Lassen sich denn wenigstens Irrwege vermeiden und Wichtiges von Unwichtigem tren nen? Dafür wäre ein Master-Mind des Universal-Wissens, eine über allem thronende Meta- Intelligenz nötig. Der Laplacesche Weltgeist als Meta-Intelligenz, den wir also nur strate gisch richtig »anzapfen« müssten, ist, wenn überhaupt existent, unerreichbar. »Alle Anstrengungen in der Suche nach Wahrheit streben danach, den menschlichen Geist die ser Intelligenz zu nähern, der er aber immer unendlich ferne bleiben wird...« (Pierre- Simon Laplace, Mathematiker, 1749-1827). Und daraus ergibt sich zwangsläufig: »Wir wis sen nicht, was wir nicht wissen, also können wir auch nicht wissen, was wir morgen wissen werden« (Jürgen Mittelstrass, Philosoph, * 1936). Gemeint sind natürlich nicht die Wissens lücken des Einzelnen, sondern die noch weißen Bereiche im gesamten Wissensgebäude. Beispielsweise wäre die heutige Elektronenmikroskopie selbstverständlich bereits im Jahr 1920 ein sehr erstrebenswertes Ziel gewesen, aber es gab niemanden, der die Vor stellungskraft gehabt hätte, es zu formulieren. Im Sinne von Mittelstrass wusste damals niemand, dass das Elektronenmikroskop noch unbekannt ist. Abbes Größe als Wissen schaftler wird daran deutlich, dass er, trotz aller Enttäuschung über seine eigenen Befunde, Zukünftiges erwartete, «von dem sich unser Unverstand nichts träumen lässt«. Wissenschaft ist nicht planbar. Tödliche Medizin: Fremdsteuerung der Wissenschaft »Störe meine Kreise nicht« soll Archimedes gesagt haben, als er in Syrakus von römischen Soldaten aufgegriffen wurde - bevor er von ihnen ermordet wurde. Die bedingungslose Hingabe an das Objekt ihrer Begierde macht Forscher verwundbar, weil sie ein Gestal tungsvakuum in ihrem Umfeld erzeugt, in dem Kreativität sich ungestört entfalten kann. Dieser scheinbar leere Freiraum des Forschers wird von klugen Menschen respektiert. Im Idealfall wird er mitsamt den benötigten Arbeitsmöglichkeiten von einem Gönner gewährt und garantiert, getragen vom festen Vertrauen, der Forscher werde mit Idea lismus und Ernsthaftigkeit schon etwas Vernünftiges tun. In Deutschland haben Staat und Gesellschaft die Gönner-Rolle wahrgenommen, erfolgreich, wie sich an der Anzahl der Nobelpreise für deutsche Forscher ablesen lässt. Unvorstellbarerweise gab es jedoch auch vereinzelt Fälle, in denen dieses grundle gende Vertrauensverhältnis von Forschern missbraucht wurde, zur privaten Bereiche rung an Forschungsmitteln oder zur Befriedigung des persönlichen Ehrgeizes durch Publikation von in betrügerischer Weise gefälschten Ergebnissen. Das dadurch entstan dene Misstrauen hat leider nicht nur zur Folge, dass verständlicherweise die bürokrati sche Kontrolle über die gewährten Mittel verstärkt wurde. Schlimmer ist, dass das Ver trauen in die Wissenschaft schlechthin beschädigt wurde. Dies verstärkt die Begierde nach Kontroll-, Ordnungs- und Steuerungsinstrumenten für den bislang auf Treu und Glauben gewährten Freiraum. Dem haben die Wissenschaftler nichts entgegenzusetzen als ihre Wissenschaft, sie sind denjenigen ausgeliefert, die sich ihrer Sphäre »ordnend« und »gestaltend« annehmen wollen. Wenn aber schon den engeren Fachkollegen oft die visionäre Kraft fehlt, erstmalig von anderen Gedachtes überhaupt nur nachzuvoll-