dem Vogel zu sprechen, den man im Kopf hat, nament« lieh wenn dieser Vogel ein Storch ist. Denn wichtiger als alles einzelne und schlechthin das Wichtigste ist es, daß sich der Mensch, sanft magnetisch gestreichelt, bei solcher Behandlung wieder als das Maß aller Dinge fühlen lernt. Man hat ihm durch Jahrhunderte erzählt, daß er sein Verhalten einer Kultur schuldig sei, die viel mehr bedeute als er selbst, und als wir die Kultur im letzten Menschen« alter zum größten Teil doch endlich losgeworden sind, war es wieder das Überhandnehmen der Entdeckungen und Erfindungen, neben denen sich der Einzelne als ein Nichts vorkam: Nun aber faßt die Psychoanalyse diesen verkümmerten Einzelnen bei der Hand und beweist ihm, daß er nur Mut haben müsse und Keimdrüsen. Möge sie nie ein Ende finden! Das ist mein Wunsch als Laie, aber ich glaube, er deckt sich mit dem der Sachver« ständigen. Ich werde darum von einer Vermutung beunruhigt, die ja möglicherweise nur meiner Laienhaftigkeit ent« springt, vielleicht aber doch richtig ist. Denn soviel ich weiß, steht heute der vorhin erwähnte Odipus«Komplex mehr denn je im Mittelpunkt der Theorie, fast alle Er« scheinungen werden auf ihn zurückgeführt, und ich befürchte, daß es nach ein bis zwei Menschenfolgen keinen Ödipus mehr geben wird. Man mache sich klar, daß er der Natur des kleinen Menschen entspringt, der im Schoß der Mutter sein Vergnügen findet und auf den Vater, der ihn von dort verdrängt, eifersüchtig ist. Was nun, wenn die Mutter keinen Schoß mehr hat? ! Schon versteht man, wohin das zielt: Schoß ist ja nicht nur jene Körpergegend, für die das Wort im engsten Sinne geschaffen ist, sondern es bedeutet psychologisch das ganze brütend Mütterliche der Frau, den Busen, das wärmende Fett, die beruhigende und hegende Weichheit, ja es bedeutet nicht mit Unrecht sogar auch den Rock, dessen breite Falten ein geheimnisvolles Nest sind. In diesem Sinn stammen die grundlegenden Erlebnisse der Psychoanalyse entschieden von der Kleidung der siebziger und achtziger Jahre ab. Und nun gar bei Betrachtung im Badetrikot: wo ist heute der Schoß? Wenn ich mir die psychoanalytische Sehn« sucht, embryonal dahin zurückzufinden, an den laufenden und crawlenden Mädchen« und Frauenkörpern vorzustellen versuche, die heute an der Herrschaft sind, so sehe ich, bei aller Anerkennung ihrer eigenartigen Schönheit, nicht ein, warum die nächste Generation nicht ebensogern in den Schoß des Vaters wird zurückwollen. Was aber dann?! Werden wir statt des Ödipus einen Orestes bekommen? Oder wird die Psycho« analyse ihre segensreiche Wirkung aufgeben müssen? 686