143 nun auch das in den Dorfarlikeln niedergelegte Recht gleichfalls auf Will kür der Nachbarn? Eine genaue Prüfung des Inhalts der Artikel führt zu dem Ergebnis, daß schon in der ältesten Fassung der Dorsartikel eine Mischung von Ratssatzung und gewiesenem dörflichem Gewohnheitsrecht erkennbar ist. Ohne Zweifel gehen die meisten Bestimmungen auf Rats satzung zurück, z. B. inbezug aus die Abtragung der dem Rate und der Kirche geschuldeten Beträge, Einlegung des Erbgelds auf dem Rathause, das Bierausschenken aus den Dörfern u. a. mehr; ja in einem Falle, beim Verbot der Kilfe (Exekution durch Richter und Schöppen) gegen einen Nachbarn, wird ganz ausdrücklich des Dorfs Gewohnheit als nicht maß gebend bezeichnet. Selbst die auf rein Agrarisches bezüglichen An gaben können Vorschriften aus dem Gedankenkreise des städtisch-bürger lichen Rates sein. Beruht doch der einzige derartige Artikel, dessen Ent stehung genau nachweisbar ist/) auf Gebot der Kerren; und auch andere ähnliche Bestimmungen finden sich in den Iahrgerichtsprotokollen als Befehle der Kerren an die Nachbarn, die einen Schaden rügen und bitten, ihnen Ordnung zu machen?) Freilich einzelne Artikel mögen dörfliches Gewohnheitsrecht bieten und erlauben wohl auch wegen der vergleichs weise noch größeren Bedeutung, die sie dem Dorsrichter nebst den Schöppen in der Verwaltung zusprechen, einen Schluß auf ursprüng liches Bauernrecht. Auch die geringe Kunst klarer und gleichmäßiger Stoffanordnung in R 1555 und die wenig abgerundete Formgebung lassen den Stil agrarischer Rechksquellen erkennen. So dürfen wir zwar diese früheste Fassung der Artikel der Leipziger Ratsdorfschaften ihrem Inhalte nach als eine den „Dorfwillküren und Nachbarbeliebungen norddeutscher Gegenden" ch anzureihende Schöpfung des Rechtslebens bezeichnen und der deutsch-mutterländischen Weistumsüberlieferung annähernd an die Seite stellen; nach ihrer Entstehungsweise aber hat sie, da die obrigkeit liche Polizeigewalt darin schon stärker zum Ausdruck kommt, kaum den Charakter einer echten Willkür von Dorfnachbarn, als vielmehr einer obrigkeitlichen Dorfordnung. Dieser Charakter der Dorfartikel erhellt nun noch deutlicher in den jüngeren Textformen. Schon die Fassung im Druck von R ? 1569 weist einen viel stärkeren Einschlag herrschaftlicher Bestimmungen auf. Allerdings fehlt es auch hier nicht an einzelnen Zusätzen, die ebenfalls aus dem Kreise der bäuerlichen Rechtsbildung stammen und, wie schon frühere, durch Rügen der Nachbarn bei den üblichen Iahrgerichten der Ratsdörfer veranlaßt sein werden. Aber bei weitem die Mehrzahl der Einfügungen, sei es zur Wahrung besserer christlicher Zucht und Sonntagsheiligung, sei es in Bezug auf das Verhalten beim Güterbesitzwechsel und den Grundstücksveräußerungen, oder seien es mancherlei Gebote landes- und ortspolizeilicher Art, kann man leicht entweder als Ratssatzung erkennen oder, wie die Maßnahmen zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Sicherheit, zur Instandhaltung der Straßen und allgemeinen Nutzbarkeit der Gewässer, auf kurfürstlich-landes- y k 1555, 27 nebst Anm. Vgl. auch MI 1712, XXXV (o. I. 1597,. 2) In den Protokollbüchern über die Jahrgerichte z. B. Lehlitz 1555, Okt. 28, Sommerfeld 1557 und 1562. 2) Vgl. G. Kaussen, Agrarhistorische Abhandlungen II. 163 ff. (Leipzig 1884).