzige Präsident Th. Roose- v e l 1 ein ganz anderer Mann. Er ist eine so respektable Persönlichkeit, wie selten eine auf dem Präsidentensiuhl der großen Revublik gesessen hat. Tas günstige Vorurteil, das er sich durch seine Teilnahme am kubanischen Kriege erworben hatte, hat er während seines Amtes als Präsident gerecht fertigt. Und doch ist etwas Berechtigtes an dem Worte Bryans, daß Roosevelt sich von seiner Partei getrennt und sich aus ^demokratischen Planken eine Plattform gezimmert habe". Die republikanische Partei ist die des extremen Hochschutz - zolls. Sie ist zugleich die Gönnerin der Trusts und empfängt von den Trusts die größten Summen für ihre Parteikassen, was in Amerika eine erhebliche Bedeutung hat. Roosevelt hat nun die Gefahr, die dem ganzen wirtschaftlichen Leben von diesen kapitalistischen Riesengebilden droht, sehr wohl erkannt, auch die Gefahr für seine Partei; sie muß damit rechnen, daß die große Masse der Trustgegner ihre Parteifahne verläßt. Desbalb hat Roosevelt bei mehr als einer Gelegenheit von Maßregeln gegen die Trusts ge- sprachen. Er Kat zugunsten der Arbeiter den Schiedsspruch gegen den Antbrazitkohlentrust gesprochen. Er hat nicht ge rastet, bis die elenden Praktiken des Fleischtrusts aufgedeckt sind. Und er hat das Gesetz veranlaßt, daß die Eisenbahnen, welche in mehreren Staaten zugleich betrieben werden, unter Bundesgesetz gestellt wSrden. Letztere» haben die Trusts vor- läufig damit durchkreuzt, daß sie daS neue Gesetz als ver fassungswidrig angefochten haben. Damit gewinnen sie wenigstens Zeit. Das einzige, womit man ihnen an den Leib könnte, ist, wie Bryan ganz richtig sogt, Freihandel für ihre Erzeugnisse; denn die auswärtige Konkurrenz können sie nicht in ihren Bann bringen. Auch Roosevelt hat mit diesem Gedanken ge spielt. Damit ist er jedoch einer solchen Gegnerschaft bei den Trust» begegnet, daß er sich vorsichtig zurückgezogen hat. Litt berliner Sails« Llenkadrt. Ein Prolog. Als ich kürzlich über die Entwicklung der Luftschiffahrt schrieb, war ich bis zu jenem Zeitpunkte gekommen, an dem der Wert und Nutzen des Ballon» durch den deutsch-franzö- ischen Krieg wieder erkannt wurde und die Lustichiffabrt gewissermaßen als Militär-Ressort einer gesicherten Zu kunft entaegensah. Von diesem Zeitpunkte ab, jetzt allo vor etwa 36 Jahren, begann auch der abermalige Aufschwung dieser Wissenschaft. Das Bestreben, Herr der Lüfte zu sein, ist eigentlich schon ebenso alt wie die Menschheit selbst. Durch die Erfindung des Ballons wurde es noch keineswegs befriedigt, denn macht- und willenlos war man seither den Strömungen der Luft preisgegeben. Ein „Luftballon" im engeren Sinne des Wor tes ist und bleibt ein Spielball der Lüfte; wohin sie ihn wehen, dahin ist er gezwungen, seinen Weg zu nehmen. Da» ag aber niemals in der Absicht des merstchlichen Geistes. Von dem Momente ab, al» er sich über die Erde heben konnte, wollte er auch dem Vogel gleich den Aether durchziehen, wollte im Fluge ein gestecktes ober erdachtes Ziel erreichen. In diesem Gedankengange finden wir daher das Urproblem des Lenken-Wollens, die Uridee des „lenkbaren" Luftschiffes. Bereits 3 Jahre nach dem ersten gelungenen Aufstiege »er Brüder Mongolfier wurde der erste Versuch >n i-icscr Richtung unternommen. Es handelt sich aber um ein Phantom, denn die Triebkraft des Ballons sollte ja der Wind, die Luftbewegung abgebcn, und der Erfinder vergaß ganz und gar, daß er es mit einem schon vom Winde getrage nen Körper, der keinen Widerstand zu leisten imstande ist, m tun hat. Ebenso scheiterte natürlich auch ein anderer Ver- uch, den der Genieoffizier M e u S n i e r unternahm. Doch in her Grundidee seines Unternehmens lag auch der Aus gangspunkt aller späteren, ja selbst der heutigen Forschungen, Senn Meusnier gebührt der Vorrang, vor allen den Gedanken entwickelt zu haben, baß ein runder Ballon mehr Luftwider- tand zu bewältigen hat als ein länglicher, sagen wir zigarren armiger. Dann gab Meusnier eine zweite bis zum heutigen Tage giltige Grundidee der Lenkbarkeit, indem er sagte, daß nur durch ben Antrieb einer Luftschraube die Vorwärts bewegung möglich sei. Diese beiden Hauptschlagworte ziehen sich seither durch das ganze Wesen der Ballontechnik unb wer ben bis in die allerjüngste Zeit bei allen Versuchen mit erwogen. Damals, zur Zeit Meusniers, gab es keine andere als die animalische Kraft die eine solche Schraube hätte treiben können, erst G i ff a r d, der zur Zeit der Dampskrast ähnliche Versuche unternahm, konnte insofern einigen Erfolg ausweisen, als sein Luftschiff zwar dem Steuer gehorchte, dem Winbe aber keinen Widerstand zu leisten vermochte. Und so endeten die meisten Versuche, ganz abgesehen von jenen Hirngespinsten, die in der Theorie entstanden und nicht selten ihren Ursprung dem Biertische verdankten. Mit dem Nutz- barmachcn der elektrischen Kraft und der folgenden Anwen dung dynamischer Kräfte war ein neues Stadium hcrein- gcbrochcn. Tas von Meusnier aufgeworfene Problem harrte der Lösung. Durch die Verwertung elektrischer Kraft traten aber auch neue Fragen auf, und bald batten sich zwei Parteien gebildet. Tie eine hielt den Ballon al» Tragmittel sür notwendig, die andere wollte ihn eliminiert sehen. „Leichter als die Lust" wurde der Fcldruf der ersteren, „schwerer al» die Luft" die Losung der anderen Partei. Die ihn leichter als die Luft wollten und wollen, erkennen im Ballon, also in dem gasgefüllten Behälter, den eigentlichen Träger der Last an unh wollen bieses in der Luft schwebende Beför derungsmittel durch maschinellen Antrieb unabhängig von allen Luftströmungen wissen. Das wäre also die „Lenk barkeit" des Luftballons im engeren Sinne des Wortes. Die andere Partei indessen, die eine Lösung des Flug problem» in dem Sinne: schwerer als die Luft, wünscht, zahlt die direkten Anhänger des Vogelsluge» in ihren Reihen. Co wie der Körper dcS Vogels durch die Schwingen allein zur Höhe getragen wird, wie er unabhängig von echem ibn selbst noch tragenden — sagen wir — tzebemittel schweben und ungeachtet der Luftströmungen sich bewegen kann, so wollen die Anhänger dieser Theorie ihr Luftschiff gebaut wissen, so es sich bewegen sehen. Beide Teile arbeiteten und arbeiten an der Verwirklichung ihrer Ideen. Zugestanden muß werden, daß mit der Theorie „leichter al» die Lust" bisher bedeutende Erfolge erzielt worden sind. Um diese aufzuführen, genügen Namen, wie Graf Zeppelin, der seit langem an dem Problem arbeitet, viele und barte Schläge erlitt, in allerjüngster Zeit aber einen glänzenden Erfolg errungen hat, ferner Santos Dumont, Lebaudy und der deutsche Hauptmann Parfeval. Es hieße nun ein Thema anschneidcn, das sich nicht auf diesem Raume bewegen kann, dessen Erörterung ein kleine» Buch sür sich beanspruchen würde, wollt« man diese ver such« auch uur -albw«W» einer kritisch«» Würdigung hier
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