46 Heidrun Laudel Gottfried Sempers Ringen 0 um eine repräsentative Demokratie Am 16. Mai 1849 veröffentlichte das Amtsgericht Dresden die Liste derer, die wegen ihrer Teilnahme an den Maikämpfen steckbrieflich gesucht wurden. Auf ihr fand sich auch der Name »Gottfried Semper, Leiter der Bauschule an der Kunstakademie«. Bezieht man spätere Dokumente mit ein, so galt der renommierte Architekt, der vor allem mit dem Bau des Hof theaters (1838-1841) nicht wenig zum gestiegenen Ansehen der Stadt beigetragen hatte, der sächsischen Regierung nun als »Haupträdelsführer«, als »Führer einer Umsturzpartei«, als das, was man besonders zu fürchten müssen glaubte: als »Demokrat I. Klasse«. ]) Uns soll hier vor allem interessieren, was sich hinter diesem höchst offiziell verliehenen Prädi kat, Demokrat zu sein, konkret verbarg. Betrachten wir dazu zunächst die revolutionären Maiereignisse und die Rolle, die Semper in ihnen gespielt hat! Als der Steckbrief gegen ihn erlassen wurde, befand sich Semper schon nicht mehr auf sächsi schem Boden. Er hatte Dresden in den Morgenstunden des 9. Mai 1849 verlassen, nachdem der Aufstand mit Unterstützung preußischer Truppen niedergeschlagen worden war, hatte den letzten Zug nach Pirna erwischt und sich von dort nach Burkhardtswalde, zum Gut seines Freundes, Karl Wilhelm Devrient, begeben. Allem Anschein nach glaubte Semper zu diesem Zeitpunkt noch, an dem etwas abgelegenen Ort vorerst bleiben, hier der Dinge, die da kom men würden, harren zu können. Devrient dagegen schätzte die Situation wesentlich kritischer und damit - wie sich heraussteilen sollte - realistischer ein. Er riet Semper dringend, das Land - wenigstens auf einige Zeit - zu verlassen und begleitete ihn am nächsten Tag selbst bis nach Zwickau, wo ihm sein Schwager Alexander Julius Thimmig, Regierungsrat bei der dortigen Kreisdirektion, weiterhelfen konnte. Thimmig verschaffte Semper die nötigen Papiere, mit denen er die sächsisch-bayerische Grenze unbehelligt überschreiten konnte. Hof, Karlsruhe, Heidelberg, Straßburg waren die Stationen seiner Reise, bis er Anfang Juni 1849 schließlich Paris erreichte. In Frankreichs Hauptstadt konnte er auf die Hilfe einiger Freunde aus seinen Studientagen rechnen, ohne daß er deshalb hier schon den Ort eines Neuanfangs sah. Noch war sein Elan nicht vollkommen gebrochen. Noch hielt er sich verschiedene Möglichkeiten offen, beruflich wieder Fuß zu fassen, hegte wohl auch Hoffnung, daß man sich in Sachsen eines Besseren besinnen und ihn auf seinen Lehrstuhl zurückholen könnte. Welch hohen Preis er letztlich für sein Engagement in den revolutionären Maitagen zu zahlen hatte, ahnte er damals noch nicht. Erst nach und nach mußte er erfahren, daß auch für ein Talent wie das seine ein Tätigkeitsfeld schwer zu finden war. Es waren Jahre eines mühevollen Kampfes um