14 und Fett schwammen. Ja und am Sonntagabend lag dann bei dem 250 gr. Brot eine dicke Schnitte Sülzwurst. Das alles bedeutete keine bösartige Hungerleiderei, kein sonderlich ungewohntes Spartanertum. Nur das Zubehör, die Form und Hülle des Essens quälten. Der Kaffeepott war zugleich das Trinkglas und der Becher zum Zähneputzen, der Brei wurde in einem abgestoßenen Blechnapf gereicht, ein alter Blechlöffel bildete das einzige Besteck. Sollte die Margarine oder die Marmelade auf das Brot verteilt werden, so mußte ich mit dem Löffelstiel aufstreichen oder mit dem Brot über die Marmelade und Marga rine fahren. Und hinter dem nackten Eßtisch stand das Closett. Wie viele Hände waren schon zwischen den Abortdeckel und dem Tisch, auf den ich mein Brot legte, hin und her gewandert! Gewaschene? Wie oft am Tage konnte ich die meinen waschen. Der Wasser krug wurde morgends und abends gefüllt (man mußte ihn im gegebenen Moment rasch durch den Türspalt heraussteilen, ihn beim nächsten Öffnen rasch zurücknehmen), der Krug war eine Kaffeekanne, und das Wasser mußte auch zum Trinken reichen. Doch auch die der Fütterung anhaftende Primitivität und Ekelhaftigkeit bereiteten mir keine dau ernde Tortur. In der Kaserne war all das nicht sehr anders gewesen und im Unterstand sehr viel schlimmer. Ich gewöhnte mich so rasch daran, ich hätte es schon am zweiten Tag überhaupt nicht mehr gemerkt, wäre nicht das Spaltöffnen gewesen und das Zuschlägen, Zuschließen, Zuhaken der Tür, das mir immer wieder Gefangenschaft einhämmerte. Aber schließlich wäre ich auch darüber hinweggekommen. Ein sehr alter Witz des dritten Rei ches - Wieghardt, die längst Entronnene, hatte ihn mir noch erzählt - tröstete mich ernsthaft. Fragebogen des vierten Reiches: »Wann haben sie unter der vorigen Regierung gefangen gesessen? Wenn nicht, warum?« Es ist ehrenhaft, jetzt gefangen zu sein, es wird einem künftigen Leumundszeugnis zugute kommen. Ich habe mir nichts zuschulden kom men lassen, ich bin nicht wegen meiner Verdunklungssünde in Haft, sondern als Jude im Gefängnis. Nichts kann mich wahrhaft demütigen, jede Demütigung erhöht mich nur und sichert meine Zukunft. Ich predigte es mir immer wieder, und ein bißchen half es auch. Die einzige wirkliche Qual, die gar nicht zu betäubende und immer zunehmende, bestand in der völligen Beschäftigungslosigkeit, in der entsetzlichen Leere und Unbeweglichkeit der 192 Stunden. Da über mir ging es immer fort, tapp - tapp - tapp. Vier Schritte in die sem Tempo, das waren noch nicht einmal vier Sekunden. Wie viele Schritte kamen auf nur eine Stunde? Am Montag nach dem Essen, als zum erstenmal der Napf herausgestellt und der Wasser krug hereingenommen war, als die erste Nacht bei hellichtem Tage für mich begonnen hatte, stieg die bis dahin zurückgedrängte Verzweiflung hoch. Jetzt war ich schon eine End losigkeit hier, eine wirkliche Endlosigkeit. Das läßt sich ja nicht beschreiben. Womit denn? Wiedergeben kann man, was geschehen ist, das kleinste Ereignis, den kleinsten Gedanken. Aber die Endlosigkeit besteht in dem, was dazwischen liegt, in dem bloßen Gefühl des Käfigs und der Leere, in dem Nichts der vier Schritte zur Tür in der bewußten Abgestor- benheit. Jetzt war es etwa sechs Uhr Nm [Nachmittag], jetzt pflegte sonst für uns der leidlichste Teil des Tages zu beginnen. Wir fuhren in die Stadt, im Pschorr an der Refor mierten Kirche, ließ sich meist ein Essen auftreiben, Gäste plauderten untereinander, wir