17 ihre Mißhandlungen hinterließen keine dauernden Spuren; sie waren leinenfiihrig, denn sie verließen das Bettleinen nicht, um in das Hemd zu kriechen. An »leinenführig« nahm ich Anstoß, das war jüdischer Wortwitz und schwache Wippchenkopie. 2 ’ Und überhaupt bedeutete diese ganze Geschichte ein Vormirselbstkokettieren mit Galgenhumor. So gab ich sie auf, und der PWD beschäftigte mich fortan nur die eine Wachstunde, diese aber regelmäßig. - Ich muß ihm dankbar sein, nach dem allzuzeitigen Niederlegen brachte diese angestrengte Unterbrechung einen mehrstündigen Schlaf ein. Am Dienstag morgen fühlte ich mich besser als den Abend zuvor. Nun waren schon fast 188 Stunden abgebüßt und vielleicht hatte das Sprichwort von der besonderen Schwierig keit allen Anfangs doch recht. (Im allgemeinen neigte ich freilich dazu, seinem Gegenteil, dem burschikosen »Das dicke Ende kommt nach« recht zu geben, und wirklich behielt es auch diesmal recht.) Ich sagte mir, es sei eine Bankrotterklärung, wenn ich mir nicht zu traute, 192, nein 174 Stunden, von denen noch die Nachtzeit abzusetzen sei, aus meinem inneren Vorrat zu speisen. Vor allen Dingen mußte ich mich freimachen von der Besessen heit des Stundenzählens und den Tag angehen wie einen normalen l ag. Legte ich mir nicht seit vielen Jahren an jedem Morgen mein Pensum zurecht? Warum nicht auch heute? Ja, aber ohne Brille und Buch! Mir fiel ein, wie ich ehedem meiner Frau ganze Auf sätze aus dem Kopf in die Maschine diktiert hatte, ich würde ihr diese ganze Gefängnis- affaire, wie es dazu gekommen und alles was ich hier äußerlich und innerlich erlebte, in die Maschine diktieren, ich würde mir vorstellen, sie säße dort am Tisch und das verruchte Auf und Ab der vier Schritte zwischen Fenster und Tür sei mein übliches freies Umherge hen beim Diktat; ich würde wirklich jeden Satz in die richtige druckfertige Form bringen. Ob ich ihn mir auch ganz so einprägte, wie er diktiert war, darauf kam wenig an - wenn ich nur das Käfiggefühl los würde und nicht mehr die Stunden zählte. Ich machte mein Bett, ich wusch mich — draußen war noch immer kein Geräusch zu hören — wer weiß, wie lange es noch hin war bis zur Morgenverpflegung, wieviel noch an den ersten 8 Stun den fehlte. Da war das Zählen schon wieder - es mußte, es mußte durchaus vertrieben werden, soviel Selbstdisziplin würde ich aufbringen. Ich begann mit halblauter Stimme: »Im Juni kam meine langschwebende Polizeistrafe zur Vollstreckung«. Uber diesen Satz bin ich im wirklichen geformten Diktat nie herausgekommen, obwohl ich zu verschiede nen Zeiten wohl 20mal ansetzte. Dies war kein freies Herumwandern, dies waren die vier Zellenschritte und ich sprach auf den leeren Tisch und das ungespülte Closett ein. Ich hatte schon sehr lange vergeblich gerungen und mich müde gependelt, ehe es endlich drau ßen »Kaffeepott« hieß, die Angst vor der Leere wollte wieder aufsteigen. Der heiße Hafer schleim und das Brot erfrischten ein wenig, ich durfte nicht nachgeben, ich mußte die Leere aus mir heraus fühlen, sonst ... nein es gab kein Sonst. Ging es nicht mit dem fikti ven Diktat, so wollte ich meine geistigen Bestände durchgehen. Woran arbeitete ich? Seit 1933 fiel die kleine Geschäftigkeit der Recensionen und gelegent lichen Feuilletonistik ganz fort, seit 35 auch das Colleg, ich war an die Conzentration auf das eine Werk de longue haieine gewöhnt (>de l.h.< ist nicht >langathmig< - gibt es einen entsprechenden deutschen Ausdruck dafür - Kaum ... Nicht abirren! Wirklich dich con-