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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Handelszeitung : 02.05.1907
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1907-05-02
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id84535308X-19070502025
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id84535308X-1907050202
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-84535308X-1907050202
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Handelszeitung
- Jahr1907
- Monat1907-05
- Tag1907-05-02
- Monat1907-05
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Umgebung die Sgespaltene Petitzeile 25 Pf„ finanzielle An zeigen 30 Pf., Reklamen 75Pf.; von auswärts 30 Pf., Reklamen 1 M.; vom Ausland 50 Ps., finanz Anzeigen75 Pf.. Reklameu 1.50 M. Juseratr v.Behördcn im amtlichen Teil 40Ps. Beilagegebühr 5 Ai. p. Tausend exll. Post gebühr. Geschäftsanzeigrn an bevorzugter Stelle im Preise erhöht. Rabatt nach Tarii. Festerteilte Aufträge können nicht zurück gezogen werden. Für das Erscheinen an bestimmten Tage« und Plätzen wird keine Garantie übernommen. Anzeige» - Annahme: AugnftuSPlat; 8, bei sämtlichen Filialen u. allen Annoucen- Expeditionen des In- und Auslandes. Haupt-Filiale Berlin: LarlDnncker,Herzgl.Bayr.Hofbuchhandlg., Lützowstrak« 10 (Tel. Vl, 4603). Nr. 121. Donnerstag 2. Mai 1907. 101. Jahrgang. Vas Neueste vom Tage. (Die nach Schluß der Redaktion eingegangenen Depeschen flehen auf der 3. Seite des HauptblatteS.) Aehrenthal in Berlin. Um 8 Uhr fuhr Freiberr v. Aehrenthal mit dem Gesandten Freiherrn v. Gaaern nach dem Schlöffe, um einer Einladung des Kaisers zur Tafel Folge zu leisten. Engländer «der Bülows Rede. In einem Interview über die Rede des deutschen Reichs kanzlers im Reichstag meinten der liberale Abgeordnete Brummer, sowie der Abgeordnete Stowe, daß Fürst Bülow im Haag vielleicht weniger unbeugsam sein werde, wo die AbrustungSfrage in einem beschwichtigender«« Geiste zur Verhandlung gelangen werde. Das Mitglied der Arbeiterpartei Sbakeltou hofft, daß bei der Haager Konferenz Deutschland die Frage der Einschränkung der Rüstungen durch eine andere Brille prüfen werde. Der unionistische Abgeordnete Sassoon: Der kalte Wasserstrahl, welcher den deutschen Chauvinisten vom Reichs kanzler verabfolgt worden ist, kann uns nur willkommen sein, und die englisch-deutschen Beziehungen können dadurch nur ge- winneu. Was die Stellung Deutschlands auf der Haager Konferenz betrifft, so dürfte die deutsche Regierung einen Irrtum begeben, wenn sie sich abseits von der Beratung der Frage der Abrüstung hielte, bei der so große Interessen auf dem Spiele stehen. Cecil erklärte, er bab« nie eine Ein schränkung der Rüstungen für möglich gehalten. Es sei zu hoffen, daß durch Vervielfältigung und Ausdehnung der Schiedsgerichte das gewünschte Ziel erreicht Werve. Der Liberale Herwood erklärte, Deutschland denke nicht daran, seine militärische Uebermacht eher auszugeben, als England seine Uebermacht zur See; trotzdem wünsche England den Frieden. VonverneurSwechscl in Kamern«. Die Wiederbesctzung des Kameruner Gouvernements steht unmittelbar bevor. Sicherem Vernehmen nach ist nunmehr bestimmt, daß Herr v. Puttkamer zu einer abermaligen Uebernahme der Gouverneurgeschäste nicht mehr in das Schutzgebiet zurückkehren wird. Es bleibt nunmehr nach Erledigung des Verfahrens, welches einer Rehabilitation gleichkommr, bei dem Abschiedsgesuch, welchem alsbald stall gegeben werden dürfte. Daß Geheimrat Dr. Seitz den der zeitigen stellvertretenden Gouverneur Dr. Klein ablösen und als Gouverneur in das Schutzgebiet gehen werde, wird von unterrichteter Seite bestätigt. EnrtiuS' EntlaflungSgcsuch. Wie eine Privatnachricht des „Hann. Cour." meldet, hat Professor Curtius gestern abend jein Demissionsgesuch an amtlicher Stelle eingereicht. — Eigentlich schade, daß er sich unterwirft. Dementi. Die Meldung einer hiesigen Zeitung vom Rücktritt des weimarischen Staatsministers Rothe wird von maßgebender Stelle nach einem uns zugehendeu Privattelegramm für vollkommen unbegründet erklärt. Die Maifeier ist im ganzen überall in Deutschland ruhig verlaufen. In Berlin haben 150 Versammlungen stattgefunden; in allen gelangte eine gleichlautende Rejolution zur Annahme, in welcher u. a. nachstehende Forderungen ausgesprochen wurden: Ein höchstens acht Stunden dauernder Normal- ArbeitStag; eine mindestens 36 Stunden dauernde Ruhe pause für jeden Arbeiter in jeder Woche; Verbot der Er- werbSarbeit für Kmder im Alter von unter 14 Jakren. Rechtliche Gleichstellung aller Arbeiter ohne Unterschied des GeichlechtS und unbeschadet darum, ob sie in Industrie, Landwirtschaft, Handel und Verkehr oder im öffentlichen oder Gesindediensl »hre Arbeitskraft verkaufen. Die Erweite rung der politischen und wirtschaftlichen Rechte für die Arbeiter. Vor allem Einführung des allgemeinen, gleichen und direkten Wahlrechts mit geheimer Stimmabgabe für alle über 20 Jahre alten Personen ohne Unterschied des Geschlechts für alle Wahlen. Sicherstellung des Koalitions rechtes, volle Vereins-, Versammlungs- und Preßfreibeit und Erweiterung der Rechte der Arbeiter bei der Arbeiter versicherung. Des weiteren wird uns noch aus Berlin geschrieben: Die Maifeier im Berliner Baugewerbe ist auf sämtlichen Bauten mit Arbeitsuche begangen worden. Heute wird in folgedessen die von den Arbeitgebern beschlossene Aussperrung für alle, die gefeiert haben, in Kraft treten. Erst Montag können diese Arbeiter wieder eingestellt werden, wenn nicht inzwischen Ereignisse eingetretcn sind, die die jetzige Aus sperrung zu einem längeren Kampfe gestalten. Das Berliner Brauereigewerbe wird von einer Maiseieraussperrung ver schont bleiben, da die Brauereiarbeiter gestern in sämtlichen Betrieben gearbeitet haben. In der Metallindustrie werden kürzere Aussperrungen eintreten. Es läßt sich schon jetzt fest stellen, daß die Arbeit nicht in solchem Umfang, wie im letzten Jahr, zum 1. Mai eingestellt worven ist. Ruhe störungen kamen in der Hauptstadt, wie auch sonst im Reich, nicht vor. Aus Rostock meldet uns ein cck-Privattelegramm: Der Arbeitgcber-Schutzixrbauo Hai 400 Arbeiter wegen Teil nahme an der Maifeier als vertragsbrüchig aus allen Be trieben ausgesperrt. Die Wiedereinstellung soll erst nach Annahme des neuen Lohntarifs erfolgen. Tie Kolonialkonferenz in London beriet seit zwei Tagen über die Resolutionen der Premierminister der verschiedenen Kolonien, die die gegen seitige Vorzugsbehandlung in den Handelsbeziehungen der einzelnen Teile des Reiches zueinander befürworten. Der australische Premierminister Deakin betonte, daß die Kaufkraft des britischen Reiches einheitlich geschützt werden solle; dann würden die Mächte, die das britische Reick differcnziell behandelten, den Wunsch nach einem Ver trage bekommen. Die Erhöhung der gegenwärtigen austra lischen Einsuhrzölle unter Gewährung vou Vorzügen an die britischen Waren würde Australien in den Stand setzen, die fremden Waren durch britische zu ersetzen und eine große Vermehrung des Handels zwischen England und Australien herbeizuiübren. Das Wachten des Geiühls der körperschaft lichen Einheit des Reiches müsse anerkannt werden. Der neu seeländische Premierminister Ward sprach sich für die Unter stützung der Schiffahrtsverbinvungslinien des Reiches durch Subventionen aus. Premierminister Iameson von der Kap- kolonie sprach sich dafür aus, die Vorzugsbehandlung als Experiment zu versuchen und besonders dem füvwestafrika- nischen Wein und Tabak die VorzugSbehandlung zu gewähren, wenn auch eine noch so geringe Gegenseitigkeit hergettellt würde. Alle Kolonien hätten sich ichon geeinigt und wünschten, daß sich die ReichSregieruug ihnen auschUeße und dadurch für das ganze Reich die günstigsten Bedingungen vom Aus lände sicherte. Tie Maifeier im AuSlaude. * Im Auslände kamen gelegentlich der Maifeier in verschiedenen Großstädten Demonstrationen vor, besonders ernste in Paris, wo gestern 1280 Verhaftungen vorgenommen wurden, von denen aber nur 15 aufrecht erhalten wurden, und zwar wegen Aufruhrs uud tätlichen Angriffs. Die 15 Inhaftierten waren sämtlich im Besitz von Waffen. Die Polizeipräfektur hat sestgestellt, daß unter den Demonstranten des gestrigen Tages sich eine große Anzahl Ausländer befand, weshalb zahlreiche Ausweisungen erfolgen dürsten. Ewige besonders ernste Vorgänge werben wie folgt gejchilvert: Als gestern abend gegen 8 Uhr auf der Place de la Republique Polizisten einige Arbeiter, welche die Polizisten beleivigt batten, verhaften wollten, wurden sie durch eine Volksmenge umringt, die eine drohende Haltung annahm und die Arbeiter befreien wollte. Die Polizisten waren genötigt, blank zu ziehen; einer von ihnen gab einen Schuß in die Luft ab, worauf andere Scbutzleute herbeieilten und sie aus ihrer Lage befreiten. — Bei den gestrigen Zusammenstößen wurden insgesamt 20 Polizisten verletzt, ebenso wurden zahlreiche Soldaten durch Steinwürfe verwundet. Am Ouai de Valmy kam es zu einer förmlichen Schlacht zwischen Soldaten und Demonstranten. Ja der Provinz indessen kam es zu keinen be deutenden Z,viiche.!täller.-. Telegraphisch* *. D.richte, ow im Laufe des Abends im Ministerium des Innern eingetroffen sind, besagen, daß die Kundgebungen in der Provinz einen friedlichen Charakter trugen und die Ruhe nirgends gestört wurde. Rach den im Marineministerium ein gegangenen Meldungen war in den Staatsarsenalen und den anderen Marmewerkstätten die Zahl der feiernden Ar beiter Heuer um etwa 1000 geringer als im vorigen Jahre. Die Ruhe wurde nirgends gestört. Sus Petersburg wird berichtet: Ju den großen Industrie zentren des westlichen Gebietes hat ein Teil der Fabrikarbeiter die Arbeit eingestellt, während die übrigen forlarbeiten. Kund ¬ gebungen und Ruhestörungen haben nicht stattgefunden. Der Tag ist ruhig verlaufen. In Sofia kam es nur zu unbedeutenden Zwischenfällen. Die Sozialdemekraten versuchten, Straßenkund^ebungen zu veranstalten; sie wurden jedoch vom Militär zerstreut. Mehrere Verhaftungen wurden vorgenommen. Das Ministerium Trooz ist gebildet. Körrig Leopold wird sich heute die Mitglieder des neuen Kabinetts vorstellen lasten. Am Dienstag werden Senat und Kammer zusammeutreten, um die ministerielle Erklärung entgegenzunshmen. Wieder ein Grubenunglück. Aus Charleston (West-Virginia) wird gedrahtet: In der Whipple-Grube zu Scarboro erfolgte gestern nach- mittag eine Explosion, durch die viele Leute getötet und verwundet wurden. In dem Augenblicke der Explosion befanden sich 100 Rtanu irr der Grube. * K«nr Vahnnnglück a«f -er Sxan-arrer Lhanfsee. Gestern nachmittag wurde, wie wir bereits berichteten, auf der Spandauer Chaussee ein Straßenbahnwagen von einem Eifenbabazug überfahren. Hierzu wird jetzt aus^ Berlin weiter gemeldet: Ein Augenzeuge, der gleich nach dem Vorfall an die Unglücksstätte kam, gibt von den Szenen, die sich dort abspielten, ein anschauliches Bild. Ich kam, so erzählt er, mit meiner Automobildroschke, in der eine Familie eine Spazierfahrt unternahm, vom Spandauer Bock die Chaussee herab, als wir plötzlich lautes Schreien hörten, das, je mehr wir uns der Eisenbahn kreuzung näherten, immer stärker wurde. Als wir an den Schauplatz des Zusammenstoßes kamen, erkannten wir, daß ein Güterzug einen Spandauer Straßen bahnwagen über den Hausen gerannt hatte. Ich erblickte einen jungen Mann, der bitterlich weinte, und fragte ihn, was eigentlich passiert sei. Er erzählte mir, er >ei erst 17 Jahre alt und mittags in den Dienst der Spandauer Straßenbahn getreten. Äkan habe ibn nach der Eisenbahn kreuzung mit der Instruktion geschickt, daß er die für die Straßenbahnwagen bestimmten Schranken schließen müsse, wenn ein Zug käme. Der Eisenbahnwärter, der bis gegen jechs Uhr in Dienst war, habe sich seiner angenommen, so daß er alles richtig gemacht hätte. Gegen ")«7 Uhr sei ein Zug durchgefahren, und er habe nun seine Schranken geöffnet, da er den Rangierzug nicht gesehen habe. Ein aus Spandau kommender Straßenbahnwagen wäre gleich darauf gerade inmitten der Kreuzung gewesen, als der letzte bezw. erste Güterwagen Herankain und ihn umstieß. Während der junge Mann uns dies unter Tränen erzählte, trafen zwei Wagen der Charlottenburger Feuerwehr und allmählich eiwa vier Krankenwagen und zwei Bier wagen der Spandauer Bockbrauerei ein. Auch der Amts vorsteher erschien und übernahm die Leitung dec Ar- Feuilleton. Otto Liebmann. Wer nie gefühlt hat, daß die strenge und allgemeine Naturgesetzlichkeit alles Geschehens ebensosehr der Erklärung bedarf, als sic nach der alltäglichen Auffassung erklärt, dec bleibe draußen! Wer weiß denn, warum die Natur gesetze herrschen? Niemand! Die ganze Welt ist in diesem Sinne verstanden eine einzige ungeheure Hexerei. Das Wesen der Dinge ist schwerlich so flach, wie die Mehrzahl der Köpfe, die ihm ans den Grund gekommen zu sein scheinen. Wahrlich, ich sage Euch, eine einzige Zahl hat mehr wahren und bleibenden Wert als eine kostbare Bibliothek voll Hypothesen, Robert Mayer. Alfred -e Muffet. Zu seinem 50. Todestage. Von JulieJolowicz (Berlin). Er war schlank und blond, hatte Weiße, wohlgcpflcgte Hände und einen skeptisch lächelnden Mund. ... Er kleidete sich stets mit aristokratischer Vornehmheit und vergaß bei Drohung und Schmeichelei, im heißesten Sturm und Drang der Liebe und des Hasses niemals seiner spöttisch-liebens würdigen Art. Er war 23 Jahre alt, da er berühmt wurde. — Und die Frauen liebten ihn . . . Alfred de Müsset er widerte ihnen reichlich alle Huld, die sic ihm spendeten. Nichts Lockenderes gab es für ihn, als zu den Füßen schöner Damen zu sitzen, mit ihnen zu plaudern und zu kosen, oder nachts in ihren Armen seine Lebenskraft für ihre Küsse hinzugcben. Schlank und biegsam, und ein wenig weiblich selbst, flatterte sein Denken und Trachten um den Taumel iener Nächte; seine Dichtung wurde glühend durch sie und voll hinreißenden, lebendigen Feuers und manchmal weht ein Dust daraus hervor, wie er von weißen Lilienfcldcrn auf steigt. Sein Dichten wurde stark — sein Leben-zerbrach an einer, dis achtlos über seine Liebe hinwcgschritt, als er selbst am Boden lag. Es mangelte ihm das, was man gemeinhin ttharakter nennt: er kannte kein Maß und kein Ziel, nur Begehren und Leidenschaft «urd Besriedchnng und V^Lubung. Und wenn er sie in der Liebe nicht fand, suchte er sic anders wo .. . Und oft hieß er sic in der schmutzig-grünen Flüssigkeit eines Absinthglases willkommen . . . Alfred de Müsset, der „Kaffeehauspriuz", debütierte in jener Gesellschaft der französischen Romantiker von 1830, zu denen Viktor Hugo, Lamartine, Alfred de Vigny und an dere Stürmer und Dränger gehörten, die mit möglichster Verachtung ihres äußeren Menschen sich mit ganzer In brunst der Pathetik ihrer Kunstbegriffe Hingaben, die um einen schlechten Vers sich ihre langen, ungepflegten Haare ausraufcn konnten und die sich selbst pathetisch das „Cvnacle" nannten. Ihnen las er, neunzehnjährig, seine ersten Dich tungen vor, für die sie sich begeisterten. Aber der aristokra tischen Neigungen nachgehendc, elegante Müsset, der den Herzog von Orleans zu seinen Freunden zählte, wandte sich bald aus innerlicher Fremdheit von ihnen und ihren Zielen; mit manchem Spottvcrs sagte er sich von ihnen los. Mit her spicgelfechterisch tänzelnden Ballade an den Mond begann er den Feldzug, in dem Gedicht „Nach einer Lektüre", diesem leidenschaftlichen Bekenntnis, in dem er auf Viktor Hugo die Worte prägte: „Oranck siormrn- -si Ion reut; muis pneto — non pas!", gab er offen das Zeichen des Abfalls. Alfred de Muffet liebte es nicht, die Verse zu formen und zu feilen, er suchte nicht in grübelndem Versunkenscin nach Worten, die ihn verständlich machen könnten, nach Reimen, die klin gend im Ohre haften möchten. Uebcrsprudclnd schüttete er seine Seele in seine Dichtung, wie er die Kraft seiner Sinne und seiner Muskeln im Leben verschwendete. Er war nicht weise und wußte nicht hauszubaltcn; niemals und in keiner Sache. Halb ein Kind noch, verlor er sich in haltlosem Welt, schmerz, der später, nach dem Zusammenbruch seiner Liebe, in düsterstem Pessimismus in seinem Schaffen verklang. Er schwärmte für Byron und er hatte sich, nicht ganz ohne Grund, gegen Vorwürfe zu wehren, daß seine Begeisterung für diesen Poeten allzu sichtbar in seinen Dichtungen kenntlich sei. Aber cs ist trotzdem doch wieder nur sein eigenes Selbst, das er gibt, nur daß die stürmische Bewunderung vom Wesen des anderen unbewußt etwas mit ihm verwoben hatte. Unbe wußt — darum hatte er das Recht zu seinen berühmten Wor ten der Verteidigung: Oo m'a clit I'un passö quv j'nnitnis L>roo, Vou8 gui mv cononisscr, voas snvw! dien guo non. .7v bnis eommv I» mort l'stst cko pln-flaire, Kon verro v'est pnn xranck, mnist jo doi» sann mon verrc. Aber vor allem war in seiner Kunst die Liebe die Herr scherin, Alfred de Muffet ist recht eigentlich der Dichter der Liebe zu nennen. Es gibt, außer einzelnen lyrischen, unter seinen Dichtungen keine, sei sie in Versen oder Prosa ge- schrieben, die nicht der Liebe gilt, die nicht von ihren Freuden, ihren Irrwegen oder ihrem Kummer redet. Für sie findet er Töne von so entzückender Feinheit, wie in der Serenade, die des verliebten Laörtes Not kündet — in „Wovon die jungen Mädchen träumen" —: Xinon, Xinon guv kniü-tu so la vie, Toi qui n'im pn? ll'amavr? l.» vis «1 un sommeil. I'umonr ou ost Io rsvo Lt vo« «oroui esou, n nou, nnrov» Und seine Liebhaber alle sind zarte, feine, geistvolle Men schen, die Blumen brechen, weil ihr Duft sie betäubt, die fähig sind, die welken, duftlosen nichtachtend sortzuwerfen, die aber auch in Ekstase, aus ungestillicr, unbezähmbarer Sehnsucht hingehen können und sterben. Alle Konflikte in seinen kleinen Dramen und Lustspielen entstehen durch sehnsüchtige, oder ungestillte Leidenschaft, spitzen sich zu durch die Wirrungen zuckender Herzen und werden gelöst durch Erhvrtwerdcn oder Selbstvernichtung. Er gibt meist ziemlich brutal-sinnliche, jugenddurchbrauste Dichtungen und nur manchmal werden seine Menschen zu ruhigen, gedämpft-schattenhaften Welt leuten, die am Kamin sitzen und geistreich von der Liebe plaudern, die auch ihres Lebens Triebfeder ist. Oder Alfred de Muffet, den mit dreiundzwanzig Jahren die Frauen in allen Tiefen der Erotik erfahren gemacht hatten, der im Arm der schönen Prinzessin Bclgiojoso, der gefeierten Mlle. Rachel geträumt hatte, der die kluge, kleine Frau Jaubert in undefinierbarer, zärtlicher Neigung Freundin nannte und sic scherzend seine „Pate" hieß, sang heiß das Lied Don Juans, der seinem Herzen so verständlich war, wie ein gleich artiger Bruder. Glück und Verhängnis kommen alle so ein fach einhergcschritten in seinen Dichtungen wie in seinem Leben selbst; lächeln und neigen sich seinen Phantasie-Ge schöpfen und wenden sich ab und lassen sie zerbrochen liegen, ganz wie es sein Schicksal ihm ausfparte. Das Glück kam Alfred de Muffet durch den Ruhm und das Weib, das Verhängnis war seine Schwäche, und dieselbe Frau, die dem Schwankenden durch den Schmerz, den sie ihm antat, den letzten Halt nahm und ihn in die Hölle der niedersten Begierden stieß, die ihn langsam dem Verderben zuführtcn . . . Denn zuerst hat ihn seine rasende Leidenschaft für George Sand die Sonne in hellerem Leuchten sehen lassen, als je zuvor in seinem Leben und in der ersten Zeit ihrer Neigung konnte er sich an ausgelassenen Streichen nicht genug tun. Man erzählt, daß er bei Diners, die sie veran stalteten, als Mädchen verkleidet, die Gäste bediente, um durch allerlei Possen seiner übermütigen Laune nachzugeben und ungestraft Neckereien verüben zu können. Dann reisten sie zusammen nach Italien und als Alfred de Muffet nach sechs Monaten allein wiederkehrtc, war er ein vom Schicksal Gezeichneter. Der unerhörte Trcubruch der George Sand, die ibn mit dem italienischen Arzt Pazcllo betrog, während er auf dem Krankenlager mit dem Tode rang, der Trcubruch, den er wehrlos, in schwerer Lethargie befangen, aber doch mit wahrnchmcnden Sinnen batte mitansehen müssen, machte seiner Jugend ein Ende. Seine Kunst zwar hob sich nun erst zu ihrer höchsten Entfaltung. Sein Leid fand so wahren, warmen Ausdruck, wie ihn nie zuvor in der französischen Poesie so ergreifend ein Dichter gesunden. In den nächsten fünf Jahren, bis 1840 etwa, erschienen seine berühmtesten lyrisckeu Dichtungen, dann die „Ovokessions ä'ua cnknot «in siöelo". seine feinen Novellen „kwmelinv", „k'recksrio ot Lernerolto". „sies ckeux mnitrosses", „To til« <iu Ditivn", und seine reifsten Bühnenwerke: .,0n ov backino pnn »vee I'nmour", .,Tv ekenäslier", .,I»revr»erio", „ttn enprieo", „II no knot stirer so rion" Zähren'' inde-' sein Schoflen vor wär! ch.itt, verfiel Al'rcd de Müsset immer mehr seinem unheimlichen Hange, sich Betäubung zu schaffen, und nach noch siebzehnjährigem Hinsieche«, eroeor »«den Hinsterbe» nach so glutvoll begehrlichem Dasein, grüßte den von Krank- heilen Erschütterten der Tod eines Nachts aus jener grün lich-schmutzigen Flüssigkeit eines Absinthglases . . . In den Literaturgeschichten, aus denen die jungen Mäd chen in der Schule züchtig ihre Weisheit schöpfen, steht nicht viel von Alfred dc Muffet. Er war, was man so obenhin unmoralisch nennt. Aber man höre, was sein Landsmann. Hippolyte Tainc von ihm sagt: „Wir kennen ihn alle aus wendig. Er ist tot und cs scheint uns, als ob wir ihn täg lich sprechen hören. Eine Plauderei unter Künstlern, die in einem Atelier scherzen, ein schönes, junges Mädchen, das sich im Theater über den Rand seiner Loge lehnt, eine vom Regen gespülte Straße, wo die geschwärzten Pflastersteine glänzen,- ein frischer, lachender Morgen in den Wäldern von Fontainebleau, ein jeder stellt ihn uns wieder lebhaft vor Augen. War je ein Ausdruck vibrierender oder wahrer? Er, zum wenigsten hat nie gelogen. Er bat nur das gesagt, was er fühlte, und Kat es gesagt, wie er cs fühlte. Er hat sich durchs Leben gestürzt wie ein edles, im freien Felde sich bäumendes Pferd, dal der Dust der Pflanzen und die prächtige Neuheit des weiten Himmels mit geöffneten Nüstern zu einem tollen Laufe vorwärts treibt, der alles zer schmettert und zuletzt es selbst zerschmettern wird. Er ver langte zu viel von den Dingen, er wollte in einem Zuge, gierig und lüstern, das ganze Leben auskosten; er bat die Frucht nicht gepflückt, er hat sie nicht genossen, er hat sie wie eine Traube abgerissen, zerdrückt und zerquetscht; und er ist mit beschmutzten Händen eben so durstig als zuvor geblieben. Nun wohl! So wie er ist, lieben wir ibn Immer' wir können keinen anderen hören, neben iym erscheinen uns alle kalt und lügnerisch." .... Das ist ein Denkstein auf dem Grabe des Dichters Alfred dc Müsset . . . ö * Altenbnrger Thcaterdrief. Unser Korrespondent meldet vom 1. Mai: Unsere Annahme, daß sich die AbschiedSieier stir den scheidenden Direktor des Hoftbeatcrs. Herrn Peter Liebig, reckt ehrenvoll gestalten werde, hat sich erfüllt. Die weiteste» Kreise haben an ihr teilgenommeu: denn das Theater war überfüllt, ganz abgesehen davon, daß für viele, die Einlaß begehrten, kein Platz mehr »u beschaffen war. Die Direktionsloae prangte in wundervollem Blumenschmücke, und als die Vorstellung beendet war. durckbranile ein Applaus das Theater, wie er nur selten einmal so stürmisch gehSrt wird. Ter Sturm legte sich nicht srüher, bis Herr Inten danzrat Peter Liebig eine Ansprache dielt und sich in warm- empsundrnen Worten von Altenburg verabschiedete, fester Be völkerung und Presse dankend für alle ibm dargrbrackten Ebrnnarn. Als sichtbare Zeichen der Verehrung füllten Blumen und Lorbeer die Bübne. Dazu kamen Lorbeerkränze aus Silber Adressen. Bilder, ein Album, ein silberner Becker und sonstiges mehr. Herzog Ernst batte Direktor Liebig mit seiner Frau bereits vor seiner Ab reise in Audienz empfangen und ibm sein Bildnis mit Widmung geschenkt. Ein Gleiches ist von der Prinzessin Therese zu melden, die ihrem Bildnis noch ein Handickrriben binrusügte. Nachdem der Vorhang zum letzten Male gefallen war, spielte sich dahinter noch eine intim« Abjchiedsseier ab, die vom Personal des Hos- ibeaterS und dem Intendanten veranstaltet wurde. Freiherr v. Kageneck, Regisseur Grosse und Hossckauspieler Portal hielten Ansprachen an den Scheidenden. Die Direktoren Volkner vom Leipziger Stadttheater nutz Aenbkr vom Dessauer Hofldeater
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