14. Lotmabeud, 8 April. 1899. Aetkelrißische Aeitage zm sächslschkll Erzähl«. Zur gemeinnützigen Unterhaltung für alle Stände. (Wird jeder Sonnabends-Nummer ohne Preiserhöhung des Hauptblattes beigegeben.) ZA» Bon Julius Sturm. Es ist das Meer ein mächt'ges Buch Mit ungezählten Blättern, Draus schreibt der Sturm in hast'gem Zug Mit schneeig weißen Lettern. Er rollt die Blätter rauschend auf, Kann nimmer sich genügen, „Gott ist allmächtig!" schreibt er drauf Mit urgewalt'gcn Zügen. Dann legt er aus der Hand das Buch; Und ob die Blätter beben, Die Sonne schreibt mit goldnem Zug: „Gott ist die Lieb'!" daneben. Wer liebte ihn mehr? Autorisirte Uebersetzung aus dem Englischen von W. v. Schönau. (Fortsetzung.) (Nachdruck verboten.) „Ich bleibe nicht lange fort," sagte er; „wenn mein Vater stirbt, kehre ich gleich zurück, wird es besser mit ihm, so komme ich, so bald ich fort kann, in jedem Fall spätestens in einem Monat." „Wirklich, in einem Monat, bleibst Du nicht länger? Dann werden die Rosen noch blühen und die Trauben noch nicht reif sein. Ich werde geduldig warten, mein Geliebter, voller Liebe und Treue." „Gott segne Dich, mein theures Weib!" sagte Lord Kilmehne. „Du weist nicht, wie Du mir das Schwere erleichterst. Ich kehre noch zur Zeit der Rosen zurück, jeder Augenblick wird mir eine Ewigkeit scheinen, aber Du bist mein eigen, Niemand kann Dich mir entreißen. Ich denke, Du bewahrst unser Ge- heimniß bis ich komme; ich möchte cs Deinem Onkel lieber selbst sagen, vielleicht zürnt er Dir, und ich kann den Gedanken nicht ertragen, daß Du seinem Aerger allein Stand halten müßtest." „Ich werde schweigen," erwiderte Carmen, „er würde mich doch nicht verstehen." „Aber ich muß Dir schreiben »nd von Dir hören, ich werde Dir meine Adresse geben und die Briefe an Dich postlagernd schicken." Er beugte sich zu ihr. „Versuche glücklich zu sein, Carmen, denke immer an die schönen Tage, welche die Zukunft uns bringen wird." „Ich kann nicht glücklich sein, wenn Du fort bist," sagte sie, „aber ich will mir Mühe geben, geduldig und zufrieden auf Deine Rückkehr zu warten." „Mein Herz, es ist wie ein Frost auf Dein Glück gefallen, wollte Gott, ich könnte daS Schicksal ändern, aber es geht nicht! Wir müssen uns eine kurze Zeit trennen, mein geliebtes Weib; warum siehst Du so bleich und traurig auS? Du zweifelst doch nicht a» mir?" „Nein, das wäre mein Tod," erwiderte sie schnell. „Die Zeit vergeht so rasch. Sieh mich an, Carmen, versuche zu lächeln; wenn wir uns trennen, muß eS jetzt sein, aber ich möchte nicht als letzte Erinnerung an Dein liebes Gesicht eine so trübe mit mir nehmen." Sie versuchte ihren leidenschaftlichen Kummer niederzukämpfen, doch es war vergeblich, ihre Lippen zitterte» und ihre Augen standen voll Thränen. „Carmen," sagte er, „ich kann nicht abreisen, wenn Du so verzweifelt bist, Du mußt doch meine nächste Sorge sein, und wenn ich Dein kummervolles Gesicht sehe, wird mein Entschluß wankend." „Dann muß ich es verbergen, Biktor, es ist doch die Pflicht, die Dich ruft." „Ja, aber ich bin nur ein Mensch, und ich liebe Dich — ach, wie sehr!" „Dann laß Deine Liebe Dich bald zurückbringen," sagte sie, mit einem schwachen Versuch, sich zu be herrschen. „Ich muß jetzt fort," sagte er, „es ist die höchste Zeit! Ach, Carmen, mein geliebtes Leben, wie soll ich es über mich gewinnen, Dir Lebewohl zu sagen?" „Sage es nicht," erwiderte sie, „sage lieber: Aus Wiedersehen! Das wird dem Abschied den Stachel nehmen; aus Wiedersehen in vier Wochen mein Ge liebter!" „Ich muß Dich küssen, Carmen, ich kann nicht so von Dir gehen! Es achtet hier Niemand aus uns." Er beugte sich zu ihr und preßte seine Lippen heiß auf die ihrigen, seine ganze leidenschaftliche Liebe lag in dem Kuß. „Ich kann nicht fortgehrn, Carmen!" rief er verzweifelt. „Es ist die Pflicht, die Dich ruft!" „Und wir, die wir uns so lieben, sollen uns hier unter freiem Himmel trennen, nachdem wir eben für'S Leben verbunden sind?" „Es ist ja nur für eine kurze Zeit," flüsterte sie. „Du kehrst bald zurück und wirst bis dahin immer in Liebe an mich denken." „DaS schwöre ich Dir, Carmen," sagte er feierlich.