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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Handelszeitung : 23.11.1906
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1906-11-23
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id84535308X-19061123025
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id84535308X-1906112302
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-84535308X-1906112302
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Handelszeitung
- Jahr1906
- Monat1906-11
- Tag1906-11-23
- Monat1906-11
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4tn^eiqen-PrejS Bezuqs-PreiS M »tz »«WM S» M Tl-Eßstlö» W-W h«» UMDMG»»« geh»« mmwMchr V «M täglich) 70 Ps, «a«gaL. » «Ml «glich) ««, bet Zostrllang M «iiAgM SO AaSgab« v l Marl. D«ch »ja» au»- württge» AllSgabrtzrÜr» «d d«rch die Poft bezog« d »al tägllch) für Deutschland «ad Oeftsretch «oaaUtch I Marl, ftr die übrigen Länder lant sseltmig-pret-ltst«. Lel-phm, «L l«^ «L«L «».U7L VerltXU Rtd»kt1»»-»V»ie»»: verü» AV. 7. Prinz Lo»i- Kerdtuaub- Straß« l- Leleph« I. «r. 827L. Abend-Ausgabe L. MpMrr.TasMM Handelszeituug. Anrtsölatt -es Mates und -es Noüzeiairrtes -er Lta-t Leipzig. Anzeigen-Aunabme: AuguftuSplatz 8, bei sämtlichen Filialen ». allen Annoncen- Erpedition« des In- and Auslandes. dt» Sgespallene Petitzeilr für Geschäft-- tnseratr an- Leipzig und Umgebung Lü Pf, Familien-» Wohnung»» ». Etellen-Aozetgen, sowl« Au» und Verkäufe LO Pf, iiuanzirllr Anzelg« 80 Ps, für Inserate von auswärts 30 Ps. Reklamen 75 Ps, auswärts l V'aik. Beilage gebühr 4 Mark p. Tausend ex kl. Postgebühr. GeschäftSanzelgen an bevorzugter Stelle iin Preise erhöht. Rabatt nach Taris. ür da- Erscheinen an bestimmten Tagen u. lätzen wird keine Garantie übernommen. Haupt-Filiale verktn: TarlDn« cke r,SerzaU8ayr^ofbnchhandlg, Lchsowftrahe 10 (Telephon Vl, Rr. 4603). ^iNai-ErpePtttn«: Dresden.Marienstr?i. Nr. 551. Freitag 23. November 1906. Vas Neueste vom Lage. (Die »ach Schlaß der Redaktion eingrgangene» Depeschen steh« auf der L. Seit« de- HanptblatteS.) Nachrichten zur Marokkos« aze. AuS Madrid wird gemeldet: I» der Kammersitzung weigerte sich der Minister des Aeußern, eine Aufklärung über die Situation in Marokko zu yeben, indem er das Haus er suchte, angesichts de» internationalen Charakter« der Frage die Beratung zu vertagen. Er erklärte, die Regierung werde in Marokko mit äußerster Vorsicht Vorgehen. ES liege kein Grund zur Beunruhigung vor. Andererseits beißt es von dort: „Die letzten Meldungen aus Marokko tragen einen ernsten Charakter. Man betrachtet einen Konflikt zwischen de« Eingeborenen und den Europäern als unvermeidlich." Es wird auch schon gekämpft. Nach einer Meldung aus Melilla ist El Roghi zum Kampfe gegen, den Stamm der Benistvel ansgezogen; in Melilla hört man Ge» webrseuer. Zum Schutze der nach Melilla flüchtenden Mauren sind alle Maßregeln getroffen. Raisuli rüstet sich zur Gegenwehr, wie aus Tanger gemeldet wird: Raisuli trifft Vorbereitungen für eine Versammlung deS Rates der Notabeln, der die Lage prüfen und über die den Europäern gegenüber einzuuehmende Haltung beschließen soll. Wegen de» Defizits im scherifischen Schatze hat der Sultan die Ge hälter der Zollverwalter um die Hälfte gekürzt. — AuS Madrid wird ferner berichtet: Die Morgenblätter melden, daß die Regierung nicht nur die Flotte mobilisiert, sondern auch zahl reiche Truppen, die bei Cadiz und Gibraltar Aufstellung nehmen sollen. „Epoca" und „Liberal" konstatieren demgegen über, daß dieübrigen« noch nicht einmal ratifizierte Konferenzalte nichts enthält, was Spanien zu einem militärischen Eingreifen ermächtigt. DieDemoastration könne aber leicht dieGemüter er regen. „Correspondcncia" sagt: „Keinen Mann nnd keinen Groschen dafür! Mögen Frankreich und England zusehen, wie sie selbst fertig werden." „PaiS" sagt: „Spanien darf nicht den Gendarm Frankreichs spielen und sich den Haß ter Marokkaner zuzicheu. Falls ein Geheimvertrag besteht, muß er schleunigst annulliert werden." ' „Corrrspondencia Militär" erinnert an Prim und Mexiko. Besoutere Beachtung verdienen die AuSsübrungen des „Afrikanisten" Ovilo im „Abe", wonach ein gewaltsames Vorgehen auf marokkanischem Territorium ohne Zustimmung de« Sultans gegen den obersten Grundsatz der AlgeciraS-Konferenz verstoße und deren Be schlüsse umstoße. Nichts ermächtige Spanien und Frankreich, dort mau« militari vorzugehen. E« handelte sich um ein Abenteuer, in das fremder Ehrgeiz und eigene Dummheit Spanien verwickele. Uebrigens beweisen alle Nachrichten au« den Provinzen, daß man mangels genügender militärischer Vor bereitung einer ernsthaften kriegerischen Verwickelung nicht ge wachsen wäre. Der spanische Botschafter in Wien, Herog Bailen, erklärte in einer Unterredung mit einem Mitarbeiter der „Neuen Freien Presse", die spanisch - französische Aktion habe keinen anderen Zweck, al« die Herstellung der Ruhe und die Sicherheit der Europäer in Marokko, da dies notwendige Vorbedingung für die Verwirklichung der Beschlüsse der Konferenz von Algeciras sei. Die euro päischen Staate« scheute« vor jeder Komplikation zurück, and da die Ratifikation der Konferenzbeschlüfse bald vorliegen werde, sollten diese nunmehr auch bald praktisch verwirklicht werden. — Eine fünf Maa« starke Meharisten-Patrouille würbe bei Igli (Süvoran) von Berber« des TafileltgebieteS gefangen genommen. Verstärkungen der österreichische» Besatzungen t« Sandschak Nawibazar. Wie au« Wien berichtet wird, babe« die neueren Vor gänge bei den serbischen Kanonenbestellungen die leitenden MiUtärkreise Oesterreichs zu dem Entschluß gebracht, die im Sandschak Nowibazar stehenden österreichischen Truppen abteilungen auf den doppelte« Stand zu bringen. — Danach scheint sich die Nachricht zu bestätigen, daß die von Serbien »»gekauften Kanonen nach Montenegro geschafft werden sollen. Ein derartiger Versuch würde voraussichtlich zu be waffneten Konflikten mit den Oesterreichern und den Türken führen. Tie Zuventur. Wie zu erwarten war, haben die mit der Inventari sierung beauftragten Beamten besonderen Widerstand in der Betrague gefunden. 2000 Bauern umlagerten die Kirche de« Dorfes Plonguerneau seit 3 Uhr nachts. Als früh der Kom missar mit 8 berittenen Gendarmen und einer Abteilung Kürassiere und Husaren ankam, wurde Sturm geläutet. Nachdem die Truppen die verbarrikadierte Umzäunung frei gemacht hatten, trieben sie die Bauern auseinander, aber erst die zweite Reiierattacke hatte Erfolg. Biele Bauern und Sol daten sind schwer verwundet. Der Kommissar verlangte telegraphisch noch 100 Mann Kolonial-Jnfanterie aus Brest. Ja Larzasse wurde ein Holzblock aus die Be amten geschleudert. In Rohars wurde bei dem dortigen Krawall der Vicar Bccien verhaftet. — In einer spateren Depesche heißt es: Im Ministerium des Innern erklärte man auf Grund der Meldungen der Präfekten, daß die Inventar aufnahmen in den Kirchen als erledigt betrachtet werden können. Neue, ernste Zwischenfälle sind nicht zu ver zeichnen. — Der Erzbischof von Paris, Kardinal Richard, hat e- reu seiner Sekretäre nach Rom entsandt. Dieser soll angeblich vom Papste die den französischen Bischöfen zu ertei lenden Weisungen entgegeunehmen. Diese Weisungen, welche privater Natur sind, dürften geheim gehalten werden. — Der Oberstaatsanwalt von Marseille hat gegen den Bischof von Marseille, Andrieo, die strafgerichtliche Untersuchung an geordnet, weil er in seiner Protesterklärung gegen die In ventaraufnahme das TrennuugSgesctz in äußerst heftigen Worte« angegriffen hatte. — Der Kommandeur oer dritten Brigade, General Plec, ordnete an, daß der Hauptmann Magnier, welcher seine Mitwirkung an der Jnentarausnahme verweigert hatte, vor ein Kriegsgericht gestellt werde. Tex Koagakonflikt. Im Unterhaus stellte Dilke an die Regierung die Frage, ob die amerikanische Regierung beschlösse« habe, iu der Unter drückung der Gräueltaten im Kongo teilzunehmeu, und sich eventuell auf der Konferenz vertreten zu lassen, die wahr scheinlich zu diesem Zweck einberufen werden wird. Sw Edward Grey erklärte, daß ihm bisher darüber keme Mit teilung zugegaugen sei. Die Verteidigung Englands. „Eveniag Post" veröffentlicht einen Artikel über den Ge setzentwurf zur Organisation der Verteidigung der Ostküste Englands. ES heißt, die Veröffentlichung de« amtlichen Be richts werde in der Jagopresse viel Aufsehen erregen. Die LcbenSmtttrlteverung. Ministerpräsident Wekerle kündigt« »»gesicht« der bedroh lichen Konsequenzen der LebenSmittelteueruug eine Enquete an. Die Losung der Frage dulde keine« Aufschub mehr. In erster Linie soll dafür gesorgt werden, daß alle Artikel von den Produzenten direkt aa die Konsumente« gelangen, ohne daß unbegründete Gewinne erzielt werdeu. — Wenn mal ei« deutscher Minister erklären wird: „Die Lösung der Frage duldet keinen Aufschub mehr?" Keine Milderung des amerikanischen Schutzzolles. Staatssekretär Root sagte in einer Rede zu KarrsaS City, die Vereinigten Staaten könnten den Schutzzolltarif nicht aufheben^ keine politische Partei denke daran, ihn aufzuhebeu. politisches. * Sin Mitglied des Bundesrates gestorben. Aus Stutt gart wird gemeldet: Der Wirkliche Geheime KriegSrat v. Schäfer, stellvertretender Bevollmächtigter zum Bundes rate, ist gestorben. * Weitere koloniale Denkschriften. In der Kolonial verwaltung werben zurzeit weitere Kolonialdenkschristen aus gearbeitet, insbesondere solche über die afrikanischen Eisen- bahnunternehmungen aller dort kolonisatorisch tätigen Kultur völker. * Tie Polen-Interpellation. Man befürchtet in den Kreisen der Schulstreikinterpellanten, daß die verbündeten R-aj«r nsM Kompetenzbedenken tragen werden, die Inter pellation zu beantworten. ' ' * Kaiser »ud Zar. Aus Loudon wird gemeldet: Nach einer Petersburger Depesche ist zwischen Kaiser Wilhelm und dem Zaren zwischen Berlin nnd Zarskoje-Selo ein drahtloser Telegraphendienst installiert worden. * * von der französische« Flotte. An Bord de« Panzer« „Admiral Aube" sind ernste Zwischenfälle festgestellt worden. Von verschiedenen Geschützen sind die EntferuuugSmesser los geschraubt und ins Meer geworfen worden. Eine strenge Untersuchung ist eingrleitet. — Aehnliche Nachrichten wurden in letzter Zeit öfters verbreitet. * Aegypten. Der englische Staatssekretär des Auswärtigen beantwortete im Unterhause eine Anfrage Dillons mit der M. Jahrgang. Erklärung, daß die Lage in Aegypten gegenwärtig keinen Anlaß zu besonderen Befürchtungen o«1e, «ud daß kem Grund Vor hände« sei, der Leute, die dort z« reise« beabsichtigen, davon abschrecken könnte, sowie daß er «mH zuversichtlich glaube, daß ein Anlaß dazu nicht eint»--«« werd«. * Tas russische Aadeagesetz. Der im Wioisterrate ein gebrachte Gesetzentwurf über die Erweiteruag der Rechte der züdischen Bevölkerung gestattet, wie-Strcwa" meldet, den Juden den Aufenthalt in de« Dörfer« des AasiedelungS- bezirkeS und Freizügigkeit irwerhadb de- Bezirkes. Außerdem wird ihnen die Pachdmg voa Ländereien, welche den Städte«, Kirche« und Dorfgemeinden aehörea, gestaltet. Im Dvagckiet, wo de« Jude« bisher der Aufenthalt untersagt war, wird dieser gewisse« Kategorien von Jude«, wie die« bereit- in de» murre« Goaveruemeut» der Fall ist, erlaubt werde». — Immer lasier wird der Protest der russische« Leute gege» die Indem Vorlage. Der MoSkcmer Russische Lwb richtete a« de« Zarea ein Telegramm, i« dem er diese« aofleht, die russischen Bauern vor der Knechtung durch die Jude« zu bewahre«. Die russischen Leute drohe« ewmütig mit Pogroms, wenn der im Mioisterrate eiugebrachle Gesetzentwurf ge nehmigt werde. „Rußkoje Snamja", das Orgcur der russischen Leute, führt der Regierung zu Gemüte, die Zulassung der Juden zum Dougebiet könne dahin führe», daß die Regierung zwischen Juden und Kosaken werde wählen müssen. * Aussperrung tu Lodz. Die Fabrik Poznansky in Lodz will sämtliche 7000 Arbeiter in 14 Tage« wegen ihrer Gewalttätigkeiten gegen Vorgesetzte auSftrerren. * Aus Petersburg. In Petersburg kursieren Gerüchte von bevorstehenden Haussuchungen in ganzen Straßen und Stadtvierteln. Diese sind jedoch nur bei Kriegszustand ge stattet, während die Stadt nur unter außerorüzntlichem Schutze steht. * HandelSpolttischeS. Aus Madrid wird gemeldet: Der HandelsvertragSauSschuß hat seine Arbeiten beendet. ES heißt, daß der Ausschuß in seinem Bericht den Vorschlag gemacht habe, den Zloclu8 vivancki aufrecht zu erhalten. * Bombe in Stambul. Im Stadtviertel Pera explodierte eine Bombe. Getötet wirrde niemand) verschiedene Vee- dachtrge sind verhaftet. * Amerikanische Tampfersubvention. Nach einer Meldung der „Tribüne" aus Saint-Louis sagte Staats sekretär Root in seiner Ansprache, die er in dem dortigen Handelsllub hielt, es sei ein dem Kongreß vorzulegender Gesetzentwurf ausgcarbeitet, der die Einrichtung von sechs staatlich zu subventionierenden Dampserlinien für den Ver kehr mit ausländischen Häfen betreffe. * Argentinischer Minister. Der frühere Präsident der Kammer und Minister der auswärtigen Angelegenheiten Ceballos hat das Portefeuille des Aeußern wieder über nommen. Er ist auch in Deutschland bekannt. Während seines Aufenthaltes in Europa im Jahre 1003 wurde er vom Kaiser Wilhelm in Audienz empfangen. Feuilleton. IVeises FUfitraua ist. Was stets sm beste« war ciea Sterblichen. Liisipiser. >V»l)chastes, uasffektiertes Lliptrsue« gegen men sch liche lirSfte i« «Uea Stücken ist riss sicherste Selche« von LeistesstSrke. blwtenderg. Vas Mptrsua ist 6le schvarre Sucht cier Seele, Unci aller, such cias 8chul<1losrelne, rieht kürs kranke klug' cile Tracht cter USlte an. n»«m. Wagner» Fainili-nbrlefe. Von Tr. Paul Landau (Berlin). Die bereits angekündigten, mit Spannung erwarteten „Familienbrief« von Richard Wagner" lVerlag von Alexander Duncker, Berlin) bieten endlich eine zusammen fassende Sammlung der Dokument«, die Wägers Verhältnis zu seiner Mutter, seiner ersten Frau, seinen Schwestern, Schwagern und Nichten ganz enthüllen und sich zugleich zu einem einheitlichen Bilde seines Lebens und seiner Ent wicklung zusammenschließen. Richard Wagner gehört nicht eigentlich zu den großen Brieffchreibern unseres Volkes; es war ihm nicht Bedürfnis, wie etwa Goethe, Schiller oder Wieland, sich mitzuteilen, ausgedehnte Beziehungen zu unterhalten und über dies und das mit fernen Freunden zu plaudern. Wagners einsame, sich in die Tiefen des eigenen Innern einbohrende und ganz auf Klang und Ton gestellte Natur gab sich am freiesten im persönlichen Verkehr, im Wirkenlassen seiner mächtigen Jn- dividualität. Alle Briefe mußte er sich abquälen, und die meisten von ihnen haben etwas von der Ungeduld der Stunde, der Not des Augenblicks, sind Kinder seines starken Willens zwanges, nicht der freien Laune. Er sogt das selbst in einem Briefe an seine Schwester Cäcilie: „Das Schreiben, das gräßliche Schreiben! Sohen — hören — und sprechen: dos wär« meine Sache, und das würde mir die wahre Freude bringen. — Was soll ich Euch nun schreiben? Nichts anderes, als daß ich eben das „Schreiben" hasse, nicht schreiben möchte, sondern sprechen und hören." Trotz dieser angeborenen Un lust bat der gewaltige Tatenmensch Wagner auch im Brief schreiben Enstaunliches geleistet. Briete waren ihm ja das wichtigst« Mittel, um seine Ideen durchzusetzen, der tauben Mitwelt die Größe seines Lebenswerkes, seine Not nnd sein Ziel immer wieder in die Ohren zu schreien, um Freunde und Anhänger zn werben. Selbst sein« Druckschriften sind ja zum großen Teil nur offene Briefe, flammende Aus- spräche» seiner innersten Herzensnot, am die Adresse der ganzen Welt gerichtet. Und wie vielgestaltig tritt uns Wagners Wesen ans diesen zahlreichen Briefbändcn ent gegen! Da sind die zwei Bände seines Briefwechsels mit Liszt, tiefgründige Bekenntnisse über die letzten Rätsel künstlerischen Schassens, in denen der Glaube an sein heiliges Schöpferamt aus allem Menschlichen — allzu Menschlichen, siegreich hervorbricht; dann die Briefe an seine Dresdner Freunde, Uhlig, Fischer und Heine, von Sorgen des Alltags erfüllt und doch stets zum Höchsten strebend; die warmherzigen Schreiben an den Revolutionsgesährren Rockel und die lange Reihe der Mitteilungen an die Züricher Freunde und an die Bayreuther Helfer, in denen bisweilen des Meisters Gestalt hinter der Größe seines Lobcnswcrkes ganz zurücktritt.' Dann haben wir in jenen wundervollen Geständnissen an Mathilde Wefendvnck die Leidenschaft des Liebenden und die Hoheit des Entsagenden kennen gelernt, und nun tritt uns Wagner in diesen Briefen an seine nächsten Angehörigen ganz menschlich nahe. Die grandiose Geste des Sehers, die Majestät des schaffenden Künstlers, dw den Meister von Bayreuth mit einem verklärenden Schein umgeben und in eine fast übermenschliche Höhe rücken, sie fallen hier vvn ihm ab, und wir sehen — ein nicht minder fesselndes Schauspiel! — den gefühlvollen Sohn, den liebenden Ehemann, den um das nackte Leben qualvoll RiMnden, kurz, den Menschen Wagner in seiner gutmütigen Haffiruugsfroadigkcit, seinem lebhaften Temperament, seinem burschikosen Humor, seiner vertraulichen Derbheit und seiner bitteren Verzweiflung. Außerordentlich lebendig im Sprech ton sind die Briefe gehalten. Man meint, die Stimme des Schreibenden zu Hörem, tvenn er sich plötzlich mit einem drolligen Zwischenruf in einer pathetischen Klage unterbricht, glaubt sein grimmiges Lachen zu vernehmen, wenn er sich in greller Ironie mit ein paar Witzen über seine Geldnot fort- hitft. Ein stets erregtes, aus alle äußeren und innerlichen Einflüsse ungewöhnlich stark reagierendes Temperament spricht sich in einer ganz persönlichen, eigenartigen Form aus. Mit großer Berohrung spricht Wagner in diesen Familienbriofen von seinem Pflegevater Geyer. Jein Bild liegt in Venedig, als er sich „gränzenlos einsam" fühlt, aut seinem Schreibtisch. „Es ist so ein Band, mit dem ich mich in einem Zusammenhang mit der Welt weiß, wahrend sonst das Gefühl der Losgelöstheit und Einsamkeit ühcrwcegend ist." Als ihm in Triobischen die Schwester Cäcilie Briefe seines Pflegevaters an seine Mutter mitteilt, ist er von ihnen wahrhaft erschüttert, und es scheint in seinen Worten der Glaube anzuklingen, daß er mit seinem Pflegevater wohl auf eine noch engere Weise verwandt sei. „Das Beispiel voll ständigster Selbstaufopferung für einen edel erfaßten Zweck tritt uns im bürgerlichen Loben wohl selten so deutlich vor das Auge, als es hier der Fall ist. Ich kann sagen, daß ich über dies« Selbstaufopferung unseres Vaters Geyer fast untröstlich bin. Zugleich aber war es mir möglich, eben aus diesen Briefen an die Mutter einen scharfen Einblick in die Verhältnisse dieser beiden in schwierigen Zeiten zu gewinnen. Ich qlaube jetzt vollkommen klar zu sehen, wenngleich ich es für äußerst schwierig haltcn muß, darüber, wie ich dieses Verhältnis sehe, mich aus^udrücken. Mir ist es, als ob unser Vater Gever durch seine Aufopferung für die ganze Familie eine Schuld zv verbüße« glaubte." Bon tiefster Zärtlichkeit erfüllt such die Briefe an seine Mutter. In den vielfachen Konflikten seiner Jugendzeit hat sic treu zu ihm gestanden und trotz mancher Entfremdung ihm stets ihre Liebe bewahrt. Die Gefühle des Dankes über- wältigeu ibn io, „daß ich Dir nur in dem zärtlichsten Tone eines Verliebten gegen seine Geliebte davon schreiben möchte". „Warst Du nicht immer die Einzige, die mir un verändert treu blieb, während andere, bloß nach den äußeren Ergebnissen aburteilend, sich silosvftsch vvn mir wandten? Dir dringt alles aus dem Herzen, aus dem lieben, guten Herzen, das Gott mir immer geneigt erhalten möge, — denn ich weiß, wenn mich Alles verließe, würde es immer meine letzte, liebste Zuflucht sein. O> Mutter, wenn Du zu früh stürbest, eher, als ich Dir vollkommen bewiesen, daß Du einem edlen, gränzcnloS danikbaren Menschen so viel Liebe gewährt hast! Nein, das kann nicht sein, Du mußt noch viele, schöne Früchte genießen." — Die Schwingen seines Genies beginnen sich bereits zu regen. Boll Stolz erzählt er der Schwester Ottilie, „daß der größte, jetzt lobende Kontra- punktist", der Kantor Weinlig in Leipzig, viel von ihn: halte und seine Ausbildung unentgeltlich leite; in seiner kleinen Würzburger Kapellmeisterstcllc genießt er die Freuden des künstlerischen Schaffens, schreibt im Rausch seine Oper „Die Feen" hin, ist immer aufgeregt, schläft keine Nacht und denkt nur an seine Werke. Gern berichtet er auch, was alle für „einen furchtbaren Hallo" von ihm machen, „als von dem ersten Genie der Welt"; die Leute sähen ihn „für ein großes Vieh" an, und dann kann er nur wieder Mutter und Schwester um Güte und Nachsicht bitten. „Gott, ich bin ja erst zwanzig Jahre alt!" Mch d<r ahnungsvolle Gedanke an eine schwere Zukunft, die seiner harrt, steigt schon dem Jüngling auf. „Du lieber Gott", schreibt er 1834 aus Prag, „laß mir doch noch die paar glücklichen Tage, denn mit diesem Winter wird mich auch die Kälte des Lebens ergreifen, und die Sonne meines Glückes wird mir seine wärmsten Strahlen zusenden müssen, wenn sich Alles bewähren soll." Und bald tritt die Not des Lebens dem Wagemutigen, der mit seiner jungen Frau nach Paris reist, um an diesem Mittelpunkt der Kunstwelt sich Ruhm und Glück zu er zwingen, schrecklich nah«. Zwar hilft ihm der Buchhändler Eduard Ävenarius, der eben damals Wagners Schwester Cäcilie geheiratet hatte, nach Kräften, und es bahnt sich hier ein freundschaftliches Verhältnis an, das ein ganzes Menschenleben dauern sollte, und in dem der Schtvager immer der hilsbereite, ratende Freund blieb. Aber die Be suche bei Meyerbeer und anderen Musikgrößen haben nicht den gemünzten Erfolg, und der Mangel an Geld steigt aufs äußerste. Wie eine peinliche Dissonanz klingt ja dieser Schrei nach Geld — Geld — Geld! durch den größten Teil von Wagners Leben hindurch, füllt einen großen Teil seiner Korrespondenz an und zwingt ihn zu peinvollen Bitten, »u verzweifelten Versuchen und tollen Plänen. Doch bei alle dem verläßt ihn fein Humor nicht. So lautet ein Billett der Pariser -stüt an Avenarins: „Meine Frau ersucht Sie ganz ergebenst, durch Neberbringer dieses ikr geiälligit 1000 Frcs. znzufenden; sollte dies in d«r Schnelligkeit nicht gleich möglich sein, io bittet sie wenigstens für 12 Stunden mn Ihre aütig« Kcffsee-Mühle, die Sie morgen früh wieder Mrückerhaften sollen." Ein andermal bittet er den Freund, ihm doch noch einmal 200 Frcs. zu verschaffen, da er sonst ein paar Wochen hungern müsse. Dann scherzt er wieder, er erivarte nun bestimmt eine Million und wolle sie mit ihnen teilen. Aber stets bleibt er ,J>ans ohne Geld", und aus Dresden schreibt er: „Oft könnte ich mit wahrem Ge brüll die Zeit herwünschcn, in der wir endlich einmal auf- hören sollen, Bettler in anständiger Kleidung zu sein: glück lich, wer die Lumpen auf dem Leibe ^ur Schau tregen darf." Durch Opernarranzements, die er im Fron dcsMusikoerlegers Schlesinger cussührt, hilft er sich mühsam durch und endlich nach Deutschland zurück. Hier lenkt er widerwillig in den Hasen einer bürgerlichen Stellung ein und wird Kapell meister in Dresden. In disser ganzen Zeit bis zu Wagners stiller Einkehr in Triebschen, u-nd überhaupt in dem größten Teile dieser Familienbriefe, nimmt neben dem Meister seine erste Frau Minna eine hervorragende Stellung ein. Wir lernen sie in ihrer unbedeutenden Gutmütigkeit, ihrer sorgenden Häus lichkeit und träncnseligen Weichheit kennen; wir crwhrcn, wie treu sie in all den schlimmen Zeiten zu ihrem Manne hielt und wie herzlich sie Wagner durch eine lange Reihe von Jahren geliebt hat. Freilich, es schmerzte ihn, daß er keine Kinder hatte. „Mit Cäciliens Tticl-eleien von wegcn Kindern", schreibt er, „ist es noch nijcht: wir müssen uns, da wir durchaus noch keine Aussicht auf menschliche Jugend haben, immer noch mit Hunden behelfen: wir haben jetzt wieder einen, erst sechs Wochen alt, ein kleines, drolliges Tierchen: er heißt ''Peps oder Striezel." Erst 30 Jay>e später in einer neuen Ede sollte ihm sein Herzenswunsch in Erfüllung gehen. Da schreibt er an seine Schwester Ottilie über seinen Sobn Siegfried: „Er ist schön uns stark, und soll Wundarzt werden: ivas sonst noch, das ist seine Sache. Welch ungeheures Glück für mich!" Dennoch hat er rn jenen Dresdner Jahren sehnsüchtig herzliche Briese an Minna geschrieben, die von einer großen Sympathie und echten Neigung zeugen. Sie nimmt ihm die äußeren Sorgen des Lebens ab, hält alles in Ordnung, kocht und bäckt. „Minna kocht und grüßt", „Minna popelt Neujahrsgeschenke zusammen", mit solch einer Nebenbemerkung ist die wackere Hausfrau in den meisten Briesen vertreten, denn eine große Heldin des Schreibens ist sie selbst nicht und drückt ihre Gefühle lieber in praktischen Taten, langen Roden und großen Tränenergüssen aus. .Minna traute meinem Style mehr als dem ihrigen zu", heißt es in einem Brief an Cäcilie. „Während ich aber schreibe, bäckt sie eine Babe, von der die Nachwelt noch zu erzählen haben soll, die dennoch für nie- mano anders als für Dich bestimmt ist." Wagners Freude an prächtiger Kleidung sand bei ihr sachverständige Beur teilung. „Du solltest mich nur in meinem schöuen Somwer- kostum sehen", schreibt er ihr, „es ist eine wahre Fronde; nur mit den veilchenblauen Handschuhen war ich iLel dran, denn als ich sie -aS erste Mai ausgezogen hatte, «ud dem stellner mit der Hand aas die Speisekarte zeigte, prallte bioier entsetzt zurück, denn meine ganze Hand sah wie ein ricsenlmstcs Veilchen aus, so hatten dz« Hcntdschahe die Farbe fahren lassen." Doch die Neigung zu dem „arme« Tier", wie er sie gpt- muftg mitleidig nennt, «itze i«« »chlk
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