Suche löschen...
01-Frühausgabe Leipziger Tageblatt und Handelszeitung : 29.10.1906
- Titel
- 01-Frühausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1906-10-29
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id84535308X-19061029013
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id84535308X-1906102901
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-84535308X-1906102901
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Handelszeitung
- Jahr1906
- Monat1906-10
- Tag1906-10-29
- Monat1906-10
- Jahr1906
- Links
-
Downloads
- Einzelseite als Bild herunterladen (JPG)
-
Volltext Seite (XML)
Bezuas.PrciS für Leipzig »uv Bor orte: I« der Hoipl» ikipeditton oder deren Au-gabestellea ad- gehoU «ouatlich: Ausgabe - (l «al tägliq) 70 Ps., Ausgabe 8 (2 mal täglich) SO Pf„ bei Zustellung in« Hau« A»«gabe St 80 Ps., Ausgabe 8 1 Mark. Durch unsere au«, wärligkn Ausgabestellen und durch die Post bezogen (1 mal täglich) für Deutschland und Oesterreich monatlich I Mark, für die übrigen Länder laut ZritungspreiSliste. Ties« Nummer lostet aus äs» allen Bahnhöfen und bei I II »I»I den ZeitungS-Berkäuiern Aepattto» uuü «rrvetttrau: JohanniSgasse v. Televbon Nr. 158, Nr. 22L «r. U7L Berliner AedaMunS-Bureau: Berlin dlV. 7, Prinz Loni» Ferdinand- Straße t. Telephon l. Str. 9S7L. Morgen-Ausgabe 8. rWWr TagMaü Handelszeitung. Amtsblatt des Rates und des Nolizeiamtes der Ltadt Leipzig. Anzeiaen.PreiS die 6 gespaltene PetUzeil« sür VeschästS» rnseratr au» Leipzig und Umgebung 25 Pf., Familien^ AohnungS- «. Stellen-Anzeigur, sowie An- and «erkäusr SO Pf, finanziell» Anzeigen 30 Pf, für Inserate von au-wärtS 30 Pi. Reklamen 75 Pf, auswärts l Mark. Beilage gebühr 4 Mark p. Tausend ezkl. Postgebühr. GeschäslSanzeigeu an beoorzugter Stelle i« Preise erhöht. Rabatt noch Tarif. Aazeigen-Anuabme: Auguftusplay 8, bei sämtlichen Filialen u. allen Annoncen- Lxveditionen des In- und ÄuSlanves. Für da» Erscheinen an beitiurmtea Tagen u. Plätzen wird keine Garantie übernommen. Hau-teFtliale Berlin: TarlDaacker, tzerzglÄayr.Hofbuchhandlg, Lützowüraßr IO «Telephon VI, Nr. 4603) Ailial-NrveSttion DreSden Marienstr 34 Nr. 526. Mont»^ 29. Oktober 1906. 100. Jahrgang. Var wichtigste vom rage. "In der russischen Botschaft zu Berlin fand gestern abend zu Ehren des russisch en Ministers des Arabern JSwolsky ein Diner statt, zu dem sämt liche Minister und Botschafter geladen waren. * In Berlin wurde heute das Lortzing-Denk- rn a l enthüllt. sS. Feuilleton.) * Unter feierlichem Gepränge trafen heute die Särge mit den Gebeinen Franz Rakoczvs. sei ner Gemahlin, seiner Mutter Ilona Zrint> usw. in Pest ein und wurden dort nach dem Stefansdom über geführt. iS. Letzte Dep.) * Die „Agcnce HavaS" erklärt daS von einigen Zei tungen gemeldete Gerücht von einem anarchistischen Komplott gegen Len Ministerpräsidenten sür unbegründet. vor Oer parlamrntarircbra Zaison. DaS Verhältnis der politischen Parteien zueinander und zur Regierung hat sich in der sommerlichen parlamentslosen Zeit nicht unwesentlich verändert. Als weitaus wichtigste Erscheinung muß es betrachtet werden, daß die regierende Partei sich in aller Form, in i*>rer Prelle wie in Parteiver- sauunlungen, der Sache der renitenten Polen angenommen hat. Es ist unausbleiblich, daß diese Haltung die Beziehun gen deS Zentrums zur Regierung in Preußen wie im Reiche beeinflusse» muß. Aber wie? Gilt der Dahlspruch auch beute noch: Nur keine inneren Krisen? Dann ist ei» mutige» Zurückweichen deS Kanzlers, deS Vertreter« der staatlichen Autorität, vor der polnisch-ultramontanen Koalition nicht unmöglich. Eine Blamage sondergleichen wäre daS Ergeb nis. Tenn man muß bedenken, daß der neue KnrS in der Polenpolitik durch ungezählte Reden der verantwortlichen Männer sestgelegt ist, daß man sich auch persönlich sestgelegt und da« öffentlich beteuert bat. Auch soll zugestonden wer den, daß in den letzten Jahren die Ostmarkenpolitik, wenig stens in ihren Zielen, nicht geschwankt hat, und daß hierin Rückgrat gezeigt worden ist. Wird fetzt also nachaegeben, weil die Zentrumspartei in ihrem oppositionellen Rückfall oder in ihrem Gefühl der Allmacht, von der Regierung ver langt, Harakiri zu verüben, so ist das der politische Tod. Eine solche Politik ist nicht mehr zu vertreten, vor dem Par lament nicht und vor der Oesfentlichkeit nicht, und vor allem darf es der Kanzler seiner eigenen Reputation wegen nicht. Seine Lage ist also höchst unbehaglich. Nachdem man sich einmal auf das Zentrum als Regierungspartei eingerichtet hat. unserer Ausfällung nach der Kardinalfehler der inner- deutschen Politik der letzten Jahrzehnte, ist es tatsächlich schwer, ohne das Zentrum auszukommen. Sickere parla mentarische Mehrheiten sind ohne die schwarze Kerntruppe von hundert Köpfen gar nicht zu bilden. Und wer aar ängst liche Scheu vor großen Aktionen hat, wer am liebsten in alt gewohnten Bahnen läuft, für den gibt es kaum einen andern Ausweg aus der Mistzre, als einen VerständiaungSversuch mit dem Zentrum. Man wird sich also auf neue Konzessionen an die Finsternis gefaßt machen müllen. Und wahrscheinlich wird diesmal das Re'ch die preußische Polenzccke bezahlen sollen. Ter Tolerauzantrag ist ja schon wieder anaekündigt worden. Auch bat das Jesuitengesetz noch immer den einen Paragraphen, der dem Zentrum durchaus überflüssig scheint. Aus diele Gefahr beizeiten hinzuweisen, halten wir leider für geboten. Tie Lage der Regierung wird diesmal um so schwieriger werden, als es ganz unvermeidlich ist. daß auck die national liberalen Fraktionen sich nicht mehr so willfährig zeigen werden, wie das die Regierung zu fordern gewohnt war. Es ist vielfach gesagt worden. Goslar habe für den linken Flügel der Partei die Bedeutung einer Niederlage. Und wir selbst haben cs gar nicht verschwiegen, daß das Stärkeverbältnis auf dem Parteitage zugunsten der FraktionSvolitik entschied, daß die Quietisten überwogen. Aber darüber soll man sich doch ja nicht täuschen, daß die Fraktionsvertreter schon vor und erst recht in Goslar sich außerordentlich liberalisiert hatten, vielleicht ganz unabsichtlich, in dem instinktive» Be streben. den Vorwürfen durch eiaene gut liberale Haltung die Spitze zu bieten Es sielen die Worte von der „allzu schlappen Negierung", der Abgeordnete Friedberg sprach von dem Kultusminister Dr. v. Studt in den abfälligsten Tönen. Ballermann war aufgebracht über den Vorwurf, zu wenig Kritik zu üben — das alles war, besonders in der Gesamt- beit, doch eine neue Erscheinung. Wenn man sie früher hätte beobachten können, wäre manches vielleicht anders gekommen. Wenigstens sind fetzt aber doch die Abgeordneten an diese Worte gebunden. Und ganz von selbst wird diese herbe Kritik die Fäden von den Fraktionen zu der Regierung lockern. DaS ist entschieden gut, denn eS wird der Parteipolitik größere Freiheit und Beweglichkeit geben. Der Reaierung freilich wird diese Wendung sehr unbequem sein. Aber sie wird nicht- daran ändern können. Der Druck von der Wählerschaft, von den rührigen Leuten in der Partei, ist zu stark. Ein neuer Beweis dafür ist ein Artikel, den die „Köl nische Zeitung" an leitender Stelle veröffentlicht. „Was der nationallibcralen Partei not tut", ist er überschrieben. Und wenn die „Kölnische Zeitung" ihn sich auch auS national- liberalen Kreifen hat schreiben lallen, so ist doch kein Zweifel darüber, daß sie ihn billigt. Wir setzen die wichtigsten Sätze deS Artikels, die zum Teil noch über unsere Forderungen binauSgeben, hierher: „Tie Nationalliberalen sind darauf angewiesen, dafür zu sorgen, daß die Grenzen ihres Einflüsse» scharf und deutlich hervortreten. Da» geht selbstverständlich nur durch Kritik, aber nicht durch jene feine und staatsmännische Kritik, die allerdings stets von unseren Abgeordnete» ge übt worden, die aber der konservativ geleitete» Regierung gegenüber nur in den Wind gesprochen ist, sondern durch eine Kritik, die vom Bolke gehört und vom Volke verstanden wird. Line solch« Kritik darf nicht hier und da ei»setzen, solcher» sie »uß systematisch sein und o»f längere Zeit ver teilt werde». Li»e solch« Kritik »och »icht t» erster Linie an die Zuhörer gerichtet sein, sondern sic muß zum Fenster hinaps gesprochen werden. Sie darf auch scharfe, zündende Schlagworte nicht scheuen, muß vielmehr gerade Wert darauf legen, die besten Schlager zu finden." Getrübt sind sogar die sonst so herzlichen Beziehungen der Regierung zu den Agrarkonservativen. Aul die Dauer tmrd die Regierung dem Ansturm wegen der Fleifchnot ja doch nicht widerstehen können. Und schon drohen die Agrarier mit Kündigung der Freundschaft, mit Entziehung des Vertrauens und ähnlichen Selbstlosigkeiten sür den Fall, daß die Negierung die Grenzen öffnet. Noch allerdings steht Herr v. Podbielski wie ein Fels im brandenden Meer. Aber ob nicht schon das Fundament längst unterwaschen ist? Die traditionellen Gesundheits rücksichten sind ja schon längst plausibel gemacht, und die „Deutsche Tageszeitung" gibt bereits fast täglich Bulletins heraus. Daß der Minister unmöglich ist, daß insbesondere ein Zusammenwirken des LandwirtschastsministerS mit dem Ministerpräsidenten undenkbar ist, weiß das Blatt natürlich ganz genau. Aber eS klammert sich an den Mann mit allem Egoismus, der dem Agrariertum von jeher im hohen Maße eiczen war. Es fürchtet, mit dem Minister könne auch das System zusammenbrechen, daher jene Tränen. Wir halten Herrn v. Podbielski für definitiv erledigt, glauben auch nicht daran, daß die Negierung es bis zum Aeußersten treiben und Herrn v. Podbielski noch einmal vor den Reichstag treten lassen wird. Den unvermeidlichen Hexensabbat möchten wir doch gern in unserer Parlamentsgeschichte ver- millen. Die übrigen Parteien sind schnell erledigt. Mit Frei sinnige« und Sozialdemokraten bat die Regierung nie gut gestanden, und an dieser Tradition kann nicht gerüttelt wer den, so lange der Freisinn in seiner verständnislosen Nega tion verharrt. Einzelne Ansätze zur Besserung sind ohne Zweifel vorhanden, man stimmt manchmal bereit- für mili tärische Forderungen, aber schleuniger Rückfall in die Nega tion auf anderen Gebieten sorgt dann sür die Vernichtung der zarten Hoffnungen. Nur zur Abrundung dieses Ueber- blickS sei noch deS spaßhaften Anfalls von Bürgerstolz vor Fürstentronen gedacht, den die Freikonlervativen jüngst in Breslau erlitten. Ihn ernst zu nehmen, liegt kein Anlaß vor. Auch die Regierung wird sich seinetwegen leicht zu trösten wissen und den mutigen Rednern verständnisvoll zu blinzel» .... Wir wollen die Gelegenheit zur Erinnerung an eine par lamentarische Frage technischer Natur benutzen. Kurz vor der Vertagung deS Reichstages wurde zur Diskussion gestellt, ob es sich nicht empfehle, den Reichstag nur an vier Tagen wöchentlich, von Dienstag bis einschließlich Freitag, zu- sammentreten zu lassen. Tas würde sicher, neben den Diäten, zur Minderung des bösen Absentismus beitrogen. Es er leichtert die Kommissions- wie die Plenumsarbeit und läßt der Presse die dringend nötige Zeit, einen Ueberblirk zu ge winnen und sich mit wichtigen Details näher vertraut zu machen. So viel wir wisse», sand dieser Vorschlag viel An klang, wenn auch seine Durchführung damals, am Ende der Beratungen über die Reichsfinanzresorm und das Budget, nicht möglich war. Aber jetzt ist es Zeit, sich seiner zu er innern. Und deshalb bringen wir ihn noch vor Eröffnung des Parlaments wieder aufs Tapet, damit man sich noch ein gehend mit ihm beschäftigen kann. «ertnreich «na Ungarn. Der Magyarc fühlt sich verletzt, wenn man von seinem „Kaiser" spricht, wenn man ihn als einen Bürger der öster reichischen Monarchie bezeichnet. Seitdem in einer unglück lichen Stunde der Dualismus einoesührt und damit den andern Wühlern des Reiches ein so gefährliches Beispiel gegeben wurde, ist der Dünkel der Magyaren unablässig ge stiegen. Sie können kaum die Zeit erwarten, wo auch das „Kaiser von Oesterreich und König von Ungarn" der Ver gangenheit angehört, und es heißen soll: „Der Kaiser von Oesterreich und der König von Ungarn" — wie in Nor- wegen aus Aerger, daß so ost das „v o n Norwegen" weg gelassen wurde, im Voriahre die Identität des Königs ausge hoben wurde. Das sittliche Recht zur Anstrebuna eines ungarischen Nationalstaates soll den Ungarn nicht streitig gemacht wer den. Wenn sie die praktische Unzweckmäßigkeit eines isolierten staatlichen Gebietes inmitten der sie umbrandenden Flut slawischer, deutscher, romanischer Völkerschaften nicht begreifen, dann wird die Diskussion schließlich anshören und die Existenzfrage der Staatsnotwendigkeit schließlich als eine Machtfragc behandelt werden müssen. Daran ist doch wohl nicht zu denken, daß das Haus Habsburg-Lothringen sich in seine Depossedierung in der einen Reichshalste so willig fügen werde, wie das Haus Bernadotte, dem die gewaltigen Machtmittel einer starken und ausgebildeten Armee nicht zu Gebote standen. Auch das Friedensbedürfnis des alten Kaiser- wird zuletzt seine Grenzen haben, und daß hinter dem Kaiser eine starke Partei der Wiener Burg steht, welche die dualistische Schwächung mit wachsendem Unwillen er trägt, daS ist allgemein bekannt genug. ES fragt sich, an welcher Stelle die Grenze der öster reichischen Geduld liegt. Zu Simon und Judae rast der See und will sein Opfer haben. Diesesmal hat er sich in der Woche von Simon und Judae nicht mit einem Opfer be gnügt, sondern nnmittelbar nach Goluchowski ein zweites gefordert: den Kriegsminister v. Pitreich. Die Sacke ist so arg, so himmelschreiend, daß sie diesesmal »icht mit den ent setzlich verbrauchten Gesundheitsrücksichten zugepflastert wird. Das Handschreiben des Kaisers verkündigt laut, und der fortgegraulte Minister hat es selbst noch dicker unter strichen, daß er gebt, weil er seine Kräfte i« einem nutzlosen Kampfe sich verzehren fühlt, weil er es nicht mehr an- sehen kann, wie die Armee unter der ewigen Rücksicht nahme auf die ungarische Opposition von Jahr zu Jahr weiter in Rückstand gerät. Man muß sich wirklich verwundern, daß über den Pakt zwischen der Krone und der Koalition, der IM letzten Früh- iahre zustande gekommen ist, schon wieder «in Streit auS- brechen kann, daß die ungarischen Minister sich berechtigt glauben, eine neue Erhöhung der Rekrutenziffer zu neuen nationalen Forderungen mißbrauchen zu können. Man muß dann ei»aeftehen, daß jener Pakt doch reckt übereilt ge schlossen ist, damit der Puls deS VerfassungStebenS auch nicht «in« Sekund« antsetze: eia doch sicher »lcht berechtigter Zweifel in die Konstitution des österreichischen Reiches. Wenn an diesem Fehler Graf Goluchowski zugrunde ge gangen wäre, dann würde es berechtigter erscheinen, daß man ihn fallen ließ. . ... , Es soll nicht allein, ia gar nicht in erster Reihe, die Re- krutenerhöhuna die Ursache von Pltreichs Rücktritt geworden fein. Auch die artilleristische Bewaffnung ist durch Ver schleppung der Kreditsorderungen, ja durch die Zaahastigleit der Negierung, die Forderungen überhaupt zu stellen, in Rückstand geraten. . Es ist doch unerhört, daß mit den Lebensbedürfnissen des Reichs ein solcher Schacher getrieben wird. In einer Zeit, die wahrhaftig nicht die fricdenssicherste ist der letzten Jahr- Es gibt kleinmütige Geister unter den Männern, die es gut mit Alt-Oesterreich zu meinen glauben, mit den deutschen Kronländern des vielsprachigen Reiches. Die rufen aus die Gasse hinaus, man solle aus das widerhaarige Magyaren land lieber ganz verzichten Sie^ sind auch bereit, noch Galizien dazu hinauszuwerfen. Sie kümmern nicht die An sprüche der europäischen Politik, welche sogar den Lenker eines Oesterreich wenig freundlich gesinnten Staates zu dem Ausspruche bestimmt haben: Wenn Oesterreich nicht existiere, müsse man es erfinden. Sie predigen wohl gar die völlige Ausgabe der habsburgischen Monarchie und eine Neu gruppierung Zentraleuropas nach rein nationalen Gesichts punkten. Das ist jener Kleingeist, der vor dem Mittun an der großen Weltgeschichte zurückfchreckt und in dem engen Pferch des beschränkten Volstumstalentes ersticken würde, wenn man ihn gewähren ließ. Davon darf keine Rede sein. Oesterreichs Kulturaufgabe ist eine so bedeutsame, daß sie den gewissenlosen Nur-Natio- nalen drüben und ihren pessimistisch veranlagten Gesinnungs verwandten hüben nicht geopfert werden darf. Wo Pitreichs Energie erlahmte, da wird hoffentlich die unverbrauchte Kraft Schönaichs sich durchzusetzen und die durch die Pflicht gegen die Zukunft gebieterisch verlangte Unterstützung der entscheidenden Stelle sich zu erzwingen verstehen. Üdelbistgermeirler vr. Mickrer über Oir ZurHrretorm. Als vor wenigen Monaten Dr. AdickeS, der Oberbürger meister von Frankfurt a. M., mit seinen großzügigen Re formplänen für die deutsche Rechtspflege hervorirat, tauchce gar bald der Gedanke auf, daß der Kaiser, der sich einst ein Frankfurter Stadtoberhaupt zur Neorgani'ation der preu ßischen Finanzen holte, vielleicht auch einmal Dr. Adickes zur Reform der deutsch» Justiz berufen könnte. Ob das nun geschehen wird oder nicht, steht vorläufig noch dahin. Sicher ist jedenfalls, daß die Nesormvorschläge ernst genommen worden sind und daß es Dr. Adickes ernst damit ist. Darum hat er auch nicht lange gezögert, auf die in der Presse, be sonders von dem bekannten Juristen Oberlandesgerichts präsident a. D. Dr. Hamm in der „Deutschen Juristen zeitung" erhobenen Einwände gegen sein Projekt zu ant worten, sondern benutzte dazu die erste Geleoenheit. die sich ihm bot, als er am Sonnabend in der Gehe-Stiftung in Dresden einen Vortrag über die Stellung und Tätigkeit des Richters hielt. Vor einem Publikum von Nicht-Juristen und darüber hinaus zum Volke sprechend, bewies Dr. Adickes an der Ent wickelung der deutschen Rechtspflege, daß wir von einem eigentlichen deutschen Nechtswesen, vor allen Dingen von einem starken, selbständigen, von einem nationalen Richter staude vor der Hand kaum sprechen können, da ein solcher sich nicht in Jahren oder Jahrzehnten, sondern in Menschen altern bildet. Er wies darauf hin, daß die Jahrhunderte deutscher Geschichte hier nicht oder nur zu einem geringen Grade mitzählen können, weil allem, was wir an Gerichts wesen aus den Zeiten vor der Neubildung des Deutschen Reiches überkommen baben, etwas Kleinstaatliches anha'tct, das in unsere Zeit nicht mehr paßt, wenn auch in mancher anderen Hinsicht, besonders in kultureller Beziehung, das Kleinstaatenwesen große Segnungen in sich schließen mag. Das Juristentum ist im Lause der Jahrhunderte — sagt Adickes — durch die eigenartige Entwickelung des Gerichts wesens in den einzelnen deutschen Staaten sozusagen ein Fremdkörper in der Nation geworden. Das Volk nahm keinen Teil an der Rechtsprechung, weil diese nicht vom Volke selbst ausgeiibt wurde, sondern sich in den Schreibstuben ver lor und in den Beamtenstand überging. Dem deutschen Be amtenstand selbst macht nun Adickes nicht den geringsten Vorwurf, — im Gegenteil — er rühmt seine Unbestechlich keit, seine intellektuelle Schulung, seine Hohe Pflichttreue und dergleichen wertvolle Eigenschaften mchr. Aber sie alle ge nügen seiner Meinung nach nicht, einen Mann für den Richterberuf zu befähigen. Auch das bloße Studium, das Bestehen einer Prüfung setzt ihn dazu nicht in den Stand, sondern man muß von ibm eine tiefe Kenntnis des Lebens, der wirtschaftlichen Verhältnisse, der geistigen Strömungen verlangen, und diese Anforderungen kann das Beamten- Richtsrtum nach Ansicht des Herrn Adickes nicht erfüllen. Besonders scharf wandte sich der Redner gegen die in Deutschland vielfach noch vertretene Ansicht, daß die Tätig- keit des Richters nur darin bestehe, das Gesetz aus die ihm vorliegenden Fälle anzuwenden, und nicht, wie dies in Eng land, Amerika und bei anderen Völkern angelsächsischer Rasse der Fall ist, selbst ein Reckt zu schaffen und von Fall zu Fall zu sagen: Das ist hier Recht, das hat hier als Recht zu gelten. Die positiven Reformsorderunaen AdickeS' sind zum Teil bekannt unL brauchen daher hier nur kurz erwähnt zu werden. Adickes wünscht zunächst, daß den Richtern alle Arbeiten abgenommen werden, die nicht den Beruf deS eigentlichen Richtens in sich schließen, das heißt zum Beispiel Führung von Untersuchungen, Abschluß von Verträg.n, Vormundschafts- und Gruntckuchsachen. Dann soll dem Richter aller Kleinkram abgenommen werden, Sachen, wie Entscheidung über lächerlich geringe Diebstähle, kleine Be leidigung-Prozesse, Entscheidungen über Polizeistrasen und dergleichen, in denen die Richter heutzutage ihre kostbare Zeit verzetteln müssen. Dadurch würde eS möglich werden, die Zahl der Richter bedeutend zu verringern, die wenigen besser zu be chlen und eine kleine Zahl ganz unabhängiger Richter -» schaffen, einen Richterstand, der nicht in viele Staffeln zerfällt, sondern in sich geschlossen ist und in dem jeder ein zelne fähig und berufen ist, über Recht und Unrecht, über Leben Und Tod zu entscheiden. Bedeutende Prozesse, Strafprozesse, bei denen eS sich um schwerere Vergehen, Zivilklagen, bei denen eS sich um aroße Summen handelt, oder Prozesse beider Arien, ia Lenen Prin zips«» auf dem Spiel« stehen, würde» Lana »icht «rst »o» jungen Amtsrichtern, die eben ihre Studienjahre hinter sich haben, entschieden werden und dann durch alle Instanzen lausen, ohne daß das Rechlsbewußtsein des Volkes befriedig! wird, sondern sie würden gleich in erster Instanz von einem Manne oder unter dem Vorsitz eines Mannes entschieden werden, der-das unbedingte Vertrauen beider Parteien, dos Vertrauen des Volkes besitzt. Und wenn dann das Ver trauen in den Nichterstand wieder in die Volksseele ein gezogen ist, dann könnte man auch daran gchen, aus gesetz lichem Wege die Zahl der Richter in Len Kollogien zu be schränken und Instanzen hier und da aus der Welt zu schaffen, weil dann das Volk nicht mehr der Ansicht kein wird, daß die Richter der nächsten Instanz klüger uno erfahrener sind als die der Vorinstanz. Und durch diese Verminderung der Zahl der Prozesse und der Richter M eine Verein- fachung uick Verbilligung in der ganzen Maschinerie der Rechtspflege erzielt werden. Dazu ist aber auch notwendig, meint Adickes, daß die Richter festen Fuß im Volke »assen, und selbst die höchsten Richter würden mit Freuden die Ge legenheit dazu ergreifen, die sich ihnen durch Uebernahme des Vorsitzes in Prozessen in verschiedenen Orten des Landes bietet. (Allerdings vergißt er dabei, daß gerade dieses Um herreisen bei den englischen Richtern höchst unbeliebt ist.) Als letzte Erwiderung auf die Einwendungen von gegnerischer Seite betonte Adickes, Laß er durchaus nicht empfehle, über Hals und Kops unsere Rechtspflege nach dem Muster der englischen oder gar der französischen zu refor mieren, sondern daß er nur wünsche, man möge zu dem stolzen Bau der deutschen Rechtspflege hier und La bei unseren Nachbarvölkern einen Baustein wegholen, die be sonders bei den Angelsachsen in Hülle und Fülle -» finden seien. Lur kickSdung äer vltrportotaxr. Von einem Mitarbeiter wird unS geschrieben: „Nach dem neuen Reichssteuergesetz unterliegen bekannt lich Postkarten, Drucksachen usw. im Orts- und Nachbarorts verkehr dem im allgemeinen Verkehr des Reiches gültigen Tarif, Briefe dagegen nicht. Die Folge dieser Geietzesoe- stimmung ist erstens das Kuriosum, daß Postkarten ebenso viel Porto erfordern wie Briefe, zweitens die aber noch viel merkwürdigere Tatsache, daß geschlossene Briefe biS zu 250 Gramm im Orts- und Nachbarortsverkehr 5 Druck sachen und Geschäst-papiere über 100 bis 250 Gramm da gegen lO Porto erfordern, daß also im Ortsverkehr Druck- fachen usw. teurer als Briese sind. Nun wurde vor einiger Zeit in der Presse die gewiß dis kutierbare Ansicht laut, daß eine solche Erhöhung deS Portos auf unverschlossene Drucksachen gegenüber dem niedrigeren Porto für verschlossene Briese rechtlich garnicht zulässig sei. daß es der Post ganz gleichgültig sein könne, ob ich einen Brief verschlossen sende oder nicht. Der Brief sei gegenüber der Drucksache stets das vollwertigere. Letzteres ergibt sich schon daraus, daß vor einiger Zeit ein Postbote, der Drucksachen nicht bestellt, sondern sortge- worfen hatte, wenn ich nicht irre, vom Gericht gänzlich frei gesprochen oder doch nur zu einer ganz geringen Geldstrafe verurteilt wurde, weil das Gericht der Ansicht war, die fort geworfenen Drucksachen hätten für die Empfänger keinen be sonderen Wert gehabt. Zweifellos wäre der Mann, hätte er Briese vernichtet oder sortgeworsen, statt sie zu bestellen, schwer bestraft worden. Es liegt ja auch in der Natur der Sache, daß der Brief wertvoller als die Drucksache ist. Unsere weisen Gesetzgeber waren aber anderer Ansicht, oder haben vielleicht bei Vollbringung des „großen Werkes" der Reichsfinanzreform jene lächerliche „Unstimmigkeit" gar- nicht bedacht. Und die Postbehörde hält sich natürlich streng an den Buchstaben des Gesetzes. Das beweist folgender Fall: Ich hatte im Ortsverkehr eine aus mehreren losen Blättern bestehende Drucksache zu versenden und klebte das Kuvert, damit die einzelnen Blätter nicht herausfielen und verloren gingen, zu, indem ich die Sendung als Bries be- handelt wissen wollte. Ans der Post ließ ich das Gewicht fest- stellen, der Brief wog über 100 Gramm, aber noch nicht 250 Gramm. Nun kam das Sonderbare. Der Schalter beamte hielt die Sendung für eine Drucksache und verlangte 10 I Porto. Dann erst sah er, daß er einen Brief vor fick hatte, und löste schleunigst die eine soeben noch ausgeklebte 5 -Marke wieder ab. Als Brief konnte die Sendung sür 5 -k abgehen, und ich batte die Sicherheit, daß er richtig in die Hände des Empfängers kommt: als Drucksache hätte die Sendung das Doppelte gekostet, und ich hätte nicht die Gewißheit gehabt, ob nickt einzelne Blätter verloren gegangen wären. Das sind die lächerlichen Folgen unserer „Finanzreform". Allen Kaufleuten aber, die Kataloge, Geschäftsvapiere oder dergleichen Drucksachen im Gewicht von über 100 Gramm bis 250 Gramm im Ortsverkehr zu versenden baben, ist daher dringend zu raten, sich der kleinen Mübe des Zu klebens zu unterziehen, und so ihre Sacken als Briefe zu ver senden. Hann sparen sie bei 1000 Stück schon die ganz erkleck liche Summe von 50 ^l. Dazu kommt, daß der Empfänger dem so erhaltenen Briefe eine größere Bedeutung beimißt, ibn öffnet und beachtet, während ta bekanntlich Reklame- Drncksackcn häufig unbeachtet in den Papierkorb wandern. Insofern ist den Geschäftsleuten ganz ungewollt vielleicht ein gewisser Dienst erwiesen. Im allgemeinen aber muß man doch von diesem ganzen Schildbürgerstreich sagen, daß er nicht einmal — Methode bat!" Deutsches Keich. Leipzig 29. Oktober. nla. Reichsstenern und Militärf»rder»age». Soweit sick bis jetzt übersehen und beurteilen läßt, scheint ein Teil der durch die Finanzresorm eingesührten Steuern nicht die Höh« derjenigen Beträge zu erreichen, mit denen man al« zuver lässige Posten zur Bestreitung der erhöhten Ausgaben rechnen mußte. Von den 200 Millionen Mark, weiche die Regierung beansprucht«, sind auf dem Papier 178 Millionen Mark gedeckt: cs fragt sich aber, ob die neuen Stuern wirk- lich diesen Betrag zu realisieren vermögen. Der nächste Etat enthält jedenfalls beträchtlich« Mebrforderunqen für unser Heerwesen. Daß bei Aufstellung deS MiutäretalS mancherlei Schwierigkeiten zu überwinden waren, beweisen die Konferenzen deS Kriegsministers und ReichSschatzsekre- tärS. Diese Schwierigkeiten können al« überwunden gelten; auch der Reichstag wird schließlich da« bewilligen, »aS die Militärverwaltung unter äußerster Beschränk»»« ihrer Wü»sche als da» »»bedingt Notwendige Mr Schlagbrrti«it
- Aktuelle Seite (TXT)
- METS Datei (XML)
- IIIF Manifest (JSON)
- Doppelseitenansicht
- Vorschaubilder
Erste Seite
10 Seiten zurück
Vorherige Seite