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Leipziger Tageblatt und Handelszeitung : 22.07.1906
- Erscheinungsdatum
- 1906-07-22
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id84535308X-190607220
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id84535308X-19060722
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-84535308X-19060722
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1906
- Monat1906-07
- Tag1906-07-22
- Monat1906-07
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Für dar Erscheinen an bestimmten Tagen u. Plänen wird keine Garantie übernommen. Anzeigen und Extrabeilagen nur tu der Morgen-Ausgabe Schluß der Annahme nachmittag- 4 Uhr. Anzeigen-Annahme: Auguftusplatz 8, Ecke JodanntSgasse. Haupt-Filiale Berlin. CarlDuncker,Herzgl.Bayr.Hosbuchhandlg„ Lützowsiraße 10 «Telephon Vl, Nr. 46031 Filial-Expedition: Marlenllr 34. Nr. 367. Sonntag 22. Juli 1906. 1VV. Jahrgang. Var Mckkigrte vom Tage. * Der deutsche Kaiser hat Drontheim gestern vor mittag 8* */. Uhr an Bord der .Hamburg" verlassen. * Der österreichische Wahlausschuß hat den An trag, wonach die Zahl der Mandate für Böhmen auf 130 erhöbt wird, von denen 75 den Tschechen und 55 den Deutschen zufalle», angenommen. (S. Ausl.) * Der Konflikt im englischen Kabinett über die Frage des Flottenbauprogramms ist vollständig bei gelegt. Die Klein-Engländer geben nach, und das Flotten bauprogramm wird im vollen Umfange durchgeführt werden. * Nach einer Meldung des „ Daily Telegraph" aus Tokio, ist in Yokohama ein Riesenbrand auSge- broche». 1000 Häuser wurden eingeäschert. Eine Anzahl Personen kckm in den Flammen um. Einzelheiten fehle» noch. * Der Mörder des Schutzmann« Tag in Leipzig, der Tischler Köhler und setue Geliebte, die angebliche Schauspielerin Lange, wurden gestern tu Hannover ver haftet. — Kerner wurde in Hamburg der Schlosser Arom- knecht verhaftet, -er «tt Raubmörder Grete nach Ham- bürg gefahren sein soll. Ter Verhaftete bestreitet da« und ebeuso, dass Grete den Schlosser Herzog bet Paunsdorf er- uwrdet habe. (S. Lpzg. Äug.) engrte« streite. Als Jules Grövys Schwiegersohn Wilson bekennen mußte, daß er mit dem Bändchen der Ehrenlegion einen artigen Schacher getrieben und sich so ein hübsches Taschengeld gesichert, schlug alles diesseits der Vogesen an die Brust: „Ich danke dir Gott —" und sprach die Litanei des Pharisäers. Damals erschien der Ordens schacher als etwas Ungeheuerliches, und als Grsvys Herrlichkeit ob der Geschäftspraktiken des lieben Schwie- gersohnes ein jähes Ende nahm, fand man das bei uns recht und billig. Noch war in unserer Anschauung ein Orden eine tatsächliche Auszeichnung, die der Person wegen eines wirklichen Verdienstes oder doch wegen ihrer Abstammung und Zugehörigkeit zu einer Gesellschafts klasse verliehen wurde. Vor Band und Stern hatte der Bürgersmann eine wirkliche Achtung. Ganz allmählich wandelte sich diese Anschauung. Man klassifizierte die Orden und hatte für manches bunte Bänd lein im Knopfloch des anderen oft nur ein spöttisches Lächeln. Der Medschidieh Dotter oder der Takowri serbischen Wachs tums wurden bald als Waren angesehen, die nicht schwer einzuhandeln waren. Innerhalb Deutschlands blieben die Adler, Falken, Kreuze und Sterne der verschiedenen Bundesstaaten noch immer im Ansehen, und mancher, der auf den Frack sein Kreuzlein heftete, tat das mit einigem Stolz. Das begreift der deutsche Bürger heute noch, und selbst aufgeklärte Köpfe zwischen Memel und München schmunzeln vergnüglich, wenn ihnen von oben her ein neuer Orden ins Knopfloch fliegt. Neben dem Orden ist es der Titel, der gerade den Deutschen so begehrens wert erscheint, daß wir geradezu komische Auswüchse der Titelsucht ohne Mühe entdecken. Der „Doktor" ist noch harmlos, der Kommerzienrat bringt wenigstens irgend einer Stiftung oder einer Einrichtung öffentlicher Wohl- fahrt einen artigen Patzen Geld ein, der „Geheime" kostet schon eine große Stange Gold — sie sind vielleicht darum ihren Trägern besonders lieb und wert. Der „Kom missionsrat" findet gleichfalls seine Verehrer, den „Hof- rat" sieht manch strebende Seele im Traum, und mancher einst demokratisch schwärmende Kathedermann lächelt mildverklärt, wenn ihm in reifen Jahren der Wirk!. Geh.-Rat in allen Ehren blüht. Man kann bei den Traditionen des europäischen Kulturlebens Verständnis haben für die Wertschätzung aller solcher Titulaturen, die nun einmal bei uns vorhanden sind und zum szenischen Apparat unseres gesellschaftlichen Daseins gehören. Schwerer — viel schwerer wird es dem gewöhnlichen Bürgersmann, zu verstehen, daß eine strebende Seele viel Geld und gute Werke daran wendet, um seinem bürger lichen Namen ein „von" vorzusetzen. Von Krupp in Essen erzählte sich der Bürger mit Stolz, daß der Kanonenkönig der Nobilitierung aus dem Wege ge gangen sei; über einen Herrn „von" Meyer oder „von" Schmidt, der sein junges Adelskrönchen protzig auf seiner Karte präsentiert, spöttelt man auf der Bierbank und im Kaffeekranz. Jeder macht sich eben so lächerlich, wie er vermag, und es wirkt selbst auf den sachlich denkenden Bürger komisch, zu sehen, welch Rennen und Jagen, welch Antichambrieren und Hintertreppensteigen geübt wird, um das eine Wörtlein „von". Dabei sind die Zeiten längst vorbei, in denen dem Adel eo ipno eine soziale Bedeutung innewohnte. Der Adlige von heute, der nicht über entsprechende finanzielle oder intellektuelle Mittel verfügt, um sich seine gesellschaftliche Position zu sichern, ist eine Null. Die Schranken, die nicht durch die Geburt zwischen Menschen errichtet wurden und unüber brückbar erschienen, sind in unserer Zeit gefallen oder doch morsch. Wenn in einzelnen Kreisen der Stolz auf adlige Abstammung noch im Kraute steht, so wollen wir zugeben, daß Erziehung und Familientradition oft einen Schein des Rechtes dazu geben, und wer Freude an seinem Stammbaum hat, dem wollen wir sie am allerwenigsten kürzen — obwohl andere, als wir bescheidenen Bürger lichen das Ihre getan haben, den Kurs des Adels finken zu lassen — man denke an Herzog Ernst von Gotha, der mit immervollen Händen Patente und Diplome auf manche regnen ließ, die man mit sehr gemischten Gefüh len im Kreise des älteren Adels willkommen hieß. Aber die Sucht nach dem „von" wird zu einer bedenk lichen Erscheinung, wenn sie sich Mittel zum Zwecke be- dient, die vor der Oeffentlichkeit nicht Stich halten. Das „Berl. Tagebl." knüpft an eine Tatsache aus dem Zanderprozeß eine Betrachtung, die in ihren Schluß folgerungen über Adel und Bürgertum überhaupt für uns nicht ins Gewicht fällt, die aber insofern den Nagel auf den Kopf trifft, als dabei Zustände bloßgestcllt wer den, die nicht in unsere Anschauungen von der Umgebung eines Monarchen passen. Der Herr Major a. D. v. Zander hat, wie die Prozeß verhandlung ergab seinem Freunde, dem Rittergutsbesitzer Bendel, den erblichen Adel verschafft. Herr v. Zander yat die Adelsverleihung an seinen Freund gefingert, indem er nach Berlin fuhr und auf dem Heroldsamte vorsprach. Dort wurde ihm bedeutet, daß jährlich tausend solcher Gesuche ein- ainaen, von denen durchschnittlich sechs Berücksichtigung fänden. Das Heroldsamt tat dem Major ferner kund und zu wissen, von irgendwelcher Beeinflussung der für die Adelsverleihung maßgebenden Persönlichkeiten könne keine Rade sein, die Entscheidung hänge allein vom Kaiser ab. Trotzdem verzweifelte der Major nicht an dem Erfolg seiner Mission: Er ging auf die Empfehlung von Freunden, die in der Sache offenbar besser Bescheid wußten, als er und das Heroldsamt, zu einem „hervorragenden Schriftsteller", und dieser wackere Bereicherer der deutschen Literatur erklärte sich denn auch kurzerhand bereit, die wohlgeborenen Bendels in hochwohlgeborene von Bendels umzuwandeln. Er for derte für diese Metamorphose ein maisives Honorar, und nachdem es bewilligt war, sah die liebe Sonne nur noch kurze Zeit auf den bürgerlichen Rittergutsbesitzer Bendel hercck: eines schönen Tages wachte er auf und konnte auf seine Visitenkarte die sünszinkige Krone drucken lassen. Der König hatte der Verdienste des schlesischen Rittergutsbesitzers um Land und Volk nicht vergessen. Und Herr v. Zander, der Sproß eines ebenso frisch geadelten Bürgergeschlechtes, steckte sich dreimalhunderttausend Mark in die Tasche des „Offiziers und Edelmannes", dreimalhunderttausend Mark, um die das Vermögen des Herrn v. Bendel geringer ge worden war. Ganz richtig wird dazu bemerkt, daß den König selbst kein Vorwurf trifft, höchstens die Räte, die auf eine bloße Empfehlung eines Dritten hin die Meinung des Herr schers beeinflußten, ohne sich über die eigentlichen Motive dieser Empfehlung zu vergewissern. Die Angelegenheit an sich wird ohne Zweifel ihr Nachspiel haben, wenn die Umgebung des Monarchen nicht ein Vorurteil auf sich sitze« lassen will, das unter Umständen in der Oeffentlich keit die unwillkommenste Anschauung von der Praxis des engsten Kreises, in dem der Monarch lebt und han delt, zeitigen kann. i-eulsckies Krick). Leipzig, 22. Juli. " Privatbeamten. Wenngleich für die nächste Zeit kaum an eine wesentliche Umgestaltung des Jnvaliden- versicherungsgesetzes zu denken ist, so wird doch eine Arbeit, die zum Ziele eine beträchtliche Erweiterung des Kreises der Versicherten haben könnte, auch gegen wärtig eifrig fortgesetzt. Man wird sich erinnern, daß in weiten Handwerkerkreisen eine Zeit hindurch der Wunsch auf Einbeziehung in die Invalidenversicherung rege war. In den zuständigen Regierungskreisen ging man auf den Wunsch nicht ein, einmal, weil ein vielleicht noch größerer Teil des Handwerks von der staatlichen Versicherung nichts wissen wollte, und sodann, weil mit der Einbeziehung des Handwerks in die Versicherungs pflicht das bisherige ihr zugrunde liegende Prinzip der Versicherung von angcstellten Personen durchbrochen worden wäre. Man hat auch nicht gehört, daß im Hand werk über diese Endentscheidung eine besondere Betrüb- nis platzgegriffen hätte. Viel energischer ist und wird die Unterstellung unter das Jnvalidenversicherungsgesetz von dem großen Kreise der Privatbeamten angestrebl. Sie passen sich als Angestellte auch durchaus dem Kreise der bisher schon versicherten Personen an. Es ist be kannt, daß diese Erweiterung des Versichertenkreises von der Regierung als durchaus erwägenswert bezeichnet ist, .und daß nur vor einer Entscheidung in der Angelegen heit mit vollem Rechte eine Einsichtnahme in die Ver hältnisse der Privatangestelltcn als notwendig erachtet wurde. Zu diesem Zwecke wurde eine Erhebung veran staltet, deren Ergebnisse gegenwärtig der Bearbeitung unterliegen. Nach dem Stande dieser Arbeiten ist anzu nehmen, daß eine Denkschrift über die Verhältnisse der Privatangestellten schon im nächsten Tagungsabschnitt dem Reichstage wird zugestellt werden können, damit auch das Parlament sich auf Grund authentischen Materials im Prinzip über die in Rede stehende Frage entscheiden kann. Man darf also annehmen, daß spätestens im nächsten Jahre Regierung und Parlamenr zu einer Verständigung über die Behandlung der Privat angestellten gegenüber der Jnvalidcnverficherungspflicht gelangen werden. Würde sie ein positives Ergebnis zeitigen, dann würde an die Ausarbeitung einer Vorlage herangetreten werden können, die aber wieder einige Zeit in Anspruch nehmen wird. Also auch im besten Falle würde die Einbeziehung der Privatbeamten in die Jn- validenversicherungspflicht nicht schon bald bevorstehen. * Dtblomattsche Personalien. Wie di« „Nordd. Allg. Ztg." erfährt, ist der durch die Versetzung de» LeaationSratS Grafen Georg v. Wedel nach Rom freigewordene Posten deS Legationssekretär- bei dem Kaiser!. Generalkonsulat in Kairo dem bisherigen zweite» Sekretär iu Tokio, Freiherr« v. Grünau, übertragen worden. Zum Nachfolger de- letz teren bei der neu errichteten Kaiseru Botschaft in Japan ist der bisherige dritte Sekretär bei der Kaiserl. Botschaft in London, Dr. v. Riepevhausen, ernannt, der in London durch den Legationssekretär v. Bethmaun-Hollweg ersetzt worden ist. * Die HtntermSnner Srzbcrger«. Die „Hamb. Nachr." erfahren aus Berlin: Die Personen, mit denen der Abgeordnete Erzberger in Ver- bindung gestanden hat, waren der im Disziplinarverfahren aus dem Dienst entsernie ehemalige Geheime Sekretariatsassistent Pöplau, der frühere Bureauvorstand Wistuba vom Gouvernement Togo unv ein klerikaler Journalist Schwinn. Diese drei bildeleten in der Tat eine Art Komitee innerhalb dessen Pöplau und Wistuba die Be sorgung von „Material" oblag, mährend Schwinn die journalistische Bearbeilung und Veröffentlichung übernahm. Wistuba war der Hauplinformator Erzbergers. Das „Material" Pöplaus und Wistubas stammte ans der Registratur der Kolonialabteilung. Nach der Bebauptung des Hamburger Blattes bandelt eS sich bei seiner Mitteilung um da- Ergebnis der bisherigen Untersuchung. * Internationale Sozialpolitik. In Nürnberg bat gestern unter dem Vorsitz des Geheimrat Dr. Bödicker-Berlin der Internationale Bei band zum Studium der Verhältnisse des Mittelstandes (Sitz Brüssel) getagt. Es wurde mitgeteilt, daß schon manche Regierungen Subventionen bewilligt oder versprochen haben. Beschlossen wurde, eine Preisaufgabe zu stellen: „Was ist bisher zur Stärkung des Handwerks durch die Verwaltung und durch Selbsthülfe geschehen?" In Zu kunft sollen monatlich deutsche BerbandS-Mitteilungen neben den französischen erscheinen. Die nächste Versammlung findet 1907 in Wien statt. * Postrekord Berlin—New Jork. Dio Postverbin- düng von Deutschland nach Nordamerika hat eine weitere Verbesserung erfahren. Zur Beförderung der Post werden im allgemeinen Schnelldampfer des Norddeut schen Lloyds von Bremerhaven und die der Hamburg- Amerika - Linie von Cuxhaven nach New Aork benutzt. Die Dampfer der Barbarossa-Klasse des Lloyd, die eine Geschwindigkeit von 16 statt 21 Seemeilen wie die Schnelldampfer haben, wurden bisher für die Postbe förderung nicht benutzt. Es geschieht dies aber neuer dings an den Sonnabenden, wenn am folgenden Diens tag kein Schnelldampfer von Bremen nach New Aork geht. Diesen Dampfern wird die Post in Cherbourg zu geführt. Sie ist dann nach 9 Tagen in New Aork. Im allgemeinen trifft dies nur zweimal im Monat ein, zum Beispiel am 8. und wieder am 29. Juli. Am 28. Juli geht diese Post von Berlin gegen 12 Uhr vormittags von der Stadtbahn oder 11.55 vom Potsdamer Bahnhof, von Köln 10.45 abends, von Straßburg 12.25 in der an schließenden Nacht. Es werden so em bis zwei Tage ge- Wonnen. * Die „Germania" über „Hagen". Ganz Deutschland blickt voll Spannung aus den Hagener Kreis, welcher am Freitag zu zeigen haben wird, ob er das Erbe Eugen Richter tapfer und siegreich zu verteidigen imstande ist, oder ob seine Wählerschaft vor jenen Roten das Feld räumen will, welche den Toten so bitter gehaßt und noch im Sterben beschimpft haben. Die Entscheidung ruht beim Zentrum, und Aeuße- rungen der Zentrumspresse verdienen in diesem Augenblicke die höchste Beachtung. DaS führende ZentrumSblatt, die „Germania", schreibt: „Wie die Zentrumswähler in Hagen-Schwelm sich bei der bevor- stehenoen Stichwahl entscheiden werden, können wir nicht wissen, zumal die Beschlußfassung darüber von der autoritativen Stelle noch nicht erfolgt ist. So viel steht ja freilich unzweifelhaft fest, daß die Zentrumswähler in Hagen-Schwelm die Entscheidung bei der Stichwahl in der Hand haben. Tie Sozialdemokratie hat dem Kandidaten der freisinnigen Volkspartei gegenüber bei dem ersten Wablgange einen Vorsvrung von 5071 Stimmen errungen. Diesen können die Nationalliberalen und die Chrtst- lich-Sozialen. die bei der ersten Wahl im ganzen 4545 -s- 2163 -- 7708 Stimmen erhalten haben, um mehr als 2500 Stimmen ausgleichen, aber nur dann, wenn diese Stimmen wirtlich dem freisinnigen Kandidaten zusallen, unv wenn nicht ein großer Teil derselben für den sozialdemokratischen Kandidaten abgegeben wird, womit nach den bisherigen Erfahrungen immerhin zu rechnen sein würde. Tie Verantwortung dafür würde also den Nationalliberalen und den Christlich-Sozialen zusallen, während daS Zentrum allenfalls Wahlenthaltunq proklamieren könnte. Wir meinen allerdings nicht, daß die Zentrumspariei im Wahlkreise Hagen-Schwelm, die bei der Hauptwahl eine so große Rührigkeit, Entschiedenheit und Einigkeit an den Tag gelegt bat, nun bei der Stichwahl „Grwelir bei Fuß ' stehen sollte. Gewiß, vom menschlichen Standpunkte ans ist in der ersten Aufwallung des politisch gekränkten Gemütes der Gedanke an eine „Rache" oder „Vergeltung" erklärlich, wie es ebenso begreiflich ist, daß man den Mittelweg einer „Wahl enthaltung" nach Lage der Dinge für einen geeigneten und einen ausreichenden AuSwcg hält. Aber vom prinzipiellen Standpunkt aus müssen die Zentrumswähler sich doch auch sagen, daß sie nicht für einen sozialdemokratischen Kandidaten ihre Stimme abgeben können, und daß sie sich nicht desselben Fehlers schuldig machen dürfen, dessen sie die Freisinnigen von Altena-Iserlohn anklagen. Die momentane menschliche Erbitterung über die Schmach von Altena-Jierlohn mag noch so groß sein, höher als diese ist der prinzipielle Grundsatz: Unter keinen Umständen für einen Sozialdemokraten. DaS wäre die edelste „Rache" für Altena- Iserlohn, wenn die Zentrumswäbler von Hagen-Schwelm vor der ganzen Welt zeigen würden, daß sie ans einer höheren Warte der konfessionellen Toleranz und der politischen Einsicht stehen al- die verbohrten, angeblich freisinnigen Wähler in Altena- Iserlohn, die sich nun genug vor der ganzen Welt blamiert haben, und denen vielleicht zu viel Ehre angetan würde, wenn man ihrer Dummheit wegen auch noch eine große politisch« Aktion unter dem Eindruck einer „Rache" ins Wer? setzen wollte. Diese Erwägungen werde«, wie wir vorauSsetzen, auch an den entscheidenden Stellen, von denen di« Stichwahlparole für Hagen-Schwelm au-geht, sich von selbst anfgedräugt haben." DaS ist groß gedacht, wenn wir es so verstehen dürfen, daß Unterstützung CuaoS trotz alle» Borausgegangenen befürwortet wird, nicht bloße Wahlenthaltung, welche nach Lage der Umstände leicht den Fall CunoS bedeuten könnte. * W-HUteiS Stube. Im Reichstagskreise Stade stelle» die National-Liberale» Dr. Max Jäneck«, de» Verleger des „Haso.-CourierS", al- Kandidaten auf. * Tie »««eftte. Zu der Unterlassung einer Amnestie am 4. Juli schreiben die offiziösen Grenzboten: Die Srbnrt eine- junge» Prinzen ist in Preußen noch niemals Anlaß zu einer Amnestie gewesen. Weder im Jahre 1859. al« der jetzig« Kaiser geboren wurde noch 1882. al- der jetzige Kronprinz I da- Licht der Welt erblickte. E- ist damal- auch keiner Zeitung « eingefallen, eine solch« Forderung zu stellen, ebensowenig ist damal» I in den obersten Regierungskreisen daran gedacht worden. Dir Feier der goldenen Hochzeit Kaiser Wilhelms deS Ersten Hot dagegen eine Amnestie in beschränktem Umsange — es wurden ungefähr 800 Per sonen davon betroffen — gebracht. Ebenso war eine solche im Jabre 1870 bei Ausbruch des Krieges „für politische Verbrechen und Vergehen" ergangen. Man sieht daraus, daß nach der im preußi schen Königshause üblichen Auffassung für eine Amnestie eine ganz außerordentliche Veranlassung gegeben fein muß, zu denen die Geburt eines jungen Prinzen schwerlich gehört. Hierzu kommt, daß seit Einführung der bedingten Begnadigung auch für den Justizminister die Empfehlung einer Amnestie erschwert ist, die zum Teil die nämlichen Kategorien treffen würde, auf die jetzt die bedingte Begnadigung Anwendung findet Verurteilungen politischer Natur, die durch erne Amnestie aufgehoben werten könnten, sind, ein schließlich der Majestätsbeleidigungen, in den letzten Jahren nur in geringer Zahl erfolgt und würden Material für eine Amnestie kaum bieten, während andererseits die Tatsache, daß man kein Zeiiungsblatt in die Hand nehmen kann, ohne einer Reihe bestiali scher Robeiten zu begegnen, die zum großen Teil leider eine nur gelinde Ahndung gefunden haben, für das Staatsministeiium eben falls kein Anlaß sein kann, eine Amnestie zu empfehlen. Es ist mithin weder eine äußere Veranlassung zu einer solche» gegeben, noch findet sie sich in einer Häufung von politischen Verurteilungen, noch endlich ist die Schäfte der ergangenen Erkenntnisse al- ein Grund anzuseken, sie durch Begnadigungen zu mildern. Amnestie ist und bleibt ein Akt der Gnade, den man, auch wenn er berechtigt und am Platze wäre, was gegenwärtig entschieden zu verneinen ist, der Krone nicht absordern kann. In heutigen Zeiten würde sie vielleicht noch als eine indirekte Aufmunterung zu Roheiten, zu Verbrechen gegen Gesundheit und Leben dienen, die ohnehin im Durchschnitt viel zu milde bestraft werden. Hoffentlich sieht die Presse ein, daß es nicht zu ihren Aufgaben gehört, die Zeit oder die Veranlassung zu bestimmen, zu der und aus der eine Amnestie einzntreten hat. Sie kann am allerwenigsten Frage eine- Popularitätsbedürfnisses sein." So viel Sätze, so viel falsches! Das „ist noch niemals gewesen" schmeckt bedenklich nach der Oberbofmeisteria im Don Carlos. Daß die Geburt eines Thronerben keine „außerordentliche Ve.anlassung" sei, wird manchen über raschen: alle Pfingsten passiert doch so etwas nicht. Wenn die Zahl rer 2krurteilungen wegen politischer Vergehen ver hältnismäßig genug und nicht z. B. so groß ist, wie iu Rußland, so sollte mau sich darüber freuen und die paar armen Sünder in den Strafanstalten erst recht pardounierea. Weshalb gewartet werden muß, bi» e» sich recht lohnt, ist nickt ersichtlich. Die RoheitSverbrechen gehören überhaupt nicht hierher, falls nicht etwa persönliche Beleidigungen von Mitgliedern der konservativen Partei unter die „Roheiten" ge rechnet werden. „Abgesordert" hat die Amnestie der Krone kein Mensch, sondern sie nur eben für angebracht gehalten. Die Erörterungen von angebracht erscheinenden Dingen ist aber nun einmal die Aufgabe der Presse, di« sie sich von keinem offiziösen Artikelschreiber verwehren läßt. — Die An sprüche an die offiziöse Journalistik mögen noch so gering kein: der ganze Artikel deS „Grenzboten" bleibt jedenfalls noch hinter dem Mindestmaß zurück. Weshalb keine Amnestie gekommen ist, das wissen wir alle und brauche» e» nicht zu sagen. Schweigen Ware auch für die „Greuzboten" richtiger gewesen. „Du sprichst vergeben« viel, um zu versagrn: Der andere hört von allem nur da- Nein." * Kall Römer. Ei» Privattelegramm aus Remscheid meldet: Das Presbyterium erklärte heute einstimmig, daß die gemeldeten Auslassungen deS Konsistorium» über die Ange legenheit deS Pfarrers Römer durchaus nicht der Wahrheit entsprechen, daß es ferner mit der Angelegenheit niemals de« Pfarrer Traub in Verbindung gebracht habe noch sich durch dessen Telegramm, daS rein privaten Cbarakter trug, habe beeinflussen lassen. DaS Presbyterium beschloß, die Wahl Römers durch alle Instanzen durchzusechte«. * Pastor Jskrant will niemand haben. Der in der evangelischen Kirchengemeinde Krössuln bei Weißenfels a. S. tätige Pastor Jskraut, der ehemalige antisemitische Reichs- tagsabgeorvnete, befindet sich mit seiner Gemeinde in Kon flikt. Aus Weißenfels wird dem „Berl. Tagebl." geschrieben: Am 28. November 1905, nach vielen vorangegangenen Be schwerden, nahm die Gemeindevertretung zu Krössuln Ver anlassung, zum Zwecke der Versetzung des Pfarrers Jskraut Schritte zu unternebmen, und beschloß einstimmig ein Bitt gesuch an den Synodalvorstand des Inhalts: 1) Einen anderen Geistlichen zu senden, um das heilige Abendmahl auszuteilen; 2) Herrn Pfarrer Jskraut baldigst zu versetzen, da die Gemeindevertretung nur von der Versetzung des Herrn Psarrers Jskraut völlige Ruhe und Frieden in der kirchlichen sowie auch in der politischen Gemeinde erwartet. — Der Syaovalvorsitzende Superinten dent Merkens in Hohenmölsen riet in einer an ven Ge meindevorsteher Kabisch in Krössuln gerichteten Zuschrift zu einer Versöhnung, die aber unmöglich schnitt. Die Gemeinde vertretung beschloß vielmehr, dasselbe Bittgesuch an den Evangelischen Oberkirchcnrat in Berlin zu übersenren. Dir Gemeindevertretung spricht zugleich ibr lebhaftes Bedauern aus, daß Superinienbent Mertens eine Berufung der Lynodal- vorstandSmitglieder nicht sür nölig erachtete. Am 22. März 1906 kam nun der Bescher» vom Oberkirchenrat mit der Begründung, daß er keinen Anlaß finden könne, den Bescheid de» königlichen Konsistoriums zu Magdeburg vom 26. Oktober vorigen Jahres von Auisichtswegen zu beanstanben. Damit wollte sich die Gemeindevertreiung nebst den Kirckenättesien nicht beruhigen, und sie beschloß am l l. April einstimmig em Gesuch an den Kaiser mit der Bitte um Zuteilung eines anderen Geistlichen. — DeS Herrn Jskraut batte man sich früher schon in verschievenen Pfarren entleeigt. * Strcikcr-AuSschreitungrn. Auf den Milowicer Walz werken, wo Streitigkeiten zwischen der Direkt on unv den Arbeitern bestehen, kam es der „Katlowitzcr Zig." zufolge zu argen AnSichreiiungen. Die Arbriier wirken gegen 600 Fensterscheiben des Etablissements ein uno >uckt>n die Gebäuve in Brand zu stecken. Im Fabrikho e hatttn sie d e dort lagernden Holzer mit Petroleum begossen und bau r angezüodet. Ein Meister, Namens Knebel, wurde schwer mißhandelt. Die Direktion beabsichtigt, die Werke zu schließen. ' Was grosse Streiks kosten. Grosse Streiks ver schlingen bekanntlich enorme wirt'chaitliche Werte in unglaublich kurzer Zeit. Tas siebt mau wieder a« b^ jetzt bereits über 13 Wochen bauern den Lohnbe wegung im Steindruck gew^rbe. Ter durch
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