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01-Frühausgabe Leipziger Tageblatt und Handelszeitung : 21.07.1906
- Titel
- 01-Frühausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1906-07-21
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id84535308X-19060721013
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id84535308X-1906072101
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-84535308X-1906072101
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1906
- Monat1906-07
- Tag1906-07-21
- Monat1906-07
- Jahr1906
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Hunderte sind in des Klammen umgekommeu. ssagen. , Es gibt in Deutschland keinen Wahlkreis, sehen wir von dem ehemaligen Windthorstschen in Meppen ab, dessen Geschichte so eng mit dem Namen einer Person verknüpft war, als der vierte Arnsberger Kreis in Westfalen. Richter-Hagen — das ist Jahrzehnte hindurch eine so bekannte, enge und selbstverständliche Namenverbin dung gewesen, daß sie selbst politisch nur wenig inter essierten Kreisen geläufig war. Erst der 10. März dieses JahrdS hat diese historische Verbindung gelöst. Erst durch den Tod des freisinnigen Führers Eugen Richter hat der Wahlkreis, der mit seiner Person aufs engste verbunden war, die schwere Probe zu bestehen, ob er auch künftig, wie seit 1871, ununterbrochen liberal vertreten sein wird. Bis auf die erste Wahlperiode von 1871 bis 1874, innerhalb deren der Fortschrittler Friedrich Harkort den Kreis Hagen-Schwelm im Reichstag repräsentierte, ist Eugen Richter Inhaber des Mandats gewesen. Er er oberte es sich 1874 mit leichter Mühe. Er wurde damals mit 5784 gegen 1838 altlibcrale, 1619 Zentrumsstimmen und 1356 sozialdemokratische gewählt. Aber 1877 hatte er dann keinen leichten Stand gegenüber dem heftigen nationalliberalen Ansturm. Er selbst schreibt darüber in seinen Erinnerungen „Aus dem alten Reichstag": „Zum ersten Mal hatte sich im Wahlkreis Hagen- Schwelm die Schutzzöllncrei zu regen begonnen. Die Großindustriellen der Eisenindustrie schlugen sich auf die Seite meiner Gegner. Der Wahlkampf war ein heftiger. Man suchte mich verantwortlich zu machen für den un günstigen Geschäftsgang, sogar für das Ausblasen des Hochofens zu Haßlinghausen, was doch alles nur Folge war der Ueberproduktion der Eisenindustrie in der Gründerperiode und der Wirkungen des neuen Bessemer- Verfahrens." Dem Nationalliberalen gelang es, Richter im ersten Wahlgang um 28 Stimmen zu überholen, aber in der Stichwahl siegte Richter mit 9972 gegen 8807 nationalliberale Stimmen. Schon ein Jahr daraus mußte wieder gewählt werden nach der Auflösung H»es Reichstages wegen der Attentate 1878. Der Kampf wurde wieder hauptsächlich um schutzzöllnerische Fragen geführt. Richter stand der damalige Generalsekretär des Handels- und Gewerbe vereins für Rheinland und Westfalen, der bekannte jetzige Geschäftsführer des nationalliberalen Zentral verbandes Oueck, gegenüber. Er überflügelte im ersten Wahlgang Richter um 500 Stimmen, wurde aber in der Stichwahl von Richter mit 11421 gegen 10 005 Stimmen geschlagen. Bei den nächsten Wahlen war Eugen Richters Sieg stets schon im ersten Wahlgang gesichert, obwohl die nationalliberalen Stimmen bis 1890 ständig stiegen, ebenso die sozialdemokratischen, und obwohl auch das Zentrum, ausgenommen bei den Septenatswahlen 1887 und 1890, mit eigenen Kandidaten vorging. Die Natio nalliberalen wurden 1890 aus der zweiten Stelle hinter die Sozialdemokraten gedrängt, und von 1893 an wuchs die sozialdemokratische Stimmenzahl (1887 : 2702; 1890: 5221; 1893: 6914; 1898: 9080; 1903: 13 870) so, daß das Mandaj auch von links her immer ernstlicher bedroht war. Die nationalliberalen Stimmen schwankten in diesen Jahren zwischen 8478 und zuletzt, 1903 : 5786 Stimmen. Das Zentrum brachte es 1893 auf 2392, 1898 auf 3712 und 1903 gar auf 4526 Stimmen. Bei dieser Wahl von 1903 leisteten sich dann auch die Christ lichsozialen eine Sonderkandidatur, die 1855 Stimmen aufwies, und die Polen erschienen mit 101 Stimmen. 1898 wollte auch Ahlwardt eine Gastrolle geben. Er brachte es auf ganze 283 Stimmen. Von 1903 an konnte Eugen Richter wieder daS Mandat immer erst im zweiten Wahlgang erobern. Sein Gegenkandidat war aber jetzt in den Stichwahlen der Sozialdemokrat. Die Stimmen standen sich dabei folgendermaßen gegenüber: 1893 1898 1903 Eugen Richter 13060 17 446 20 988 Sozialdemokrat 8773 9 907 15018. Die Stichwahlhilfe vom Zentrum und Nationallibe ralen war erforderlich, um das Mandat in Richters Besitz zu erhallen, oder mindestens mußten sich diese bis zum Jahre 1903 neutral halten. Im Jahre 1903 hatte der Sozialdemokrat mit 13870 Stimmen zum ersten Mal Eugen Richter in der Hauptwahl überflügelt, der 10 572 Stimmen erhielt. Hetzt hing das Schicksal direkt von nationalliberaler Seite bczw. der Entscheidung des Zen- tkums ab. Mit welcher Bereitwilligkeit man dem frei sinnigen Führer 1903 half, zeigten die Zahlen dieser Stich wahl. in der er von 10 572 Stimmen der Hauptwahl auf Sonnabend 21. Juli 1906. 20 988 stieg, während der Sozialdemokrat nur von 13 870 auf 15 018 kam. Der Tod Eugen Richters schien natürlich die Lage des Freisinns im Wahlkreis beträchtlich zu erschweren. Schon für die Hauptwahl. Man konnte annehmen, daß mancher, der eben den großen Parlamentarier Eugen Richter wählte, zu Hause bleiben oder anders stimmen werde, wenn statt seiner ein nicht in diesem Maße be kannter und anerkannter Politiker ausgestellt wurde. Immerhin durfte man als sicher annehmen, daß der Freisinn in die Stichwahl kommen werde. Der Vor sprung auch vor den Nationalliberalen war 1903 zu groß gewesen. Und diese Erwartung hat nicht nur nicht getäuscht. Sie ist sogar beträchtlich übertroffen worden, denn der Freisinn hat bei der Wahl am 19. Juli 1906 an Stimmen gewonnen, anstatt solche zu verlieren. Das Bild der Wahl vom 19. Juli 1906 im Vergleich zu der vom Jahre 1903 ist folgendes: 1906 1903 Sozialdemokratie 16 251 13 870 4- 2381 Freisinn 11180 10 572 Z- 608 Zentrum 5117 4 526 -i- 591 Nationalliberal 4 545 5 786 — 1241 Christlichsozial 2163 1855 -s- 308 Polen 149 101 48 Demnach hat nicht nur der Freisinn an Stimmen zu genommen. In noch weit stärkerem Maße ist es bei der Sozialdemokratie der Fall, auch das Zentrum und selbst die Christlichsozialen haben einen Fortschritt zu ver zeichnen. Ein beträchtlicher Stimmenverlust aber hat die Nationalliberalen getroffen. Das ist in Verbindung mit dem in Altena-Iserlohn erlittenen Verlust ein nicht zu unterschätzendes parteipolitisches Moment, das man wohl auf die Haltung der nationalliberalen Reichstags fraktion zu den Verkehrssteuern wird zurückzuführen haben. Möge hieraus die richtige Lehre für die Zukunft gezogen werden! — Die Hauptwahl hat keine Entscheidung gebracht. Das Schicksal der nun notwendigen Stichwahl zwischen dem Freisinnigen Cuno und dem Sozialdemokraten König steht in völliger Ungewißheit. Der Sozialdemo krat ist um 5071 Stimmen voraus. Wohl würde es genügen, diese Differenz mit Hilfe der nationalliberalen und christlichsozialen Stimmen einzuholen, wenn das Zentrum einfach Gewehr bei Fuß der Stichwahl zusähe; aber auch, wenn eine solche Parole ausgegeben wird, ist keine Sicherheit für den freisinnigen Sieg vorhanden. Das Zentrum hat das Schicksal des Wahlkreises in der Hand. Wie stolz es sich in dieser Rolle fühlt, hat eS seit dem Ausgang der Wahl von Altena-Iserlohn täglich be kundet. Es hat ungeschminkt damit gedroht, den Hage ner Wahlkreis der Sozialdemokratie überlassen zu wollen aus Rache für die bittere Enttäuschung in Altena-Iser lohn, wo es meinte als der lachende Dritte siegen zu niüssen. Es hat aber auch nicht an Zentrumsstimmen gefehlt, die an die Pflicht erinnerten, der Sozialdemo kratie diesen neuen Triumph nicht zu bereiten, sich auf den bürgerlichen und monarchischen Charakter der Zen trumspartei zu besinnen. Wie die Entscheidung fällt, werden die nächsten Tage zeigen. Eins darf man dabei nicht vergessen — so bitter es für den Liberalismus wäre, den uralten Besitzstand im Hagener Mandat zu verlieren, so verhängnisvoll es wäre, einen neuen Sieg der Sozial demokratie verzeichnen zu müssen, allzu erhebend ist es auch nicht, wenn-sich das Zentrum brüsten kann, das Mandat dem Liberalismus erhalten zu haben. Möge man darum vor allem in liberalen und nationalen Krei sen mit Anspannung aller Kräfte arbeiten, um in der Stichwahl möglichst ohne Zentrumshilfe zu siegen, in- dem man die säumigen Wähler herbeiholt, die bei der ersten Wahl zu Hause geblieben sind. kinmsrr» ia sturrlsna. Die bedauerliche Unklarheit der russischen Duma über ihre Aufgaben und ihre Stellung als politischer Faktor hat bereits zu sonderbaren Auswüchsen geführt und trägt zum Teil die Schuld, daß der russische StaatSkarren noch tiefer in den Sumpf gerät. Statt sich den dringendsten prak tischen Fragen zuzuwenden, stellt sie akademische Fragen, wie die Abschaffung der Todesstrafe, den Erlaß eines Aufrufes an daS Volk u. a. in den Vordergrund und macht dadurch die ohnehin zu Konzessionen in freiheitlicher Richtung sehr wenig geneigte russische Regierung immer störrischer. Diese Regierung hat ja vieles auf dem Kerbholze und es ist be greiflich, daß sich der Zorn der russischen Volksvertreter gegen ihre Mitglieder richtet; aber ihre Ruh« gegenüber den persönlichen Schmähungen, dem vielfach ganz konfusen Phrasenschwall und der hochgehenden Redeflut, wie ihre Ge duld gegenüber der politischen Unreife, die sich häufig in der Duma offenbart, hat manchmal etwas Sympathisches, so wenig man sonst mit ihrer Haltung einverstanden sein kann. Dieser Unreife muß man ja in der Tat vieles, was geschieht, zu gute halten und auch die russischen Minister wissen, daß sie eS mit den Vertretern eines Parlamentarismus zu tun Haden, der noch zu jung ist, um gute Manieren zu haben. Aber dieses Parlament in seiner ungebärdigen Kraft ringt nach Betätigung und kann, wenn es über die Strange schlägt, gefährlich werden. Bislang hatte eS sich ja nur mit den inneren Verhältnissen Rußlands beschäftigt und «s hat schon Mühe genug gehabt, sich hierbei im Zügel zu halten. Jetzt aber hat es auch einen Abstecher auf daS auswär tige Gebiet unternommen und hierbei drohten di« Pferde durchzugehen. Petrunkewitsch, einer der Führer der stärk- sten Partei in der Duma, der konstitutionellen Demokraten, i der sogenannten „Kadetten", hat in der vorgestrigen Sitzung I mit ungeschminkten Worten den Einmarsch deutscher lund österreichischer Truppen in Rußland prognostiziert. Deutschland und Oesterreich, so behauptete er schlankweg, seien in diesem Punkte einig. Woher er diest Kunde hat, sagte der Redner nicht, er behandelte sie einfach als Tatsache. Ohne Zweifel stützte er seine leichtfertige Mit teilung auf die abenteuerlichen Angaben eines als offiziös geltenden Petersburger Blattes, der „Rossija". Dieser Vorgang im russischen Parlament ist nicht ohne Bedeutung, denn nun wird die Behauptung von der angeblich drohen den Einmischung des Auslandes in innere russische Ver hältnisse laut durch ganz Rußland hallen und die ohnehin gegen die Regierung erregte Stimmung nur noch verschärfen und die ganze Situation verschlechtern. Die Meldung ist ja nicht neu. Sie tauchte schon vor Mo naten gleich nach der Zusammenkunft des Kaisers Wilhelm mit dem Zaren in Björkö erst in englischen, dann in pol nischen Blättern auf, und nach dem Besuch, den Kaiser Wil helm in Men abgestattet, hieß es wieder, die beiden Monarchen hätten auch ihre eventuelle Mitwirkung zur Unterdrückung der revolutionären Bewegung in Ruß land erörtert. Schon aus dem Erscheinen derartiger Mel dungen unmittelbar nach den erwähnten Monarchenbegeg nungen geht hervor, daß es sich lediglich um vage Kombi nationen handelt, die durch jene gezeitigt wurden. Als in tellektueller Urheber dieses Projektes wurde stets der deutsche Kaiser hingestellt. Auch jetzt wieder ist der Ursprung der Meldung in einem sensationssüchtigen französischen Blatte zu suchen, dem die „Rossija", sei es absichtlich oder nicht, die Meldung offenbar entnommen hat. Es war das Pariser „Journal", in welchem dieser Tage der so ziemlich alle Pariser Blätter mit Artikeln über Rußland und die ge samteuropäische Politik versehende Schriftsteller Alexandre Ular — übrigens ein Deutscher, Sohn eines Bremer Gym nasiallehrers namens Uhlemann — die sensationelle Ent deckung veröffentlicht«, daß bei der Kaiserbegegnung in Schönbrunn Kaiser Wilhelm seinem väterlichen Freunde und Verbündeten klar und deutlich die zwingenden Gründe dargelogt, die sie bestimmen müßten, dem bedrängten Zaren zu Hilfe zu kommen. So wäre denn von den beiden Kaisern beschlossen worden, in Polen zu intervenieren, falls der Zar außer stände wäre, das bisherige Regime dort aufrecht zu erhalten. Wörtlich sagt Ular in seinem trotz allem Unsinn gar nicht uninteressant zu lesenden Artikel: ,,Wenn es dem Kaiser gelingt, den Zaren wieder zu be- festlgen, dann würde er sicherlich dort einen Einfluß ge- Winnen, der genügte, die Alliance mit Frankreich zu lösen. Und desbalb wird man in Berlin gern bereit sein, den „Retter des Zaren" zu spielen. Kurz und gut, der Kaiser hat eine Erneuerung der Heiligen Allianz in Wien und Petersburg vorgeschlageir die eine Bürgschaft auf Gegenseitigkeit sein soll, eine Versicherung gegen die Revo lution. Für Oesterreich sowohl wie Preußen kommt dabei die polnische Frage in Betracht; die Polen werden ja bei Einführung der Konstitution eine sehr ausgedehnte Selbst ständigkeit erhalten, etwa wie im Reiche Bayern zu Preußen siebt, und es würde nicht ausbleiben, daß die preußischen und galizischen Polen sich um Wiedervereinigung mit den Stammesbrüdern und ihren neuen polnischen Reichstag be mühten. Man fürchtet in Berlin einen Aus stand der Polen im Osten, und dagegen ist das bette Mittel, daß man die autonomen Bestrebungen Rußlands nicht zugunsten der russischen Polen ausschlagen läßt. Dazu muß man aber das Zarentum stärken, damit es den eigenen Polen die Möglichkeit nehmen kann, ihren auto nomen Velleitäten zu frönen. Und das wird sicher Erfolg haben, wenn die drei Länder, die Polen beherrschen, Hand in Hand gehen. Der Zar weiß, das Deutschland schon zu viel Polen hat, daß also an eine Annexion von russischem Gebiete nicht zu denken ist, auch wenn die Preußen in War. schau und in Moskau die Ordnung Herstellen. Viel leicht ober denken die Alldeutschen an die Osiseeprovin» zen als „Entgelt". Vielen adligen preußischen Familien liegt das Geschick der dortigen Verwandten am Herzen. Nicht in Marokko und nicht in China ist es, wo die deutsche Aufsaugungskraft wirksam fein kann, sondern lediglich in den Baltenländern! In Riga, Reval und an den Stellen der alten Hansen ist das teutonische Wesen leicht wieder zu wecken. Die Tage der Deutsch- und Schwert-Ritter wirken noch nach. DaS kst die generöse Hilfe des Reiches!" ES bedarf für verständige Menschen keiner Begründung, daß in diesem Phantasiegebild jedes Wort nicht nur falsch, sondern sogar unsinnig ist. Man würde dies alberne Ela borat auch nicht weiter beachtet haben, wenn eS nicht in die offiziöse „Rossija" und von dort in den Mund Les Abge- ordneten Petrunkewitsch übergegangen wäre. Es ist nur er staunlich, wie «in solches Geschwätz in Rußland ernst genom men werden kann. Es beweist, daß die Verwirrung in den Köpfen der russischen Politiker einen ziemlich hohen Grad erreicht hat und gibt denen Recht, welche diese Politiker in und außerhalb der Duma nicht ernst nehmen. Die Erörterung im russischen Parlament hat es aber nötig gemacht, ihrem Ursprünge nachzugehen, um zu zeigen, auf wie schwachen Füßen sie steht. Demgegenüber erscheint es fast überflüssig, daß jetzt von allen Seiten versichert wird, die Meldung von einer geplanten deutsch-österreichischen Intervention entbehre jeder Begrün dung. So wird der „N. Fr. Pr." von diplomatischer Seite erklärt: „Es ist von Rußland keine Anfrage hierher ge richtet worden, und — dies wird mit Nachdruck betont — es besteht hier absolut kein« Neigung, sich in die inneren Ver hältnisse Rußlands «inzumengen" Unb von Berlin aus wird der „Russ. Korresp." berichtet, daß man dort glaube, die gänzlich unbegründete Meldung der „Rossija" bezwecke nur, eiuen Druck auf dieDuma auSzuüben. Di« rus sische Regierung will aber, wie die „Nowoje Wremja" vom Ministerium deS Aeußern erfahren hat, den sensationellen Meldungen der „Rossija" ganz fern stehen. „Rjetsch" meldet, das Ministerium des Aeußern - werde eiu Dementi ver öffentlichen. „Rossija" selbst beeilt sich heute zu erklären, die Regierung habe mit dem Artikel »ichtt zu tun, sondern ein Mitarbeiter der Redaktion habe darin Mitteilungen der Auslandspreis« wiedergvgobeu. DaS Blatt hält« gleich hinzufügen sollen, daß Herr Uhlemann au« Bremen im Pariser „Journal" der eigentliche Born gewesen ist, a«S dem sie ihre Faselei geschöpft hat. Zuguterletzt tut heute auch die „Norddeutsche All- gemeine Zeitung" dem Herrn Petrunkewitsch die 169. Jahrgang. Ehre an, seine Aeußerungen in der Reichsduma wiederzu geben und bemerkt dazu: „Daran ist kein wahres Wort!" Hoffentlich ist damit der Zwischenfall, der aufs neue die Leichisertigkeit charakterisiert, mit der in Rußland die heikel sten Fragen behandelt werden, abgetan. veukscfter Zeich. Leipzig, 21. Juli. * Ter Kaiser in Drantheim. Eiu Telegramm vom 19. meldet: Heute nachmittag trat Regen ein, so daß die geplante Fahrt nach Fjeldsäter, wo der Tee eingenommen werden sollte, unterbleiben mußte. Verlustliste. Ein Telegramm aus Windhuk meldet: Reiter Paul Böhm, geb. zu Lobedau, früher Infanterie-Regiment Nr. 23, am 15. Juli in der Krankensammelstelle Wasserfall an TyphuS gestorben. Reiter Valentin Salusch, geb. am 1. November 1884 zu Lissa, srüher Jäger-Bataillon Nr. 6, am 16. Juli in der Krankensammelstelle Kubub au Herz schwäche nach Typhus gestorben. * Koloniale Personalien. Die „Köln. VolkSztg." nennt den deutschen Generalkonsul in Genua Dr. Jrmer al- künftigen Unterstaalssekretär. Dr. Jrmer gilt al- kerson» gratissima beim Kaiser und beim Reichskanzler. Der Ge- nannte war längere Zeit Gouverneur der Marschallinsel« und gilt als einer der befähigtsten Beamten de- auswärtigen Amtes. — Rittergutsbesitzer von der Gröben-Groß-Marannen, Mitglied deS Allensteiner Kreistage«, der neulich schon auf der Liste der „neuen Männer" stand, ist nach der „Alleust. Zig." als Vortragender Rat in die Kolonialabteilung ein getreten. Herr von der Gröben war Regierung-rat bei der BezirkSregieruug in Potsdam und vordem Polizeipräsident von Rixdorf. * Die Zentrums-Politik bei« Schnl-esetz. Bon der Politik des Zentrums beim Schulgesetz zieht der „Wests. Merkur" den Schleier, der dem Fernersteyenden manche- Mal die Absichten dieser Partei in ein mysteriöses Dunkel gehüllt hatte. Er schreibt: Für ein christliche» VolkSschulgesetz hätte die Regierung im Ab- geordnetenhause eine Mehrheit von Konservativen und Zentrums leuten, die sogenannte konservativ-klrrikale Mehrheit fiuden können. Aber Erinnerungen an die Katastrophe vom März 1892, Furcht vor der mlttelparteilich-liberalev Agitatiou-kraft und namentlich auch Angst vor der Hetzerei de- Evangelischen Bunde» gegen jede« „ultramontanen Einfluß" führten dazu, daß »an dem Unter nehmen ein Kompromiß zwischen Leu Konservativen, de« Frei konservativen und den Nationalliberaleu -« Grund« legte, also daS Werk auf di« Grundlage der alt« Kartellmehrheit stellte. Dadurch schien daS Zentrum beiseite geschoben, aus geschaltet zu sein. Aber eS schien nur so, denn tatsächlich hatte das Zentrum, als bereitstehende Reserve, einen maßgrbeuden Einfluß auf die Gestaltung des Gesetzes. Dir halb und ganz liberalen Elemente der privilegierten Mehrheit hätten längst nicht so viel« Zugeständnisse an das konfessionelle Schulpriuzip gemacht wenn nicht die Gefahr einer „konservativ-klerikalen Mehrheit" sie zur Mäßigung und Nachgiebigkeit veranlaßt hätte. Darum konnten wir schon bei der ersten Annahme des Gesetze- im Abgeordneten dause feststellen: was Gutes daran ist, ist wesentlich dem Einfluß des Zentrums zu verdanken . . . Au- diesem kleine» Rückblick ersieht man, daß die Zentrumspartei bei dieser Gesetzgebung ganz eigenariige Schwierigkeiten zu überwinden hatte, woran» sich auch die eigenartige Haltung bei den Abstimmungen erkläre» läßt. Mau ersieht aber auch, daß unsere Partei mit dem Ergebni» insofern zufrieden sein kann, als da» Erreichbare erreicht ist, und manchen Gefahren für die Zukunft vorgebeugt wurde. DaS Verhalten des Zentrum» bei der Beratung des Schulgesetzes erscheint geradezu als ein diplomatische» Meister stück. Man ließ die Nationalliberaleu da- Gesetz machen und überließ ihnen alle» Odium, während man selber als Reservetruppe sich zurückhielt. Die Nationalliberalen anderseits wußten, daß daS Damokles-Schwert über ihrem Haupte schwebte, daß das Gesetz auch ohne sie gemacht würde, wenn sie versagte». In dieser Zwangslage ließen sie sich ein Zugeständnis nach dem andern abtrotzen. Sie besaßen nicht den Mut, ihre Kette zu zerreißen. Es fehlte ihnen eben jene Entschlußfreudigkeit, auch einmal in die Opposition zu treten, wenn es notwendig wird. Durch diesen Mangel an Willenskraft sind sie seit 3V Jahren Stufe um Stufe von ihrer einst übermächtigen Stellung herabgesunken. Traurig, daß sie, ob bewußt oder unbewußt, jetzt als Schachfiguren willenlos den Zwecken deS großen Zauberers von Rom sich unterordnen muffen! * Zum Fall Römer meldet uns ein Privattelegramm aus Dortmund : Pfarrer Traub erklärt öffentlich die vom rhei nischen Konsistorium behauptete angebliche Tatsache seiner Einwirkung zugunsten der Wahl des Liz. Römer für Un wahrheit. Traub sollte bekanntlich ein Telegramm nach Remscheid mit der Aufforderung: Haltet fest an Römer! ge sandt haben und deswegen in eine DiSziplinaruntersuchung verwickelt werden. — In der Wahlangelegenheil Römers ist beim Presbyterium in Remscheid folgendes Schreiben der Superintendent»! Lennep eingegangen: Im Auftrag dr» königl. Konsistorium» teile ich dem verehrt. Presbyterium folgendes mit: In der gemeinsamen Sitzung mit dem Vorstände der Provinzialsynode am 5. d». hat da» vereinigte Kollegium bezüglich der Wiederwahl des PredigtamtSkandidaten Liz. Römer folgenden Beschluß aefaßt: In der am 27. Juni d. I. in Remscheid getätigten Pfarrwahl zur Besetzung der neurrrichleten Pfarrstelle daselbst ist Lizentiat Römer zum zweiten Mal gewählt worden. Da der gegen die frühere, am 26. September erfolgte Wahl des genannten Geistlichen aus der Gemeinde erhobene Einspruch vom Obrrkirchenrat durch Erlaß vom 27. März d. I. endaültig al» begründet anerkannt worden, war Lizentiat Römer rechtlich aus der Zahl der wadlsähigen Bewerber um die gegen wärtig zu besetzende Stelle auSgeschieden. Demgemäß erklärt das vereinigte Kollegium die am 27. Juni b. I. stattgesundene Wahl für ungültig. Gleichzeitig habe ich dem Presbyterium mitznteilen, daß da» kgl. Konsistorium ihm zur Einrichtung einer etwaigen Be schwerde an den Oberkirchenrat eine Frist von vier Wochen von dem auf dir Mitteilung folgenden Tag ab gewährt. Der Synodalassessor Natorp Daraus ist ersichtlich, daß die Wahl Römer» bereits am 5. d. M. kassiert wurde, daß man also die am Sonnabend erst ablausende Einspruchsfrist gar nicht abwartete. Ein eigen tümliche» Berkabrrn!
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