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01-Frühausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 28.05.1904
- Titel
- 01-Frühausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1904-05-28
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19040528016
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1904052801
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1904052801
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1904
- Monat1904-05
- Tag1904-05-28
- Monat1904-05
- Jahr1904
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Kirschenverkauf. Der diesjährige reichliche kirschenanhaug kca. 1100 Bäume Süß« kirschen, 160 Bäum» veredelte arußfrüchrige Sauerkirschen und 330 Sauerkirsche«) aas folgenden ver Ttadtgemeinde gehörigen Plan« tagen soll Dieastt-, »«, 81. Mat 1S04 varm. '/.II Uhr t« Magtstrats-Ltyungs-St«»er, «itthaus, 1 TrepZe, Zimmer Ur. 8, verkauft werden. Bedingungen werden im Termin bekannt gemacht, können auch vorher in unserer Registratur, Ratdaus 2 Treppen, Zimmer Nr. LS eingesetzt« werde», woselbst auch event. Auskunft erteilt wird. 1) am Lauaendorfer Weg«, 2) an d«r Aeitzer Lhaussee, 3) an der Semuer Straße, 4) am Markwerbener Wear, 5) an der Tagewerbener Straße und Müchrln'schen Wege, 6l am früher vtto'schen Bergabhang Hinterm Krankenhaus, 7) am Wege von der Naumburger Lhaussee bis Beuditz, 8) am Eelauer, Wiedebacher und Nessaer Wege, S) am Zorbauer Wege nach Langendorf. Weißenfels a. L., den 2ü. Mai 1904. Vie örirelruug <trr s»« ffrinrerrin Zsdam 6eorg. (Bon unserem eigenen Berichterstatter.) 2. Dresden, 27. Mai. In allen Straßen der Stadt wehen die Tranerwiinpel. Diejenigen Straßen, durch welche man die so früh Heim gegangene Fürstin ihrer letzten Ruhestatt entgegentragen wird, tragen besonderen Traucrfchmuck. Aus dem Lande sind Tausende herbeigeeilt, um dem Königshause ihre Teilnahme zu bezeigen, und sie haben sich mit den Be wohnern der Residenz zu einer imposanten Lrauerver- sammlung vereinigt, die ernst und still die Straßen be setzt hält, durch welche der Kondukt gehen soll. Um 6 Uhr abends versammelt sich die königliche Familie mit ihren Gasten noch einmal um die Heim gegangene. Der Priester segnet die Leiche. Ein letzter Abschied. Der Sarg wird geschlossen. Der Lranerzrrg. Nach einem sommerhellen Maientag ist die Dämme rung heraufgezogcn. Noch kämpft das Tageslicht mit der hereinbrechenden Nacht. Da leuchtet am prinzlichen Palais in der Parkstraße düsterer Fackelschein auf. Man trägt den mit rotem Samt ausgeschlagenen, goldver zierten Sarg heraus aus dem freundlichen Schlößchen, das der Verewigten zehn Jahre lang eine Stätte des Glücks gewesen. Schnell ist der feierliche Zug formiert, und unter dem Klange sämtlicher Glocken der Stadt setzt er sich in Bewegung. Vorauf reitet ein Zug des Gardc- reiter-Regiments. Es folgen: ein königlicher Hoffourier, die HauSbeamten des Prinzen Johann Georg, ein Hof- kaplan, dann der Minister des königlichen Hauses Ur. von Seydewitz zwischen dem königlichen Kommissar Oberhofmarschall Grafen von Vitzthum-Eckstädt und dem königlichen Hausmarschall von Carlowitz-Hartihsch. Un- mittelbar vor der Leiche schreitet der Hofmarschall des prinzlichen Hauses von Mangoldt-Neiboldt. Sechs schwarzbehangene Rappen ziehen den Wagen, auf dein der Sarg der Prinzessin thront. Nebenher schreiten auf jeder Seite vier königliche Kammerhcrren, das Bahr tuch tragend, und neben diesen je sechs Hoflakaien. Fackeltragende Leibpagen und Hofbedienstete begleiten den Kondukt. Hinter dem Sarge sieht man die hohe Gestalt des Prinzen Io Hann Georg, der seine geliebte Gemahlin auf ihrem letzten Gange geleitet, den Kronprinzen, den Herzog von Württemberg und seine drei Söhne. Deputationen der Offizterkorps des Schützen-Regiments Nr. 108. des 8. Infanterieregiments Nr. 107 und des Gardereiter-Negiments (zu diesen drei Regimentern steht der Prinz in direkter dienstlicher Bc- ziehung) folgen. In einem königlichen Staatswagen folgen der Leiche ihrer Gebieterin die Palastdamc Frei- frau von Finck und Hofdame Fräulein von Schönberg. Ein Zug des Gardereiter-RegimentS bildet den Schluß de» Kondukt», der seinen Weg durch die Albrechtstrahe, Johann Georgen-Allee, Moritzstrahe, Neumarkt und Auäustusstraße nach der katholischen Hofkirche nimmt. Militär bildet auf dem ganzen Wege Spalier. An Stelle der Gaslaternen sind düster lohende Flammen getreten, die ein flackerndes Licht auf die ernsten Gesichter der Menschenmenge werfen, welche dem feier lichen Zuge schweigend und ehrfurchtsvoll nachschaut. Einen tieffeierlichen Eindruck machte eS, als der Kondukt den Neumarkt erreicht und dort die wuchtigen Glocken der gewaltigen Frauenkirche ihre ehernen Grütze herab- dröhnen lassen. Jin Schiffe der Kirche haben sämtliche Staatsminister, die Hoschargen und höchsten Beamten, die Rektoren der Universität und der Hochschulen, die Spitzen der evange lischen Geistlichkeit, Vertreter der wichtigsten Städte des Landes und Abordnungen vieler Vereine und Korpora tionen Platz genommen. In dem Portal der Hofkirche erwartet der König den Trauerzug. Um ihn stehen Erzherzog Leopold Salvator von Oesterreich, Prinz Friedrich Leopold von Preußen, der Fürst von Hohenzollern, Prinz Ernst von Alten« bürg, Prinz Karl Anton von Hohen zollern und Prinz Alfons von Bayern mit ihrem Gefolge, sowie die Abgesandten der deutschen Fürsten. Unter den Fürsten befindet sich auch Prinz Max von Sachsen in schwarzem Chorrock. Vie Lrauerfrler in de» Die Geistlichkeit, geführt vom Bischof Wuschansky,in dessen Händen die Trauerfunktionen liegen, naht der Leiche mit Segensgruß. Der Psalm „v« prokurickis" wird gesungen, dann setzt sich der Zug durch den Mittelgang der Kirche in Bewegung. Voran schreitet die Geistlichkeit, dem Sarge folgt der König mit den männlichen Mitgliedern seiner Fa milie und den fürstlichen Trauergästen. Vor dem Hochaltar wird der Sarg auf den schwarzbekleideten Podest gehoben. Die Geistlichkeit nimmt am Altar Auf- stellung. Die Trauergemeinde verteilt sich auf die vor deren Plätze. Die Kerzen am Altar und die schwelen den Leuchten der Fackelträger verbreiten ein ungewisses Licht in der gewaltigen Halle, die K ö n i g i n - W i t w e, diePrinzessinMathilde,dieHer)oginvon Württemberg und die übrigen fürstlichen Damen wohnen der Feier in den Oratorien im oberen Chor bei. Dort haben auch die beiden ältesten Söhne deS Kron prinzen mit ihrem Erzieher Platz genommen. Nachdem der Kondukt sich verteilt hat, besteigt Hof prediger Kummer die Kanzel, um die Leichenpredigt zu halten. Er schildert mit schlichten Worten den Schmerz, der dem königlichen Hause und dem ganzen Volke durch den so frühen Heimgang der von allen geliebten und verehrten Prinzessin bereitet worden, würdigt ihr stilles frauliches und christliches Walten und tröstet die Trauern- den mit der Heilsgewißheit des Christentums. Nach den bei Leichenbegängnissen der katholischen Kirche üblichen Wechselgesängen und Gebeten wird der letzte Segen über die irdische Hülle der Verewigten gesprochen. Vor den Augen der tiefbewegten Trauergemcinde versinkt der Sarg in die Tiefe, indes vom hohen Turme herab die Glocken die Kunde ins Land tragen, daß wiederum ein Glied des Hauses Wettin zu den Vätern versammelt worden ist. In die ernste Stille des Gotteshauses hinein aber erklingt Schusters „8rllvo rexina" wie ein versöhnen- der Abschiedsgruß. Unvs pia Lnlma! Hur Zachre«. * Dresden, 27 Mai. * Vom Königlichen Hofe. Der König traf heute vor mittag von Hosterwitz im Residenzschlosse ein und empfing daselbst die Herren Staatsminister zu Vorträgen. Die König!. Mittagstafel fand heute um l Uhr in Villa Hoster witz statt. Um 6 Uhr wird der König sich zur Familien- Tranerfeier in» Prinzl. Palais, Paristraße, und darauf wieder ins Refidenzschloß begeben. * Ernennungen. Der stellvertretende Handelsrichter bei den Kammern für Handelssachen ün Landgerichte Dresden Kaufmann Heinrich Otto Ebersteio wurde zum Handels« dichter und der Kaufmann E. H. Teschner in Dre-den zum stellvertretenden Handelsrichter für die Zett bis Ende Sep tember 1908 ernannt. c? Ein Wohltäter der Stadt, Herr Amtsrichter vr. MunLz, der im verflossenen Jahre in Karlsbad verstarb und dort beerdigt wurde, ist in voriger Woche dort wieder ausgegraben und nach Dresden überführt worden, um hier an der Seite seiner auf dem Annenfried- Hofe ruhenden Eltern eine letzte Ruhestätte zu finden. cZ In der kaiserlich russischen Gesandtschaftskirche fand heute vormittag anläßlich der Wiederkehr des Krönungs tages des russischen Kaiserpaares em FestgotteS- dienst statt, dem die Vertreter der Gesandtschaft mit zahlreichen Untertanen des Zarenreiches beiwohnten. c? Der Elbwasserstand ist zur Zeit infolge des an haltenden trockenen und warmen Wetters im stetigen Fallen*begriffen. Seitens der Frachtschiffe werden Be fürchtungen laut, daß bei einen weiteren Fallen deS Wassers die Schiffahrt zu leiden haben wird. Die Lage des hiesigen WohnungSmarkteS ist für die Hausbesitzer recht ungünstig geworden, da das Verhältnis von Angebot und Nachfrage sich sehr zu Un gunsten der Hauswirte verschoben har. Die Mietpreise sind zum Teil bedeutend herabgegangen. * S. M. Kreuzer „Dresden". Auf den Namen unserer Stadt wird der kleine Kreuzer „N" ge- tauft werden, der vom Reichs-Marineamt soeben der Aktiengesellschaft „Weser" in Bremen in Auftrag ge geben ist. — * * * -o- Königstein, 27. Mai. In Anwesenheit von Sach- verständigen und Interessenten fanden während der letzten Tage aus der Hüttener Strecke der hiesigen gleislosen elektrischen Bahnaulaae Probefahrten behufs Be förderung von Lasten statt. Es kam hierbei eine von dem Ingenieur Schiemann erfundene und mit Patent ver« sehene neue Verkoppelung der Wagen in Betracht. * Zittau, 27. Mai. Der Beschluß, die Arbeit heute früh einzustellen, wurde in der gestern hier abgehaltenen Versammlung der Maurer mit 267 gegen 23 Stimmen gefaßt und gilt für die Stadt Zittau und alle zum Lohn bezirk Zittau gehörigen Ortschaften. Die Verbandsleitung gewährt den Streikenden je nach der Dauer ihrer Mit gliedschaft 8 bezw. 10 .«e und für jedes schulpflichtige Kind 1 pro Woche Unterstützung. Der Weisung der Verbands leitung folgend, haben bereits gegen hundert unverheiratete Maurer Zittau verlassen, das gleiche wird von den zahl reichen hier arbeitenden böhmischen Maurern erwartet, die sich solidarisch erklärt haben. Zwischen den Organisationen der Maurer, Zimmerer und Bauarbeiter besteht ein Kartell vertrag, nach welchem in diesem Falle die Zimmerer und Bauarbeiter den weiterarbeitenden Maurern keine HUlfS- arbeiten leisten dürfen. Um Ausschreitungen zu vermeide«, beschloß die Streikleitung, solchen Streikenden, die sich be trunken auf der Straße zeigen, die Unterstützung nicht aus zubändigen, sondern diese direkt an die Familie auszuzahlen. Der jetzige Stundenlohn beträgt 28—30 die Maurer verlangen aber 35 und zehnstündige Arbeitszeit. k. Zittau, 27. Mai. Von der Streikleitung der Maurer wurden heute früh über 300 Streikkarten aus gestellt. Die Arbeitseinstellung ist eine fast vollständige. Es find nur wenige arbeitende Maurer auf den Bauten zu sehen. Einzelne Unternehmer haben bereits auch die Bauarbeiter entlassen. L Klingenthal, 27. Mai. Der Gemeinderat zu Klingenthal hat in seiner letzten Sitzung u. a. beschlossen, die Bestimmungen des sogenannten Kinderpara ara p h e n , wie solche dieses Jahr bei der Staatsein kommensteuer erstmalig in Anwendung gebracht worden sind, auch bei der Einschätzung zu den Gemeinde anlagen in vollem Umfange in Anwendung zu bringen. f Plauen i. V., 27. Mai. In hiesiger Stadt lebt das früher ins Auge gefaßte Projekt der Errichtung einer Industrie«Bahn wieder auf, veranlaßt dadurch, daß der Stadtrat gegenwärtig in der unteren Aue eine etwa zwei Kilometer lange Eisenbahn mit drei Dreh scheiben und zwei Brückenwaagen zum Wiegen der Wagen- ladungen, die Anschluß an die DtaatSeisenbahn erhält, erbauen läßt. Durch da» Eisenbahn-Unternehmen ist es möglich, daß auch die anderen großen Etablissements in der unteren Aue die Vorteile einer Industrie-Bahn mit genießen. — An der heutigen Beisetzung der Prin zessin Johann Georg in Dresden nehmen al» Ver treter der Stadt die Herren Oderbürgermeister vr. Schmid, Stadtrat Flötzner und Stadtverord- neten-Vizevorsteher Geipel teil. * Oberwiesenthal, L7. Mat. Sin Schadenfeuer brach vorvergangene Nacht Hl Uhr in Böhmisch- Wiesenthal aus. Das alte „Gahler"-Hau» stand auf noch unaufgeklärte Weise plötzlich in Hellen Flammen, die auch das vor kurzem neuerbaute Anwesen deS Herrn Joseph Prokl ergriffen. Im Wohnhaus« de» letzt- genannten lag man in tiefem Schlafe. Alle Inwohner wären in den Flammen umgekommen, wenn nicht von außen die Tür eingeschlagen worden wäre. Dem ener- gischen Eingreifen der Feuerwehren von Böhmisch-, Ober- und Unterwiesenthal ist es zu danken, daß nicht ein ganzer OrtSteil dem Feuer zum Opfer fiel. * Planitz, 27. Mai. Privatnachrichten zufolge hat der durchgebrannte Sparkassenverwalter Colbitz hier seit her in einem Gasthause zu Monte Carlo als Kochgehlllfe gearbeitet und versichert, daß ihm die unterschlagenen Gelder (etwa 36 000 -M in Italien gestohlen worden seien. — In Oberplanitz soll mit 160—160 000 Aufwand eine neue Schule gebaut werden. * Zwickau, 27. Mai. Die Manöver der hiesigen 89. In fanterie-Brigade finden am 8., 9. und 10. September zwischen Reichenbach —Netzschkau —Elsterberg und Pfaffen grün—Lengenfeld—IrferSgrÜn statt. Der hiesige Brigadestab und die Regimenter 133 und 184 treffen am 7. September im Manövergelände ein. Hohenstein.Srnftthal, 27. Mai. Ein bedauerlicher Unfall trug sich gestern nachmittag auf der Lungwitzerftraße zu. Der Malergehülfe Schneider war mit dem Anstreichen von Masten der durch unsere Stadt führenden elektrischen Leitung beschäftigt. In dem Glauben, der Strom sei ab gestellt, griff er mit beiden Händen an einen LeitungSdrHt, wodurch er einen heftigen Schlag erlitt, so daß er mit aller Wucht samt der Leiter, worauf er stand, ungefähr 8 w hoch auf die Erde geschleudert wurde. Schneider erlitt Brand wunden an den Händen, auch vermutlich noch innere Ver letzungen durch den Sturz. Doch scheinen dieselben nicht lebensgefährlich zu sein. r. Dahlen, 27. Mai. In der zwischen dem hiesigen Verkehrsausschusse und den hier eingetroffenen Deputa tionen der Dahlener Landsmannschaften zu Leipzig und Dresden stattgefundenen Besprechung wurde beschlossen, im Jahre 1906 hier ein Heimatsfest abzuhalten. r. Mutzschen, 27. Mai. Mit dem B a u des E l e k t r i- zitätswerkes für Mutzschen und Böhlitz ist dieser Tage begonnen worden. Zachrenr Umgebung. ÜI Weißenfels, 27. Mai. Zum hiesigen Maurer- st r e i k erläßt der Generalrat der Hirsch-Dunckerschen Gcwerkvereine einen Aufruf, in dem es u. a. heißt: „Der jetzt in Weißenfels herrschende Streik ist dadurch ent standen, daß die sogenannten Organisierten, d. h. die dem sozialdemokratischen Maurer- und Zimmer- verbände angehörigen, bei dem Bauunternehmer Halt beschäftigten Arbeiter mit den Gewerkvereinern nicht mehr zusammen arbeiten wollen und deren Entlas sung forderten. Die Bauunternehmer von Weißenfels haben diese Zumutung mit der s o f o r t i g e n Entlassung der Verbändler beantwortet und zu gleich erklärt, daß alle andern Arbeiter Arbeitsgelegenheit und Schutz gegen die Uebergriffe der sogenannten Orga nisierten finden werden und auf ihre Unterstützung in der weitestgehenden Weise rechnen können. Für die Feuilleton. Der Sin. Eine traurige Geschichte. Von Richard Fischer. Nachdruck verboten. Noch bis vor kurzer Zeit war es in Leipzig ein all gemeiner Brauch, daß die Strahenverkäufer ihre Waren in den Höfen und auf den Gassen ausriefen. Für mich hatte das immer einen eigentümlichen Reiz, und mit Be dauern fast nahm ich es auf, als vom Magistrat „diese veraltete Unsitte" verboten wurde. Wie oft habe ich von meinem Fenster aus diese Leute beobachtet, von denen sich jeder einen besonderen, oft geradezu charakteristischen Ruf angeeignet hatte. Ter Gemüse-, der Obsthändler, Ver Besenverkäufer, der Kohlenmann, der Italiener mit meinem Fruchteis und was sie sonst feilzubieten hatten — feder hatte feine Eigentümlichkeit, die in Form und Rhythmus mehr oder minder zum Ausdruck kam und auf besondere Weise anzog und erfreute. Es waren immer dieselben, die ich zu sehen bekam. Tenn diese Leute haben jeder ein bestimmtes Stadtviertel sich ausgesucht und er obert, wo sie dann, oft ohne Konkurrenz, ganz gute Ge schäfte machen. Unter ihnen hatte ein Mann vorzüglich meine Auf merksamkeit auf sich gezogen. Er mochte um 65 Jahre alt sein, war mittelgroß, ein wenig gebückt und hatte graue Bartstoppeln aus Kinn und Oberlippe. Sein Ge sicht war unanfällig und unbedeutend, von Falten und Fältchen durchguert. — Zum ersten Male wurde ich durch das Töchterchen meiner Wirtin auf ihn aufmerksam ge macht — es war wohl erst der zweite Tag, daß ich da wohnte — als ich das Kind die Mutter bitten hörte, doch Apfelsinen zu kaufen, „der Sin" wäre unten. Mir siel die eigentümliche Bezeichnung sogleich auf, hinter der doch auch ein Sinn stecken mußte; und nicht lange brauchte ich zu warten, um hinter das Geheimnis zu kommen, denn noch am selben Tage in der Abendstunde sollte ich den Eigentümer dieses ungewöhnlichen Namens sehen und hören. Ich saß am offenen Fenster und las, als mich von der Straße herauf eine nicht gerade laute, aber ganz wohl klingende mittlere Männerstimme ablenkte, die einen be stimmten Rhythmus und Tonfall zu haben schien und diesen Wortlaut batte: „Tin Apfelsin, Apfelsin, Apfelsinen aus Messina!" Ich stand auf, um den seltsamen Rufer sehen zu können, und da stand er bei seinem Handwagen voll gold gelber Apfelsinen, eben jener alte Mann, der natürlich kein anderer war als . der Sin". — „Tas muß ein Be- 'onderer. ein Original sein", dachte ich; dafür sprach ja schon sein absonderlicher Name, der den Kindern auf der 2tratze geläufig und mir eben verständlich geworden war. — Ich hatte nicht nötig, den Mten weiter im Ange zu halten, denn drei bis viermal am Tage konnte ich unter meinem Fenster sein mir bald vertraut gewordenes „Sin, Apfefin, Apfelsin, Apfelsinen aus Messina I" hören. Seltsam — wie riet oder sang er nur eigentlich diese Litanei, daß sie als so etwas Besondres, fast Feierliches erklang? — Und die willkürliche Verstümmelung deS Wortes Apfelsinen? — Ich konnte nicht lange im Zweifel fein: der Mann hatte sich diesen Ruf aus besonderem rhythmischen Gefühl und Wohlgefallen so gestaltet. Es ist unmöglich, mit Worten darzustellen, wie der Alte diesen Rhythmus — wie sag' ich nur? — rezitati- vifch gleichsam vorbrachte. Ich glaube, viel anders habens die griechischen Chorcuten nicht machen können. Den gleichmäßigen Wechsel zwischen Hebung und Senkungen der ersten Zelle betonte er auffallend schwer, ohne jedoch hart zu skandieren, eher das Gegenteil. Die zweite Zeile führte er ganz nach ihrem getragenen Rhythmus aus, feierlich-ernst, indem er nur die beiden letzten Silben mit der Stimme erhob. Ueberhaupt verlieh er dem Ganzen einen feierlichen, würdigen Charakter, zu dem seine natür liche Stimme und wohl auch ein verwandtes Gefühl den Grundton gaben, so daß die Wirkung eines griechischen Chorgesanges, den Verhältnissen entsprechend, nicht zu ferne sein konnte. Sicherlich, der Mann berauschte sich an diesem Rhyth- mus. Er genoß jeden Takt einzeln, indem er ihn sprach, das hörte inan. Es war oft wie ein Haften und Ver weilen, ohne jedoch den Fluß des ganzen, vollen Rhyth mus zu stören, den erklingen zu lassen, ihm ein unend- liches Entzücken fein niußte. Dennoch oder gerade des« halb wiederholte er seinen Ruf nicht so häufig, wie dies die meisten feiner Genossen taten; aber dann schien es jedeSmal, als wenn er mehr für ihn selbst, als für das Publikum bestimmt wäre, das häufig und gern bei ihm kaufte, obwohl er wortkarg und einsilbig war. Daß der Alte in seiner Formel wirklich solch überaus hohen Genuß fand und ich nicht nnr einer schnellen Ein bildung verfallen war, wurde mir immer anschaulicher, je öfter ich ihn beobachten konnte. — War die Hauptzeit der Apfelsinen vorüber, dann hatte er obendrein Aepfel und Birnen, bisweilen auch Gemüse zum Verkauf. Aber den noch „Gln, Apfclsin, Apfelsin, Apfelsinen aus Messina l" klang's in den Gassen, und niemand fand etwas Besonde res daran. Und ob seine Apfelsinen immer unter Messi nas Sonne gereift waren, daran kann man wohl auch mit Recht zweifeln. Ganz auffällig nun war es, wie der Sin seinen Rhyth- mu» mit seinen Bewegungen begleitete. Es bestand eine Harmonie zwischen feinen Worttakten und seinen Schrit ten, die mir die Vorstellung eines Choreuten vollkommen machte. Er hatte auch hierbei eine bestimmte Würde und ließ seinen Ruf nur ertönen, wenn er feinen Wagen zog, nie wenn er anhielt — gerade tm Gegensatz zu oen An dern. Und da war's eigenartig, ihn zu sehen. Bei jeder betonten Silbe setzte er den linken Fuß vor, feierlich — langsam, und zog zugleich mit der linken Schulter das Band seines Wagens ein wenig stärker an, daß der Ober körper sich leicht vorbewegte. Die Senkungen kamen auf den rechten Fuß, wobei er dann mit dem Oberkörper wieder etwas zurückging — alles in bedächtiger Ruhe. So kam es, daß seine Gangart, besonders bei der zweiten Zelle, fast ein hinkendes Ansehen bekam. Aber immer waren Bewegung und Rhythmus in vollkommenem, in gewissem Sinne schönem Einklang. Rührend war's oft für mich, dem Sin von meinem Fenster aus zuzusehen. Es war wohl der einzige höhere Genuß, den sich der Alte verschaffen konnte, und um so höher, als er aus seinem eigenen Innern entsprang. Und zugleich war es das einzige Band, das ihn mit etwas ver knüpfte, das man wohl Kunst nennen darf. Er ging in diesem Genuß, diesem Ideal auf, wie der Gebildete zu- weilen in einem Kunstwerk oder in einer Dichtung. Ich hätte gern über ihn und sein Schicksal mehr erfahren, be sonders wie er zu dieser Weise gekommen. Allein nie mand wußte weiter etwas, als daß er schon jahrelang in diesem Stadtviertel mit Obst und vorzüglich Apfelsinen Straßenhandel treibe, und ebenso lange kannte man seinen Vers und seinen Spitznamen. Ihn selbst hätte ich nimmer ausfragen mögen, so verlockend mir's schien, aus Furcht, er könnte sich verspottet und gekränkt fühlen. — Es war nicht lange Zeit, bevor das Verbot gegen das Ausrufen kam, da hatte ich Gelegenheit, den alten Sin in einem einzigartigen Moment zu beobachten und ihn noch näher kennen zu lernen. Man hatte an einer Hauptverkehrsstelle deS Stadt teils, in dem ich wohnte, die Straße aufgerisfen, und eine Reihe Arbeiter war eben beschäftigt, das neue Pflaster fest- zurammen. Ich hatte Eile und wollte schnell Vorbeigehen, als ich an der Ecke den Wagen deS Sin stehen sah. Er selbst saß hinten auf der Deichsel, gebückt, und starrte regungslos, wie geistesabwesend, auf die Arbeiter. Alles um ihn her schien verschwunden, er sah und hörte nichts, al» den einfach klingenden Rhythmus, den die sechs takt mäßig geschwungenen Eisenrammen den harten Steinen entlockten. Der Alte saß wie festgebannt und schien gar nicht zu merken, daß die Arbeiter ihm immer näher kamen. Erst als ihn einer barsch anfuhr, er solle mit seiner Karre machen, daß er fortkäme, da schreckte er zusammen, stand verwirrt auf und zog beschämt seinen Wagen weiter. Er mag au» allen Himmeln gefallen sein. — Nicht lange nachher las ich in der Zeitung das Verbot des Magistrats und bedauerte, daß dieS bißchen Straßen poesie, wie es mir erschien, nun schwinden sollte, ohne da bei gerade an den alten Sin zu denken. Eine» Tages, ich stand am Henster und rauchte und äh gelangweilt auf die Straße hinunter, al» der Sin mit einem Wagen um die Ecke kam, der fast erglänzte von den chönsten Apfelsinen. Aber eigenartig schwer und lang- am zog er ihn daher, ganz ander» al» sonst. Wie ge« wöhnlich hielt er unter meinem Fenster. Aber kein Laut kam über seine Lippen. Schwer und still ließ er sich aus die Wagendeichsel nieder, noch mehr gebückt als früher; fast wie an der Ecke bei den Straßenarbeitern saß er da, nur daß er zur Erde blickte, ohne weiter Obacht zu geben, ob ein Käufer nahe oder nicht. Man sieht zuweilen Bilder, wo ein Mann zusammen gebeugt dasitzt, die Augen am Boden, wie einer, der schier kein Leben mehr in sich hat. Da steht dann drunter: „Bankerott" oder „Verlassen" oder sonst etwas, was darauf deutet, daß der Mensch sein irdisches Gut oder sein Herzensgut verloren hat. — An solch ein Bild mußte ich denken, als ich den Sin so auf seiner Deichsel sah. Und was der verloren hatte, das wußte ich. Dann stand er wieder auf, mühsam wie er sich nieder gelassen, und zog seinen Wagen weiter, still und langsam, den grauen Kopf gesenkt. — „Mama, Mama! Den Sin hat der Schutzmann vorhin ausgeschrieben und mitgenommen!" „„Ach! Wa rum denn?"" „Er hat im Hof bei » ausgerufen!" „„So — Wenn » verboten ist Dies kurze Gespräch, dessen Zeuge ich einige Tage später war und das von der Kleinen meiner Wirtin mit der Hast und dem Eifer eines großen Ereignisses geführt wurde, machte mir alles klar. Der Sin konnte von seinem Rhythmus nicht lassen. Vielleicht hatte er ihn oft im Stillen sich vorgesagt und die Lippen dazu bewegt — aber was war daS! Das war ja nicht der alte Rhythmus; das hatte ja keinen Takt, keinen Klang. Was tat er? — Er ging in einen Hof, was er sonst, wie ich glaube, nie getan, und rief, wie früher so oft, seine alte, schöne Litanei: „Sin, Apfelsin, Apfelsin, Apfelsinen aüS Messina!" Wie mag ihm da zu Mute gewesen sein! Halb bang und halb selig, senke ich mir — mehr selig wohl al» bang. Und da war das Unglück geschehen. Hatte sich nun ein Hausbewohner, der sich in seiner Arbeit oder in seinem Schlummer gestört sah, beklagt, oder hatte ein vorüber gehender Schutzmann den Sin selber gehört — kurz, die Uebertretung des Verbotes war da, nnt ihm zugleich der Hüter der Ordnung, und der Sin mußte bestraft werden. Hat man ihn eingefperrt, oder hat er die Geldsumme be- zahlen können? — Ich weiß nur, seit der Zeit habe ich von ihm nicht« mehr gesehen noch gehört, so sehr ich auch überall nach ihm spähte. Er war und blieb verschwunden. Jene» letzte, verhängnisvolle Mal aber in dem Hofe hätte ich ihn noch hören mögen. ES mutz gewesen sein, wie der Klang einer Saite, ehe sie zerspringt. * * * DaS ist die Geschichte vom Gin, die ich unlängst einem Freunde erzählte, als er in einem Gespräch behauptete, die gewöhnlichen Leute im Volk hätten kein Bedürfnis nach Kunst und Poesie, da ihnen alle Kenntnisse und jedes innere Verständnis dafür aoaingen. „Und da» Gefühl?" fragte ich. „Luch da»", sag« er.
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