WHAT IS THIS THING CALLED LOVE? EINFÜHRUNG IN DIE ENGLISCHE EROTIK Von W. H. ED WA RDS I n der vornehmen Wigmore Hall tagten während der heißesten Septemberwoche vorigen Jahres in einem Raume, in dem sonst nur die untadeligsten Streich quartette des Kontinentes ihre Weisen nur für ladies ertönen lassen, einige hundert vom Kontinent herbeigeeilte „Sexualreformer“. Engländer sind unter ihnen nur sporadisch vertreten, denn berufs mäßige Beschäftigung mit Sexualproblemen führt auch heute noch hierzulande, wenn nicht mehr zur gesellschaftlichen Ächtung, wie in dem Jahr zehnt des Martyriums von Oskar Wilde, so doch zu einem merkbaren „Abrücken“ all derer, die zur „society“ zu gehören wünschen. Der Kon greß hat sich der englischen Atmosphäre wunder bar anzupassen verstanden. Man hat von allem geredet, nur nicht — und zwar aus Rücksicht auf das gastgebende Land — über das einzige lohnende Thema: die fast naturgesetzlich be dingte sexuelle Perversität des durchschnitt lichen Engländers und der durchschnittlichen Engländerin. ' Drei Jahrhunderte Scheuklappen und Be griffsheuchelei, von Shakespeares Söhnen, die das „merry England“ in das Reich Cromwells und seiner asexuellen Eisenreiter verkehrten, bis zu den Nachfahren des siebenten Eduard und seiner Zeitgenossen, die unter dem Katastrophen druck des Weltkrieges wieder ihr Recht auf freiheitliche Natürlichkeit des Empfindungsaus drucks zu ertrotzen suchten, sind nicht spurlos an einem sehr disziplinierfähigen Volk vorüberge gangen. Trotz den Geboten von Staat und Kirche, die jedes Hervortreten erotischer Gefühle oder Erregungsmomente verdammten, blieb der Mensch auch in Eng land Mensch. Der Kuß, den der Bauer seinem Liebchen bei dem Volkstanz um den Maibaum nicht geben durfte, die Liebkosung, die der jung verheiratete Gatte als Squire oder „City man“ aus Rücksicht auf die Dienerschaft bei dem Nachhausekommen von der Fuchsjagd oder der Arbeit unterdrücken mußte, die Sexualerscheinungen der Pubertätsjahre, die in Internaten, auf Schulschiffen, auf Auslandsstationen des englischen Heeres und in den Colleges der Universitäten keinen oder nur einen gelegentlichen heimlichen bisexuellen Ausweg zu finden vermochten, haben den englischen Mann, den Stürmer und Dränger, den Er oberer des anderen Geschlechtes „gedämpft“. Der Sport und seine unvermeidliche Nina Hamnett 41