116 dolen, ähnlich wie bei Luthers Tischreden, auf die ursprünglichen, hand schriftlichen Aufzeichnungen zurückgehen. Aber sind Melanchthons Anekdoten diese immerhin langwierige und mühevolle Arbeit überhaupt wert? Man hat sie bisher nicht sehr beachtet; es sind ja nur Anekdoten! And doch haben sie einen großen inneren Wert. Kierfür darf ich wohl einige Beispiele anführen. Wir wissen, daß Meister Lukas Cranach vor 1504 — vor seiner Uebersiedelung nach Wittenberg als Hofmaler Friedrichs des Weisen — eine Zeitlang in Oesterreich gewesen ist, und wir möchten gern wissen, wo er in Oesterreich tätig gewesen ist. Vielleicht in Wien? Kat er hier in Wien im Jahre 1503 das Bildnis des Wiener Professors Johann Stephan Reuß gemalt, das jetzt im Germanischen Nationalmuseum in Nürnberg hängt? And ist er der Maler des ebenfalls 1503 gemalten Christus am Kreuz aus dem Kloster Attel am Inn? Diese Fragen haben für die künst lerische Entwicklung Cranachs eine gewisse Bedeutung ^). Aber ein Aufent halt Cranachs in Wien ist bisher nirgends bezeugt. Hier tritt eine Anekdote Melanchthons ein; er erzählt bei Vendenhaimer'): 06HI. Ob piotors ^Vitteabsrgbusi. IEU8 Oi-aiEb piotor hat auf ein zeit mit dem Bischof von Maintz geessen, da waren im kleine fischlein fürgesetzt worden, die hatten dem Lucas Maler sehr wol geschmeckt, darüm er auch viel geeßen hat, das sich ydermann darüber verwündert hatte. Und wie auch der Bischos solches gesehen hat, hat er in gefragt, ob er kranck wer gemeßen. Sagt Lucas Maler: Ja warlich ich bin sehr kranck gewesen. Da hat er in ge fragt, ob es auch lang war. Antwort er wiederum: Für 32 Jahren lag ich sehr kranck zu Wien in Oesterreich. Hier wird Cranachs Aufenthalt in Wien durch Melanchthon aus drücklich bezeugt, und die Zeitangabe „vor 32 Jahren" beweist, daß dieser Aufenthalt in Wien in der Tat in die Jugendzeit des Meisters gefallen ist. Ein zweites Beispiel: Cranachs Entwicklungsgang wird von der neuern Kunstgeschichte so dargestellt, als hätte er in den letzten Jahrzehnten seines Lebens das Malen mehr und mehr seinen Söhnen und Gesellen überlassen und wäre aus einem Künstler zu dem betriebsamen Vertreter einer künstlerischen Werkstätte hinabgesunken. Man kann hierüber bei Ed. Flechsig in seinen Cranachsludien 1, 242 s. merkwürdige Dinge lesen; Flechsig weiß auch den Grund für diese Wandlung in Cranachs Wesen: Sein Eintritt in den Rat der Stadt Wittenberg habe seinem Leben eine andere Richtung gegeben, und mit dem 60. Lebensjahre werde sich wohl auch bei ihm das Bedürfnis nach Ruhe geltend gemacht haben. Melanchthon dagegen erzählt uns: Coster Ouoa« est pinZit totos (lies. Huando brat domi — Cranach war von 1550 bis 1552 bei dem gefangenen und abgesetzten Kurfürsten von Sachsen in 1) Ed. Flechsig, Cranachsludien. I, 284 f. 2) Corp. Ret. 20, 593 f. ») laiW.-Llel. 2, l58b.